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Ein Urteil über Dichtkunst

Manchmal wurde Mr. Cresta Morris bei seinem richtigen Namen genannt, aber manchmal hieß er auch Mr. Staleyborne. Seine Frau sah hübsch aus und traute ihm. Sie kannte beide Namen und glaubte ihm alle Erklärungen, die er ihr dafür gab. Er hatte ihr erzählt, daß Geschäftsleute selten unter ihrem eigenen Namen bekannt sind.

So hieß der Inhaber der berühmten, großen Dekorationsfirma Lavender & Rosemary in seinem Privatleben Isidor Ruhl. Auch wußte man, daß der Fabrikant von Morgans Vollfettseife ein Mitglied des Oberhauses war, das nicht den Namen Morgan trug.

Mrs. Staleyborne oder Morris hatte eine Stieftochter, die von Hause fortlief und die Sekretärin des geschäftsführenden Direktors der Firma Schemes Ltd. wurde. Es gab Augenblicke, in denen Mrs. Staleyborne sehr unglücklich über die Zukunft ihres Kindes war, und oft vergoß sie in der Zeit zwischen fünf und sieben nachmittags Tränen darüber. Jedermann weiß ja, daß diese Tageszeit besonders melancholisch stimmt.

Sie gehörte aber zu den Leuten, die sich selbst trösten können, indem sie uralte Sprichwörter wiederholen, die immer wieder neu sind. Sie ließ sich von dem Wort trösten: »Alle Dinge wenden sich zum besten.« Sie glaubte an Wunder und hatte auch allen Grund dazu, denn sie erhielt pünktlich jeden Sonnabendmorgen ihr Wochengeld von ihrem etwas sonderbaren Ehemann.

Mr. Morris war unter mehreren Namen bekannt. Man nannte ihn »Cress« oder »Ike« oder »Tubby« oder auch »Staley«, je nach der Gesellschaft, in der er sich gerade befand.

An einem Juniabend saß er mit Freunden zusammen, unter denen auch ein Mr. Webber war, der mehr Schwindeleien mit Morris ausgeführt hatte als irgendein anderer seiner Spießgesellen. Der Dritte im Bunde war ein Herr Seepidge von der Firma Seepidge & Soomes, Druckerei.

Mr. Seepidge war ein Mann von fünfundfünfzig Jahren, sprach viel und hatte ein Durchschnittsgesicht, das aber von jeder Seite anders aussah. Auch wechselte seine Gesichtsfarbe häufig.

Als er jetzt Mr. Morris anredete, schwankte sie zwischen dunkelrot und blau.

»Warte einen Augenblick, Lew,« sagte Mr. Morris, »wir wollen uns nicht streiten. Das kann in den besten Familien verkommen.«

»Dazu gehörst du aber nicht«, erwiderte der wütende Seepidge ausfallend. »Ich gebe dir zweihundert, um bei dem Dreiuhr-Rennen auf ›Morning Glory‹ zu setzen, und du gehst mit meinem Geld nach Newbury, kommst zurück und erzählst mir, daß du keinen Buchmacher gefunden hättest!«

»Ich gebe dir doch das Geld zurück!«

»Das hast du ja getan«, sagte Seepidge. »Und ich war sehr überrascht, daß ich in dem Paket keine zerrissene Banknote fand. Nein, Ike, du hast mich betrogen! Du hast auf das Pferd gesetzt und den Gewinn eingesteckt, und jetzt willst du mir den Bären aufbinden, daß es dir nicht gelungen sei, einen Buchmacher aufzutreiben!«

Mr. Morris wandte sich gelangweilt Mr. Webber zu.

»Jim, hast du jemals gehört, daß ein Kamerad sich so gegen einen anderen verhält, nach all der Arbeit, die wir zusammen getan haben in diesen ganzen Jahren – ich und der Lew – du bist wie eine Buschschlange, ja, das bist du!«

Es dauerte eine lange Zeit, und es wurden viele Gläser geleert und über die bleibeschlagene Theke geschoben, bis Mr. Seepidge sich beruhigte. Die Zusammenkunft fand in einer Privatbar in Camdentown statt. Aber kaum hörte er mit seinen Vorwürfen auf, so begann er sich schwer über das Geschäft und über die schlechten Zeiten zu beklagen und jammerte darüber, wieviel Steuern und Abgaben er zu zahlen hätte. Schließlich deutete er sogar an, daß ihm der Bankerott bevorstände.

Tatsächlich befand sich seine Firma in einer bösen Lage. Die Polizei hatte vor kurzem die Geschäftsräume durchsucht und hatte dabei die Ausführung eines Druckauftrags über fünfhunderttausend Lose entdeckt, die heimlich nachgedruckt wurden, denn Mr. Seepidge tat das, was in der Gaunersprache als »Schwarzdruck« bekannt ist.

Ob Mr. Cresta Morris wirklich den Gefährten seiner vielen Schandtaten beschwindelt und auf »Morning Glory« gesetzt hatte, um für sich selbst einen Gewinn zu erzielen, war eine peinliche Frage, die man nicht näher untersuchen durfte. Aber Seepidge befand sich in einer unangenehmen Situation, und Mr. Morris stellte mit bewunderungswürdiger Ruhe fest, daß selbst ein großer Gewinn von tausend Pfund und mehr nicht genügt hätte, um ihm aus der Patsche zu helfen.

