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Um die Hand der Braut.

Im Kastell Baumhofe in Flandern hatte sich seit der Abreise des Schloßherrn Peter van Este vieles verändert. In der ersten Zeit widmete sich Otto anscheinend eifrig der Bewirtschaftung der Güter, bald jedoch ließ dieser Eifer nach. Es wurden große Feste gefeiert und viele Gäste dazu eingeladen, kurz, in Saus und Braus gelebt. Die alten Bedienten, Knechte und Mägde schüttelten bedenklich den Kopf, wenn sie die großen und kostspieligen Vorbereitungen zu diesen Festen sahen. Da mußten im Winter schöne, seltene Pflanzen herbeigeschafft werden, um den großen Saal damit auszuschmücken, der vorher schon mit vielen Kosten instandgesetzt und dekoriert worden war. Zwei Köche aus Paris kamen herüber, um die feinen Gerichte zu bereiten. – Die Schloßnachbarn zogen sich allmählich von Baumhofe zurück, und schließlich bestand die Gesellschaft, welche bei Otto verkehrte, nur noch aus Herren und Damen aus Paris, oder wie der alte van der Nelken sie nannte, Pariser Hungerleidern und Schmarotzern.

Peter van Este ließ nichts von sich hören. Er wollte sein Gut, wo er so unendlich glücklich gewesen und dann so unglücklich geworden war, nicht wiedersehen und kümmerte sich kaum um die Verwaltung desselben, die er damals seinem Bruder übertragen und die er somit in guten Händen glaubte. Auch hatte der ganze Besitz wenig Wert für ihn, da er ja doch keine Leibeserben hinterließ. Im übrigen nahm ihn der ewige Krieg zu sehr in Anspruch. Otto wirtschaftete toll drauf los. Es dauerte nicht lange, so waren die alten Bedienten, welche fast Ihr ganzes Leben auf dem Schlosse zugebracht hatten, entlassen und durch andere ersetzt, welche, wie Otto sagte, »mehr Bildung hatten.«

Es war um Weihnachten und bitterkalt. Im Schlosse wurde ein Fest gegeben. Der große Saal war herrlich erleuchtet und mit Blumen und exotischen Pflanzen reich geschmückt. Eine glänzende Gesellschaft, meist junge Damen und Herren, Bekannte Ottos aus Paris und Umgebung, bewegte sich durch die prunkvollen Räume. Der Schloßherr selbst, am Arme eine bildschöne junge Dame in weißem Kleide führend, eröffnete das Fest. Mit äußerster Liebenswürdigkeit bewillkommnete er die Geladenen und nahm deren schmeichelhafte Komplimente entgegen. Ein ausgezeichnetes Orchester erfüllte die Säle mit einer gedämpften, von Zeit zu Zeit ertönenden, lieblichen Musik. Durch die gewundenen Gänge des Schlosses lustwandelten die Paare und heiteres Geplauder, Lachen und Scherzen zeugte von der fröhlichen Stimmung der Gäste, jetzt ordneten sich die Reihen zum Tanze, und die Musik begann. Allen voran schritt Otto mit seiner Dame und bald wiegten sich die Paare zu den rhythmischen Klängen eines Menuetts. Selten hatte durch den Saal von Kastell Baumhofe eine so feingeputzte Menge gewogt; selten so kostbare Seidenkleider gerauscht und soviel Diamanten, Türkisen und Rubinen am Halse schöner Frauen gefunkelt! Nach dem Tanze zerstreute man sich in die Nebenräume, um sich auszuruhen und zu erfrischen. Dort saßen sie dann zusammen auf den Divans und um die Marmortischchen herum, charmierend und schäkernd, jene galanten Herren mit ihren kokett lächelnden Damen, die nun in reizendem Spiele wie Schmetterlingsflügel ihre Perlmutt- und Eisenbeinfächer hin- und herbewegten.

Etwas abseits in einer Ecke saßen einige ältere Herren und plauderten.

