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Kriegsunruhen

Am andern Morgen, nachdem das Frühstück eingenommen war, erschien auch Eva, welche man kaum wiedererkannte, so wohltätig hatte der gesunde Schlaf auf dem reinlichen Lager gewirkt. Ein Stück Brot, Käse und eine Schüssel Hafermus wurden für sie zurechtgesetzt, und sie begann langsam zu essen. Es schien ihr trefflich zu munden. Der Großvater ermunterte sie, nur tüchtig zuzubeißen, das Essen sei ihr von Herzen gegönnt. Tüchtig essen und arbeiten, war ja im Hause der Wahlspruch, denn: »Wie einem gehen die Backen, so gehen einem auch die Hacken Die Leute der damaligen Zeit hielten denjenigen für flink in der Arbeit der auch flink beim Essen war. Diese Beurteilung findet sich auch heute noch vielfach auf dem Lande, wo z. B. der neueingetretene Knecht während seiner ersten Mahlzeit daraufhin von seinem Arbeitgeber beobachtet wird.. Die Pühmeleien Pühmeleihen. Langsam essen, wenig essen. und Knösereien Knösereien. Wenig essen und den Teller nicht leer essen. könne man im Hause nicht leiden.«

Als Eva mit dem Frühstück fertig war, mußte sie dem Großvater alles von ihrer Herkunft erzählen, was sie wußte. Sie sagte, was wir bereits gehört haben.

»Hm,« sagte der Großvater, »das ist sehr wenig, Kind. Wie alt bist du denn?«

»Sechzehn Jahre!«

»Wie sechzehn Jahre? Du siehst aus, als ob du erst zwölf bis dreizehn Jahre alt wärest! Wie alt warst du denn, als man dich von Hause fortbrachte?«

»Ich glaube sechs Jahre!«

»Also geschah dies vor zehn Jahren. Das ist freilich lange her. Bist du denn während dieser ganzen Zeit immer in Sittard gewesen?«

»Nein, nur zwei Jahre, vorher wohnte die Kathrin an vielen andern Stellen, aber nie lange Zeit.«

»Wird wohl Angst gehabt haben, daß man ihr auf den Pelz rückte. Aber hörtest du nie, warum du deinen Eltern geraubt wurdest?«

»Nein!«

»Sagte denn die alte Hexe nie, warum du bei ihr seiest?«

»Nein, nur im vorigen Jahre sagte Wilm einmal, ›wenn der Kerl nicht bald Geld schickt, drehe ich dem unnützen Ding den Hals um!‹«

»So? Das war ja sehr freundlich! Und was sagte die Alte zu dieser Bemerkung?«

»Kathrin sagte, Wilm sei ein Dummkopf, sie würde den Kerl schon kriegen, und wenn er nicht bezahlen wollte, dann würde sie selbst einmal zu den Flamingern gehen.«

»So, also wohnte in Flandern jemand, der für dich bei der Alten bezahlte. Nun, der muß doch jedenfalls ein Interesse dabei gehabt haben.« Dann wandte sich der Großvater an den neben ihm sitzenden Enkel mit den Worten: »Paul, du schreibst das alles genau auf, vielleicht gelingt es uns, einmal die Eltern des armen Kindes zu ermitteln!«

»Weißt du denn nicht, wie du heißest?«, fragte der Großvater weiter.