»Es muß etwas unternommen werden«, sagte Mr. Cresta bestimmt.

»Irgendjemand muß etwas unternehmen«, verbesserte der schweigsame Webber. »Die Frage ist nur, wer?«

»Ich sage euch, Jungens, es geht mir sehr schlecht«, sagte Seepidge ernst. »Selbst wenn ich das Geld gewonnen hätte, wäre ich nicht aus den Sorgen heraus. Das Geschäft ist praktisch verpfändet. Vor einer Woche hatte ich eine Polizeiinspektion. Ich habe jetzt zu tun, um persönlich aus der Sache herauszukommen – dieser schöne Auftrag des Hamburger Lotteriehauses! Und ich brauche das Geld, es ist wie verhext! Ich habe ungefähr dreitausend Pfund Schulden.«

»Ich weiß, woher man Geld bekommen kann«, sagte Webber. Sie schauten ihn alle an.

Sie konnten nicht gleich auf seine interessante Enthüllung eingehen, denn das Lokal wurde geschlossen.

»Kommt zu mir in meinen Klub!« sagte Mr. Seepidge.

Das Gebäude lag in der Nähe der Tottenham Court Road, und die Mitglieder waren Künstler. Der Klub hatte seinen Namen nach jeder Razzia geändert, und es war eine Tatsache, daß die in Haft genommenen Leute sich selbst als Künstler und Künstlerinnen ausgaben.

»Nun, wo ist das Geld zu machen?« fragte Seepidge, als sie um einen runden Tisch saßen.

»Es gibt einen Burschen, der Bones heißt«, begann Mr. Webber.

»Ach, der!« unterbrach ihn Mr. Morris verächtlich. »Großer Gott! Den wirst du nicht wieder kriegen!«

»Ich habe ihn gekriegt, bevor du so schlau warst«, erwiderte Webber. »Ich sage euch, der schwimmt im Geld! Er hat eine neue Wohnung in Devonshire Street bezogen, die ihn nicht weniger als sechshundert Pfund im Jahr kostet.«

»Woher weißt du das?« fragte Morris interessiert.

»Ich hatte mir die Sache vorgenommen und glaubte, sie allein durchführen zu können«, gestand Webber kaltblütig ein.

»Das ist ein wenig selbstsüchtig«, sagte Mr. Morris vorwurfsvoll und schüttelte den Kopf. »Das habe ich nicht von dir erwartet, Webbie.«

»Was du erwartest, hat gar nichts zu sagen«, entgegnete Webber gelassen. »Ich versuchte es. Ich ging um den Platz herum und holte mir Informationen von seinen Dienstboten. Ich habe auch eine Menge von ihnen erfahren. Ich bin noch nicht ganz gewiß, wie man Geld aus ihm machen kann. Wenn ich das wüßte, hätte ich euch beiden nichts davon erzählt! Aber ich habe das Gefühl, daß dieser Bones in einem gewissen Punkt etwas empfindlich ist. Und wenn man erst weiß, wo man den Hebel ansetzen muß, kann man ihn ordentlich zahlen lassen. Nun sind drei Köpfe besser als einer, und ich denke, wir machen die Sache zusammen. Ich glaube, wir werden genügend von dem reichen Bones bekommen, daß wir uns sechs Monate lang nach Monte Carlo zurückziehen können.«

»Dann wollen wir also unsere Köpfe zusammenstecken«, sagte Mr. Seepidge.

*

Bones war wirklich in die vornehme Devonshire Street gezogen. Er hatte eine große, prächtige Wohnung gemietet. Die Räume waren luftig, die Tapeten fein abgestimmt. Marmorkamine schmückten die Zimmer, wie sie alle Welt gern in den Katalogen der Möbelhändler und Innendekorateure bewundert.

»Mein lieber, alter Kamerad«, sagte Bones, als er Hamilton seine neue, prächtige Wohnung beschrieb. »Sie müßten nur meinen netten, alten Baderaum sehen!«

»Wozu brauchen Sie denn eigentlich ein solches Luxusbad?« fragte Hamilton unschuldig. »Sie sind doch Junggeselle!«

»Seien Sie doch nicht komisch«, sagte Bones ernst.

»Es ist überhaupt eine Frage, warum Sie schon wieder eine neue Wohnung brauchen. Ihre bisherige war ja schon beinahe ein Palast. Denken Sie etwa daran, einen eigenen Hausstand zu gründen?«

Bones wurde sehr rot. In seiner Verlegenheit stand er zuerst auf einem Bein, dann auf dem andern, zog die Augenbrauen hoch, klemmte das Monokel ins Auge und ließ es dann mit einer heftigen Bewegung wieder fallen.

»Stecken Sie doch nicht Ihre Nase in meine Privatangelegenheiten, mein lieber, alter Ham«, sagte er mürrisch. »Warum soll ich denn keine Wohnung nehmen, die mir gefällt, mit allem Komfort, in dem vornehmsten Teil von Westend, und all so was? Ich bin sehr erstaunt über Sie, Ham!«

»Aber was wollen Sie denn damit?« fragte Hamilton hartnäckig.