»Herr Chêne,« sagte ein kahlköpfiger Herr zu einem andern von der Gruppe, indem er diesen etwas auf die Seite zog, »was sagt Ihr zu dem Feste hier? So hattet Ihr es Euch wohl nicht vorgestellt?«

»Allerdings nicht; das übertrifft in der Tat meine Erwartungen, und mir ist die Reise nicht leid geworden, ich hoffe, daß sich in später Stunde auch noch etwas machen läßt.«

»Pst, nicht so laut,« flüsterte der erste. »Seid versichert, er ist in meine Tochter verliebt. Heute abend wollen wir ihn zur Ader lassen. Seht Ihr, wie er sich mit Jeannette unterhält? Ein hübsches Paar übrigens – findet Ihr nicht?«

Die letzten Worte galten dem Schloßherrn, welcher nach beendigtem Tanze mit seiner Dame durch den Saal spazierte und derselben leise Worte zuflüsterte, wobei letztere mit bestrickendem Lächeln zu ihm aufschaute. Und diese sich hinter den Fächer versteckenden, berückend schönen Augen, die so manchen schon betört hatten, schienen es auch Otto angetan zu haben.

Jeannette war die Tochter eines verarmten französischen Edelmannes, welcher in dem Rufe eines Falschspielers stand. Sein Name war Pierre de Lafleur. Er war mit einigen Kollegen hier zum Feste gekommen, um Otto beim Würfelspiel einmal gründlich zu rupfen.

»Es wird doch nicht zu lange dauern, ehe wir zum Spiel kommen?« meinte Chêne, sich an de Lafleur wendend.

»Wenn es gar zu lang wird, dann machen wir eben ein Ende. Meine Tochter fühlt sich plötzlich nicht wohl, und dann wird das Fest abgebrochen. Meine Jeannette versteht das.«

Die beiden traten jetzt zu den andern Gästen und unterhielten sich mit diesen. Es wurden vorzügliche, feurige Weine getrunken, und die Gesellschaft war auf dem Punkt angelangt, wo die Fröhlichkeit in Ausgelassenheit übergeht, als Jeannette, welche am Arme des Schloßherrn durch den Saal schritt, auf einmal stehen blieb. Alle sahen auf die schöne stolze Erscheinung, die plötzlich schwankte, wie das Schiff im Winde schwankt, dir Arme sinken ließ und dann mit einem leisen Seufzer zusammenbrach, wobei sie mit dem Haupt auf den Parkettboden niederschlug. Otto stieß einen Schrei aus, kniete nieder und hielt die zitternde Hand Jeannettes in der seinigen. Eine Aufregung entstand im Saale, eine Kammerfrau erschien, und die halb ohnmächtige wurde in ihr Zimmer gebracht.

» Mon Dieu!« rief Herr de Lafleur, mit gut gespielter Bestürzung, »was ist meiner Tochter passiert, Herr van Este?« »Die Aufregung, Herr de Lafleur, die Hitze im Saale! Das Fräulein scheint an derartige Feste nicht gewohnt zu sein. Bedaure unendlich. Hoffentlich wird dieser Zwischenfall ohne Folgen sein!« sagte Otto in besorgtem Tone.

»Es ist Übermüdung, weiter nichts!« erwiderte de Lafleur. »Das Kind hat die lange Reise gemacht und wenig geschlafen. Die Wege sind ja auch so schlecht heutzutage und das Hin- und Herschaukeln im Reisewagen wird sie etwas angegriffen haben.«

Das Fest war gestört; die Damen suchten teilweise ihre Zimmer auf oder begaben sich in den Erfrischungsraum, die Herren dagegen in das Wohnzimmer des Hausherrn, wo sofort das Würfelspiel begann. Herr de Lafleur hatte seine Tochter aufgesucht, welche in ihrem Zimmer auf einem Ruhebette lag, und fragte diese, warum das Unwohlsein schon so früh eingetreten sei, es wäre doch noch Zeit genug gewesen.

»Ach, Vater,« flüsterte Jeannette mit Entsetzen, »Marot ist hier, er hat mich am Arme des Schloßherrn gesehen, und seine Augen ruhten wie zwei Blitze auf mir; da wurde ich tatsächlich ohnmächtig.«

»Wie, Marot hier?« keuchte der alte Herr. Nicht möglich! Du hast dich getäuscht, Kind!«

»Ich wollte, es wäre so, Vater! Was werde ich ihm sagen? Er ist mein Verlobter, glaubt mich in Paris und findet mich hier am Arme eines andern – o, ich Unglückliche!« und sie brach in Tränen aus.