»Eva!«

»Und wie noch?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wie sah das Haus deiner Eltern aus?«

»O, es war ein schönes Haus!«

»Damit weiß ich noch lange nichts!«

»Es war ein großes, schönes Haus mit vielen Sälen und hohen Zimmern; auch ein großer Garten war dabei.«

»Hattet ihr Kühe oder Pferde?«

»Kühe nicht, wohl Pferde.«

»Ah! also Pferde. Weißt du denn garnicht, wie es in den Zimmern aussah? Hingen keine Bilder da, oder Säbel, Gewehre oder so etwas Ähnliches?«

»Ja, Säbel und große eiserne Stöcke; auch hatte der Vater einen eisernen Rock, den er oft anzog.«

»Aha, also ein Krieger! Säbel, Lanze und Panzer! So, Kind, dann bist du wohl aus edlem Blute! Hast du denn gar nichts von Hause mitgebracht, keine Kette, keinen Ring oder Medaillon?«

»Nein!«

»Aber was ist das für ein Fleck auf deiner linken Hand?«

»Da habe ich mich einmal gebrannt an einem Teetopfe.«

»Wann? Als du noch bei deinen Eltern warst?«

»Ja.«

»Das weißt du also sicher, daß deine Eltern noch lebten, als du geraubt wurdest?«

»Ja, das weiß ich sicher. Ich war morgens in den Garten gegangen, um meine Hühner und Tauben zu füttern, als ein Mann mit schwarzem Barte kam, mich ergriff, mir den Mund zuhielt und sich dann mit mir in einen Wagen setzte und davonfuhr. Der Mann zwang mich, etwas zu trinken, sonst, sagte er, würde er mich umbringen. Ich fiel darauf in einen tiefen Schlaf und erwachte erst, als ich bei der Kathrin in ihrer schmutzigen Hütte war.«

»Ja, Mädchen, da kann ich aber nicht begreifen, daß du nicht schon eher davon gelaufen bist!« meinte der Großvater.

»Das habe ich zweimal getan, aber jedesmal hat man mich wieder eingefangen und so fürchterlich geschlagen, daß ich es nicht wagte nochmals fortzulaufen. Eines Tages bezichtigte mich die Kathrin des Diebstahls und drohte, mich vor den Richter zu bringen, weil ich ihr ein Goldstück gestohlen haben sollte. Nachher hat sich das Goldstück dann wiedergefunden, denn der Strumpf, worin sie ihr Geld verwahrte, hatte ein Loch bekommen und das Geldstück war zwischen die Bettlade geraten. Dort hatte sie ihn nämlich versteckt, weil sie niemand traute, nicht einmal ihrem Sohne Wilm. Dieser war ein roher wüster Mensch, der oft betrunken war. Dann schlug er nicht allein mich, sondern auch die Alte, besonders wenn sie ihm kein Geld geben wollte.«

»Armes Kind«, sagte der Großvater, »was magst du ausgestanden haben bei dieser Hexe! Also sogar des Diebstahls hat sie dich beschuldigt! Na, die würde sich gehütet haben, die Sache vor Gericht zu bringen, denn dann würden Dinge herausgekommen sein, die die Alte mit ihrem Sohne vielleicht an den Galgen gebracht hätten!

Aber das ist jetzt vorbei und du kannst nun zufrieden sein. So lange du hier bei uns bist, gehörst du zur Familie, und so lange wir Brot haben, hast du auch welches. Wir werden uns redliche Mühe geben, deine Eltern ausfindig zu machen. Aber sag' mal, wie kommt es, daß du so gut unsere Sprache sprichst?«

»Die habe ich bei der alten Kathrin gelernt. Als ich zu ihr kam, verstand ich kein Wort, denn meine Mutter lehrte mich eine andere Sprache.«

»Wird vielleicht Französisch gewesen sein,« meinte der Großvater. »Nun, Paul, ziehe dich an, und dann gehst du mit der Eva zur Münsterkirche, damit sie sich bei unserm Herrgott bedankt für ihre glückliche Rettung! Wird wohl in ihrem Leben nicht oft die Kirche besucht haben!«

»Doch,« erwiderte Eva, »fast täglich mußte ich in Sittard in die Paterskirche oder in die große Kirche gehen; an der Kirchtüre stand die Kathrin und bettelte, und wenn ich aus der Kirche kam, mußte ich mich zu ihr stellen, bis der letzte Kirchengänger vorüber war.«

