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6
Bones macht in Jute

Es ist eine begründete Theorie, daß jedes Genie eigentlich aus zwei Seelen besteht, einer sichtbaren und einer unsichtbaren. Und oft bekämpfen beide einander. Napoleon sprach von den Sternen, stammte aus Corsica und war mystisch veranlagt. Die Leute aber, die ihn in seinen letzten Tagen sahen, merkten, daß der andere Napoleon auf den Schlachtfeldern von Waterloo gestorben war und nur seinen Bruder zurückließ, einen dicken, gewöhnlichen Mann, der jähzornig, theatralisch, aber nie mehr wirklich groß war.

Bemerkenswert ist der Einfluß der zweiten Seele bei dem Geldverdienen. Manchen Menschen ist es unmöglich, glücklich zu sein. Sie können Reichtum aufhäufen, indem sie körperlich und geistig hart arbeiten, aber wenn sie versuchen, auf einem kürzeren Weg zu Reichtum zu kommen, so kann man sicher sein, daß dieser kürzere Weg in einer Sackgasse endet, in der eine Phalanx von Gläubigern mit steinharten Gesichtern sitzt und der Richter, der sie wegen Bankerotts verurteilt. Glück gibt es für sie nicht, die Glücklichen werden nur selten geboren.

Bei andern liegt die Lebensführung vollständig in den Händen der zweiten Seele, die die ganze Welt durchwandert, um günstige Chancen für ihren Partner herauszufinden.

So kommt es, daß gewissen Menschen, zu denen auch Augustus Tibbetts gehörte, die Glücksgüter wunderbarerweise in den Schoß fallen. Sie kommen auf keine andere Weise, mögen die Leute auch noch so klug und erfahren sein.

Eine größere Weltkenntnis würde sogar ihren Geist hindern und mit der Zeit ihre Macht zerstören, ebenso wie die Erziehung die feineren Naturinstinkte vernichtet. Während der studierte Professor, der Direktor der Erdbebenwarte, glücklich und ohne Vorahnung der kommenden Erdstöße bei Tisch sitzt, zittert sein Hund schon furchtsam unter dem Tisch.

Durch diese kurze Vorrede soll nicht behauptet werden, daß Bones ein Narr war. Er war klug, unheimlich klug in mancher Beziehung. Seine Erfolge waren zu neun Zehnteln seiner natürlichen Begabung zuzuschreiben, und seine zweite Seele vollbrachte das übrige.

Man kann die Wirksamkeit dieser verborgenen Kraft nicht besser illustrieren, als wenn man die Geschichte des großen Jutehandels und der Miß Bertha Stegg erzählt.

Die Wahrheit über die große Jutespekulation der Regierung ist schnell gesagt. Ein Beamter an hervorragender Stelle hatte plötzlich mitten im Krieg die glänzende Idee, enorme Mengen Jute für die Herstellung von Sandsäcken aufzukaufen. Er hatte aber nicht einkalkuliert, daß er dadurch die Juteleute in Dundee zum Wahnsinn trieb. Es war ihm nicht klar, daß die günstige Lage, in die er sein Departement zu bringen hoffte, doch voraussetzte, daß die Dundee-Kaufleute ganz und gar mit Blindheit geschlagen und nicht fähig waren, die Entwicklung der Dinge zu beurteilen.

Wie vorauszusehen war, hatten sich die großen Herren in Dundee gut und klug eingedeckt, und ihre Vorräte waren groß genug, um alle Anforderungen der Regierung zu decken. Und als nach dem Kriege das Materialbeschaffungsamt die eingekauften Waren zu einem Preis anbot, der für die Regierung noch einen annehmbaren Profit übrigließ, lachten die Großkaufleute in Dundee lang und laut.

So kam es, daß bei Kriegsende eine große Menge Jute in den Händen der Regierung war, die niemand brauchte. Sie stand zu einem Preis in den Büchern, den niemand bezahlen wollte und konnte. Dann stellte eines Tages ein Mitglied des Unterhauses eine unangenehme Frage an die Regierung. Es wurde dem verantwortlichen Staatssekretär heiß, und er formulierte die Beantwortung in solchen Ausdrücken, daß das Land glauben konnte, die abnorm hoch eingekauften Jutevorräte bedeuteten für die Regierung noch ein gutes Geschäft. Man hoffte, sie eines Tages mit gutem Verdienst zu verkaufen.

Mr. Augustus Tibbetts wußte nichts von Jute, aber er las fast jeden Morgen in den Tageszeitungen, daß Leute große Quantitäten Leinen oder Tuch oder Automobilchassis kauften, ungeheure Summen zahlten und gleich darauf ungeheure Gewinne einsteckten. Jedesmal, wenn er einen solchen Bericht las, rückte er unruhig auf seinem Stuhl hin und her und war unglücklich, daß er das Geschäft nicht gemacht hatte.

Aber eines Nachmittags kam ein gewandter Herr im Gehrock in sein Bureau. Auf seiner Karte stand: Materialbeschaffungsamt. Das Ergebnis der Unterredung war, daß Bones zitternd vor Aufregung zu einem düsteren Bureau nach Whitehall fuhr, wo er mit einem sehr hohen Beamten sprach.

