Iwan Wasow
Die Bulgarin und andere Novellen
Iwan Wasow

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Naum.

Bad Mehadia (Herkulesbad) liegt wie eingebettet in ein prächtiges, grünes Karpathental. Hohe und waldige Berggipfel umgeben malerisch diesen schönen und reichen ungarischen Badeort, durch den in schlangenartigen Windungen das kleine Flüßchen Czerna strömt, den Fuß des felsigen Damogled bespülend.

Außer diesen wenigen slawischen Namen ist hier alles fremd: deutsch, ungarisch oder walachisch.

Im Jahre 1895 verbrachte ich dort einen Monat zur Kur. Oder vielmehr ich nützte die wundervolle Lage dieses Gebirgswinkelchens aus: einsame Spaziergänge im Wald, durch dessen Kronen die Klänge des Kurorchesters drangen, waren meine tägliche Unterhaltung und Wonne.

Schließlich freilich ward ich auch dieser Spaziergänge, der Musik und der schönen Aussichtspunkte überdrüssig. Ich fing an, mich nach Bulgarien, nach bulgarischer Sprache, bulgarischen Gesichtern, nach bulgarischer Luft zu sehnen. Die Sehnsucht nach dem Vaterland steigerte sich, je mehr der Augenblick der Abreise heranrückte. Niemals ist uns das Heimatland teurer, als wenn wir fern von ihm weilen. Und um wie viel stärker empfindet das der Verbannte! Ich war kein Verbannter, und dennoch ähnelte meine Sehnsucht den Qualen jener Bedauernswerten.

Endlich, als mich der Zug der Donau zuführte, atmete ich aus voller Brust auf.


In Orsova mußte ich zwei Stunden lang auf das Belgrader Dampfschiff warten, das mich nach Lom-PalankaLom-Palanka, Stadt in West-Bulgarien, an der Mündung des Flusses Lom in die Donau. bringen sollte. OrsovaAlt-Orsova, auf der ungarischen Seite, im Gegensatz zu dem serbischen Neu-Orsova. Beide Orte am Eisernen Tor der Donau. Anmerk. der Übersetzerin. ist ein kleines Städtchen in sehr schöner Lage, am linken Ufer der Donau, die mit durchsichtigen Fluten den Sockel der serbischen Felsen bespült. Indessen hatte mir eine halbe Stunde genügt, um mich an diesen Wundern zu sättigen, und die Zeit bis zur Ankunft des Dampfschiffes wurde mir sehr lang ...

Ich ging ungeduldig am Ufer auf und ab, an einer ganzen Reihe von Schenken, Kaffeehäusern, kleinen Läden und Gasthäusern entlang, in denen sich die Silhouetten von armen Fischern, Trägern aus dem Hafen, Landleuten abzeichneten, und lauschte auf das Gemisch der ungarischen und walachischen Sprache, die hier die unbestrittene Herrschaft haben.

Aus einer Garküche drang der Geruch geschmorter Fische zu mir, für die auch ich, wie viele Sterbliche, eine gewisse Schwäche habe. Ich bemerkte, daß ich hungrig war, und anstatt eine halbe Stunde zu warten, bis die Essenszeit in der nahen Restauration anbrach, ging ich in die Garküche, setzte mich auf eine Bank und verlangte Fische.

Wie groß war aber mein Erstaunen, als der Gastwirt, ein beleibter Mann mit dunklem Gesicht, einem Kellner bulgarisch zurief, daß er mir Fische reiche!

»Und habt Ihr auch guten Wein?« fragte ich bulgarisch.

Der Schankwirt sah mich darob verwundert an, verließ das Büfett, an dem er Speisen für die Gäste zubereitete, und trat mit freudigem Blick zu mir.

»Ah! ... sind Sie ein Bulgare?«

Und dem folgten ein Händedruck und Begrüßungen und herzliche Worte, als wären wir alte Freunde.

Nach so langer Pause entzückte mich die bulgarische Sprache, so wie mich die Unterhaltung mit dem Landsmann entzückte. Aber mein Wirt war noch mehr ergriffen und freute sich wie ein Kind über diese Begegnung. Er wußte nicht, wie er mich bewirten, wie er mir Vergnügen machen sollte.

Er befahl, daß man mir einen anderen Fisch, besser als den, den ich bestellt, bringe – ließ aus dem Keller Wein, der nur für Auserwählte bestimmt war, reichen, ordnete noch andere Speisen an, und er selbst setzte sich zu mir, um mir einzugießen, um zu plaudern, zu erzählen.

Und er vergaß seine anderen Gäste ...

Binnen kurzem kannte ich den ganzen Lebenslauf des gastfreien Wirtes.

Naum stammte aus Ochrida in Mazedonien. Noch zu türkischen Zeiten kam er hierher und fing diesen Handel an, durch den er reich geworden. Seit dieser Zeit war er nicht wieder in seinem Vaterland gewesen; doch hatte er seiner nie vergessen und beschlossen, in diesem Jahre einen Abstecher nach Ochrida zu machen, um seine Verwandten zu besuchen – unterwegs wollte er in Sofia aussteigen, um sich an dem freien Bulgarien zu erfreuen.

In Sofia besaß er einen Bruder, seines Zeichens Zimmermeister. Er fragte, ob ich ihn kenne – ich kannte ihn nicht –, und bat, ihm Grüße zu überbringen.

