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9
Die Lampe, die niemals ausging

»Haben Sie sie gesehen?« fragte Bones.

Er wandte sich mit solchem Nachdruck an Hamilton, daß dieser seine Feder niederlegte und seinen Partner mißtrauisch anschaute.

»Sie ist wirklich eine Schönheit«, fuhr Bones fort und spielte mit seinem elfenbeingeschnitzten Papiermesser. »Sie hat eine so wunderbare Kappe, mein alter Freund, daß Ihnen das Herz im Leibe lacht!«

Hamilton wußte nicht, was er sagen sollte. Er hatte die hübsche Miß Whitland vor einer halben Stunde ins Bureau kommen sehen, aber er hatte sich nicht weiter um ihre Kopfbedeckung gekümmert.

»Ihr Körper ist dunkelblau mit dünnen roten Streifen«, sagte Bones traumhaft, »und all ihre Beschläge sind schwer vernickelt –«

»Halt!« Hamiltons Stimme klang hohl. »Von welcher unglücklichen Frau sprechen Sie denn in so wüsten Ausdrücken?«

»Frau!« rief Bones verletzt. »Ich spreche von meiner Limousine!«

»Ach so!«

»Von meinem Auto!« sagte Bones so großartig wie ein plötzlich zum Millionär gewordener sagen könnte: »Mein Land!«

»Sie haben sich einen Wagen gekauft?«

Bones nickte.

»Es ist ein ganz netter, alter Omnibus. Ich dachte schon daran, nächsten Sonntag einen Ausflug nach Brighton zu machen.«

Hamilton stand auf und ging langsam durch den Raum.

»Nach Brighton wollen Sie fahren? Lenken Sie etwa den Wagen selbst?«

Bones erhob sich mit einem nachsichtigen Lächeln ebenfalls von seinem Sitz und trat ans Fenster.

»Mein Wagen!« Er deutete mit einer erhebenden Geste auf die Straße.

Als sich Hamilton vorbeugte, sah er eine große, lange, glänzende Maschine, die in der Morgensonne glitzerte und blinkte.

»Was ist denn das für ein lachsrotes Kissen auf dem Sitz?« fragte Hamilton.

»Das ist doch kein Kissen, mein lieber, alter Blinder«, sagte Bones ruhig. »Das ist mein Chauffeur Ali.«

»Großer Gott!« sagte Hamilton, auf den das Eindruck machte. »Haben Sie tatsächlich den Mut, mit einem lachsroten Chauffeur in die City zu fahren?«

Bones zuckte die Schultern.

»Wir haben schon allerhand Aufsehen erregt«, gab er nicht ohne Selbstbefriedigung zu.

»Das kann ich mir denken.« Hamilton ging zu seinem Schreibtisch zurück. »Die Leute glaubten, daß Sie ein Reklameauto fahren für irgendeine Medizin – vielleicht Pinkpillen für blasse Leute! Wann haben Sie denn diese Höllenmaschine gekauft?«

Bones kreuzte die Beine und legte die Fingerspitzen zusammen.

»Die Verhandlungen darüber haben vor etwa einem Monat begonnen, mein lieber, alter Ham. Ich habe in der Stille Unterricht im Fahren genommen und habe heute meinen Führerschein bekommen.« Er zog ein Papier aus seiner Brieftasche heraus und reichte es seinem Partner mit großartiger Gebärde. Dabei ließ er es aber auf die Erde fallen.

»Machen Sie sich nicht die Mühe, es aufzuheben«, sagte Hamilton. »Ich verstehe schon, das ist Ihr Führerschein. Aber der beweist noch lange nicht, daß Sie fahren können.«

Bones begann, den Wagen genau zu erklären. Mit tönenden Worten pries er seinen Sechszylinder Carter Crispley an. Er holte Kataloge herbei, die auf beiden Seiten mit wunderbaren Bildern geschmückt waren, und Handbücher über elektrische Signale und dergleichen.

»O,« sagte Hamilton, als er damit zu Ende war, »das klingt ganz gut.«

»Klingt gut!« rief Bones vorwurfsvoll. »Mein lieber, alter Zweifler, dieser Wagen –« und er zählte aufs neue alle Vorzüge auf.

