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3
Bones und die Werfteigentümer

Der Falke schwebt unsichtbar im blauen Himmel, der Geier erscheint dem erschrockenen Rehbock geheimnisvoll von irgendwoher. Beide besitzen Eigenschaften, die von einigen besonders bevorzugten Menschen geteilt werden. Keine Zeitung verkündete die Tatsache, daß ein junger Mann von ungeheurem Reichtum und ebenso ungeheurer Unerfahrenheit in der City Londons angekommen war.

Es gab keine Versammlungen organisierter Räuberbanden, bei denen maskierte Männer ruchlose Pläne und Komplotte schmiedeten, aber der Instinkt, der den Falken zu seiner Beute und den Mörder zu seinem Opfer lockt, brachte viele Fremde zu Bones, die sowohl ihm als auch einander selbst fremd waren. Sie kamen in sein schönes Bureau, das er für sich und das Gedeihen seines Geschäftes ausgestattet hatte.

Eines Tages brachte ein stattlicher Mann Mr. Tibbetts den Plan eines Warenspeichers. Er kam wie ein Sturmwind herein, als Bones noch nicht einmal die Karte entziffert hatte, auf der sein Name und sein Beruf standen.

Der Fremde hatte ein rotes Gesicht, war groß und mußte in Abständen von wenigen Minuten sein Taschentuch benutzen, um Stirne und Hals abzutrocknen. Aber sein Humor war unverwüstlich.

Bevor der verwunderte Bones nach seinem Anliegen fragen konnte, hatte er schon seinen Hut auf einen Stuhl gelegt, seinen Schirm an einen anderen gehängt, und entfaltete mit der gewerbsmäßigen Geschicklichkeit von Leuten, die oft steife Pläne auseinandernehmen, ein großes, farbiges Blatt. Den größeren Teil nahm darauf die Themse ein, wie Bones mit einem Blick sah.

Er wußte, daß Blau Wasser bedeutete, und als er seinen Kopf neigte, las er »Themse«. Er folgerte daraus, daß dies der Plan eines Grundstücks war, das an der Themse lag.

»Sie sind ein Geschäftsmann, und ich bin ein Geschäftsmann«, sagte der Besucher atemlos. »Ich habe soeben dieses Grundstück gekauft – und wenn es Sie nicht interessiert, will ich meinen Hut aufessen. Mein Motto ist: Wenig Verdienst und schneller Umsatz! Sie müssen Ihr Geld immer arbeiten lassen, dann werden Sie Geschäfte machen! Verstehen Sie, was ich damit meine?«

»Lieber, alter Wirbelwind,« sagte Bones schwach, »das ist schrecklich interessant. Aber würden Sie nicht so freundlich sein, mir zu erklären, warum Sie in einer so inkorrekten Weise in mein Bureau dringen? Gegen alle Regeln des Anstandes – mein Lieber, wenn Sie nichts dagegen haben, daß ich Sie ein wenig zurechtweise. Sie sind doch nicht verletzt?«

»Kein bißchen, kein bißchen«, brüllte der andere. »Ich bin ein anständiger Mann – ich bin John Staines. Sie haben von mir gehört?«

»Ja«, sagte Bones. Der andere war so überrascht, daß er es unverhohlen zeigte.

»So?« sagte er zweifelnd.

»Ja«, sagte Bones ruhig. »Ich habe eben gehört, wie Sie sagten, John Staines.«

Der Besucher schaute scharf auf.

»Haha«, sagte er. Aber sein Lachen klang unmelodisch und gewöhnlich. »Sie treiben Ihren Scherz mit mir, Mr. Tibbetts! Nun, was sagen Sie hierzu – das ist Stivvins Werft und Warenspeicher. Sie kam am Sonnabend auf den Markt und ich kaufte sie noch am selben Tage. Das ist das einzige Ufergrundstück, das zwischen Greenwich und Gravesend zu haben ist. Die wohlbekannte Stivvins'sche Metallraffinerie machte im Kriege Konkurs, wie Sie wohl gehört haben. Nun bin ich ein Mann, der nicht viel Worte macht. Ich gebe gern zu, daß ich spekuliere. Ich kaufte dieses Grundstück für fünfzehntausend Pfund. Wenn Sie mir einen Profit von fünftausend Pfund geben, so ist es das Ihre.«

Bevor Bones sprechen konnte, brachte er ihn durch eine Handbewegung zum Schweigen.