Alsdann kamen wir auf die Politik zu sprechen: wir sprachen von der türkischen Tyrannei, von der Befreiung Mazedoniens, von der Lebensfähigkeit Bulgariens ... Der Gedanke an das Vaterland, das er ein Vierteljahrhundert lang nicht gesehen, belebte sein Antlitz, in seinen Augen lag Glück und kindliche Freude, wahrscheinlich weil er mir in diesem fremden Land und unter fremden Leuten seine teuersten Gedanken und Gefühle für seine liebsten Angelegenheiten mitteilen konnte.

Ohne daß ich mich dessen versah, verging die Zeit, und die Stunde der Abreise kam heran.

Ich erhob mich und wollte zahlen. Naum ließ mich jetzt nicht einmal zu Worte kommen. Nein, auf keinen Fall ... Von mir Geld anzunehmen, sah er als eine Kränkung an ... So dankte ich ihm denn herzlich.

Er begleitete mich zum Schiffe, trug mir nochmals Grüße an seinen Bruder auf und sprach die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen in Sofia aus, wo wir uns gelegentlich seiner Durchreise treffen sollten.

Im Hafen warf das Dampfschiff schon dichte Rauchwolken aus. Ich eilte nach dem Schiffahrtsbureau, um eine Karte zu kaufen. Dort aber hatte ich eine große Unannehmlichkeit. Es stellte sich heraus, daß ich nicht genug Geld bei mir hatte. Ich hatte mich geirrt, als ich in Mehadia die Berechnung meiner Kosten bis Lom-Palanka aufstellte: es fehlten mir acht österreichische Gulden, das ist ungefähr ein Napoleondor.

Überrumpelt von diesem unvorhergesehenen Zufall, dachte ich nach, was tun ...

Das Dampfschiff sollte im nächsten Augenblick abgehen, und ich mußte unter Umständen zurückbleiben.

Es wurde mir kalt bei dem Gedanken, daß ich in diesem Nest zwei bis drei Tage, bis das Geld von Sofia anlangte, sitzen sollte. Mir von Naum Geld zu leihen, kam mir nicht in den Sinn. Es erschien mir heikel und unpassend ... es hätte auf den braven Mazedonier einen üblen Eindruck machen und in seinen Augen auf mich einen unerwünschten Schatten werfen können ... Vielleicht täuschte ich mich, aber ich hatte keinen Mut, von ihm einen derartigen Dienst zu verlangen.

Plötzlich trat Naum lächelnd zu mir.

»Eilt Euch ... eilt!« rief er, indem er auf den Dampfer wies.

So war ich denn genötigt, ihm die ganze Wahrheit zu enthüllen. Als ich ausgeredet, nahm er das Geld, das ich in der Hand hielt, ging ins Bureau und kam mit einer Schiffskarte zurück.

Diese Güte rührte mich, ich dankte ihm in warmen Worten mit dem Versprechen, die acht Gulden sofort zurückzuschicken.

»Gib sie meinem Bruder,« antwortete er, »und eile!«

Der Dampfer durchschnitt die schwarzen Donauwellen, und ich stand lange Zeit auf dem Deck und schaute auf Naum, der mir mit der Hand zum Abschied winkte.

Da fiel mir ein, er habe ja nicht einmal nach meinem Namen gefragt – es genügte ihm, daß ich ein Bulgare war ...


Mit großer Mühe gelang es mir, in Sofia den Bruder Naums, der Petko hieß, zu finden. Dieser war durch die Nachricht von der bevorstehenden Ankunft Naums erfreut und betrübt zugleich ...

Aus dem Gespräch mit Petko erfuhr ich einige Einzelheiten aus dem Leben Naums, die die Biographie dieses mir so sympathischen Menschen ergänzten.

Naum unterhielt in Ochrida die Familie eines verstorbenen Bruders und sandte dorthin alljährlich fünfzig Gulden für die St. Naums-Kirche. Nur bei diesen Gelegenheiten erhielten seine Verwandten Briefe von ihm.

Auch wir – Petko und ich – befreundeten uns. So oft wir einander begegneten, plauderten wir ein wenig, und ich erinnerte ihn immer daran, ja nicht zu vergessen, Naum zu mir zu führen, damit ich seine Gastfreundschaft erwidern könne.

Leider sollte mir diese Freude nicht zuteil werden. Naum reiste durch Sofia während meiner Abwesenheit. Wir sollten uns bei seiner Rückkehr nach dem St. Georgs-Tag sehen.

Während der Karwoche ließ ich Petko wegen einigen Reparaturen im Hause zu mir rufen. Er kam mir verändert und schweigsam vor. Meine ersten Worte waren: »Gibt es keine Nachrichten vom Bruder?«

»Wir haben welche ...« sagte er kurz, indem er mit der Kelle Kalk auf die gesprungene Wand warf.

»Wird er hier durchfahren nach St. Georg? Er hat es versprochen.«

»Er ist schon gefahren, Herr.«

»Wieso denn?« rief ich erstaunt.

»Er ist in die andere Welt hinübergefahren.«

»Was ... Naum ist gestorben?«

»Sie haben ihn getötet ...«

Und er erzählte, wie Naum vor einem Monat aus Bitolia, wo er Geschäfte hatte, zurückkehrend von Arnauten angefallen wurde.

»Warum ist er nach unserem unseligen Vaterland zurückgekommen!« schloß Petko, und Tränen strömten ans seinen Augen.

Und er machte sich wieder an die Arbeit.

Ich konnte kein Wort hervorbringen. Ergriffen sah ich auf den Schmerz Petkos, und erst jetzt fiel mein Blick auf seinen Hut ... Ich bemerkte einen Kreppstreifen daran ...


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