Alle Extravaganzen tragen ihre Strafe in sich selbst. Zwei Tage später sollte Bones eine unerwünschte Bekanntschaft erneuern müssen. In den ersten Tagen der Firma Schemes Ltd. hatte Mr. Tibbetts eine kleine Wochenzeitung gekauft, die »Die Flamme« hieß. Abgesehen von den Verlusten, die er während der kurzen Lebensdauer dieser Zeitung erlitt, machte er dabei die bemerkenswerte Bekanntschaft mit Mr. Jelf, einem jungen und ungeheuer selbstbewußten Menschen, der einen Klemmer trug und sehr ungnädig von höheren Geistlichen sprach. Wenn er von Mitgliedern der Regierung redete, so bekamen zartbesaitete Menschen stets eine Gänsehaut.

Die Mitglieder der Regierung rächten sich dadurch, daß sie von Mr. Jelf überhaupt nicht sprachen. Es existierte wahrscheinlich zwischen ihnen und Mr. Jelf eine rein private Fehde. Jelf war mit allem unzufrieden. Er war erst vierundzwanzig Jahre alt, hatte aber auch Bekanntschaft mit dem Schützengraben gemacht.

Bones hatte die »Flamme« mit der Absicht gekauft, Personen und Zustände zu brandmarken. Er schrieb Artikel gegen die Schweden, die Polen und die Türken und gegen allerhand andere Leute. Dabei konnte es ihm nicht schlecht gehen. Er griff einen Möbelhändler an, der ihn eine Lieferung zweimal bezahlen ließ, weil er die Quittung verloren hatte, und das kostete Geld. Er stellte einen Mann bloß, der sich ihm gegenüber in der City böse betragen hatte. Nachdem alle seine persönlichen Beschwerden abgehandelt waren, machte er sich daran, hervorragende Mitglieder der Aristokratie und der Börse anzugreifen. Wenn ihm ein Gesicht nicht paßte, dann wurde geschrieben. Er hatte eine Spalte in der Zeitung eingerichtet »Was ich wissen muß«, und er zeichnete seine Artikel mit Senob. Dort erschienen solche Bemerkungen wie:

»Wann wird endlich dieser nichtsnutzige, alte Lord, der ein himmelblaues Automobil mit hellroter Bemalung besitzt, begreifen, daß die Art und Weise, mit der er sich seinen Mietern gegenüber aufführt, eine Befleckung seines alten Stammbaumes darstellt?«

James Jacobus Jelf hatte diesen Artikel geschrieben, und der Zufall wollte es, daß es nur einen Lord gab, der einen himmelblauen Wagen mit roten Ornamenten besaß. Es kostete Bones zweihundert Pfund, den aufgebrachten Lord zu beruhigen.

Kurz darauf verkaufte er die Zeitung und gab Mr. Jelf die Anweisung, sich nicht wieder sehen zu lassen oder gleich einen Krankenwagen mitzubringen. Später tat ihm diese Instruktion leid, weil er wußte, daß James Jacobus Jelf den Krankenwagen seiner Firma in Rechnung stellen würde.

So standen die Dinge zwei Tage, nachdem sich Bones mit seinem Automobil in der Öffentlichkeit gezeigt hatte. Er saß im Bureau und studierte eine große Rechnung, die er von seiner Garage bekommen hatte.

Er ließ sich das Essen ins Bureau bringen und machte gerade die schwierigsten Berechnungen, als jemand draußen an der Tür klopfte.

»Treten Sie näher!« rief er. Als sich nichts rührte, ging er zur Tür und öffnete sie.

Ein junger Mann mit ernster und geheimnisvoller Miene stand in dem Gang. Es war niemand anders als James Jacobus Jelf.

»So, Sie sind es?« sagte Bones ungnädig. »Ich dachte, es wäre ein wichtiger Besuch.«

Jelf ging leise in den Raum und schloß die Tür sorgfältig hinter sich.

»Mein lieber Herr!« sagte er im Flüsterton, »ich habe ein Vermögen für Sie.«

»Sie alter Lästerer, schenken Sie das Vermögen dem Mann, der den Lift bedient! Er hat eine Frau und drei Kinder zu versorgen!«

Mr. Jelf sah nach der Uhr.

»Ich muß um drei Uhr wieder gehen.«

»Ich will Sie nicht aufhalten, alter Federfuchser!«

Jelf lächelte. Dann sprach er von einem Mr. G. und einem Mr. L. und erzählte eine Geschichte, daß G. sich mit L.'s Tochter verlobt hatte und daß die Verlobung wieder auseinandergegangen war.

Bones wurde ungemütlich und sah nach der Uhr.

»Ich habe keine Zeit für Sie, wenn Sie mir nicht schnell erzählen, was Sie wollen.«

Darauf nahm Jelfs Bericht menschlich verständliche Formen an.