»Nun, so schlimm ist die Sache doch nicht!« tröstete der Alte. »Ich werde ihm sagen, ich hätte dich mitgenommen und keine Zeit gehabt, ihm zu benachrichtigen. Du mußt übrigens bald heiraten, damit wir endlich einmal zu Geld kommen.«

»Wenn's nur kein Unglück gibt, Vater! O, ich fürchte mich vor Marot. Er ist so heftig und eifersüchtig!«

»Ach was, beruhige dich nur. Ich werde ihn schon umstimmen und seinen Zorn besänftigen. Gute Nacht, ma cherie

Lafleur entfernte sich und begab sich in das Spielzimmer, wo bereits der Kampf um das Gold hin und her wogte. An verschiedenen Tischen hatte man schon große Haufen des gelben gleißenden Metalls vor sich liegen. Hier und dort hörte man lachen und fluchen. Einzelne Spieler, die wieder verloren hatten, blickten finster vor sich hin. Der Hausherr war ganz in sein Spiel vertieft und de Lafleur setzte sich zu ihm, um mitzuspielen.

» A propos, Herr de Lafleur,« sagte Otto aufschauend, »wie geht es meiner lieben Jeannette?«

»Danke, danke, Herr van Este, es war nur ein leichtes Unwohlsein, weiter nichts,« erwiderte de Lafleur.

»Mit Verlaub, Herr van Este, das ist doch wohl nicht Eure liebe Jeannette, nicht wahr?!« rief ein junger Herr mit schwarzem Schnurrbarte, jedes Wort scharf betonend, indem er aufstand und dem Schloßherrn einen wütenden Blick zuwarf.

Das Spiel hörte auf, und alle blickten auf die Streitenden.

»Ei, Herr Marot, ich denke, es kann Euch nicht beleidigen, wenn ich eine hübsche junge Dame als meine liebe Jeannette bezeichne, und ich wüßte auch nicht, was Euch zu dieser unhöflichen Bemerkung veranlaßt.«

»Dann will ich es Euch sagen, Herr van Este,« erwiderte Marot schroff. »Diese Jeannette ist meine Braut. Ihre Hand gehört also mir, und den will ich sehen, der sie mir streitig macht!«

»Eure Braut?« fragte Otto erstaunt, indem ein Gefühl heftiger Eifersucht in ihm aufstieg. »Pardon, das habe ich nicht gewußt. Freilich, dann habt Ihr ältere Rechte an diese Dame als ich,« setzte er hämisch hinzu. »Aber seid versichert: ich sehe sie heute zum ersten Male. Wohl kannte ich seit längerer Zeit schon ihren Vater als einen ehrenwerten, liebenswürdigen Herrn der Pariser Gesellschaft. Daß er eine so reizende Tochter hatte, war mir nicht bekannt.«

»Ein ehrenwerter Herr, der Vater?!« rief Marot verächtlich. »Der seine Tochter verschachert und an denjenigen verkauft, der am meisten dafür bietet ...?!«

»Genug, Herr Marot,« rief Otto erregt. »Meine Gäste sollt Ihr nicht beleidigen. Kein Wort weiter, oder ich lasse Euch die Tür weisen!«

»Herr Marot, so sprecht Ihr von dem Vater Eurer Braut?!« sagte de Lafleur, den Entrüsteten spielend.

»Schweigt! Ihr seid ein Elender und schuld an diesem ganzen Skandal!« schrie Marot de Lafleur an und sich dann gegen Otto wendend, fuhr er fort: »Ich sage es nochmals, die Hand der Jeannette gehört mir, und wehe dem, der sie mir nimmt!« Damit stand er auf und verließ das Gemach.

»Gut, daß er sich entfernt hat,« sagte Otto. »Seine Drohungen jedoch fürchte ich nicht.« Otto tat, als bemerke er das peinliche Aufsehen nicht, das diese Szene hervorgerufen hatte. Und während die Anwesenden sich erstaunt ansahen und spöttisch miteinander flüsterten, ergriff er sein Glas und rief: »Stoßt an, meine Herren und laßt Euch diesen fröhlichen Abend nicht verderben durch unliebsame Zwischenfälle und Explikationen, die nicht hierher gehören – Prosit!« Dir Becher klangen lustig aneinander, und das Spiel begann von neuem.