»Ein Geschäft! mein lieber, alter Offizier«, sagte Bones und wandte sich eilig seinem Schreibtisch zu.

Es waren verschiedene sehr aussichtsreiche Offerten abzulehnen, die von verschiedenen Gesellschaftsdirektoren und anderen Leuten eingelaufen waren. Bones war nun als ein reicher Geldmann bekannt geworden, und Leute, die Kapital benötigten, wandten sich an ihn. Gesellschaften brauchten zehntausend Pfund, um ihre Gebäude zu erweitern und die Aufträge auszuführen, die sicher im nächsten Jahr kommen würden. Sie ließen durch ihre Sekretariate die wundervollsten Briefe aufsetzen und boten Bones einen, manchmal sogar zwei Sitze in ihrem Aufsichtsrat an, wenn er nur seinen Namen rechts unten auf einen möglichst großen Scheck zu ihren Gunsten schreiben wollte. Diese Briefe begannen meistens folgendermaßen:

»In dem Augenblick, in dem die Augen der ganzen Welt auf Großbritannien gerichtet sind und in dem sein Welthandel bedroht ist, sind wir alle verpflichtet, die Produktion zu steigern ...« Und gewöhnlich wurde dann noch an die Pflichten des Kapitals dem Vaterland gegenüber appelliert.

Früher gab es einmal eine Zeit, in der ein solcher Appell Bones zu den größten Extravaganzen hingerissen hätte. Aber glücklicherweise hatte er damals noch nicht über Geld verfügt.

Bones wuchs mit der Zeit an Verstand und Klugheit. Als er seine Korrespondenz durcharbeitete, kam er auf einen Brief, den er sorgfältig durchlas. Er las ihn noch einmal, ehe er den Hörer vom Telephon abnahm und eine Nummer nannte. Er war bei einer Auskunftei abonniert, die ihn über all seine Fragen informierte.

»Was ist das eigentlich für eine Firma – Seepidge & Soomes?« fragte er dort an.

Er wartete einige Zeit mit dem Hörer am Ohr und schaute in die Ferne. Dann kam die Antwort:

»Ein übler Mensch, namens Seepidge, betreibt unter dieser Firma eine Druckerei. Er war schon zweimal bankerott und ist augenblicklich zahlungsunfähig. Die Polizei hat schon mehrere Haussuchungen bei ihm abgehalten, weil er verbotene Dinge druckte. Die Firma ist in einer so mißlichen Lage, daß es ihr schwer fällt, die Pfandzinsen aufzubringen.«

»Danke bestens«, sagte Bones. »Was ist denn das Geschäft wert?«

»Es ist soviel wert, daß Sie besser die Finger davon lassen«, war die etwas humoristische Antwort. Bones hing den Hörer wieder an.

»Mein lieber, alter Ham!«

Sein Partner schaute auf.

Bones streckte seine langen Beine aus und klemmte das Monokel ins Auge.

»Mein alter Rechnungsführer und Teilhaber, nehmen wir einmal an, es würde Ihnen ein Geschäft angeboten, das ungefähr soviel wert ist, daß Sie besser die Finger davon lassen – ist das nicht ein hübscher Ausdruck?«

»Sie haben ein so lautsprechendes Telephon, daß ich die ganze Unterhaltung schon mit angehört habe«, sagte Hamilton ruhig.

»So? Haben Sie es verstanden?« Bones war in keiner Weise erstaunt. »Aber es ist doch ein netter Ausdruck. Also nehmen wir einmal an, es würde Ihnen die ganze Druckerei für fünfzehntausend Pfund angeboten – was würden Sie dazu sagen?«

»Das hängt ganz davon ab, wer dabei ist und wo ich mich gerade befinde«, sagte Hamilton. »Wenn ich mich zum Beispiel in dem fürstlichen Wohnzimmer Ihrer neuen Behausung aufhalte und mich in der glänzenden Gegenwart Ihrer liebenswürdigen Gattin –«

Bones erhob sich und drohte mit dem Finger.

»Ist Ihnen denn nichts mehr heilig?« fragte er vorwurfsvoll. »Können Sie denn nicht die zartesten Gefühle, die jemals ein menschliches Wesen empfand –«

»Nun seien Sie aber ruhig! Wollen wir einmal über Ihr Problem weitersprechen.«

Bones war ganz außer Fassung gebracht, schaute verwirrt umher, und es dauerte eine geraume Zeit, bevor er wieder zu den gewöhnlichen Geschäftsdingen zurückfinden konnte.