L. bedeutete Lansing, der eine Lampe erfunden hatte. Diese Lampe war irgendwie in den Besitz von Jelf gekommen, der diese Erfindung für die Tochter Lansings verwerten wollte.

»Ich habe die Lampe die ›Tibbetts-Jelf-Motorlampe‹ genannt«, sagte Jacobus mit außerordentlichem Pathos.

Bones gab sich den Anschein, als ob er nichts davon hören wolle, aber er interessierte sich doch dafür.

Die Tibbetts-Jelf-Lampe war eine neue Automobillampe, die alle Vorzüge der alten Systeme in sich vereinigte und Eigenschaften hatte, die keine frühere Lampe besaß. Sie hatte überhaupt keine Fehler, erzählte Jelf mit dem größten Ernst.

»Sie kennen mich, Tibbetts«, sagte er. »Ich spreche niemals über mich selbst, und ich habe immer die Tendenz, mit meiner eigenen Meinung zurückzustehen.«

»Das habe ich früher nie bemerkt!«

Und nun erklärte Jelf, wie er Nacht für Nacht gesessen habe, um einen Konstruktionsfehler in der Tibbetts-Jelf-Lampe zu entdecken und wie er dann morgens um fünf erschöpft auf sein Lager gesunken sei.

»Ich konnte auch nicht die geringste Idee eines Fehlers entdecken – der geniale Erfinder hat einfach alle Fragen gelöst.«

Mit Hilfe eines Bleistifts malte er die Vorderansicht der Lampe auf Bones' kostbares Briefpapier. Dann folgte eine lange Erklärung über Strahlen, besonders über ultraviolette Strahlen.

»Dieses Licht kann niemals ausgehen«, erklärte Jelf leidenschaftlich. »Wenn Sie es heute entzünden, dann wird es morgen und übermorgen brennen usw. Alle Leuchtbojen und Leuchttürme an der englischen Küste werden in kürzester Zeit mit diesen Lampen ausgerüstet sein, und sie werden der Schifffahrt neue Wege zeigen.«

Wenn man Mr. Jelf Glauben schenken konnte, so würden sich alle Seeleute auf der Heimfahrt auf dem Hinterdeck oder auf dem Vorderdeck versammeln und ein großes Loblied anstimmen, in dem die Zeile

»Gott segne die Tibbetts-Jelf-Lampe«

als Refrain immer wiederkehren würde.

Als er seine Lobrede auf die Lampe beendet hatte und sich müde von seiner eigenen Beredsamkeit in den Sessel zurücklehnte, sah ihn Bones an.

»Was hat das nun alles zu bedeuten?« fragte er.

Jelf hätte ihn ermorden können.

Unter anderen Umständen hätte Bones seinen Besucher entlassen und ihm einen kleinen Vortrag über die Nutzlosigkeit des Versuches gehalten, Geld unter Vorspiegelung falscher Tatsachen von ihm herausholen zu wollen. Aber man muß sich vergegenwärtigen, daß Bones der Eigentümer eines neuen Automobils war, nur an Automobile dachte und bei Tag und Nacht davon träumte. Aber trotzdem sann er gerade über einen Ausdruck nach, wie er Mr. Jelf gegenüber sein Bedauern erklären könnte, daß er nicht an der Sache interessiert sei. Aber plötzlich kam ihm der Gedanke, welche Möglichkeiten sich eröffnen würden, wenn er diese wunderbare Lampe an seinem Wagen hätte, und er fing Feuer.

»Immerhin wird es noch mindestens ein Jahr dauern, bis die Lampe hergestellt werden kann.«

Mr. Jelf verneigte sich.

»Vollkommen verkehrt!« rief er triumphierend. »Zwei Lampen sind schon vollendet und stehen morgen zur Verfügung.«

Bones zögerte.

»Also, mein lieber, alter Jelf, ich werde einen Versuch machen und sie auf meinen Wagen aufmontieren.«

»An Ihrem Wagen?« Jelf trat einen Schritt zurück und betrachtete ihn mit zweifelnder Bewunderung. »Doch nicht an Ihrem Wagen? Haben Sie denn einen Wagen?«

Bones erklärte, daß er ein Auto besäße und redete sich in ebensolche Begeisterung über seinen Wagen wie vorher Mr. Jelf über seine Lampe. Jelf stimmte Bones in allem bei. Scheinbar war er persönlich mit dem Carter Crispley-Wagen bekannt, denn er wußte alle seine guten Seiten – schlechte gab es an dem Wagen überhaupt nicht. Der Mann, der sich ein solches Auto anschaffte, mußte außerordentlich talentiert sein. Bones gab ihm darin vollkommen recht. Allmählich kam er zu der Überzeugung, daß er sich in seinem Urteil über Jelf vielleicht doch getäuscht und der Redakteur sich gebessert hatte. Jedenfalls schieden sie als die besten Freunde, und Bones versprach, am nächsten Morgen zu einer Vorführung der Lampe in die Werkstätten zu kommen. Jelf, der auf der Basis von zehn Prozent Provision arbeitete, wollte auch zugegen sein.

