Iwan Wasow
Die Bulgarin und andere Novellen
Iwan Wasow

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Vorwort.

Ohne an dieser Stelle tiefer auf die Schicksale Bulgariens einzugehen, sei nur vorausgeschickt, daß die Bulgaren, ein ugrisches Volk, ein früherer finnischer Volksstamm im östlichen Rußland und westlichen Sibirien, von der Wolga vordrang, seit 493 häufig über die Donau kam und wiederholt, namentlich 502, Streifzüge nach Konstantinopel machte, 562 unter die Herrschaft der Avaren, eines tatarischen Volksstammes, kam, sich 660 unter Chan Kuwrat befreite, die Donau überschritt und 680 in dem heutigen Bulgarien ein mächtiges Reich gründete. Hier verschmolzen die Bulgaren nach und nach mit der slawischen Bevölkerung und nahmen seit dem 9. Jahrhundert deren Sprache an. Als König herrschte Chan Michael. Nach langdauernden Kämpfen mit den Byzantinern wurden sie 1018 von diesen unterworfen. Die Walachen (die heutigen Rumänen) Peter und Asow reizten das schwer gedrückte Volk 1186 zum Aufstand und gründeten darauf das walachisch-bulgarische Reich der Asaniden, das 1285 – 1299 von den Tataren abhängig war, 1375 von den Türken erobert und 1391 türkische Provinz ward. Durch den letzten russisch-türkischen Krieg und den Berliner Vertrag 1878 wurde der Grund zu der heutigen politischen Gestaltung Bulgariens gelegt, nachdem die Bulgaren durch zahlreiche Aufstände bemüht gewesen waren, das türkische Joch abzuschütteln.

Selten nun hat ein Volk, das Jahrhunderte hindurch das schwere Joch der Sklaverei getragen, in so kurzer Zeit, in dreißig Jahren, in sozialer wie geistiger Hinsicht, in Kunst und Literatur so bedeutende Fortschritte und Erfolge aufzuweisen wie die Bulgaren.

Der harte Druck, unter dem die Bulgaren seufzten, erweckte – besonders seit dem Verfalle der Türkei – das Gefühl ihrer Nationalität, Sehnsucht nach Befreiung und eine glühende, enthusiastische Vaterlandsliebe.

Diese letztere war es, welche die bulgarische Dichtung schuf. Der Grundton der Poesie und Romanschriftstellerei war das zu befreiende und das befreite Vaterland.

Die Vaterlandsliebe ist es auch, die fast durch alle Werke des hervorragendsten und auch im Auslande berühmtesten bulgarischen Dichters, Iwan Wasow, durchklingt. Und der Rückwirkung der Tyrannei, die alle edel veranlagten Naturen zu groß- und warmherzigen Idealisten, zu den aufopferungsfähigsten Menschen erzieht, ist es wohl zuzuschreiben, daß aus seinen Werken ein so reiner, dem Heldenhaften zuneigender Geist spricht.

Nehmen wir dazu eine tiefe Bildung, große Menschen- und Weltkenntnis, den echten, von Herzen kommenden Ton – so werden wir verstehen, warum sich Wasows Dichtungen und Erzählungen durch so viel Lebenswärme, deren Eindruck durch den exotischen Hintergrund noch gesteigert wird, auszeichnen.

Diesen seinen Vorzügen verdankt Wasow auch die hohe Schätzung und Beliebtheit, die er im Auslande, das seine Werke gern übersetzt, genießt.

Obwohl sich eine ganze Schar Jünger und Nachahmer um ihn gereiht hat, steht er noch unerreicht da als der Bulgarei größter Dichter.

Iwan Wasow, der Sohn Mintschas, wurde am 27. Juni 1850 (10. Juli unseren Stils) im südlichen Bulgarien zu Sopot geboren. Sein Vater war ein hervorragender Kaufmann, seine Mutter eine zumal für jene Zeiten außergewöhnlich gebildete Frau.

Iwan wurde vom Vater für den Kaufmannsstand bestimmt und in diesem Sinne seine Ausbildung anfänglich geleitet.

Den Anfangsunterricht genoß Wasow in der Elementarschule des Ortes. Im Jahre 1865 schickte ihn der Vater nach Kälofer (Ostrumelien) in eine Schule, in welcher der Unterricht in der griechischen, der damals auf der Balkanhalbinsel für den Handel unentbehrlichen Sprache erteilt wurde. Doch soll Wasow hier mit Vorliebe die Lesebibliothek der Schule »studiert« haben ...

Nach einem Jahre brachte ihn der Vater ins Gymnasium zu Philippopel zwecks Erlernung der griechischen und türkischen Sprache. Indessen ... anstatt sich hier dem Sprachstudium hinzugeben, widmete sich Iwan der Dichtkunst ...

So nahm ihn denn der Vater nach neun Monaten zurück in die Vaterstadt, damit er unter seiner Leitung im Geschäft praktiziere.