»Ich muß Ihnen noch etwas sagen. Wenn Sie es einen Monat lang halten, dann können Sie einen Verdienst von zwanzigtausend Pfund damit machen. Sie können sich das ja leisten, ich kann es nicht. Ich sage Ihnen, es gibt keine freie Werft zwischen Greenwich und Gravesend. Und hier haben Sie einen Warenspeicher mit dreißigtausend Quadratfuß Grundfläche, mit allem Zubehör, Laderäumen, Kranen, Aufzügen usw. Ich gebe gern zu, daß Sie die Sache nicht ganz umsonst kriegen, nicht für einen Apfel und ein Ei, aber es ist nicht weit davon entfernt. Was sagen Sie nun?«

Bones sah ihm starr ins Gesicht.

»Entschuldigen Sie, Sie alter Dauerredner, ich habe eben an etwas anderes gedacht. Würden Sie so gut sein, mir das noch einmal zu wiederholen?«

Der ehrbare John Staines schluckte etwas und wiederholte seinen Vorschlag.

Bones schüttelte den Kopf energisch.

»Nein, damit will ich nichts zu tun haben!« sagte er. »Werften und Schiffe – nein!«

Aber der ehrbare John gehörte nicht zu den Leuten, die sich einfach abweisen lassen.

»Ich lasse Ihnen die Sache vierundzwanzig Stunden an Hand«, sagte er vertraulich.

»Nein, gehen Sie, mein vertrauenswürdiger Werftverkäufer. Ich werde mich niemals am Fluß niederlassen, unter gar keinen Umständen – zum Donnerwetter, jetzt kommt mir aber eine glänzende Idee!«

Er klopfte mit seiner knöchernen Faust auf seinen unschuldigen Schreibtisch. Der ehrenwerte John beobachtete ihn hoffnungsfreudig.

»Das ist ja eine blendende Idee!«

Bones nahm einen Bogen Papier und seine lange Schreibfeder quietschte heftig, als sie über das Papier fegte.

»Also das ist der Plan – tausend Mitglieder zu zehn Pfund jährlich, vierhundert Schlafzimmer zu – sagen wir mal zehn Schilling die Nacht – wieviel ist vierhundert mal zehn, multipliziert mit dreihundertfünfundsechzig? Nun, wollen wir schnell sagen, zwanzigtausend Pfund. Da haben wir das Geschäft – ein Klub!«

»Ein Klub?« sagte John etwas ernüchtert.

»Ein Klub am Fluß! Sie sagten doch Greenhithe – das liegt doch in der Nähe von Henley? Nicht wahr?«

Der ehrbare John seufzte tief.

»Nein, mein Herr«, sagte er höflich. »Das ist in einer anderen Richtung, nach der See zu.«

Bones legte seine Feder hin, kniff die Lippen zusammen und versuchte, sich die Lage ins Gedächtnis zurückzurufen.

»So, liegt es dort? Nun, was denken Sie von dem Plan? Ich kenne Maidenhead – es liegt doch in der Nähe von Maidenhead?«

»Nein, es liegt gerade entgegengesetzt«, sagte Staines und schwitzte vor Aufregung und Enttäuschung.

»Oh!«

Bones' Interesse war plötzlich wieder verschwunden.

»Nein, dann kann ich es nicht gebrauchen, alter Spekulant. Werften – gar kein Interesse!«

Er schüttelte heftig den Kopf und Mr. Staines erhob sich.

»Ich werde Ihnen sagen, was ich tue, Mr. Tibbetts«, sagte er einfach. »Ich werde Ihnen die Pläne hier lassen – ich gehe einen Tag aufs Land, überlegen Sie sich die Sache, ich werde morgen nachmittag wiederkommen.«

Bones schüttelte noch immer den Kopf.

»Geht nicht, ich will nichts damit zu tun haben. Nun machen Sie Schluß mit diesem Palaver, mein lieber, alter ehrenwerter John!«

»Na, dabei kann man sich doch kein Bein verstauchen!« sagte Mr. Staines grimmig. »Was kann Ihnen denn passieren? Sie haben die Option auf das Grundstück für vierundzwanzig Stunden. So, ich rolle die Pläne zusammen, damit sie niemand im Wege sind. Guten Morgen!«

Er hatte das Bureau verlassen, bevor Bones die Einleitung zu einer scharfen Absage vorbringen konnte.