Es war wirklich eine vorzügliche Lampe. Ihr bemerkenswertester Vorteil bestand darin, daß sie ihren eigenen Akkumulator hatte, der wöchentlich geladen werden mußte, wenn sie ihrem Namen nicht Unehre machen sollte.

Mr. Jelf erklärte mit der Geläufigkeit eines Spezialisten, wie man die Lampe von dem Führersitz aus kontrollieren konnte und wie unendlich wertvoll es war, Lampen zu besitzen, die unabhängig von dem Motor des Wagens oder von fehlerhafter Konstruktion waren. Bones versprach, die Lampe eine Woche lang auszuprobieren. Ja, er ging noch weiter und gab halb und halb das Versprechen, eine Gesellschaft zu gründen, die diese Lampe herstellen sollte. Dann überreichte er Mr. Jelf fünfzig Pfund à conto möglicher Tantiemen. Mr. Jelf verschwand von der Bildfläche und zeigte von da ab nicht mehr das geringste Interesse an der wertvollen Erfindung, die doch noch umso wertvoller war, als sie seinen eigenen Namen trug.

Drei Tage später wurde Hamilton auf seinem Weg zum Bureau von einem schönen, blauen Carter Crispley-Wagen überholt, der als Schmuck zwei wunderbare, große, silberne Scheiben trug, wie es aus der Entfernung schien. Bei näherer Betrachtung zeigte es sich, daß es zwei Tibbetts-Jelf-Lampen waren.

»Ja,« sagte Bones froh, »das ist eine Lampe, mein lieber, alter Ham, die ich in freien Stunden mit Jelf erfunden habe. Steigen Sie in den Wagen – ich will Ihnen alles erklären.«

»Wo soll ich einsteigen?« fragte Hamilton, der sich absichtlich dumm stellte. »In den Wagen oder in die Lampe?«

Bones lächelte geduldig und lud ihn mit einer Handbewegung ein, an seiner Seite Platz zu nehmen. Aber aus seiner Erklärung konnte Hamilton nicht viel entnehmen, denn Bones mußte erst selbst noch die letzten Feinheiten der Automobilführung lernen. Es war vor allem störend, daß er laut dachte.

»Diese Lampe, lieber, alter Freund, geht niemals aus – Sie verrückter, alter Esel, warum springen Sie gerade vor mir vom Wagen? Um Himmelswillen, beinahe hätte ich Ihr niederträchtiges, unnützes Leben vernichtet!« Die letzte Bemerkung war einem Fußgänger zugedacht, der auf der falschen Seite der Straße ging. »Sie geht niemals aus, mein alter Ham. Natürlich jetzt brennt sie nicht, das gebe ich zu, aber sie ist noch nicht – das war aber um Haaresbreite, nur ein genialer Autofahrer, mein lieber, alter Ham, konnte an diesem Laternenpfahl so glatt vorbeikommen! Übrigens wird es eine Sensation werden, so etwas Ähnliches gibt es auf dem ganzen Markt nicht! – Wupp!«

Er brachte den Wagen einen halben Zoll von einem Verkehrspolizisten entfernt plötzlich zum Stehen. Der Mann drehte ihm gerade den Rücken zu und merkte glücklicherweise nichts von der Gefahr, in der er geschwebt hatte.

»Ich fahre wirklich gern mit Ihnen«, sagte Hamilton, als sie das Bureau erreicht hatten und er sich allmählich wieder von seinem Schrecken erholte. »Außer einem Kampf mit wilden Buschleuten in den Wäldern weiß ich nichts, was die Nerven mehr kitzeln könnte, als mit Ihnen zu fahren.«

»Danke bestens«, sagte Bones gnädig, »ich bin kein schlechter Fahrer – oder meinen Sie etwa doch?«

»Schlecht ist nicht das Wort, das Ihre Eigenschaften als Automobilist voll und ganz wiedergibt«, bemerkte Hamilton bissig.