Hamilton hatte die Vorgänge mit Interesse und Argwohn beobachtet. Wenn Bones geheimnisvoll war, dann war er gleich sehr geheimnisvoll. Und er kehrte an diesem Abend in einer so rätselvollen Verfassung zurück, daß niemand außer einem gedankenlesenden Detektiv etwas aus ihm hätte herausbringen können.

»Sie scheinen ja höllisch mit sich selbst zufrieden zu sein!« sagte Hamilton. »Was für einen beklagenswerten Irrtum haben Sie wieder begangen?«

»Lieber, alter Ham«, erwiderte Bones mit dem hilflosen, kleinen Lächeln, das seine Gemütsverfassung charakterisierte, »warten Sie bis morgen. Ich will den Eindruck nicht zerstören. Lesen Sie Ihre nette, alte Zeitung, mein lieber, alter Inquisitor.«

»Waren Sie auf dem Polizeigericht?« fragte Hamilton.

»Polizeigericht? Polizeigericht?« sagte Bones aufgebracht. »Großer Gott, mein Junge, warum werden Sie so vulgär? Lerne und lebe, mein lieber Freund!«

Hamilton lebte auch bis zum nächsten Morgen und lernte dann. Er sah die Überschriften, als er die Zeitung öffnete.

Großes Geschäft in Jute.

Ein hervorragender Geschäftsmann der City kauft die Jutevorräte der Regierung für eine Million.

Hamilton war auf dem Weg zum Bureau und sank mit einem unterdrückten Stöhnen in die Ecke des Abteils zurück. Er rannte beinahe zu Bones, der im Zimmer auf und ab ging und einem Reporter ein Interview diktierte.

»Eine Minute, eine Minute, lieber, alter Ham!« sagte er warnend. Dann wandte er sich wieder zu dem eifrigen Journalisten und fuhr da fort, wo Hamilton ihn unterbrochen hatte. »Sie können sagen, daß ich einen großen Teil meines Lebens in schrecklich gefährlichen Situationen zugebracht habe. Sie brauchen nicht mitzuteilen, wo, aber sagen Sie ›in schrecklich gefährlichen Situationen‹.«

»Was soll ich nun über die Jute berichten?« fragte der junge Mann.

»Jute«, sagte Bones mit Wohlgefallen, »oder wie wir es nennen, Corcharis capsilaris, kommt von dem berühmten Jutebaum. Ich habe mich immer für die Jute interessiert und für all solche Dinge – aber Sie können das weit besser sagen als ich. Sie können auch noch schreiben, daß ich jung bin – aber nein, tun Sie das lieber nicht. Schreiben Sie so: Mr. Tibbetts trägt, obgleich er scheinbar jung aussieht, auf seinen harten, alten Gesichtszügen die Zeichen der Jahre, die er im Dienste seines Vaterlandes in den Tropen zubrachte. Ein gewisser Zug melancholischer Traurigkeit lebt in seinen lustigen, alten Augen. Sie wissen ja, wie Sie das sagen müssen!«

»Ich weiß«, sagte der Journalist und erhob sich.

»Sie werden das Interview in der nächsten Ausgabe sehen, Mr. Tibbetts.«

Als er gegangen war, schwankte Hamilton auf Bones zu.

»Bones«, sagte er mit schwacher Stimme. »Sie haben doch nicht etwa diese Jute für eine Million gekauft?!«

»Eine Million ist etwas übertrieben, mein lieber, alter Sportsmann. Es ist wahrscheinlich nur die Hälfte der Summe und sie braucht erst in einem Monat bezahlt zu werden. Hier ist der Kontrakt. Lassen Sie sich nicht beunruhigen, werden Sie nicht böse und erschrecken Sie nicht, Ham, mein lieber, alter Knabe! Ich habe mir alles überlegt und wohl durchgerechnet. In der nächsten Woche werde ich fünfzigtausend Pfund daran verdient haben.«

»Aber was zahlen Sie denn dafür?« fragte Hamilton mit gebrochener Stimme. »Ich meine den Einheitspreis für die Tonne?«

Bones nannte eine Zahl, und Hamilton notierte sie. Er hatte zufällig einen Freund im Jutehandel, der in Dundee eine große Mühle besaß. An diesen sandte er ein eiliges Telegramm. Danach sah er den Vertrag in Muße durch. Auf der vierten Seite des interessanten Dokumentes fand sich § 7, der folgendermaßen lautete:

›Jede der beiden Parteien, die den Kontrakt unterschrieben haben, kann aus irgendeinem Grunde der anderen Partei innerhalb vierundzwanzig Stunden nach Zeichnung des Vertrages eine Kündigung schicken, wonach dieser Vertrag aufgelöst ist.‹

Er las Bones diesen Paragraphen vor.