Am selben Nachmittag um drei Uhr kamen zwei Besucher. Sie schickten eine Karte herein, die den Namen der berühmten Firma Woking trug. Agenten und Makler für Land- und Hauskäufe. Sie traten mit einer gewissen Vornehmheit auf.

Der eine Herr war stark, der andere schmächtig. Sie gingen leise in das Bureau und näherten sich Bones höflich und zuvorkommend.

»Wir kommen in einer sehr wichtigen Sache«, begann der Dünne. »Wir haben erfahren, daß Sie heute Stivvins' Werft gekauft haben –«

»Staines hat kein Recht, sie zu verkaufen«, warf der dicke Herr dazwischen. »Das ist ein ganz gemeiner Trick – nach allem, was er uns versprochen hat, das Grundstück an einen Fremden zu verkaufen?«

»Mr. Sole« – die Stimme des Dünnen klang vorwurfsvoll, »bitte, nehmen Sie sich zusammen. – Mein Partner ist sehr ärgerlich«, erklärte er Bones, »und mit Recht. Wir boten fünfzigtausend Pfund für Stivvins, und Staines hat aus reiner Bosheit das Grundstück hinter unserem Rücken verkauft, das einer unserer Kunden notwendig braucht. Mr. Tibbetts, sind Sie geneigt, es mit einem kleinen Verdienst wieder an uns zu verkaufen?«

»Aber –« begann Bones.

»Wir werden Ihnen sechzigtausend geben«, sagte der impulsive Herr. »Letztes Wort – sechzigtausend.«

»Aber mein lieber, alter Bonifazius«, widersprach Bones. »Ich habe das Grundstück wirklich und wahrhaftig nicht gekauft! Der nette, alte Staines wollte mich durchaus dazu zwingen, daß ich es kaufen sollte. Aber ich versichere Ihnen, ich habe es nicht getan!«

Der dicke Herr schaute ihn entsetzt an, nahm sich aber gleich wieder zusammen und sagte dann mit heiserer Stimme:

»Vielleicht werden Sie es zu seinem Angebot kaufen – dann können Sie es uns ja weiterverkaufen!«

»Aber warum denn – ich will nichts mit der Sache zu tun haben, mein lieber, alter Landagent und Auktionator! Kaufen Sie es doch selbst. Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!«

Und damit komplimentierte er die beiden mit vielen höflichen Phrasen zum Zimmer hinaus.

Unten auf der Straße schauten sie einander an und dann winkten sie Mr. Staines, der auf der anderen Seite auf sie wartete.

»Dieser Kerl hat entweder einen ganz hellen Verstand oder er ist ein Wickelkind in Geschäftsdingen!« sagte der Impulsive heiser.

»Ist er nicht darauf hereingefallen?« fragte Staines ängstlich.

»Nicht, daß wir wüßten!« schimpfte der Dünne. »Das ist dein Plan, Jack, und du bist schuld, daß ich viertausend in dieses Werftgeschäft hineingesteckt habe. Wir werden noch bösen Ärger damit bekommen!«

Mr. Staines schaute ernst drein.

»Gebt ihm noch einen Tag Zeit«, bat er. »Ich werde morgen wieder zu ihm gehen und die Sache noch einmal versuchen – ich habe den Glauben an dieses Geschäft noch nicht verloren.«

Bones aber saß in seinem Bureau und machte eine Eintragung in sein geheimes Tagebuch.

»Ein Mensch mit Namen Staines und zwei andere Personen, die sich Gebrüder Soles nannten, haben mich aufgesucht. Die Brüder versuchten, mich mit dem alten Fiedelstrick hereinzulegen. Man nimmt eine Geige, geht zu einem Leihhaus, läßt sie zur Abschätzung dort, ein anderer kommt, sieht die Geige, sagt begeistert, das ist eine Stradivari, ein kostbares Ding, und bietet eine fabelhafte Summe. Der Besitzer des Leihhauses sagt, er wird sehen, was er tun kann. Wenn der erste Kerl zurückkommt, um nach seiner Geige zu fragen, kauft er sie für eine fabelhafte Summe, um sie an den zweiten Kerl zu verkaufen. Aber der zweite Kerl läßt sich nicht wieder sehen.