Trotz der Auseinandersetzung, die jetzt folgte, erhielt er am nächsten Tag eine Einladung von Bones, am kommenden Sonntag eine Autofahrt mit ihm zu machen, um die landschaftlichen Schönheiten kennen zu lernen.

»Eine Absage von Ihnen nehme ich überhaupt nicht an!« sagte er und drohte mit dem Zeigefinger. »Wir werden um elf Uhr vormittags abfahren, mein lieber, alter Ham, werden essen und uns dann am Seeufer die Brise um die Nase wehen lassen.«

»Danke«, sagte Hamilton kurz. »Fahren Sie, wohin Sie wollen, wenn ich nicht dabei bin. Ich habe noch eine zu hohe Meinung von meinem eigenen Leben!«

»Unnützer Kerl! Ich bin anständig und sage das nicht, was ich beinahe gesagt hätte! Ich will Ihnen aber noch etwas anderes vorschlagen«, meinte er geheimnisvoll. »Es gibt da noch eine nette, liebe Dame – mit Namen Vera, haha!«

Hamilton wurde rot.

»Hören Sie, Bones, wir wollen über niemand anders als uns selbst sprechen!«

»Was würden Sie zu einem Tagesausflug aufs Land sagen, wenn Miß Vera –«

»Miß Vera Sackwell,« erwiderte Hamilton ein wenig von oben herab, »wenn das die Dame ist, die Sie meinen. Ich bin zwar mit ihr befreundet, aber ich habe keinen Einfluß auf ihre Entschlüsse. Sie langweilen mich, wenn –«

»Ei der Tausend!« sagte Bones. »Haben Sie denn kein Zutrauen zu Bones, Ihrem alten Bones? Wozu denn dieses Versteckspiel?« Er übersah die ablehnende Haltung seines Partners. »Ich vermute, daß ich eine derjenigen Persönlichkeiten in London bin, der man am meisten Vertrauen entgegenbringt. Ich bin ein alter Beichtvater, lieber Ham, jeder kommt und beichtet mir seine Sorgen. Warum hat mir denn heute morgen das Mädchen, das den Fahrstuhl bedient, erzählt, daß sie schon zweimal die Masern hatte?«

Wenn Hamilton zarte Zuneigung zu Miß Vera Sackwell fühlte, so war er doch nicht in der Stimmung, darüber zu sprechen.

»Sie sind ein Esel, Bones«, sagte er ärgerlich und aufgebracht. »Sie sind nicht nur ein Esel, sondern sogar ein gemeiner Esel. Ich wäre Ihnen sehr zu Dank verbunden, wenn Sie jetzt den Mund hielten.«

Bones schloß die Augen, lächelte und streckte die Hand aus.

»Wenn ich jemals Zweifel hatte, sind sie jetzt beseitigt! Ich gratuliere Ihnen!«

An diesem Abend speiste Hamilton mit einer hübschen, jungen Dame. Sie war schön an Geist und an Körper und sie hieß Vera. Im Lauf des Abends erwähnte er auch Bones und seine Einladung, aber er sagte nicht alles, was er davon wußte.

Die Einladung für einen Tagesausflug mit dem Auto wurde nicht ungnädig aufgenommen.

»Aber er kann nicht fahren«, klagte Hamilton. »Er hat es eben erst gelernt.«

»Ich möchte Bones gerne einmal kennen lernen«, sagte die junge Dame. »Ich denke, das wäre eine ausgezeichnete Gelegenheit.«

»Aber, meine Liebe, es könnte doch sein, daß dieser Kerl uns in irgendeinen Graben fährt – ich möchte wirklich nicht dein Leben riskieren.«

»Sage Bones, daß ich annehme«, entschied sie und beendete damit die Unterhaltung über diesen Punkt.

Am nächsten Morgen überbrachte Hamilton die Nachricht.

»Miß Sackwell dankt Ihnen für Ihre Einladung, Bones!«

»Und nimmt natürlich an?« fragte Bones selbstzufrieden. »Sieh mal an, die nette, liebe Vera!«

»Ich möchte Sie darum bitten«, entgegnete Hamilton ernst, »diese Dame nicht eher Vera zu nennen, als Sie Ihnen selbst die Erlaubnis dazu gibt!«

»Seien Sie nicht gleich beleidigt, seien Sie auch nicht eifersüchtig, mein alter Kamerad, und all so was! Glauben Sie mir, Sie können sich auf Ihren alten, guten Bones verlassen!«

»Ich würde mich aber lieber auf den guten Takt einer Dame verlassen«, sagte Hamilton mit einer gewissen Schärfe. »Aber wird es denn für Sie nicht ein wenig einsam sein?«

»Was meinen Sie denn damit, mein Othello?«

»Ich meine nur so: drei auf einer Fahrt ist nicht gerade angenehm. Könnten Sie nicht noch jemand finden, der den vierten macht?«

Bones hustete und wurde verlegen.