»Also, Paul,« sagte der Großvater, »aus der Kirche kannst du mit der Eva direkt zum Bürgermeister gehen. Inzwischen wird die Mutter auch dort sein und mit demselben das Notwendige schon besprochen haben. Grüße mir die Frau Bürgermeisterin, deine Tante!«

Die Frau Bürgermeisterin, Elsbeth, war eine Nichte Mechthildens. Wenn nun etwas zu besprechen war, so mußte dieses Mechthilde tun, denn der Großvater war dem Bürgermeister Johannes Offerhausen nicht recht hold, weil dieser, seiner Meinung nach, in allen Dingen zu nachgiebig war und ein strammeres Regiment hätte führen müssen. Solche Leute, meinte er, taugten nicht zum Bürgermeister.

Inzwischen war Meister Jakob zu dem Abte Sibenius gegangen und hatte ihm die Geschichte von dem Mädchen erzählt. Der Prälat war erfreut und lobte den Entschluß der Familie, das Mädchen aufzunehmen. Er versprach, in geeigneter Weise nach den Eltern desselben zu forschen und unterhielt sich dann mit Jakob über die Kriegsunruhen. »Franzosen und Hessen sind im Anmarsche,« sagte er, »und ich weiß nicht wie wir dieselben von der Stadt abhalten sollen. Geld ist nicht mehr da, fast alles ist verpfändet, – wo soll man da noch etwas auftreiben? Wir können uns auf böse Tage gefaßt machen, Meister Jakob! Mit den Franzosen werden wir schon fertig werden, aber die Hessen hausen wie die Räuber und Mörder. Wenn Gott da nicht hilft, steht die Sache schlimm für uns!«

»Dann will ich gleich die Zünfte durch den Obermeister zusammenrufen lassen,« sagte Jakob, »damit die Wachen verteilt und bezogen werden. Mit dem Bürgermeister werdet Ihr wohl sprechen?«

Der Abt nickte bejahend. Sodann bat er Jakob, ihm über einige Tage einmal den Meister Vit herzuschicken, er wolle mit ihm das Nötige beratschlagen und überlegen, »denn,« meinte er, »der versteht mehr von Kriegshandwerk als ich!«

Mit dem Versprechen, alles zu besorgen, verabschiedete sich Meister Jakob.

Als zum Mittagessen die Familie vollzählig versammelt war, wurden die Unterhandlungen mit dem Abt und dem Bürgermeister gründlich besprochen. Der Großvater hörte es gern, daß er zum Prälaten kommen sollte und meinte, sein Landsmann Abt Peter Siben oder Sibenius war aus Dahlen gebürtig. werde wohl in Anbetracht der schwierigen Lage eine Mission für ihn haben. Nachmittags gingen alle flink an die Arbeit, wobei Eva fleißig mithalf und zur Freude der Hausfrau alles mit Geschick anfaßte.

Nach einigen Tagen befand sich die Familie wieder mal Abends in der Küche beisammen, als der Schuhmachermeister Källkes eintrat, welcher auf einer Krücke humpelte.

»Ah, der Invalide!« sagte der Großvater in spöttischem Tonfalle. »Nun, was macht Euer Bein, an dem Ihr das Andenken an den Neersener Feldzug erhalten habt? Noch immer nicht geheilt?« Damit stellte er ihm einen Stuhl an den Herd, auf welchem sich Källkes niederließ.

»Leider noch nicht!« erwiderte der Gefragte. »Ich komme nur, um dem Mädchen die neuen Schuhe anzumessen und ein wenig zu plaudern!«

»Das ist recht!« sagte der Großvater.