Otto verlor Schlag auf Schlag. Herr de Lafleur gewann und vor ihm häufte sich das Gold.

»Ich habe kein Geld mehr und spiele deshalb auf Ehrenwort weiter,« sagte Otto.

»Versteht sich, soll gelten!« riefen die Herren, welche an seinem Tische sahen.

Jetzt trat Marot wieder in das Zimmer und an den Tisch heran, wo Otto saß, welcher gerade geworfen hatte. Sein Blick fiel auf die Würfel. »Verloren!« rief er, »acht Augen nur.«

»Ich werfe mehr,« rief Chêne und nahm den Becher zur Hand. Die Würfel rollten: »Siebzehn Augen,« sagte er schmunzelnd, »also zweitausend Goldstücke gewonnen.«

»Ganz richtig,« bestätigte Otto, »zweitausend Goldstücke.«

»Gebt her,« sagte Marot, den Becher zur Hand nehmend, »ich würfele mit Euch um tausend Goldstücke, Herr van Este.«

»Es gilt,« rief Otto. Werft nur an.«

Marot warf und zählte sechzehn Augen.

Otto warf und zählte achtzehn Augen.

»Wir wollen nun unter uns spielen, Herr van Este,« bemerkte Marot, mit einem höhnischen Seitenblick auf die Herren Chêne und de Lafleur, »da habt Ihr jedenfalls mehr Glück.«

»Meinetwegen,« sagte Otto. »Weiter um tausend Goldstücke?«

»Jawohl!«

Otto warf und gewann wieder, und nach einer Viertelstunde bekannte Marot, daß er sein ganzes Vermögen verspielt hätte.

»Ich höre auf,« sagte er zu Otto, »Ihr seid ein Glückspilz, Herr van Este! Ihr habt in einer Viertelstunde zwölftausend Goldstücke gewonnen. Hört auf und spielt nicht weiter!« raunte er ihm zu. Er setzte sich darauf allein an einen Tisch und stützte seinen Kopf in die Hand.

Otto aber spielte weiter mit Chêne und de Lafleur. Nach etwa einer Stunde hatte er sein ganzes Geld verspielt, Chêne und de Lafleur dagegen alles gewonnen.

»Ich kann Euch die Hand reichen, Herr Marot!« rief Otto diesem bitter zu, »ich habe nichts mehr, was ich mein eigen nennen kann. Alles verloren!«

»Ich aber habe noch etwas, was ich mein eigen nenne, und mir gehört – die Hand meiner Braut!«

»So und darum sollen wir spielen?« fragte Otto den andern scharf fixierend.

»Jawohl, wir würfeln darum, Jeannette hat Euch Avancen gemacht und mich kalt gestellt, Ihre Gunstbeweise lassen keinen Zweifel darüber, daß Ihr der Bevorzugte seid ... Wohlan denn! Mag das Los entscheiden, wem von uns ihre Hand gehören soll. Her mit dem Becher!«

Marot ergriff denselben und warf. Während alle Anwesenden gespannt auf die Würfel sahen, rief er: »Nur drei Augen!« raffte die Würfel zusammen in den Becher, reichte ihn Otto mit einer Verbeugung und sagte ironisch: »Nun versucht Ihr Euer Glück, Herr van Este, Ihr braucht ja nur vier Augen zu werfen, und die Hand der Braut ist Euer.«

» Soit. Wer das Glück hat, führt die Braut heim!« lachte Otto in übermütiger Laune. Die Würfel rollten.

»Dreizehn Augen! Gratuliere, Herr van Este!« riefen die Umstehenden ihm zu.

Otto dankte und sagte: »Ich habe dreizehn Augen geworfen, also die Unglückszahl, und da ist es fraglich, ob die ausgespielte Braut oder der Schwiegervater damit einverstanden ist. Jedenfalls ist diese Dreizehn ein böses Omen!«

Marot saß leichenblaß da. Einen Augenblick stierte er auf die Würfel. Dann leerte er plötzlich sein Glas und stürzte hinaus. Als er nach einigen Minuten wieder eintrat, schwankenden Schrittes, das Gesicht verzerrt, mit blutunterlaufenen Augen da überrann es die Gäste kalt, wie das Grauen eines furchtbaren Geschehnisses.