»Also gut – dieser nette, alte Räuber böte Ihnen sein verlottertes Geschäft für fünfzehntausend Pfund an – was würden Sie dann tun?«

»Ich würde nach der Polizei schicken!«

»Würden Sie das tatsächlich tun?« fragte Bones, als ob ihm dieser Gedanke das erstemal käme. »Ich habe noch niemals zur Polizei geschickt, wie Sie wissen. Ich habe noch ganz andere Angebote, die mir gemacht wurden, einfach beiseite gelegt.«

»Na, dann werfen Sie es doch in den Papierkorb! Warum stellen Sie denn eigentlich diese Fragen an mich?«

»Warum ich diese Fragen an Sie stelle?« wiederholte Bones. »Es muß doch etwas dahinterstecken.« Er klopfte feierlich mit seinem Finger auf die Tischplatte. »Es steckt irgendein Plan dahinter – irgendein Schwindel, irgendeine Gemeinheit. Es kann sich doch niemand einbilden, daß ein Mann meines Ansehens auf einen solchen Betrug hereinfällt. Ich glaube, daß ich in der City schon einen gewissen Ruf besitze.«

»Das stimmt«, sagte Hamilton. »Sie stehen in dem Ruf, daß Sie der glücklichste Teufel sind, der jemals über Broad Street ging.«

»Ich bin niemals zu Fuß über Broad Street gegangen«, sagte Bones beinahe beleidigt. »Es ist eine schreckliche Straße, ein ganz verrückter, alter Weg – und ich würde lieber darüber fahren – und in ein oder zwei Tagen –«

»Wollen Sie ein Automobil kaufen?« fragte Hamilton interessiert.

»Darüber werde ich später mit Ihnen sprechen«, sagte Bones leichthin.

Er brach mit einem Achselzucken die Unterhaltung ab und nahm seine Korrespondenz mit in das äußere Bureau. Vorher klopfte er wie gewöhnlich an und wartete, bis die Sekretärin »Herein« rief. Dann schloß er die Tür hinter sich und ging vorsichtig zu Marguerite.

Sie schaute von ihrem Brief auf, an dem sie schrieb und hörte ihrem Chef aufmerksam zu.

»Darf ich Platz nehmen, meine liebe, junge Sekretärin?« fragte Bones ehrerbietig.

»Aber Sie können sich doch hinsetzen oder stehen, wo Sie wollen«, sagte sie lachend. »Wirklich, Mr. Tibbetts, ich weiß nicht, warum Sie manchmal so förmlich sind.«

»Ich bin stets offiziell«, sagte Bones und setzte sich in respektvoller Entfernung von ihr nieder.

Sie wartete darauf, daß er beginnen sollte, aber er war merkwürdigerweise befangen.

»Miß Marguerite,« begann er schließlich ein wenig heiser, »ein netter, alter Dichter ist als solcher geboren oder er ist kein Dichter –«

»Ach, haben Sie die Gedichte hier?« fragte sie interessiert und streckte die Hand aus. »Zeigen Sie doch, bitte!«

Bones schüttelte den Kopf.

»Nein, ich habe sie nicht mitgebracht – es geht jetzt noch nicht.«

Sie war enttäuscht.

»Schon vor einer Woche haben Sie mir versprochen, sie zu bringen!«

»Die Gedichte sind einfach schrecklich«, murmelte Bones verzweifelt. »Einfach schrecklich – ganz entsetzlicher Kohl!«

»Kohl?« fragte sie verwirrt.

»Ich meine allerhand Unsinn und so was.«

»Aber ich bin fest davon überzeugt, daß sie gut sind. Sie würden nicht über Ihre Gedichte sprechen, wenn sie nichts taugten.«

»Nun ja«, gab Bones zu. »Ich bin nicht so sicher, mein lieber, alter Kritiker, ich bin wirklich nicht so sicher – vielleicht haben Sie doch recht. Eines guten Tages werden die Gedichte doch der Öffentlichkeit übergeben – und dann werden wir ja sehen.«

»Wovon handeln sie denn?« fragte sie ihn schon mindestens zum zwanzigsten Male.

»Wovon sie handeln?« wiederholte Bones langsam und nachdrücklich. »Sie handeln von diesem und jenem – aber meistens von meinen – hm – Freunden. Ich nehme irgendeinen Gegenstand und mache einen Vers darauf.« Er zeigte mit der Hand nach Throgmorton Street. »Ich nehme einen Autobus, eine Nuß, eine Bahn, einen Hahn, eine Kuh, einen Schuh, einen Sonnenuntergang, einen Walfischfang, eine Muhme, eine kleine Blume, die am Uferrande blüht und all so was – irgendeinen Gegenstand, meine Liebe, der mir in die Augen springt – Sie verstehen doch?«

»Natürlich«, sagte sie bereitwillig. »Das Gebiet des Dichters ist allumfassend. Und ich verstehe auch, daß er es manchmal nicht so meint, wenn er nette Dinge über seine Freunde sagt.«

»Tut er das wirklich?« fragte Bones aufgebracht. »Unsere Unterhaltung zeigt mir, daß Sie sehr viel davon verstehen, meine liebe Miß Marguerite.«

»Schreiben Sie auch über Mädchen?« fragte sie ein wenig kühl.

»Über ein bestimmtes Mädchen.« Bones wurde so verlegen, daß sich seine Verwirrung sofort auf sie übertrug.

»Sie bedeuten natürlich nichts«, sagte sie tapfer.

»Mein liebes, junges Fräulein!« Er erhob sich. Seine Stimme zitterte, als er seine Hand auf die Schreibmaschine legte. »Mein liebes, gutes Fräulein«, sagte er und spielte mit den beiden Tasten »a« und »e«, als ob er seine Hand nur ausgestreckt habe, um die Tasten zu berühren und in keiner Weise entmutigt worden wäre, weil sich die kleine Hand, die darauf lag, so schnell zurückgezogen hatte. »Ich kann Ihnen nur sagen –«

»Das Telephon läutet«, sagte sie schnell. »Soll ich antworten?« Und bevor er etwas sagen konnte, war sie schon aus dem Zimmer.