»Also zuerst das Geschäft,« meinte Källkes. »Komm her Kind, mit dem Fuß!« Dann kniete er nieder und nahm das Maß. Das Knien fiel ihm sichtlich sehr beschwerlich, denn das eine Bein war ganz steif. »Das ist eine verwünschte Geschichte mit dem Bein, und es ist noch garnicht abzusehen, wie lange das noch dauern wird. Bruder Eberhard meint, es werde noch Monate dauern, ehe ich wieder arbeiten könne. Und dabei wäre ich jetzt vor Weihnachten in der Werkstätte so nötig! Meine beiden Söhne schaffen zwar wacker, können aber die Arbeit nicht bewältigen, und der Kurt müßte schon längst in der Fremde sein. Ich sage Euch, ich werde den Fischtag nicht vergessen! Wäre ich nur dem Meister Jakob gefolgt und hier geblieben, so würde das alles nicht vorgekommen sein!«

»Ich begreife nun doch noch immer nicht,« bemerkte der Großvater, »wie ihr euch da wie eine Herde Schafe benehmen konntet! Ihr waret doch alle gesunde und kräftige Kerle! Es ist wirklich eine Schande! Das wäre in meiner Jugend in Dahlen nicht vorgekommen, wir hätten ganz Neersen zusammengehauen und dem Freiherrn von Birmond das Schloß abgebrochen.«

»Nun ja, man kennt die Burschen von Dahlen wohl, wenn es sich um Diebe handelt,« erwiderte der Schuster. »Aber Ihr habt gut reden, Meister Vit, – da war nichts anders zu wollen!«

In diesem Augenblick wurde der Klopfer an der schweren Haustür in Bewegung gesetzt, und Jakob ging in den Kramladen, um zu fragen, wer noch Einlaß begehre.

»Mache nur auf, Jakob,« ertönte eine Stimme, »ich bin's, der Lambert von Viersen!«

Sogleich wurde das Sperrholz fortgeschoben und die Türe geöffnet. Ein starker Mann im gleichen Alter wie Jakob trat ein und schüttelte diesem die Hand.

»Aber, Junge, wie kommst du so spät noch nach Gladbach?" fragte Meister Jakob.

»Das sollst du gleich hören.«

Jakob führte den Gast in die Küche und sagte: »Hier, mein Freund Lambert Krell aus Viersen besucht uns noch und will gewiß die Nacht hierbleiben.«

»Das hast du getroffen,« erwiderte Lambert, »ich möchte tatsächlich bei euch übernachten, wenn's geht.«

»Warum nicht! Wir haben immer Platz für einen Gast,« sagte der Großvater.

»Da werde ich schnell ein kleines Abendbrot zurechtmachen,« fiel Mechthilde ein.

Lambert wehrte dieses jedoch ab mit dem Bemerken, er habe bei seinem Bruder in Rheydt bereits zu Abend gegessen, »Ich komme von Odenkirchen,« sagte er, »und habe Neuigkeiten für euch.«

»Dann bringe wenigstens einen Krug Bier, Mechthilde!« sagte Meister Vit.

Nachdem man einen kräftigen Schluck genommen, fuhr Lambert fort: »Hier ist ein Brief von eurem Jakob aus Maastricht. Ich habe ihn vor einigen Tagen dort gesprochen und nebst einigen Körben voll herzlicher Grüße hat er mir auch diesen Brief mitgegeben.«

Da hub nun ein Fragen an, wie es dem Jungen gehe, wie er aussehe, ob er zufrieden sei, was der Meister gesagt habe, usw.

Lambert sagte, der Junge sei ein Prachtkerl, er schicke sich gut und er sowohl wie der Meister van Pooten seien sehr zufrieden. Dann bemerkte er die Eva und rief: »Ei, das ist wohl das neue Schwesterchen, von dem der Jakob mir erzählte und das ich noch besonders grüßen soll!«

Nachdem sich dann eine Weile das Gespräch um die Kriegsunruhen und die schlechten Zeiten gedreht hatte, kam man wieder auf die Fischtagsgeschichte zu sprechen, denn Lambert wollte sie gerne aus dem Munde eines Augenzeugen hören.