P. S. Der erste Kerl hat sich den ehrbaren John genannt! Ich wäre zu einer solchen Gemeinheit nicht imstande.«

Als Bones seine Eintragung beendet hatte, schloß er sein Tagebuch ein und ging quer durch den Raum zu der Tür des äußeren Bureaus. Er klopfte respektvoll an, und eine Stimme bot ihm ein freundliches »Herein!«

Es ist nicht üblich, daß der Chef eines Geschäftes behutsam an die Tür seines äußeren Bureaus klopft, aber ebensowenig ist es gebräuchlich, daß die Sekretärin eines Bureaus so hervorragende Eigenschaften besitzt und so schön ist wie Miß Marguerite Whitland.

Das Mädchen wandte sich halb zur Türe um und lächelte ihn vorwurfsvoll an.

»Bitte, Mr. Tibbetts,« sagte sie, »klopfen Sie doch nicht an meine Türe. Wissen Sie denn nicht, daß das nicht Sitte ist?«

»Meine liebe, gute Marguerite,« erwiderte Bones feierlich, »eine neue Zeit ist für die City hereingebrochen, wie ein netter, alter Konfuzius sagt. Gestatten Sie gütigst, daß ich Sie auffordere, in mein Bureau zu kommen? Darf ich Sie vielleicht darum bitten –« er legte seine Hand auf den reichornamentierten, kostbaren Schreibtisch, den er extra für sie gekauft hatte, und sah auf sie nieder. »Darf ich Sie vielleicht noch einmal bitten, Ihren Aufenthalt in meinem Bureau zu nehmen? Es ist nur eine Kleinigkeit, ich werde Sie nie wieder fragen, ob Sie mit mir speisen wollen. Es ist eine ganz andere Sache. Ich bin nicht in meinem Element, wenn ich nicht in meinem Bureau bin.« Er zeigte höflich nach der Tür seines Heiligtums. »Ich bin ein roher, alter Abenteurer und bin gewöhnt, im Schnee – auf der harten Schiffsplanke zu schlafen, irgendwo –«

»Aber Sie schlafen doch nicht etwa in Ihrem Bureau?« fragte Marguerite und erhob sich.

Bones stieß die Tür für sie auf, verbeugte sich, als sie vorüberging und folgte ihr dann. Er setzte einen Stuhl für sie an dem Schreibpult zurecht und sie nahm ohne weiteren Protest Platz. Sie hatte allmählich erkannt, daß all seine Aufmerksamkeiten und seine übergroße Höflichkeit nur seiner vornehmen Gesinnung und seinem guten Herzen entsprangen.

»Ich muß es Ihnen mitteilen«, sagte er ernst. »Es wurde heute morgen der Versuch gemacht, mich um eine große Summe, um viele tausend Pfund, zu berauben.«

»Sie zu berauben?« fragte Marguerite erschreckt.

»Ja, mich zu berauben«, sagte Bones selbstgefällig. »Es war ein schuftiger, feiger Plan, aber er ist glücklicherweise durch die Klugheit des beabsichtigten Opfers zuschanden gemacht worden. Ich will mich nicht selbst rühmen, mein liebes, gutes Fräulein, nichts liegt meinen Gedanken und Wünschen ferner, aber was ist natürlicher, wenn einem Menschen ein Angebot gemacht wird –«

Er hielt plötzlich an und zog die Stirne kraus.

»Ja?«

»Eine wertvolle Metallraffinerie? Das ist doch eine Sache!«

»Was für eine Sache?« wiederholte Marguerite schnell. »Was meinen Sie damit?«

»Nun hören Sie«, sagte Bones mit unterdrückter Begeisterung. »Denken Sie, gerade diesen Morgen las ich die kleine, famose Zeitung Twiddly Bits – da ist eine Spalte mit der Überschrift: ›Dinge, die Sie wissen müssen‹. Die ist allein das Geld wert.«

»Ich kenne sie«, sagte das Mädchen neugierig. »Aber was haben Sie denn da gelesen?«

»Es war ein Artikel mit der Überschrift: ›Vermögen in altem Eisen‹«, sagte Bones. »Nun angenommen, dieser nichtsnutzige alte Metallmann – Donnerwetter, ist das eine glänzende Idee!«