Otto richtete sich auf, »Herr Marot – –?"

»Herr van Este,« sagte dieser mit heiserer Stimme, indem sich seine Augen mit dem Ausdruck wilden Triumphes auf den Nebenbuhler hefteten; »ich habe soeben mit Euch um die Hand meiner Braut gespielt und sie verloren, bin also verpflichtet, sie an Euch abzutreten. Hier ist sie!« Dabei riß er unter seinem Wams eine abgehauene zarte Frauenhand hervor und warf sie zum Entsetzen aller Umstehenden auf den Tisch.

Schaudernd blickte Otto auf die blutige Hand und wußte nicht, ob er das Ganze für Wirklichkeit oder Gaukelspiel halten sollte, In seinen Mienen wechselte das Grauen mit ungläubigem Erstaunen.

»Herr Marot, Ihr wollt uns doch nicht glauben machen, daß das die Hand Jeannettes sei?« sagte er endlich.

»Und warum soll es ihre Hand nicht sein?« gab Marot mit zynischem Lachen zurück. »Es ist die ihrige, verlaßt Euch drauf! Sie war mein Eigentum. Da ich sie aber an Euch verspielt habe, bin ich in ihr Zimmer gedrungen und habe sie ihr mit dem Säbel abgehackt. Seht doch das güldene Ringelein an dem Finger mit dem roten Stein, ein Geschenk von Euch, Herr Otto! Ihr hattet den Ring diesen Abend abgestreift und an die Hand meiner Braut gesteckt.«

Beim Anblick des Ringes verzerrte sich Ottos Gesicht und seine Augen schienen aus den Höhlen zu treten. Seine Finger krallten sich und mit einem Wutschrei stürzte er sich auf Marot.

»Scheusal, Bube, Mörder! Das fordert Blut! – Heran, wenn du kein Feigling bist!«

»Einen Augenblick, Herr Otto,« erwiderte Marot zurückspringend, »ich hole meine Waffen und stehe dann zu Diensten.« Damit verließ er das Zimmer, alle Anwesenden in großer Bestürzung zurücklassend.

»Was soll das werden!« murmelte Chêne und strich vorsorglich sein gewonnenes Geld sowie die Schuldverschreibungen ein.

»Oh, dieser Barbar! Jeannette, mein unglückseliges Kind!« rief Herr de Lafleur und eilte hinaus, um nach seiner Tochter zu sehen. Gleichzeitig hatte er ebenfalls sein Geld verschwinden lassen.

Otto stand hochaufgerichtet, den Degen in der Faust und erwartete den Gegner. Eine nervöse Unruhe zuckte in seinem Gesichte, denn er wußte, daß er gegen den gewandten Fechter zu kurz kommen würde. Jetzt trat Marot mit gezogenem Degen in das Zimmer.

»So, hier bin ich. Klingen los!« Er trat aus Otto zu und senkte die Spitze seines Degens.

»Vorwärts, los!« rief Otto hitzig. Sie kreuzten die Klingen. Der gewandte Marot versuchte zunächst, seinen Gegner zu ermüden, und verteidigte sich vorsichtig, während Otto verschiedene Ausfälle machte und sich so viele Blößen gab, daß Marot ihn leicht hätte niederstoßen können. Jetzt ermüdete Otto und allmählich ging Marot zum Zugriff über. In kurzer Zeit hatte er Otto drei Wunden beigebracht.

Die Anwesenden sahen dem blutigen Spiele zu, und atemlose Stille herrschte im Zimmer; man hörte nur das Klirren der Degen und den keuchenden Atem der Kämpfenden.