Der Gottesfunken ließ sich aber nicht verlöschen ... Iwan bekümmerte sich ganz und gar nicht ums Geschäft, sondern dichtete nach wie vor, und der praktische Sinn des Vaters konnte nicht gerade erbaut sein, als er auf den Wänden, Ladentischen, ja in den Handelsbüchern des Geschäftes Poesien des zukünftigen Kaufherren fand ...

1870 ward Iwan vom Vater nach Rumänien zu Verwandten geschickt, um unter deren Augen erfolgreicher im Geschäft zu arbeiten.

Die Zeiten waren nicht danach angetan. Ganz Bulgarien gärte, und große Dinge, die die Befreiung des Landes anbahnten, bereiteten sich vor. Rumänien beherbergte ganze Scharen bulgarischer Emigranten. Sowohl die Überzeugung als die sprühende Lebenskraft führten Iwan in das fieberhafte Treiben der revolutionären Arbeiten. Er gehörte zu Braila verschiedenen Komitees und den Redaktionen bulgarischer Zeitungen an.

In Braila begann er mit der Veröffentlichung seiner patriotischen Gedichte. Heimlich verbreitete man diese in der Bulgarei, wo sie die Herzen entflammten und die Gemüter zu kühnen Taten anspornten.

Als Wasow im Jahre 1872 nach der Heimat zurückkehrte, legte er die Feder nicht mehr aus der Hand, wie er auch die Veröffentlichung seiner Werke nicht unterbrach. Zu dieser Zeit ließ er seine Dichtungen in einem in Konstantinopel erscheinenden Tagesblatte erscheinen.

Die weitere Entwicklung seiner Karriere ist eine sehr eigenartige: wir sehen ihn bald als Volksschullehrer, bald als Bahnbeamten. Die türkischen Gewalttaten, durch den Aufstand 1876 hervorgerufen, zwangen ihn auszuwandern.

Nach der Befreiung Bulgariens finden wir ihn in Berkowitza als Kreisgerichtspräsidenten. Da er zu diesem Berufe keine Neigung fühlte, zog er sich zurück und nahm seinen Aufenthalt in Philippopel, wo er sich ganz der Literatur und Journalistik widmete. Hier war es, wo er zusammen mit dein Dichter Welitschkow eine Monatszeitschrift »Die Wissenschaft« und später eine Wochenschrift herausgab.

Am serbischen Kriege nahm er als Freiwilliger teil. Er kämpfte in den Schlachten bei Zaribrod und Pirot mit.

Während der Epoche Stanislaus Stambulows lebte er mehrere Jahre hindurch in Rußland. In Odessa schrieb er seinen hervorragendsten Roman »Unter dem Joche«. Nach der Rückkehr in die Heimat veröffentlichte er diesen Roman in der »Literarischen Sammlung«, welche das Kultusministerium herausgab.

Seit dieser Zeit ist Sofia sein Aufenthaltsort, und ununterbrochen ist er als Schriftsteller tätig.

Im Ministerium Stoilow hatte er während zweier Jahre das Portefeuille des Kultus inne. Nachdem er dieses Amt niedergelegt, ward er zum Präses der Literarischen Gesellschaft erwählt.

In Sofia erst begann Wasow seine in den periodischen Zeitschriften zerstreuten Arbeiten zu sammeln. Auch gab er jetzt mehrere Bände Gedichte heraus.

Seine Romane erschienen zuerst unter dem Titel »Erzählungen und Geschichten« – alsdann kamen »Skizzen und Bilder aus dem Leben der Hauptstadt«. – Ferner Sammlungen von Novellen: »Gesehenes und Gehörtes« sowie »Die bunte Welt« usf.

Überhaupt hat Wasow sehr viel gearbeitet und kann mit Stolz auf eine ganz stattliche Reihe von Bänden seiner Werke blicken.

Es gibt wohl keine Form der Poesie, die er nicht mit Geist und Glück versucht hätte, und man weiß nicht, was schöner ist: seine gefühlvolle Lyrik oder seine heldenhaften Gesänge und Dramen ... denn Wasow ist auch dramatischer Dichter – sein berühmtestes Schauspiel heißt »Die Verschwörer«.

Seine Prosa zeichnet sich durch die wundervollste Stimmung aus, die Beschreibungen sind ebenso eigenartig wie farbenreich – hervorragend sind seine Legenden.

Wenn wir noch hinzufügen, daß Wasow auch als literarischer Kritiker tätig war (er widmete sich den Besprechungen der Werke von Bulgariens Dichtern aus der Zeit der Wiedergeburt), so werden wir wohl in dieser knappen Skizze alles erwähnt haben, was den Leser der »Bulgarischen Novellen« interessieren könnte.

Im Jahre 1895 beging Sofia feierlichst das fünfundzwanzigjährige Jubiläum der dichterisch-schriftstellerischen Tätigkeit Wasows.

Bulgarien sieht in Iwan Wasow seinen größten Schriftsteller, der auch alle Eigenschaften besitzt, sich dauernd in dieser Würde zu erhalten.

Krakau, 1908.

Die Übersetzerin.


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