Diesen Abend ging Bones mit einem festen Entschluß in seine Wohnung. Er wollte ihr diese schönen Verse zeigen. Er war schon oft zu diesem Entschluß gekommen, aber er hatte noch nicht den Mut gefunden, ihn auszuführen. Aber jetzt wollte er rücksichtslos sein. Sie sollte sie sehen, seine erhabenen Verse, die in ein teures Buch geschrieben waren, auf dessen vorderem Deckel die goldenen Buchstaben M. W. prangten. Und als er schnell zur Devonshire Street ging, deklamierte er unterwegs:

»O Marguerite, du liebliche Blume,
Denk stündlich an dich zu deinem Ruhme,
An deine Augen, die grauen und blauen,
Die in wechselndem Scheine auf mich schauen.
Wie lieblich schreibst du mit rosigem Finger,
Du lieber, alter Maschinenbezwinger!«

Er dachte, daß er nur für sich sprach, aber das war nicht der Fall. Die Leute drehten sich um, hörten ihm zu, und als er an dem grünen Tor von Dr. Harkley Bawkley, dem berühmten Irrenarzt, vorbeiging, waren sie sichtlich enttäuscht.

Er schloß die Rosenholztür seiner Wohnung nicht auf, sondern setzte die silberne Klingel in Bewegung.

Es war so schön, wenn Ali, sein Diener, in einer hellblausilbernen Livree die Tür öffnete. Es sah so malerisch und feierlich aus, als ob das Parlament eröffnet würde. Heute reizte es ihn besonders, Ali auftreten zu lassen, weil zwei oder drei junge Damen auf der Treppe standen, die auf der anderen Seite auf Einlaß warteten.

Ali öffnete die Tür. Er hatte eine blausilberne Hose an, aber oben trug er eine Khakijacke, denn er war gerade dabei, das Silber zu putzen.

»Was soll denn das heißen?« fragte Bones aufgebracht. »Habe ich dir nicht eine schöne Uniform gegeben, du nichtsnutziger Esel? Was denkst du dir eigentlich, wenn du die Tür in Gegenwart fremder Leute öffnest und so verflucht schlecht gekleidet daherkommst, du verdammter, unnützer Strolch?«

»Silberne Gabeln erfordern Reinigung für die Abendmahlzeit«, erwiderte Ali vorwurfsvoll.

Bones ging zu seinem Arbeitszimmer. Es war ein wunderbar eingerichteter Raum mit einem herrlichen, blauen Teppich. Bones konnte stolz darauf sein. Die Gardinen und Portieren waren von blauer Seide. Auch die Polstermöbel waren mit blauem Stoff überzogen. Er setzte sich an einen Tisch im Louis XVI.-Stil, nahm ein reines Blatt und begann zu schreiben. Er war inspiriert und arbeitete mit großer Geschwindigkeit.

»Ich sah einen kleinen Vogel – einen kleinen Vogel – einen kleinen Vogel – in den Lüften«, schrieb er. »Voll von süßen Blumendüften!

Sein Lied kam hernieder
Zu der Laube von Flieder.
Ich lauschte den Klängen
Von seinen Gesängen.
Seine Stimme klang süß
Wie im Paradies.
Sie klang so wie deine,
Wie ich es meine,
Beim Nachmittagstee,
Wo ich wieder dich seh'
Und ich dachte der Nacht,
Da du kamst sacht.«

Er machte eine Pause, da Marguerite Whitland noch niemals zu ihm gekommen war, vor allem nicht während der Nachtzeit. Er hatte immer den Anstand gewahrt, und er änderte die letzten Zeilen so:

»Und ich dachte der Zeit,
Da wir wanderten weit,
An der tiefblauen See –
In dem Herzen das Weh ...«

Er hatte sein Buch eine ganze Woche lang nicht in der Hand gehabt, aber er besann sich darauf, daß noch eine leere Seite am Schluß war, auf der dieses letzte, wahrscheinlich größte und bedeutendste Gedicht eingetragen werden sollte. Er zog die Schublade auf, aber sie war leer. Er konnte sich nicht irren, es war die richtige Schublade. Er hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis dafür.

Er läutete, und Ali kam herbei. Sein Sporthemd und seine Hosenträger wurden nicht ganz von einer Wolljacke verdeckt, die auch schon bessere Tage gesehen hatte.

»Ali – in dieser Schublade lag ein schönes Buch, in das ich viele Dinge geschrieben hatte.« Bones sprach sehr schnell mit ihm in Küstenarabisch.

Ali nickte.

»O Herr, ich weiß, daß du ein großer Dichter bist. Ich verkünde dein Lob immer, wenn ich ins Café gehe, denn Hafis schrieb nicht schönere Gedichte als du.«

»Was zum Teufel«, polterte Bones in Englisch, »meinst du damit, daß du den Leuten von mir erzählst, du Bösewicht? Was soll das heißen, du nichtsnutziger, alter Ebenholzklotz?«

»O Herr«, sagte Ali, »rühmende Nachrede schafft Bewunderung in den Seelen gewöhnlicher Leute.«

Er war dabei so bestimmt, ruhig, zufrieden und begeistert, daß Bones ihn nur verwundert anschauen konnte. Ali blickte so selbstbewußt drein wie jemand, der bei einer guten Tat überrascht worden war.