»Das ist doch eigentlich widersinnig. Was soll denn das bedeuten?«

»Mein lieber, alter Kapitän, wie soll ich das wissen? Vermutlich ist das für den Fall vorgesehen, daß die Regierung eine bessere Offerte erhält. Immerhin, mein lieber, alter Furchthase, ist es ein Vertrag, den ich nicht kündigen werde – das können Sie mir glauben!«

Am nächsten Nachmittag kehrten Bones und Hamilton von ihrem einfachen Mittagessen zurück und erreichten den pompösen Eingang des Gebäudes, in dem die Firma Schemes Ltd. ihre Bureaus hatte, fast zu gleicher Zeit wie eine prächtige Limousine. Sie war ihnen aber soweit voraus, daß der Chauffeur Zeit genug hatte, abzusteigen, den Verschlag zu öffnen und einer schönen Dame herauszuhelfen, die in einen großen Pelzmantel gehüllt war und eine kleine Mappe unter ihrem Arm trug.

Sie hatte einen schwungvollen Gang und ihr ganzes Auftreten sprach davon, daß sie mit sich und der Welt zufrieden war.

Bones, der in gewisser Hinsicht ein Kenner und den Freuden dieser Welt nicht abgeneigt war, zog die Lippen zusammen und unterbrach plötzlich die Unterhaltung mit Hamilton, die sich um die vermutlichen Gewinne in dem Jutehandel drehte.

»Ham, mein lieber, alter Kerl, das ist ein echter Chinchillapelz, der mindestens seine zwölfhundert Pfund wert ist!«

Hamilton, dem Frauenkleider ehrbare Geheimnisse waren, zweifelte nicht an dieser sensationellen Feststellung.

»Wo Sie diese detaillierten Kenntnisse herbekommen, ist mir ein Wunder, Bones. Sie gehen doch nicht viel in Gesellschaft, und die Frauen sind doch auch nicht so hinter Ihnen her und geben sich nicht viel mit Ihnen ab.«

Bones hustete.

»Mein Privatleben, lieber, alter Freund, ist eine Sache, die niemand etwas angeht als A. Tibbetts Esq. Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie zurechtweise. Es gibt viele Dinge, die Sie wissen, mein alter Ham. Ich dachte schon daran, ein Buch darüber zu schreiben, aber das würde zuviel Zeit kosten.«

In diesem Augenblick erreichten sie den Aufzug, der eben herabkam, um die schöne Dame in dem braunen Mantel hochzufahren. Bones nahm seinen Hut ab, strich mit der Hand über das glatte Haar und sagte: »Nach Ihnen, mein alter Freund – dem Alter muß man immer den Vortritt lassen.« Damit schob er Hamilton voran und folgte ihm.

Der Lift hielt im dritten Stockwerk, und die Dame ging hinaus. Bones, dessen Neugierde die Achtung vor dem Alter Hamiltons besiegte, folgte ihr auf dem Fuß und war überrascht, als er entdeckte, daß sie direkt auf sein Bureau zuschritt. Sie zögerte einen Augenblick vor der Türe, auf der das Wort »Privat« prangte, und trat durch den anderen Eingang in das äußere Bureau.

Es konnte zu der Zeit eigentlich nicht mehr behauptet werden, daß das innere Bureau das Allerheiligste darstellte. Auf diesen Titel konnte eher das äußere Bureau Anspruch erheben, in dem ein Wesen saß, dessen fähige kleine Finger über komplizierte Tastenreihen glitten.

Die Verbindungstür öffnete sich und dieses Wesen erschien. Hamilton sah nicht hin, eingedenk einer gewissen Abmachung mit seinem Partner.

»Es ist eine Dame da, die eine private Unterredung mit Mr. Tibbetts wünscht.«

Bones richtete sich übertrieben plötzlich auf.

»Eine Dame?« sagte er ungläubig. »Großer Gott! Das ist mir aber ganz etwas Neues, mein liebes, gutes Fräulein! Lassen Sie sie, bitte, herein! Sie will ein Privatgespräch mit mir haben?« Er schaute bedeutungsvoll auf Hamilton. Aber dieser blickte immer noch nicht auf. »Eine Privatbesprechung?« sagte Bones lauter. »Wünscht die Dame mich in meinem Bureau zu sehen?«

»Vielleicht möchten Sie sie in meinem Zimmer sehen?« fragte Marguerite. »Ich kann ja solange hier bei Mr. Hamilton bleiben.«

Bones schaute wütend auf den harmlosen Hamilton.

»Das ist nicht notwendig, meine liebe, nette Sekretärin«, sagte er steif. »Bitte, führen Sie die junge Dame herein!«

Und die ›junge Dame‹ erschien, das heißt, sie wippte und tänzelte und wiegte sich in den Hüften von dem äußeren Bureau zu dem Stuhl von Bones. Er erhob sich feierlich und begrüßte sie.

Miß Marguerite Whitland, das schöne Wesen, das das Trippeln und Schwingen und wellenförmige Hüftenwiegen mit demselben Interesse beobachtete wie Cleopatra sich die Vorführung eines dressierten Seehundes angesehen hätte, ging in ihr Bureau zurück und schloß die Türe hinter sich.

»Nehmen Sie, bitte, Platz«, sagte Bones. »Was kann ich für Sie tun?«

Die Dame lächelte. Sie hatte das wunderbare Lächeln, das empfängliche Männer aufschauen läßt. Und Bones war empfänglich. Noch niemals war er von einem Paar so großer, sanfter, brauner Augen so liebevoll angesehen worden. Niemals hatten Wangen so prächtig geleuchtet und selten war ein so sonderbar verwirrendes Gefühl über ihn gekommen – aber es war ihm nicht unangenehm.