»Da laß mich zuerst einmal reden, damit du auch die Sache verstehst,« sagte der Großvater. »Zunächst müßt ihr wissen, daß die Orte Neersen, Anrath, Viersen und Gladbach berechtigten Anteil an dem Fischfang in der Niers haben. Hierüber sind genaue Verträge ausgefertigt und die Stellen angegeben, wo der wechselseitige Fischfang erlaubt ist. Seit vielen Jahren zogen nun von hier aus die sämtlichen Bruderschaften am zweiten Kirmestage Am zweiten Kirmestage hatten die Mitglieder der St.-Vitus-Bruderschaft von alters her das Recht, frei in der Niers zu fischen. Der Tag des Vogelschießens heißt heute noch der Fischtag. nach der Viers, um dort zu fischen. Der Freiherr von Virmond auf Neersen soll zwar mit unserm Abt vereinbart haben, daß nur er berechtigt sei, für die Abtei dort fischen zu lassen und Krebse zu fangen. Da nun durch das Fischen mit engmaschigen Netzen der Fischzucht viel Schaden zugefügt wurde, so wollte der Herr von Virmond dieses nicht mehr dulden und teilte es dem Prälaten mit. Dieser machte die Bruderschaften hierauf aufmerksam –«

»Welche sich jedoch ihr altes Recht nicht nehmen lassen wollten,« fiel Meister Källkes ein.

»Es ist wahr,« stichelte Meister Vit, »die tapfern Kerle wollten sich ihr Recht nicht nehmen lassen. Zum Fisch fangen und Fisch essen hatten sie Kurage genug, aber –«

»Aber,« wehrte der Schuster ab, »wir hatten nicht daran gedacht und waren daher auch nicht darauf gefaßt, daß aus der Sache ein so blutiger Ernst werden sollte!«

»Laßt mich nur weiter erzählen, Meister Vit,« setzte er schnell hinzu, als er merkte daß dieser fortfahren wollte; denn Meister Vit's beißenden Spott konnte er schlecht vertragen. »Also am zweiten Kirmestage zogen wir mit Trommeln und Fendeln Vgl. Geschichte der Herrlichkeit Neersen und Anrath von Lentzen und Verres. Heft 1, S. 41. zur Niers und begannen zu fischen. Es dauerte nicht lange, so kamen von der anderen Seite der Niers mehrere Neersener, welche uns zuriefen, wir sollten uns fortmachen, das Fischen sei uns nicht erlaubt. Wir lachten sie aus, luden sie auf den Abend zum Fischessen bei Morjan Morjan. Der Name eines Wirtshauses in der Weiherstraße. ein und fischten ruhig weiter. Eine Stunde verging, da kam ein starker Trupp Neersener mit Knitteln, Hakenbüchsen und Lanzen, überfielen uns auf Befehl des Herrn von Virmond und schlugen uns jämmerlich, so daß viele von uns schwer verwundet nach Hause gebracht werden mußten. Ich bekam eine tiefe Wunde am Bein, welche noch immer nicht heilen will. Seht, so war die Geschichte am Fischtage!«

»Das muß ich sagen,« bemerkte Lambert, »daß die Neersener tüchtige Haudegen und –«

»Die Gladbacher bange Wiesel sind, die sich wie Schafe abschlachten lassen!« ergänzte Meister Vit.

»Dummes Geschwätz!« rief Meister Pechdraht aufgebracht. »Ich meine, wenn man überrumpelt wird, und man fällt wie die Räuber über einen her, dann bleibt einem nichts anderes übrig, als sein Heil in der Flucht zu suchen, besonders wenn man keine Waffen bei sich trägt.«

»Das ist allerdings auch wahr,« räumte der Großvater ein, »denn schließlich waren ja auch einige Helden dabei, die sich rechtschaffen gewehrt haben, nämlich der Schneider Schöndelen und der Schmied Peters, welche allein zurückblieben und einige der Feinde in die Niers warfen. Übrigens haben sich die Gladbacher für diese Unbill an dem Herrn von Virmond gerächt. Denn wenige Tage nachher ließ unser Bürgermeister den Niersdamm durchstechen, so daß das Wasser einen andern Lauf nahm und die Neersener Schloßmühle kein Triebwasser mehr bekam. Hoffentlich werden sich die Herren jetzt wohl einigen, damit solche Schlachten nicht wieder geschlagen werden. Jedenfalls aber haben die Gladbacher einen heillosen Respekt vor den Neersenern bekommen!«

Meister Källkes wünschte kurz gute Nacht und ging verärgert nach Hause.