Plötzlich stürzten mehrere Diener ins Zimmer mit dem Rufe: »Rettet Euch, das Schloß steht in Flammen!«

Ein brandiger Geruch wurde bemerkbar, die beiden Kämpfer ruhten, und jeder suchte möglichst rasch aus dem Zimmer zu kommen. Als sie aus den Korridor kamen, schlug ihnen die Lohe entgegen und benahm ihnen den Atem. Das Feuer habe bereits das ganze Gebäude ergriffen. Vom Dorfe her tönte die Feuerglocke. Durch das Krachen der Balken und das Knistern der Flammen hörte man das Geschrei der Löscher, durch deren Hände die Brandeimer flogen, um des Feuers Herr zu werden. Die Schloßbewohner liefen wie die Ameisen durcheinander und wußten nicht, was sie beginnen sollten. An eine Rettung des schönen Schlosses war nicht zu denken. Die Flammen schlugen prasselnd zum Dache heraus, und das gewaltige Feuer leuchtete weit hinaus in die Nacht. Endlich stürzte ein Teil der Giebelmauer zusammen. Die Pferdeställe und Wagenschuppen waren verschont geblieben. Die Gäste waren ins Freie gestürzt zu ihren Wagen und hatten noch in der Nacht die Rückreise angetreten. De Lafleur hatte vergebens seine Tochter gesucht; sie schien mit ihrer Kammerzofe elendiglich verbrannt zu sein, da sie die Zimmertüre abgeschlossen hatte.

Otto war glücklich in den Park gelangt. Mit versengtem Haare, rauchgeschwärzt und blutbefleckt sank er auf eine Steinbank nieder. Das soeben Erlebte hatte ihn überwältigt und seine Glieder waren wie gelähmt.

Marot war ihm gefolgt und stand plötzlich neben ihm. In dem roten Widerscheine des Feuers hatten dessen Züge etwas Dämonisches, Gespenstisches im Ausdruck.

Otto fuhr auf. »Was wollt Ihr noch von mir? Seht Ihr nicht, daß höhere Gewalt unserem Zweikampf ein Ende gemacht hat? Verlangt Ihr weitere Satisfaktion? Geht, verlaßt mich – ich bin ein ruinierter Mann!"

Ein höhnisches Lächeln zuckte um Marots Lippen. »Höhere Gewalt? Seit wann glaubt Herr van Este an höhere Gewalt? Nun, meinetwegen braucht das Duell nicht ausgefochten zu werden, wenn Ihr nicht darauf besteht. Übrigens seid Ihr es gewesen, der Satisfaktion verlangt und – auch bekommen hat!« setzte er sarkastisch hinzu.

Otto schwieg. Der Spott seines Gegners schien ihn nicht zu berühren. Er vergrub seinen Kopf in beide Hände und stöhnte laut auf.

Marots Augen ruhten einen Augenblick auf der zusammengesunkenen Gestalt des Schloßherrn und genossen den Triumph befriedigter Rache. Der Nebenbuhler, der ihn aus dem Herzen seiner Braut verdrängen wollte und noch vor wenigen Minuten mit dem Degen in der Faust ihm gegenüber gestanden, lag nun gedemütigt und vernichtet da vor ihm. Und indem er sich an diesem Anblick weidete, kam ihm ein teuflischer Gedanke: er wollte sich dieses willen- und haltlosen Menschen bemächtigen und für seine Zwecke dienstbar machen.

Mit erheuchelter Teilnahme sagte er daher zu Otto: »Anstatt Euch in Sentimentalitäten zu ergehen und nutzlose Betrachtungen über Euer Unglück anzustellen, solltet ihr lieber darüber nachdenken, wie Ihr aus Eurer Lage herauskommt und was Ihr für die Zukunft beginnen wollt.«

Otto sah ihn verständnislos an.

»Auf alle Fälle,« fuhr Marot in eindringlichem Tone fort, indem er sich zu Otto herabbeugte, »könntet Ihr jetzt einen Ratgeber gebrauchen – – – Aber es ist schon spät. Wir wollen morgen darüber weiter reden. Nach den Aufregungen des heutigen Tages bedürfen wir beide der Ruhe. Ich werde zusehen, in einem Gasthause im Dorfe ein Unterkommen zu finden. Erwartet mich also morgen früh.«

Otto starrte dem Fortgehenden nach. Plötzlich schrak er zusammen. Neben ihm flatterten und kreischten zwei Raubvögel. Als Otto sich erhob, flogen sie schreiend davon, und zu Boden fiel ein zerfetztes, blutiges Stück Fleisch –: es war Jeannettes abgehackte Hand – –!