»Sicher störe ich Sie sehr, Mr. Tibbetts«, sagte sie. »Sie kennen meinen Namen nicht, hier ist meine Karte.« Sie hielt sie schon in der Hand und streckte sie Bones entgegen. Er klemmte umständlich sein Monokel ins Auge und las:

Miß Bertha Stegg.

In Wirklichkeit hatte er die Karte schon längst gelesen, ehe er sein Monokel aufsetzte. Aber erst nach dieser Zeremonie war die offizielle Bekanntschaft geschlossen.

»O ja«, sagte er. Er war gewöhnt, bei solchen Gelegenheiten die Rolle eines strengen, schweigsamen Mannes zu spielen. »Was können wir für Sie tun, meine liebe Miß Stegg?«

»Ich komme in einer wohltätigen Angelegenheit!« begann die junge Dame und lehnte sich zurück, um den Eindruck zu beobachten, den ihre Worte machten. »O, ich weiß genau, wie Geschäftsleute sind. Sie hassen gewöhnlich die Menschen, die sie in den Geschäftsstunden stören, um Subskriptionen einzusammeln. Und wirklich, Mr. Tibbetts, wenn ich Sie um Geld angehen sollte, wäre ich auch niemals zu Ihnen gekommen. Ich halte es wirklich für unfein, daß junge Damen die Herren in ihren Bureaus gerade während der geschäftigsten Zeit stören, um von Ihnen Summen für wohltätige Zwecke zu verlangen.«

Bones hustete. Er war noch niemals auf solche Weise gestört worden und freute sich jetzt, einmal diese Erfahrung zu machen.

»Ich komme wegen einer viel angenehmeren Angelegenheit. Wir halten einen Bazar für die Kleinkinderbewahranstalten in West Kensington ab.«

»Das ist ein wunderbarer Plan«, sagte Bones überzeugt.

Hamilton hatte als interessierter Zuhörer aufs neue Gelegenheit, das erstaunliche Selbstbewußtsein seines Partners zu bewundern.

»Das ist eine der besten Institutionen, die ich kenne«, sagte Bones nachdenklich. »Gewiß, es ist schon viele Jahre her, daß ich ein kleiner Bursche war, aber ich fühle mich noch immer sympathisch berührt, wenn ich an die netten, kleinen Kerle denke, mein liebes, junges Fräulein.«

Sie nahm ihre Mappe, die sie bis dahin noch unter dem Arm gehalten hatte und legte sie auf den Schreibtisch. Sie war in zartem Stahlblau und Silber gebunden und wurde durch eine blaue Schnur mit Silberquasten zusammengehalten. Bones schaute mit verzeihlicher Neugierde darauf.

»Ich bitte Sie nicht um Geld, Mr. Tibbetts«, fuhr Miß Stegg in ihrer sanften, süßen Stimme fort. »Ich hoffe, daß wir all das Geld, das wir brauchen, auf dem Bazar erhalten. Aber wir brauchen Dinge, die wir dort verkaufen können.«

»Das sehe ich vollkommen ein, mein liebes, nettes Fräulein«, sagte Bones eifrig. »Sie brauchen alte Kleider. Ich habe noch ein paar alte Anzüge zu Hause, die allerdings recht ausgebeulte Knie haben – aber Sie wissen doch, wie wir jungen Leute sind. Wir tragen sie, bis sie in Fetzen herunterfallen!«

Hamilton bekam einen großen Schreck und wandte sich eifrig wieder seinen Papieren zu.

»Ich vermute, daß Unterwäsche – wenn Sie die Erwähnung so indiskreter Sachen erlauben, meine liebe Philanthropin –« fuhr Bones fort. Aber er schwieg, als sie leicht den Kopf schüttelte.

»Nein, Mr. Tibbetts, es ist unendlich gütig von Ihnen, aber wir brauchen derartige Dinge nicht. Der Weg, auf dem wir hoffen, zu Geld zu kommen, ist der Verkauf von Photographien berühmter Leute.«

»Photographien berühmter Leute?« wiederholte Bones. »Aber, mein liebes Fräulein, ich habe mich seit Jahren nicht mehr photographieren lassen.«

Hamilton war schon soweit, daß er überhaupt nicht mehr staunte.

Die junge Dame öffnete ihre Mappe, nahm etwas heraus und legte es auf den Schreibtisch vor Bones.

»Wie klug von Ihnen, daß Sie das vermutet haben!« sagte sie. »Hier ist ein Porträt von Ihnen, das wir verkaufen wollen.«

Bones starrte wie vom Donner gerührt auf sein eigenes Bild. Es war offenbar eine Momentaufnahme, mit einer Pressekamera aufgenommen, als er sein Bureau verließ. Und noch mehr – es war ein Bild, das ihm schmeichelte. Denn sein Gesicht zeigte einen ernsten, entschlossenen Zug, der ihm sehr gefiel. Das Bild war eher in als auf einen Karton montiert, denn es war vertieft eingelegt und unter dem Porträt lag ein kleiner länglicher Streifen von blaßblauem Papier.