Er ging mit heftigen Schritten durch den Raum und sein Gesichtsausdruck wechselte mit derselben Schnelligkeit, als ihm neue Gedanken kamen. Ungeheuerliche Möglichkeiten entrollten ihre verlockenden bunten Banner vor seiner Phantasie. Aber plötzlich riß er sich zusammen, öffnete und schloß alle Schubladen seines Schreibtisches, als ob er irgend etwas suchte. Schließlich fand er den Hut da, wo er ihn gelassen hatte, nämlich an einem Haken hinter der Tür. Er setzte ihn auf und sagte mit großer Bestimmtheit und Kürze:

»Stivvins Werft, Grennhithe. Sie werden mich begleiten. Nehmen Sie Ihr Stenogrammheft mit, die Schreibmaschine ist nicht notwendig. Ich werde eine Autodroschke besorgen – wir können in zwei Stunden dort sein.«

»Aber wo wollen Sie hingehen?« fragte das verdutzte Mädchen.

»Nach Stivvins – ich will den Platz besichtigen. Es ist möglich, daß gewiße Dinge übersehen worden sind, man darf keine günstige Gelegenheit außer acht lassen, liebes Fräulein. Wir Großkaufleute machen unser Vermögen, indem wir selbst die kleinsten Details beachten.«

Aber sie hatte Bedenken. Sie war nämlich ein kluges und vernünftiges Mädchen und stellte sich schon vor, wie alles kommen würde. Eine kalte und zugige Fahrt, ein noch kälterer und zugigerer Weg durch die verlassene und zerfallene Faktorei und die entsetzlichen Gebäude, und dann kamen noch solche Kleinigkeiten wie ein versäumtes Mittagessen in Betracht.

Aber Bones war schon auf der Straße, hatte sich auf einen widerstrebenden Chauffeur gestürzt und suchte ihn durch Schreien und Überreden dahin zu bringen, eine lange und unmögliche Fahrt zu übernehmen. Der Mann erklärte ihm, daß er nur soviel Brennstoff im Wagen habe, daß er gerade nach Hause fahren könne. Als Marguerite nach unten kam, sah sie Bones durch das offene Fenster der Wagentür winken. Er gab dem Chauffeur eingehende Instruktionen, wo Stivvins Werft lag.

*

Um halb sieben kam Bones allein zu seinem Bureau zurück. Er war sehr ruhig und nachdenklich, ging leise in sein Bureau und schloß die Tür hinter sich zu, setzte sich an seinen Schreibtisch nieder, legte den Kopf in die Hand und blieb so eine halbe Stunde lang sitzen.

Dann rollte er den Plan der Werft auf und hoffte, daß ihn sein Gedächtnis nicht im Stich ließ. Und glücklicherweise erkannte er alles wieder. Am Rande rechter Hand las er die Adresse, die Staines aufgeschrieben hatte. »Stamford Hotel, Blackfriars.«

Er nahm ein Formular aus dem Ständer und gab ein dringendes Telegramm auf.

Als Mr. Staines dieses Telegramm erhielt, saß er an einem kleinen runden Tisch, in der Bar des Stamford Hotels und hörte schweigend die verschiedenen Meinungen seiner beiden Spießgesellen an. Ihre Reden befaßten sich hauptsächlich mit dem dummen Plan, der fehlenden Vorsicht und den mangelnden Fähigkeiten eines Menschen, der sich in überschwenglichen Momenten als der ehrbare John Staines bezeichnete.

Der impulsive Herr hatte gerade ein phantastisches Bild entworfen, was geschehen würde, wenn der ehrenwerte John in Konkurrenz mit einem pfiffigen kleinen Jungen aus London träte.

Da nahm der ehrbare John das Telegramm und öffnete es. Er las und staunte. Er stand auf und ging zum Licht, las es noch einmal und kam damit mit glänzenden Augen zurück.

»Ihr seid schlau«, sagte er. »Ihr seid die Klugen. Ich habe den Plan ausgedacht, seht einmal hierher!«

Er gab das Telegramm dem Nächststehenden seiner Freunde, und der gab es ohne ein Wort weiter.

»Soll das etwa heißen, daß er kaufen will?«

»Na, das steht doch ganz klar drin«, sagte Staines triumphierend.