»Nun wohl, mein lieber, alter Athlet«, sagte er unnötig laut, »ich dachte, ich könnte eventuell – meine – hm – hm –«

»Ihre was – hm? Wer ist es denn?«

»Meine nette, alte Sekretärin, Sie frivoler Kerl«, sagte Bones aufgebracht. »Haben Sie etwas dagegen einzuwenden?«

»Nein, durchaus nicht«, erwiderte Hamilton ruhig. »Miß Whitland ist ein sehr liebenswürdiges, nettes Mädchen und Miß Vera wird sich freuen, mit ihr zusammenzukommen.«

Bones zeigte seine Dankbarkeit, indem er Hamilton zwei Minuten lang die Rechte schüttelte.

Den Rest der Woche über erklärte er seinem Partner sein Verhältnis zu Miß Whitland. Immer, wenn er nichts zu tun hatte – und es schien, daß er fast den ganzen Tag nichts zu tun hatte – kam er zu Hamiltons Tisch hinüber und sprach mit ihm über die Achtung, die alle rechtlich denkenden jungen Offiziere gegenüber netten, alten Sekretärinnen haben sollten. Am Ende der Woche hatte Hamilton die etwas wirre Vorstellung, daß das hübsche Mädchen die Eigenschaften einer altjüngferlichen Tante und die Tugenden einer Großmutter hatte, und daß Bones keine anderen Gefühle als ehrfurchtsvolle Bewunderung für sie hegte, sonst aber vollständig uninteressiert war. Bei der vierundsechzigsten Instruktionsstunde streikte Hamilton.

»Natürlich, mein lieber, alter Kerl,« sagte Bones, »für einen netten, alten Seeräuber wie Sie, der einfach verrückt von seiner Gebirgshöhle aufbricht und das erste beste junge Mädchen nimmt, das ihm in den Weg kommt –«

Hamilton widersprach energisch, aber Bones brachte ihn mit einer großartigen Geste zum Schweigen.

»Ich sage ja, für einen so netten, alten Schlingel wie Sie möchte es ja – wie heißt doch das Wort –«

»Unerklärlich ist vermutlich das Wort, das Sie suchen!«

»Ganz gewiß. Sie haben es mir direkt aus dem Munde genommen – scheint es unerklärlich, daß ich in einer platonischen, väterlichen Art an der Zukunft dieser liebenswürdigen Sekretärin interessiert bin!«

»Ach, die Sache ist ganz verständlich«, sagte Hamilton kurz, »Sie sind einfach in das Mädel verschossen!«

»Um Himmelswillen!« Bones schnappte nach Luft und wurde blaß vor Schrecken. »Ham, mein lieber, alter Ham, da tun Sie mir unrecht! Das ist nicht wahr!«

Am Sonntagmorgen trafen sich vier Personen höchst feierlich. Die beiden Herren waren sehr verlegen, während sich die beiden Damen so benahmen, als ob sie sich schon ihr Leben lang gekannt hätten.

Bones, der abwechselnd auf seinen verschiedenen Beinen stand, war sehr erstaunt, daß diese Begegnung ohne irgendein sensationelles Ereignis vorüberging. Vera bewunderte den Wagen und Bones war hingerissen. Er suchte seinen Dank durch außerordentliche Liebenswürdigkeit ihr gegenüber auszudrücken.

»Es ist kein schlechter Autobus, meine liebe, alte Miß Vera«, sagte er. Er war verwirrt über seine Entgleisung und atmete hörbar. »Es ist kein schlechter Bus, meine liebe, junge Freundin. Nun werde ich Ihnen die Krone des Ganzen zeigen!«

»Die sind aber sehr groß«, sagte Vera, auf die die Lampen einen überwältigenden Eindruck machten.