Bones sah glühend vor Erregung auf das Bild. In feinem sauberen Golddruck standen darüber die Worte: Die führenden Köpfe der Handelswelt. III: Augustus Tibbetts Esq. (Schemes Ltd.).

Bones las dies mit ungeheurer Genugtuung. Er war allerdings neugierig, wer die beiden anderen Männer sein konnten, die vor ihm rangierten, aber er war so großzügig, daß er gerne zugab, unter den Handelsfürsten Londons an dritter Stelle aufgeführt zu werden.

»Verflucht schmeichelhaft, mein liebes Fräulein. Hamilton, alter Knabe, kommen Sie doch und sehen Sie sich diese Sache einmal an.«

Hamilton kam von seinem Pult her, betrachtete das Bild und bewunderte es.

»Nicht so schlecht«, sagte Bones, neigte den Kopf auf die eine Seite und betrachtete die Photographie mit kritischen Blicken. »Gar nicht so schlecht, mein lieber Freund. Sie haben mich doch in dieser Stimmung schon öfter gesehen, alter Ham!«

»Was soll denn diese Haltung ausdrücken?« fragte Hamilton unschuldig. »Leiden Sie etwa an Verdauungsstörungen?«

Die junge Dame lachte.

»Wir wollen es einmal bei Licht genauer betrachten«, sagte Bones. »Ham, drehen Sie doch einmal das elektrische Licht an!«

»Ach nein«, sagte sie schnell, »das würde ich nicht empfehlen. Wenn Sie das Bild in hellem Licht sehen, denken Sie vielleicht, daß es nicht gut genug ist, und dann hätte ich meinen Weg umsonst gemacht. Lassen Sie das lieber, Mr. Tibbetts!«

Bones kicherte. In diesem Augenblick erschien Miß Whitland wieder auf der Bildfläche und Bones winkte sie heran.

»Werfen Sie einmal einen Blick hierher, mein junges Fräulein. Was denken Sie davon?«

Das Mädchen kam zu der Gruppe, schaute auf das Bild und nickte.

»Sehr hübsch«, sagte sie und dann betrachtete sie die Dame.

»Es soll für wohltätige Zwecke verkauft werden«, sagte Bones sorglos. »Irgendein verrückter Götze wird es vermutlich in seinem Wohnzimmer aufhängen. Sie wissen, Ham, ich kann diese Heldenverehrung überhaupt nicht verstehen. Und nun, meine junge Menschenfreundin, was soll ich nun tun? Was wünschen Sie von mir? Soll ich Ihnen meine Erlaubnis geben? Die haben Sie schon!«

»Ich möchte gern Ihre Unterschrift unter das Bild haben, zeichnen Sie, bitte, hier!« Sie zeigte auf eine kleine Stelle unter dem Bild. »Und geben Sie mir, bitte, die Genehmigung, daß ich es so teuer verkaufen darf als ich kann.«

»Mit dem größten Vergnügen«, antwortete Bones.

Er nahm seine große, lange Feder und malte seine charakteristische Unterschrift auf die Stelle, die sie ihm angegeben hatte.

Miß Marguerite Whitland machte plötzlich etwas ganz Merkwürdiges. Ihre Tat war so kühn und erstaunlich, daß Bones' Herz mit Schrecken und Entsetzen erfüllt wurde.

Bevor er den Löscher vom Pult nehmen konnte, hatte sie ihren Zeigefinger auf die Unterschrift gelegt und wischte die nasse Tintenschrift aus, so daß nur noch ein unentzifferbarer Schmutzfleck an der Stelle stand.

»Meine liebe, alte Sekretärin«, stöhnte Bones, »zum Teufel noch mal!«

»Sie können dieses Bild hier lassen, Madam!«

»Fräulein!« murmelte Bones gewohnheitsmäßig. Selbst in seiner Erregung konnte er der Versuchung nicht widerstehen, zu unterbrechen.

»Lassen Sie das Bild nur ruhig hier, Miß Stegg«, sagte Marguerite kühl. »Mr. Tibbetts wird es seiner Sammlung einverleiben.«

Miß Stegg sagte nichts.

Sie erhob sich, schaute das Mädchen fest an, wandte sich ohne ein Wort der Widerrede oder Erklärung um und verließ schnell das Bureau. Hamilton öffnete ihr die Tür und beobachtete, daß sie plötzlich nicht mehr tänzelte und sich in den Hüften wiegte.

Als sie fortgegangen war, schauten sie sich gegenseitig an oder vielmehr, sie schauten erstaunt auf Marguerite, die die Photographie untersuchte. Sie nahm ein kleines Messer von dem Tisch, führte es in die dicke Pappumrahmung ein und hob eine Lage Karton ab. Bones' Bild war bald von allen Umhüllungen und Rahmen befreit. Unter der Photographie zeigte sich ein Scheck der III. Nationalbank. Es war ein Blankoscheck, der Bones' unleugbare Unterschrift auf dem Rande rechts unten in der Ecke trug. Man konnte sie selbst durch den Schmutzfleck noch entziffern.