»Das ist eine Falle«, rief der Impulsive argwöhnisch.

»In keiner Weise«, sagte Staines verächtlich. »Wo soll denn die Falle stecken? Wir haben doch nichts Ungesetzliches getan, daß er uns hineinlegen könnte!«

»Wir wollen das Telegramm noch einmal genau durchlesen«, sagte der dünne Herr. »Er wartet auf dich bis neun Uhr in seinem Bureau. Also los, Jack, gehe hin und mache die Sache perfekt. Nimm gleich alle Schriftstücke und Urkunden mit dir. Wenn du das Geschäft abgeschlossen hast, lasse dir sofort den Scheck geben. Nimm jede Summe, die er dir geben will und richte es so ein, daß du dir den Scheck morgen früh auszahlen lassen kannst. Ich sehe gar keine Falle, das Geschäft geht glatt.«

John Staines atmete schwer durch die Nase und schwankte davon. Der Verdacht des Barhalters war diesmal unberechtigt, denn Mr. Staines stand unter dem Einfluß schwerer geistiger Erregung.

Er fand Bones schweigsam und einsilbig an seinem Schreibtisch. Er grüßte ihn nur durch ein Kopfnicken.

»Nehmen Sie, bitte, Platz«, sagte Bones. »Ich will das Grundstück übernehmen – hier ist mein Scheck.«

Mit zitternden Fingern fertigte Mr. Staines die Urkunden aus. Dann lief er auf allen Gängen umher und entdeckte endlich zwei Dienstmädchen, die bereit waren, gegen ein Trinkgeld als Zeugen den Vertrag zu unterzeichnen. Er faltete den Scheck über zwanzigtausend Pfund höflich und steckte ihn in seine Tasche. Er war so schnell wieder in Stamford Hotel, daß seine beiden Freunde ihren Augen nicht trauten, als er eintrat.

»Das ist das sonderbarste Geschäft, von dem ich jemals gehört habe«, sagte der Impulsive mit tiefem Ernst. »Glaubst du nicht, er erwartet, daß wir morgen früh erscheinen und zurückkaufen?«

Staines schüttelte den Kopf.

»Das tut er nicht. Er hat mir sogar gesagt, daß die Rückgängigmachung eines Kaufes in seinen Augen nahe an Schwindel und Betrug grenzt.«

Der dünne Herr pfiff vor sich hin.

»Der Teufel mag wissen, was er beabsichtigt! Warum hat er es denn überhaupt gekauft?«

»Er erwähnte, daß er dort gewesen sei und sich die Gebäude angesehen habe«, sagte Staines.

Und plötzlich kam ihnen gleichzeitig ein Gedanke. Sie sahen sich entsetzt an.

Der dicke Mr. Sole zog seine Uhr.

»Auf Stivvins Werft ist ein Wachtmann?« fragte er. »Wir wollen dorthin gehen und zu erfahren suchen, was sich zugetragen hat.«

Es war schwer, in der Nacht Einlaß in Stivvins Werft zu erhalten. Sie lag hinter der Woolwich Road bei einem großen Block von Industriegebäuden. Und wenn man zu den zerfallenen Eingangstoren kommen wollte, mußte man einen abenteuerlichen Weg durch eine Anzahl kleiner Bombenlöcher machen. Die Nacht war jedoch gnädig und verbarg den schrecklichen Zustand, in dem sich die sogenannte Stivvins-Werft befand. Mr. Sole, der keineswegs ein Ästhet war oder poetische Anwandlungen hatte, gab zu, daß ihm das alles gräßlich vorkäme.

Es war schon zehn Uhr abends, als sie ankamen, und es dauerte eine halbe Stunde, bis sie durch ihr Klopfen an der Tür die Aufmerksamkeit des Nachtwächters erregt hatten, der ebenso am Tage Wachtmann war. Er wohnte in dem früheren Wiegehaus, das er in eine wasserdichte Wohnung verwandelt hatte.

»Hallo!« rief er heiser. »Ich war schon am Schlafen.«

Er erkannte Mr. Sole wieder und führte sie zu seinem Quartier.