»O Herr, es sollte nur zu deinem Heil sein, daß ich entgegen den bescheidenen Wünschen demütiger Dichter das Lob deiner Dichtkunst anderen Leuten erzählt habe, die sich in dem erstklassigen Café ›Königswappen‹ aufhalten. Dort erhole ich mich stets des Abends. Und da ich wünschte, dir angenehmes Vergnügen und Überraschung zu bereiten, so habe ich aus eigenen Mitteln Vorbereitungen getroffen, daß deine Gedichte in wirklichem Druckwerk erscheinen sollen.«

Bones verging der Atem.

»Du hast meine Gedichte in Druck gegeben ... o du ... du ...«

Aber Ali fühlte sich keineswegs schuldbewußt.

»Morgen wird zu deiner Überraschung und zu deiner Freude ein wunderschöner Brief zu dir kommen, und ich selbst werde die Rechnung von meinen Ersparnissen zur Zufriedenheit begleichen.«

Bones setzte sich hin und schüttelte hilflos den Kopf. Aber dann wurde er ruhiger. Es war trotz allem ein angenehmer Gedanke. Früher oder später mußten diese Gedichte ja doch in die Öffentlichkeit kommen und einem größeren Auditorium unterbreitet werden. Er sah das blinde Schicksal in der Handlung seines Dieners walten. Die Sache war ihm aus der Hand genommen.

»Warum hast du das getan, du verrückter, alter Spaßvogel?«

»O Herr, ein Gentlemanfreund hat den Rat gegeben, der selbst ein Drucker ist. Er besitzt Maschinen –«

Ein schrecklicher Gedanke tauchte in Bones auf.

»Wie heißt er denn?«

Ali suchte eifrig in den unergründlichen Tiefen seiner Hosentaschen und zog eine schmutzige Karte hervor, die er Bones überreichte.

»Messrs. Seepidge & Soomes,
Druckerei für Handel und Gewerbe«

las Bones und sank in die Tiefen seines Sessels zurück.

»Da hast du etwas Schönes angerichtet«, sagte er dann mit hohler Stimme und warf die Karte hin.

*

Bones brachte eine schlaflose Nacht zu und war am nächsten Morgen schon früh im Bureau. Mit der ersten Post schlug der Blitz ein, den er erwartet hatte. Es war ein dicker Umschlag, der auf der Rückseite die Firma Seepidge & Soomes trug. Der Brief wiederholte die Offerte, die ganze Druckerei um fünfzehntausend Pfund zu verkaufen – außerdem lag eine Satzprobe bei.

»In diesem Preis ist auch eine große Anzahl nicht ausgeführter Aufträge eingeschlossen, darunter befindet sich die Drucklegung eines Bandes äußerst reizender Gedichte, die sich in unserem Besitz befinden und wovon wir einen Probebogen beifügen.«

Bones las die Gedichte, aber sie nahmen sich im Druck doch nicht so schön aus wie in seinem Manuskript. Und plötzlich überkam ihn ein großer Schrecken. Er wurde blaß bei dem Gedanken. Sie sprachen zweifellos wenig respektvoll von Miß Marguerite Whitland! Es waren Liebesgedichte, und sie enthüllten Bones' Leidenschaft für seine Dame in einer Sprache, die man nicht mißverstehen konnte. Sie erzählten von ihrem unvergleichlichen Haar, von ihren Augen, mit denen nur noch der blaue Himmel konkurrieren konnte, und von ihren Lippen, die purpurne Streifen für ihn waren.

Bones vergrub den Kopf in die Hände und saß noch in derselben Haltung an seinem Schreibtisch, als sich die Tür öffnete und Miß Whitland eintrat. Sie hatte die Nacht wunderbar geschlafen und sah so lieblich aus, daß die Gedichte, in denen er ihre Schönheit beschrieb, verblaßten und zu grauen Schemen wurden.

»Fühlen Sie sich krank, Mr. Tibbetts?« fragte sie besorgt.

»O nein, ich bin ganz wohl«, sagte Bones tapfer. »Ich fühle mich ganz – tralala, meine liebe, alte Sekretärin.«

»Kann ich die Korrespondenz bekommen?«

Sie streckte ihre Hand aus, aber Bones ließ den Brief von Messrs. Seepidge & Soomes mit allen Beilagen schnell in seiner Tasche verschwinden.

»Nein, nein – ja doch!« sagte er zusammenhanglos. »Gewiß, warum nicht – dies ist ein Brief, meine liebe, gute Sekretärin, über eine Patentmedizin, die ich eben genommen habe. Ich bin nicht mehr so elastisch wie in früheren Jahren, das Alter kommt und all so was. Machen Sie doch die Tür zu, wenn Sie hineingehen.«

Er sagte dies alles ohne Komma und Punkt und in solcher Aufregung, daß sie sich ganz bestürzt entfernte. Hamilton kam ein wenig später, und Bones legte ihm ein volles Geständnis ab.