Bones sah starr auf das Blatt.

»Das ist doch das merkwürdigste Ding, das ich jemals in meinem Leben gesehen habe, meine liebe, nette Sekretärin«, sagte er. »Das ist ja dieselbe Bank, bei der ich meine Depots habe.«

»Das vermutete ich auch«, sagte Marguerite.

Plötzlich ging Bones ein Licht auf. Er atmete schnell.

»Donnerwetter«, brüllte er. »Diese verrückte, unnütze Frau – wie hieß sie doch – hat mich einen Blankoscheck unterzeichnen lassen! Mein Autogramm! Auf einem Scheck! ...«

Bones schwätzte weiter, als sich dieser schurkische Plan mehr und mehr vor seinen Blicken entfaltete.

Die Erklärung folgte schnell. Marguerite hatte in einer Zeitung gelesen, daß die Leute davor gewarnt wurden, ihre Unterschriften zu geben, und die Polizei hatte eine oberflächliche Beschreibung von zwei »gutgekleideten Damen« veröffentlicht, die unter diesem oder jenem Vorwand von reichen, aber unklugen Leuten Unterschriften sammelten.

»Meine liebe, geschickte Sekretärin«, sagte Bones bewegt, »Sie haben mich vor dem Ruin bewahrt! Gott allein weiß, was sich ereignet hätte oder wo ich heute nacht geschlafen hätte, meine liebe, teure Retterin, wenn Ihre kleinen Perlenaugen nicht wie ein Korkenzieher durch den Rücken dieser alten, nichtswürdigen Lady gedrungen wären und ihre Absichten enthüllt hätten!«

»Ich denke, daß dies weniger eine Sache meiner Perlenaugen war,« sagte Marguerite ohne große Begeisterung für diese Beschreibung, »als meines Gedächtnisses.«

»Ich kann es nicht verstehen«, sagte Bones verblüfft. »Sie kam in einem wunderschönen Wagen –«

»Den sie auf zwei Stunden für fünfundzwanzig Schilling gemietet hatte!«

»Aber sie war so elegant gekleidet, sie hatte einen Chinchillapelz –«

»Imitation!« sagte Miß Marguerite Whitland, die wenig Illusionen hatte. »Den können Sie für fünfzehn Pfund in jedem Laden in Westend kaufen!«

Miß Bertha Stegg war entsetzlich wütend, als sie eilig nach Pimlico zurückkehrte. Sie teilte mit ihrer Schwester eine Wohnung in der ersten Etage. Vollständig aufgelöst kam sie zu der älteren Miß Stegg, die sofort sah, daß sich etwas ereignet hatte.

»Was ist geschehen?« fragte sie.

Sie war eine große, knochige Frau mit harten, müden Zügen, und der Charme ihrer jüngeren Schwester fehlte ihr vollkommen.

»Vollständig vorbeigelungen«, sagte Bertha kurz. »Ich war schon soweit, daß er das Bild unterzeichnet hatte – und dann hat eine (ich unterlasse die wenig schmeichelhafte Bezeichnung, die sie Miß Marguerite Whitland gab) den Namenszug mit dem Finger ausgewischt.«

»Hat sie die Sache gemerkt?« fragte Clara. »Hat man dich angehalten und verhört?«

»Nein.« Bertha zog ihren Mantel aus, legte ihren Hut ab und brachte ihre Frisur in Ordnung. »Ich bin schnell fortgegangen und mit dem Auto zurückgefahren.«

»Wird er es der Polizei melden?«

»Ich glaube kaum«, sagte Bertha. »Er ist nicht von der Art. Macht dich der Gedanke nicht verrückt, Clara, daß dieser Narr Millionen hat, die er ausgeben kann? Wissen wir, was er alles macht? In ein paar Tagen verdient dieser Kerl Hunderttausende. Ärgerst du dich nicht auch darüber?«

Sie unterhielten sich über Bones und nannten ihn mit wenig schönen Namen. Sie verglichen ihn mit allen möglichen Vertretern der Tierwelt, aber schließlich kamen sie zu einer vernünftigeren und ruhigeren Auffassung der Sache.

Miß Clara Stegg setzte sich auf ein wenig sauberes Sofa, das nun einmal zu einer möblierten Pimlico-Wohnung gehört. Und während sie ihren Ellenbogen auf die eine Hand stützte und das Kinn in die andere legte, dachte sie über die Lage nach. Sie war die geistige Leiterin des kleinen Planes, der schon verschiedenen leichtgläubigen Finanzleuten in der City Londons viel Kummer und Verdruß gebracht hatte.

Die Steggs spezialisierten sich auf die Finanz und arbeiteten ausschließlich in höchsten Kreisen. Es gab keine Bewegung auf dem Markt, die Miß Clara Stegg nicht bemerkte. Sie wußte es genau, wenn Gummi himmelhoch stieg oder Stahl schwach wurde, und sie wußte auch, welche Leute davon in Mitleidenschaft gezogen wurden und wie man sich ihnen nähern konnte.