»Hören Sie, Tester,« begann Mr. Sole, der den Mann angestellt hatte, »kam heute ein junger, feingekleideter Herr hierher?«

»O ja«, sagte Tester. »Er brachte auch eine junge Dame mit. Sie gaben Mr. Staines' Namen an und baten mich, ihnen alle Gebäude zu zeigen. Ich habe sie auch überall herumgeführt.«

»Nun, und was ist dann geschehen?« fragte Staines.

»Ich habe ihnen die Faktorei und das große Gebäude gezeigt. Dann wollte der junge Mann die Store-Räume sehen, wo das Metall aufbewahrt wurde.«

»Welches Metall?« fragten die drei zu gleicher Zeit.

»Das habe ich ihn auch gefragt!« sagte Mr. Tester mit Befriedigung. »Ich sagte ihm, daß Stivvins mit allen möglichen Metallsorten handelte. Darauf fragte er mich: ›Haben sie auch mit Gold gehandelt?‹«

»Mit Gold?« wiederholte Mr. Staines nachdenklich. »Und was haben Sie darauf geantwortet?«

»Zufällig kannte ich die Örtlichkeit – ganz hier in der Nähe – ich habe früher acht Jahre bei Stivvins gearbeitet. Da habe ich sie denn in die Gewölbe hinuntergeführt.«

»In die Gewölbe?« fragte Mr. Staines. »Ich habe niemals gewußt, daß hier Gewölbe sind.«

»Sie liegen unter dem Hauptbureau, Sie müssen es schon früher gesehen haben«, sagte Tester. »Eine große Stahltür mit einem Schlüssel führt dahin, wenigstens war bis jetzt der Schlüssel darin. Aber der junge Mann hat ihn abgezogen und mit sich genommen.«

Staines hielt sich an seinem Freunde, der ihm am nächsten stand, und fragte heiser:

»Haben sie irgend etwas in dem Gewölbe gefunden?«

»Na, ich will verdammt sein, wenn ich das weiß«, sagte Tester vergnügt, und er ließ sich nicht träumen, daß er die Erwartungen enttäuschte, die in diesem Moment, aber auch nur in diesem Moment, auf ihn gesetzt waren. »Sie sind hineingegangen – ich selbst bin niemals in dem Gewölbe gewesen.«

»Sie haben außerhalb gestanden wie ein – ein –«

»Wie ein bronzenes Götzenbild«, sagte der impulsive Herr.

»Sie haben wie ein Holzklotz draußen gestanden und haben nicht einmal den Versuch gemacht, auch hineinzugehen und sich zu überzeugen, was sie dort gesehen haben?« fragte Mr. Staines hitzig. »Wie lang sind sie denn dringeblieben?«

»Ungefähr zehn Minuten!«

»Und kamen sie dann heraus?«

Tester nickte.

»Haben sie irgend etwas mitgebracht?«

»Nichts«, sagte Mr. Tester nachdrücklich.

»Wie sahen sie denn aus? Wie heißt doch eigentlich der Name dieses Burschen? Sahen sie erstaunt aus oder aufgeregt?« fragte John Staines.

»Er war ein wenig aufgeregt«, sagte Tester. »Jetzt, da Sie mich darauf bringen, fällt es mir ein. Ja, er war aufgeregt.« Tester erschienen die Vorgänge jetzt in einem ganz anderen Licht. »Und ich besinne mich jetzt auch, daß seine Hand zitterte.«

»Donnerwetter!« sagte Mr. Staines. »Und dann hat er den Schlüssel abgezogen, sagen Sie? Weshalb sind Sie denn eigentlich hier? Sie erlauben diesem Burschen, einfach unser Eigentum wegzunehmen! Wo liegen die Gewölbe?«

Tester führte sie über einen verlassenen Hof und erklärte unterwegs, was er getan hatte und warum er es getan hatte und was die beiden in der Zeit hätten tun können, in der sie allein waren. Er schloß ein rostiges Schloß nach dem anderen auf. Sie gingen durch dunkle, verlassene Bureauräume, voll von Spinnweben und Schmutz, stiegen dann eine Steintreppe hinab und kamen vor ein Stahltor, das sie nur mit großen Augen betrachten konnten.

*

Bones war am nächsten Morgen frühzeitig in seinem Bureau, aber er kam gerade mit Mr. Staines zusammen an, der ihm buchstäblich auf dem Fuße folgte und ein Stück Papier vor seinen erstaunten Augen herauszog und auf den Tisch legte.