»Lassen Sie mich die Gedichte einmal sehen«, sagte Hamilton ernst.

»Sie werden nicht lachen?«

»Seien Sie kein Esel – natürlich werde ich nicht lachen, vorausgesetzt, daß sie nicht komisch sind«, sagte Hamilton. Und um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, kniff er beim Lesen nur die Lippen zusammen, obwohl Bones eifersüchtig sein Gesicht beobachtete. Hamiltons Gesichtsausdruck war sogar so gelassen, daß Bones mutig wurde.

»Nun, mein Lieber, nicht so ganz schlecht? Natürlich reichen sie nicht an Kipling heran – aber ich kann nicht sagen, daß ich Kipling gerade sehr liebe, mein alter Kamerad. Dieses kleine Gedicht über den Sonnenuntergang ist geradezu ein Kleinod!«

»Ich glaube, Sie sind selbst ein Kleinod!« sagte Hamilton und gab ihm die Gedichte zurück. »Bones, Sie haben sich abscheulich betragen, Gedichte solcher Art zu schreiben und sie herumliegen zu lassen. Wenn sie herauskommen, wird sich ganz London über das arme Mädel lustig machen und über sie lachen.«

»Sich lustig machen und über sie lachen?« schnaubte Bones beleidigt. »Was, zum Teufel, meinen Sie damit? Ich sagte Ihnen doch, daß es keine lustigen Gedichte sind! Sie sind alle so wie diese.«

»Ich fürchtete schon, daß es so wäre. Aber Gedichte brauchen auch gar nicht lustig zu sein, um die Lachmuskeln der Leute zu erregen«, fügte er etwas taktvoller hinzu, als er sah, daß Bones rot wurde. »Die feierlichsten und heiligsten Dinge, die schönsten Gedanken und die wunderbarsten Gefühle erregen das Gelächter der Menge.«

»Das ist sicher wahr«, sagte Bones dankbar. »Und ich bilde mir ein, daß sie für diese Leute zu gut sind. Sie verstehen alle Herzensergüsse – aber nein, ganz verstehen Sie mich doch nicht. Aber in den nächsten Tagen werden kompetente Richter die Gedichte lesen – um Mitternacht beim Schein der trüben Öllampe. Ach, wenn Sie wüßten, ich habe sie meistens nach dem Essen geschrieben.«

»Wahrscheinlich, wenn Sie zuviel gegessen hatten«, sagte Hamilton rauh. »Was werden Sie nun anfangen?«

Bones rieb sich die Nase.

»Ich wäre glücklich, wenn ich es selbst wüßte«, antwortete er.

»Soll ich Ihnen einmal sagen, was Sie jetzt tun müssen?« fragte Hamilton ruhig.

»Ja, sagen Sie es mir, Ham, mein kluger, alter Berater.«

»Sie müssen zu Miß Whitland gehen und ihr alles erzählen.«

Bones machte ein langes Gesicht.

»Großer Gott, das kann ich nicht«, seufzte er. »Seien Sie doch nicht gar zu hart, Ham. Denken Sie, das würde sie mir niemals vergeben. Es könnte doch sein, daß sie zornig ihr Zimmer verließe und nicht wiederkäme. Dieser Gedanke ist so schrecklich, daß ich ihn nicht zu Ende denken kann.«

»Sie müssen es ihr sagen«, sagte Hamilton fest. »Das sind Sie dem Mädchen schuldig. Sie müssen ihr mitteilen, welche Gefahren ihr drohen!«

Bones verteidigte sich und bot viele andere Lösungen an, von denen aber keine dem unbarmherzigen Hamilton annehmbar erschien.

»Wenn Sie wollen, werde ich es ihr sagen«, schlug Hamilton vor. »Ich kann es ihr leichter erklären, daß das Dinge sind, die ein so verrückter Esel wie Sie im allgemeinen tut. Ich kann ihr sagen, daß Sie nicht beabsichtigen, sie zu beleidigen, nicht einmal durch das Gedicht, in dem Sie ihre Lippen mit Strippen vergleichen. Was für Strippen meinen Sie eigentlich? Teppichstrippen?«

»Zerpflücken Sie doch nicht diese himmlische Poesie«, bat Bones. »Gedichte sind wie Gemälde, mein alter Freund – sie müssen aus der Entfernung betrachtet werden.«

»Ich leide etwas unter Kurzsichtigkeit«, sagte Hamilton und las die Gedichte wieder durch.

»Sie sind doch nicht schlecht, alter Freund?« fragte Bones ängstlich.

»Schlecht ist nicht das richtige Wort, mit dem man sie bezeichnen kann«, sagte Hamilton aufrichtig.

Bones' Züge erhellten sich zusehends.

»Das denke ich doch auch, mein lieber, alter Offizier«, sagte er selbstzufrieden. »Man ist natürlich scheu und zurückhaltend, wenn es sich um die ersten Arbeiten eines Dichters handelt, und all so was. Aber zum Donnerwetter, ich habe schon schlechtere Gedichte gesehen als diese, mein Freund!«

»Ich auch«, sagte Hamilton und las das erste Gedicht noch einmal.