Während des Krieges eröffneten die Schwestern Stegg sozusagen eine neue Abteilung, indem sie mit Regierungsverträgen handelten. Die Dinge, die sie über die Einkünfte von Regierungslieferanten wußten, hätten manchem Steuerbeamten zu denken gegeben.

»Es war mein Fehler, Bertha,« sagte Clara schließlich, »obgleich es auch in einer Beziehung nicht mein Fehler war. Ich versuchte es einfach, weil er eben ein einfacher Mensch ist. Wenn man bei einem solchen Kerl kompliziert anfängt, schöpft er gleich Verdacht.«

Sie ging aus dem Zimmer und kam sofort wieder mit vier gewöhnlichen Heften zurück. Eins davon öffnete sie auf einer Seite, die mit feinen Schriftzügen bedeckt war. Es war ein Blatt Briefpapier darüber geklebt, das den Briefkopf der Schemes Ltd. trug. Der Brief hatte Bezug auf eine Bitte um ein Autogramm, die Bones gnädig gewährt hatte.

Die ältere Frau blickte auf die Unterschrift und biß sich auf die Lippen.

»Es ist fast zu spät jetzt – wieviel Uhr haben wir?« fragte sie.

»Halb vier«, erwiderte ihre Schwester.

Miß Stegg schüttelte den Kopf.

»Die Banken sind geschlossen und trotzdem –«

Sie trug das Heft zum Tisch und nahm ein Blatt Papier und eine Feder. Nach einem eifrigen Studium von Bones' Handschrift machte sie ungefähr ein Dutzend Versuche und brachte dann eine Kopie zuwege, die schwer vom Original zu unterscheiden war.

»Wirklich meisterhaft«, sagte ihre Schwester anerkennend.

Clara gab keine Antwort. Sie kaute an dem Ende des Federhalters.

»Mir ist der Gedanke unerträglich, daß wir London verlassen müssen und er all das Geld behalten soll, Bertha«, sagte sie. »Ich wundere mich –,« sie wandte sich an ihre Schwester – »hole doch alle Abendzeitungen. Es steht sicher etwas über ihn darin. Ich habe eine Idee.«

Es stand viel von Bones in den Zeitungen, die Bertha brachte. In einem der Journale fanden sie ein sehr wichtiges Interview, das einen Überblick über Bones' Leben gab und seinen Charakter und seine allgemeine Erscheinung beschrieb. Clara las diesen Bericht sehr sorgfältig.

»Hier steht, daß er eine Million ausgibt, aber ich glaube, das ist eine Lüge«, sagte sie. »Ich habe den Jutehandel seit langer Zeit verfolgt. Die Hälfte der Summe könnte eher stimmen.« Sie runzelte die Stirn. »Ich wundere mich –«

»Warum?« fragte Bertha ungeduldig. »Warum wunderst du dich? Das einzige, was wir tun können, ist verschwinden.«

Wieder ging Clara aus dem Zimmer und kam mit Dokumenten zurück. Sie legte die Papiere auf den Tisch. Bertha sah, daß es meistens Blankoverträge waren. Clara wandte einen nach dem andern um, bis sie schließlich zu einem Formular kam, auf dem »Heereslieferung« stand.

»Das ist das richtige«, sagte sie.

Sie las die Paragraphen durch und dann warf sie den Vertrag verärgert fort.

»Es steht leider nichts darin, daß er eine Kaution stellen muß«, sagte sie. »Und selbst, wenn dies sein sollte, bezweifle ich doch sehr, daß ich sie selbst gegen seine Unterschrift herausbekommen würde.«

Eine Viertelstunde später nahm Miß Clara Stegg den Kontrakt wieder auf und las die enggedruckten Paragraphen noch einmal sorgfältig durch.

»Ich ärgere mich doch zu sehr, daß dieser Kerl ungezählte Gelder verdienen soll«, sagte sie, als sie am Ende war.

»Das hast du vorher auch schon behauptet«, sagte ihre Schwester scharf.

An diesem Abend kam Bones um sechs Uhr nach Hause. Um neun Uhr saß er in dem Wohnzimmer seiner wunderschönen Behausung, die durch indische und persische Vorhänge reich geschmückt war. Die Lichter waren dezent abgeblendet. Als Hamilton plötzlich zu ihm kam, verbarg er hastig das Gedicht, an dem er gerade schrieb und steckte es unter das Löschpapier. Es war ein schönes Gedicht, das so begann:

»O Marguerite, du süßes Wesen,
Hilfreich bist du heute mir gewesen!«

Bones war nicht mit Unrecht über diese Störung seiner Mußestunde verärgert.

Hamilton sah sehr schlecht aus.

»Bones,« sagte er ruhig, »ich habe ein Telegramm von meinem Freund in Dundee bekommen – soll ich es vorlesen?«

»Mein lieber, alter Kerl,« sagte Bones erregt, »wirklich, zu dieser Nachtzeit – Ihre Freunde in Dundee – wirklich, mein lieber, alter –«

»Soll ich lesen?« sagte Hamilton mit düsterer Ruhe.

»Meinetwegen, meinetwegen«, sagte Bones. Auf seinen Gesichtszügen stand Resignation.