»Und sie gehen niemals aus«, erklärte Bones feierlich. »Ich versichere Sie, ich freue mich schon auf die Heimfahrt. Das soll natürlich nicht heißen, daß ich mich nicht auch auf die Ausfahrt freue. Ich will damit nicht sagen, daß ich froh bin, daß der Tag schon zu Ende wäre oder so was. Aber ich glaube, meine liebe, alte Miß Vera, wir wollen jetzt losfahren.«

Er öffnete die Tür, stieg auf den Führersitz und lud Marguerite ein, neben ihm Platz zu nehmen. Es wäre viel besser gewesen, wenn er nichts weiter gesagt hätte, aber er mußte immer eine Erklärung abgeben. So lehnte er sich denn zurück und schaute Hamilton groß an.

»Ich glaube, Sie wünschen allein zu sein, mein lieber, alter Freund. Ich habe doch recht? Kümmern Sie sich nicht um mich, mein lieber, alter Kerl. Viele Leute sagen, alles, was hinten im Wagen vorgeht, spiegelt sich vorne im Glas. Aber ich bin so in Anspruch genommen durch das Lenken des Wagens –«

»Fahren Sie endlich los«, brummte Hamilton.

Trotzdem war es ein wunderschöner Tag und Bones führte seinen Wagen meisterhaft. Alle waren darüber erstaunt, am meisten er selbst. Es war seine heimliche Absicht, nach Brighton zu fahren, aber niemand vermutete seinen Plan oder machte sich große Sorgen darüber, was er eigentlich vorhatte. Der Wagen fuhr glatt über die Ebene von Salisbury. Als sie haltmachten, um den Nachmittagstee einzunehmen, erwähnte Hamilton, daß Bones etwas von Brighton gesagt hätte, aber Bones lächelte nur.

Sie verließen Andover in der Dämmerung. Aber lange, bevor der Tag zu Ende ging, strahlte schon das weiße Licht in den Lampen, die niemals ausgingen. Und als die Dunkelheit vollends hereinbrach, war Bones außer sich vor Freude, denn seine Lampen brannten außerordentlich hell. Sie überstrahlten die Straße vor ihm und erhellten weithin die Landschaft.

»Mein lieber, alter Ham«, sagte Bones über die Schulter, »was sagen Sie nun zu meinen Lampen?«

»Sie sind einfach wundervoll«, gab Hamilton zu. »Ich habe so etwas Staunenerregendes noch nicht gesehen. Ich kann sogar bemerken, daß Sie nur eine Hand am Steuer haben!«

Bones brachte sofort auch die andere Hand ans Rad und hustete. Marguerite Whitland lachte leise vor sich hin, aber niemand hörte es.

Sie erreichten gerade eine Landstraße, die von Bäumen beschattet und von hohen Hecken umgeben war, und Bones sang vergnügt ein Lied vor sich hin – als plötzlich die Lampen ausgingen.

Sie gingen so unerwartet aus, ohne auch nur im mindesten vorher zu flackern oder auch dunkler zu brennen, daß er geblendet war und den Wagen sogleich zum Stehen brachte.

»Was ist los, Bones?« fragte Hamilton.

»Das Licht ist aus! Ich denke, die liebe, nette Sekretärin hat mit ihrem Knie den Schalter berührt!«

»Wirklich?« meinte Ham höflich.

Bones hustete, als er sich darauf besann, daß der Schalter an seiner Seite angebracht war.

Er drehte ihn von links nach rechts und von rechts nach links, aber es ereignete sich nichts.

»Ganz merkwürdig!« sagte Bones.

»Wirklich!« sagte Hamilton zurück.

Dann entstand eine Pause.

»Ich glaube, die Straße zweigt bald ab, ich werde einmal heruntersteigen und sehen, welches der Weg ist, den wir nehmen müssen«, sagte Bones mit einem plötzlichen Entschluß. »Ich erinnere mich, daß ich den Wegweiser noch sah kurz bevor die eine – hm – Lampe – ausging. Vielleicht haben Sie Lust, Miß Whitland, eine Strecke mitzukommen?«

Marguerite sagte, daß sie gerne mitkommen würde, und sie stiegen zusammen aus, um Umschau zu halten. Hamilton machte sich schon die ernstesten Sorgen, ob sie diesen Abend überhaupt nach Hause kommen würden. Bones ging mit Marguerite vorwärts und unwillkürlich suchten und fanden sich ihre Hände.

Sie entdeckten die abzweigende Straße, aber Bones machte sich nicht die Mühe, ein Streichholz anzustecken. Sein Herz schlug heftig, seine Lippen waren trocken und er konnte nur mit Mühe sprechen.

»Miß Marguerite«, sagte er heiser, »denken Sie, bitte, nicht, daß ich ein vollständig verdorbener Kerl bin. Meine liebe, gute Sekretärin –«

»Das denke ich doch nicht«, erwiderte sie ein wenig schwach, denn Bones hatte seinen Arm um sie gelegt.