»Nach allem bin ich doch nicht sicher, ob es nicht das Beste war, was passieren konnte. Sollen sie doch in Druck gehen! Was sagen Sie dazu? Stellen Sie sich vor, das eine Gedicht, das die junge, nette Miß Marguerite mit einer Perle vergleicht, die in einem Schmutzhaufen entdeckt wurde, kommt vor kompetente Richter – was würden die wohl sagen?«

»Zehn Jahre Zuchthaus!« sagte Hamilton. »Und da würden Sie noch gut wegkommen!«

Bones lächelte mit bewunderungswürdiger Nachsicht und damit war für den Augenblick die Aussprache zu Ende.

Es war wirklich eine Art Erpressung. Aber als der Tag weiter vorschritt, bekam Bones eine leichtere Auffassung von dem Vergehen seiner Feinde. Am Nachmittag war er sogar wieder ganz auf der Höhe und konnte Witze machen. Und in Augenblicken, in denen er mit Marguerite allein war, brachte er das Gespräch auf Dichtkunst und erregte ihre Neugierde.

»Es gibt soviel schlechte Gedichte auf der Welt,« sagte Marguerite bei einer solchen Gelegenheit, »daß ich dachte, es müßte eine Todeskammer für solche Dichter eingerichtet werden!«

»Gemacht, meine liebe, alte Sekretärin«, stimmte Bones bei und lächelte lustig. »Was notwendig ist, nun – ich weiß es, mein liebes Fräulein. Es mag Sie in Erstaunen setzen, daß ich früher einmal einen brieflichen Unterricht im Dichten genommen habe.«

»Mr. Tibbetts, bei Ihnen bin ich über nichts mehr erstaunt«, sagte sie lachend.

Er ging noch einmal in ihr Bureau, bevor sie nach Hause ging. Hamilton hatte sich mit einem düsteren Kopfnicken schon verabschiedet. Bones, der eifrig über die Sache nachgedacht hatte, entschloß sich, diese günstige Gelegenheit zu benützen, um ihr von dem amüsanten Versuch zu erzählen, den die Druckerei gemacht hatte, um Geld von ihm zu erpressen.

Miß Whitland hatte ihre Arbeit beendet, die Schreibmaschine zugedeckt und ihren Hut und Mantel angezogen. Aber sie saß vor ihrem Schreibtisch, runzelte die Stirn und las eine Abendzeitung. Als er sie sah, verlor er plötzlich den Mut. Wäre es nicht möglich, daß die Gedichte schon veröffentlicht waren?

»Haben Sie beim Rennen gewonnen, mein liebes Fräulein?« fragte er und zwang sich zu erheuchelter Lustigkeit.

Sie sah ihn groß an.

»Nein«, sagte sie. »Im Gegenteil, ich bin sehr beunruhigt, Mr. Tibbetts. Ein guter Bekannter meines Stiefvaters ist in große Bedrängnis gekommen, und ich fürchte, daß meine Mutter dadurch Unannehmlichkeiten haben wird.«

»Schade, schade«, sagte Bones teilnehmend. »Wie furchtbar unangenehm das ist. Wer ist denn der liebe, alte Freund?«

»Er heißt Seepidge.« Bones faßte nach der Stuhllehne, um sich zu stützen. »Die Polizei hat herausgebracht, daß er verbotene Dinge druckte. Ich verstehe den Zusammenhang nicht ganz, aber man hat falsche Lose gefunden und Einladungen, sich an ausländischen Lotterien zu beteiligen.«

»Das ist sehr nichtsnutzig und weniger patriotisch«, murmelte Bones zitternd, so daß sie lachen mußte.

»Es hat aber auch eine spaßhafte Seite. Mr. Seepidge hat vor Gericht angegeben, daß er auch anständige Arbeit ausführte, daß er ein Gedichtbuch druckte – ist das nicht zum Lachen?«

»Haha!«

»Hören Sie, bitte, zu!« sagte sie und las vor. »Der Gerichtshof hat Seepidge zu sechs Monaten Zuchthaus verurteilt, weil er zweifellos gesetzwidrige Geschäfte betrieben hat. Er hatte sogar die Kühnheit, zu behaupten, daß er einen Gedichtband drucke. Der Gerichtshof hat Auszüge aus diesem köstlichen Band vorlesen lassen, die offenbar von dem Laufburschen in Mr. Seepidge's Geschäft geschrieben worden sind. Die Richter hatten noch nie so verworrenes und konfuses Zeug gehört. Der oberste Richter ordnete an, daß die gedruckten Einladungen für ausländische Lotterien beschlagnahmt und vernichtet werden sollten. Und weil er der Mitwelt einen guten Dienst leisten wollte, gab er noch einen Befehl, daß diese Sammlung von Knittelversen ebenfalls vernichtet werden sollte.«

Marguerite schaute zu Bones auf.

»Es ist doch merkwürdig, daß wir heute soviel über Gedichte gesprochen haben. Aber jetzt bestehe ich wirklich darauf, Mr. Tibbetts, daß Sie morgen Ihren Band bringen!«

Bones wurde furchtbar rot, schüttelte aber energisch den Kopf.

»Meine liebe, alte Sekretärin,« sagte er heiser, »später ... später einmal ... Gedichte sollte man jahrelang aufheben ... wie alten Wein ...«


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