»Nun, was ist los?« fragte Bones gereizt. »Was zum Teufel soll das bedeuten, mein böser, alter Bursche?«

»Hier ist Ihr Scheck,« sagte Mr. Staines fest, »und ich verlange von Ihnen vor allen Dingen den Schlüssel unserer Stahlkammer.«

»Den Schlüssel Ihrer Stahlkammer?« wiederholte Bones. »Habe ich denn nicht das Grundstück gekauft?«

»Das haben Sie und haben es auch nicht. Um also die Sache kurz zu machen, Mr. Tibbetts. Ich habe mich entschlossen, die Sache nicht zu verkaufen. Ich habe herausgefunden, daß ich nicht dazu berechtigt war, die Werft zu veräußern.«

Bones zuckte die Schultern. Man bedenke, daß er während neun Stunden geschlafen oder halb geschlafen hatte und daß sich seine Ansichten möglicherweise geändert hatten. Was er getan haben würde, ist problematisch, weil in diesem Augenblick die strahlendschöne Miß Whitland in ihr Bureau ging und Bones' scharfes Ohr das Einschnappen der Tür vernahm.

»Einen Augenblick,« sagte er barsch, »einen Augenblick.«

Er ging durch die Tür, die sein Privatbureau von dem äußeren Zimmer trennte, und Mr. Staines lauschte. Er horchte in verschiedenen Abständen von der Tür und in seiner letzten Stellung hätte man die feinsten Meßinstrumente anwenden müssen, um den Zwischenraum zwischen seinem Ohr und dem Schlüsselloch festzustellen. Er hörte nichts außer den Klagen des verstörten Bones und dem festen »Nein« einer selbstbewußten Frauenstimme.

Dann kam Bones nach einem herzzerbrechenden Schweigen zurück. Mr. Staines machte schnell einen Sprung, so daß er in einer gleichgültigen und nachdenklichen Haltung am Schreibtisch lehnte, als Bones eintrat. Bones preßte die Lippen zusammen, zog die Schublade auf, nahm die Verkaufsurkunden heraus und stieß sie über den Tisch.

»Da ist der Schlüssel«, sagte er und schob ihn hinter den Dokumenten her.

Dann nahm er den Scheck und riß ihn in zwanzig kleine Stücke.

»Das ist alles«, sagte er, und Mr. Staines ging zitternd vor Aufregung aus dem Bureau.

Als er fort war, ging Bones zu dem Mädchen zurück, das an dem Schreibtisch vor der Maschine saß. Es war merkwürdig, daß auch sie die Lippen zusammenpreßte.

»Meine liebe, junge Miß Whitland,« sagte Bones, und seine Stimme war noch etwas heiserer als sonst, »ich werde mir das niemals in meinem Leben vergeben.«

»O bitte, Mr. Tibbetts,« sagte sie ein wenig verstimmt, »ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich Ihnen vergeben habe. Ich bin sicher, daß Sie keine bösen Absichten hatten, als Sie so impulsiv handelten.«

Bones verneigte sich, und das war zugleich das Zeichen, daß er ihr recht gab und sich schämte.

»Die Tatsache bleibt aber bestehen, meine liebe, gute Miß Whitland«, sagte er dann mit gebrochener Stimme. »Ich habe Sie in diesem schrecklichen, alten Gewölbe geküßt. Ich weiß nicht, wie ich dazu kam,« stieß er hervor, »aber ich tat es. Glauben Sie mir, der Platz war heilig. Ich wollte deshalb das Gebäude kaufen, um es für alle Zeiten zu bewahren. Kein frevelhafter Fuß sollte jemals diesen geweihten Boden betreten. Und Sie denken, das ist Unsinn?«

»Mr. Tibbetts!«

»Unsinn, sage ich – es ist romantisch und all so was.« Er streckte seine Arme aus. »Ich muß Ihnen recht geben. Aber glauben Sie mir, Stivvins Werft ist heiliger Grund, und ich bedauere es tief, daß Sie es nicht zuließen, daß ich es für immer kaufte und so dem öffentlichen Verkehr entziehen konnte. Diese niederträchtigen Kerle ... Vergeben Sie mir?«

Sie lachte ihn an, und dann lachte Bones sie an, und dann lachten sie zusammen.


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