»Nun sage einmal, Lambert,« begann Meister Jakob, »was hattest du in Maastricht zu tun?«

»Das sollst du gleich erfahren,« erwiderte dieser. »Ich habe dort ein Haus gekauft, denn es taugt hier nicht mehr. Die Schmiede stinkt! Wer weiß, wie bald rohe Kriegsvölker hier einbrechen und unsere ganze Gegend verwüsten –! Da habe ich es vorgezogen, mich und die Meinigen beizeiten in Sicherheit zu bringen. Ich ziehe nach Maastricht.«

»Hm!« meinte Meister Jakob, »du malst wohl etwas schwarz. Es müssen doch nicht gerade Räuber und Mordbrenner sein, die uns hier aufsuchen.«

»Doch, gerade solche Kerle sollen es sein, wie ich gehört habe,« erwiderte Lambert, »Lumpen, die alles gewinnen wollen, und nichts zu verlieren haben. Ihr werdet sehen, daß ich recht habe!«

»Ich glaube auch, daß du recht hast,« sagte Meister Vit. »Zwar sind wir hier gut befestigt und können uns, wenn das Heer nicht zu groß ist, eine Zeitlang halten. Sind der Feinde dagegen zu viele, dann müssen wir versuchen zu unterhandeln und bereit sein, ein Geldopfer zu bringen. Wer weiß, ob es überhaupt in diesem Falle nicht besser ist, die Tore freiwillig zu öffnen, sonst wird am Ende kein Stein auf dem andern bleiben.« »Also, wie gesagt, mein Entschluß ist gefaßt,« wiederholte Lambert, »und wenn es hier nicht gut für euch aussieht, kommt nur zu mir nach Maastricht, ich habe Raum für euch alle.«

»Gut!« sagte Meister Jakob, »das wollen wir tun, wenn's schlimm wird und nicht anders geht, denn – gerne verlassen wir unser liebes Gladbach nicht!«

Lambert wurde jetzt in sein Schlafzimmer geführt, während Meister Jakob eifrig mit Paul den Brief seines Sohnes studierte, welcher meldete, daß es ihm gut gehe und Meister van Pooten wünsche, daß sie sich mit ihm über die Lehrzeit einigten.

»Wir wollen uns das überlegen,« meinte Jakob, »vorläufig laßt uns mal darüber schlafen, – nicht wahr, Großvater?«

»Ja,« erwiderte dieser gähnend, – »guter Rat kommt über Nacht!«

Damit erhob er sich und löschte den Kienspan Kienspan. Dieses primitivste aller Beleuchtungsmittel erinnert Verfasser sich noch in seiner Jugend auf dem Lande in der Aachener [Gegend] angetroffen zu haben. aus, worauf alle sich nach den oben gelegenen Schlafzimmern begaben.

Als der Großvater dann noch einmal vor die Haustür trat, um nach dem Rechten zu sehen, stand er einen Augenblick still und schaute gedankenvoll auf den nächtlichen Horizont, an dem sich ein seltsames schwarzes Wolkengebilde zusammengeballt hatte. Es sah aus, wie eine titanenhafte Reiterschar, die da drohend und unheilverkündend heraufzog. – – –

»Gott schütze Gladbach!« murmelte der Alte, schloß Tür und Fenster und stieg dann langsamen Schrittes die knarrende Treppe hinauf.


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