Vom Wege her nahten jetzt Schritte und man vernahm das Bellen eines Hundes.

»Gnädiger Herr,« rief Gerhard, der Gärtner, indem er ehrerbietig auf Otto zutrat, »ich habe Euch überall gesucht. Kommt zum Gärtnerhause, wenn's Euch beliebt. Es ist vom Feuer unversehrt geblieben und hat noch zwei Zimmer, die zu Eurer Verfügung stehen. Ich habe sie für Euch herrichten lassen.«

Stumm folgte Otto dem alten Gärtner. Er fühlte sich am Ende seiner Kraft und hatte nur noch das Bedürfnis zu schlafen und im Schlafe zu vergessen – – –


Der alte Gerhard war von Kindesbeinen an immer im Schlosse gewesen und hatte die Schloßherren von Kindheit an gekannt, Freud und Leid mit seiner Herrschaft getragen und mußte nun den gänzlichen Verfall des Gutes erleben. Er setzte sich an den Tisch und stützte den grauen Kopf kummervoll in beide Hände. »Was wird unser armer Herr Peter sagen, wenn er hört, daß sein liebes Baumhofe zerstört ist,« seufzte der Alte vor sich hin. »Gott sei's geklagt. Seit der tolle Otto hier ist, der sich um nichts kümmert, alle Feste mitmacht und abhält, alle treuen Diener verjagt und Schmarotzer und Speichellecker hierher zieht, seit der Zeit taugt's nicht mehr. Und jetzt ist zum Schlusse noch der Brand ausgebrochen, welcher uns vollends vernichtet hat! Nun, wie Gott will!« Er begab sich zur Ruhe.

Am andern Morgen erwachte Otto ziemlich spät, und als er in das Vorzimmer trat, wartete dort der alte Pfarrer aus dem Dorfe auf ihn.

»Guten Morgen, Herr van Este,« grüßte der alte Herr in freundlich-ernstem Tone. »Es ist zwar noch etwas früh am Tage, jedoch duldet das, was ich Euch mitzuteilen habe, keinen Aufschub. Ein Soldat brachte mir von Eurem Bruder, dem Herrn Hauptmann van Este, ein Schreiben, worin er mich ersucht, Euch den einliegenden Brief zu übergeben, nachdem ich von dem Inhalte desselben Kenntnis genommen hätte. Hier ist er.«

Otto nahm den Brief schweigend an und überflog den Inhalt. Leichenblässe überzog sein Gesicht.

»Das hat wirklich an meinem Malheur noch gefehlt!« rief er in bitterem Hohne aus. »Also, mein edler Bruder kündigt mir hiermit die Gastfreundschaft und setzt mich mit allen Vieren auf die Straße – à merveille! Und Ihr, Herr Pfarrer,« fügte er mit einer ironischen Verbeugung hinzu, »habt den ehrenvollen Auftrag, mich davon zu unterrichten, daß ich mich von heute ab als Bettler betrachten kann ...«

»Eure Schuld, Herr Otto!« gab der alte Pfarrer ernst zur Antwort und heftete seine Augen vorwurfsvoll auf den jungen Edelmann. »Ihr habt es Euch selbst zuzuschreiben, daß Herr van Este Euch die Verwaltung der Güter aus der Hand nimmt. Denn in wenigen Jahren würden dieselben in die Hände der Gauner oder Juden gewandert sein, die Euch zu Eurem Verderben immer wieder Geld leihen! Es ist die höchste Zeit, namentlich jetzt nach dem schrecklichen Brandunglücke, daß hier einmal Wandel geschaffen wird.«

»Und wie lange darf ich noch bleiben, Herr Pfarrer? Welche Frist hat mein Bruder mir gestellt?«

»O, das wird auf einige Tage nicht ankommen. Der neue Verwalter mit seiner Familie wird zwar heute schon eintreffen, aber im Parkhause Wohnung nehmen.«

»Schon heute? Gut, dann werde ich noch heute abreisen, Herr Pfarrer,« sagte Otto mit verhaltener Erregung. »Ich danke Euch für Eure Mitteilung!«

»Hat nichts auf sich, Herr Otto, lebt wohl!« Der greise Pfarrer verneigte sich und verließ nachdenklich das Haus.


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