»Glauben Sie nicht«, sagte Bones mit zitternder Stimme, »daß ich nur ein nichtsnutziger Flaneur bin. Aber da ich nun einmal mit Ihnen bin und all so was –«

Und dann beugte er sich zu ihr und küßte sie. In diesem Moment besannen sich die Lampen plötzlich wieder darauf, daß sie niemals ausgehen sollten und strahlten in Tageshelligkeit, um die Ruhepause wieder gutzumachen, die sie sich gegönnt hatten.

Im Brennkegel der Lampen aber standen die beiden jungen Leute, als ob sie bei einer Filmaufnahme wären. Man konnte sie nicht nur von dem Automobil aus, sondern meilenweit im Umkreis sehen.«

»Donnerwetter!« sagte Bones.

Marguerite schwieg. Sie bedeckte nur ihre Augen mit der Hand, um sich gegen das Licht zu schützen, als sie zurückgingen.

Bones stieg auf den Führersitz mit der vornehmen Ruhe und Überlegung, mit der sich ein alter Gentleman im Park auf einen Mietstuhl setzt.

»Es ist die Straße zur linken Seite«, wandte er sich zurück.

»Da bin ich aber froh«, sagte Hamilton und machte nicht einmal eine Bemerkung, als Bones in die Straße zur Rechten einbog.

Als sie eine Viertelmeile weitergefahren waren, gingen die Lampen wieder aus, ebenso unerwartet und ohne Warnung wie das erstemal. Bones drehte wieder an den Schaltern.

»Würden Sie nicht einmal so gut sein und aussteigen?« wandte er sich an Hamilton.

»Nein, Bones«, sagte Hamilton kurz und trocken, »wir sitzen hier ganz ruhig und bequem.«

»Würden Sie noch einmal mit mir heruntersteigen, meine liebe Sekretärin?«

»Nein«, erwiderte Miß Whitland sehr bestimmt.

»Hm, unter diesen Umständen ist es dann wohl besser, wenn wir alle zusammen hier warten, bis –«

In diesem Augenblick gingen die Lampen wieder an. Sie fluteten hell über die Straße und waren wie ein Wandschirm, von dem sich Bones' zur Seite geneigter Kopf abhob.

Der Wagen sprang an, in regelmäßigen Zwischenräumen streikte das Licht, das niemals ausging, und ruhte sich aus. Mit der Zeit betrachteten die Insassen des Wagens diese Launen mit philosophischer Ruhe, selbst als es langsam zu regnen anfing und sie kein Schutzdach über sich hatten.

Bei der Einfahrt nach Guildford wurde Bones von einem Polizisten aufgeschrieben, weil seine Lampen zu stark brannten, und als sie aus Guildford herausfuhren, schrieb ihn ein anderer Polizist auf, weil er überhaupt keine Lichter am Wagen hatte. In Kingston fingen die Lampen an zu flackern und dieser Zustand dauerte an, bis sie nach Pelston Common kamen, wo eine Abteilung Pfadfinder schlief, die das Flackern der Lampen für ein Lichtsignal hielten.

»Ein wundervoller Tag«, sagte Hamilton, als sie sich um Mitternacht trennten. »Es tut mir nur leid, daß Sie soviel Unannehmlichkeiten mit den Lampen hatten, Bones. Wie nannten Sie sie doch?«

»Nun, mein lieber, alter Freund,« sagte Bones und überhörte die Frage, »ich hoffe, daß Sie gesehen haben, wie ich eine Spinne von der Schulter der lieben, guten Miß Marguerite wegnahm? Sie haben sich doch sonst nichts dabei gedacht?«

»Das einzige, was ich nicht sah, war die Spinne!«

»Versteifen Sie sich nicht auf Kleinigkeiten, lieber, alter Patron,« sagte er eigensinnig, »es kann auch eine Raupe gewesen sein! Glauben Sie, als Mann von Welt, mein lieber, alter, blasierter Ham, daß ich eine unschuldige Sekretärin kompromittieren würde? Glauben Sie, ich müßte –« Dann machte er eine Pause.

»Das ist vornehmlich eine Frage, die die Dame selbst angeht«, sagte Hamilton. »Aber was wollen Sie mit den Lampen machen? Werden Sie die Gesellschaft wirklich gründen, um die Fabrikation aufzunehmen?«

Bones schaute düster auf die hell brennenden Lampen.


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