»Hier ist es. Es beginnt ›Dringend‹.«

»Das heißt, daß dieser Teufel es eilig hatte, mein lieber, alter Freund«, sagte Bones und nickte.

»Und es fährt fort,« sagte Hamilton, ohne die Unterbrechung zu beachten, »Ihr Kauf ist bei dem jetzigen Preis von Jute katastrophal. Jute wird nie wieder den Preis erreichen, den Ihr Freund dafür bezahlt hat. Ministerium versucht seit Jahren, dummen Käufer für Jute zu finden. Hälfte der Regierungsvorräte ist durch schlechte Lagerung verdorben. Ich schätze, daß Sie die halbe Summe, die Sie bezahlt haben, verlieren.«

Bones riß die Augen weit auf und erhob sich.

»Gebe Ihnen dringend den Rat, Ihren Kauf auf Grund des § 7 des Ministerialvertrages zu annullieren. – Das ist alles«, sagte Hamilton.

»O ja«, erwiderte Bones schwach und steckte seinen Finger in den Kragen. »Das ist alles!«

»Was denken Sie nun, Bones?« fragte Hamilton freundlich.

»Nun wohl, meine liebe Wolke am Horizont.« Bones schlug auf seine knochigen Knie. »Das sieht sehr bedenklich für B. Ones Esq. aus. Tatsächlich. Natürlich sind Sie nicht an diesem Geschäft beteiligt, alter Ham. Das war eine Privatspekulation von mir –«

»Zum Teufel!« sagte Hamilton verächtlich. »Sie werden doch nicht einen so hinterlistigen Trick wie diesen mit mir versuchen? Natürlich bin ich daran beteiligt! Wenn Sie in dem Geschäft sind, bin ich es auch!«

Bones wollte widersprechen, aber es wurde ihm schwach und er hielt den Mund. Dann schaute er nach seiner Uhr, seufzte und schlug die Augen nieder.

»Es ist leider zu spät, den Vertrag jetzt aufzuheben?«

Bones nickte.

»Vierundzwanzig Stunden, mein liebes, altes Opfer«, sagte er zu sich selbst. »Die Zeit ist um fünf Uhr heute nachmittag abgelaufen.«

»Ja, das ist nun einmal so«, sagte Hamilton. Er ging aber zu Bones und klopfte ihm auf die Schulter.

»Bones, man kann nichts daran ändern. Vielleicht sieht mein Freund in Dundee die Sache zu schwarz.«

»O nein, o nein, mein lieber, mutiger Tröster. Wir werden unsere Ausgaben jetzt einschränken müssen. Wir werden kleinere Bureauräume nehmen und wieder von vorn anfangen, mein lieber, alter Ham.«

»Es wird schon nicht so schlimm!«

»Nicht ganz so schlimm«, gab Bones zu. »Aber etwas, etwas«, sagte er mit plötzlich erwachender Energie. »Von etwas werde ich mich nie trennen, was auch immer geschehen mag. Regen oder Sonnenschein, Sonne oder Mond, Sterne oder irgend etwas von diesen netten, alten Dingen –,« er sprach schon etwas zusammenhanglos, »ich werde niemals meine Sekretärin im Stich lassen, nie – niemals, niemals, niemals!«

Am nächsten Morgen stand er auf und schaute vergnügt drein. Hamilton, der eine schlaflose Nacht verbracht hatte, glaubte, daß es Bones ebenso gegangen sei.

Miß Marguerite Whitland brachte ihm die Post, und er sah sie schweigend durch, bis er zu einem großen Kuvert kam, das auf der hinteren Klappe das ihm nur allzu vertraute Siegel des Ministeriums trug. Er schaute es an und verzog das Gesicht.

»Er ist vom Ministerium!« sagte Marguerite.

Bones nickte.

»Ja, meine liebe Sekretärin, mein armes, junges, verstoßenes –« seine Stimme wurde plötzlich weich – »durch die räuberischen und nichtswürdigen alten Spekulationen eines Menschen, der Ihre netten, alten Interessen hätte wahrnehmen sollen – ja, der Brief ist vom Ministerium.«

»Wollen Sie ihn denn nicht öffnen?« fragte sie.

»Nein, meine liebe, junge Sekretärin, das will ich nicht tun«, sagte Bones fest entschlossen. »Da steht doch bloß etwas von der verfluchten Jute drin. Ich soll sie natürlich aus den Depots fortholen – wo zum Teufel soll ich diese großen Mengen nur unterbringen? Sprechen Sie mir nie wieder von Jute!« sagte er heftig. »Ich will nichts mehr davon hören und sehen.«

Sie sah ihn erstaunt an.

»Warum – ist etwas passiert?« fragte sie ängstlich.

»Nichts – gar nichts – nicht das mindeste, meine Liebe!«

Sie stand zögernd, nahm dann den Brief und öffnete ihn.

Sie wußte nur, daß Bones einen großen Kauf in Jute gemacht hatte. Sie war hoffnungsfreudig, denn sie vertraute ihm in allen Dingen und glaubte, daß er eine große Summe bei diesem Geschäft verdienen würde.

Man kann sich daher ihre Bestürzung vorstellen, als sie den Inhalt des Briefes las.

»Warum haben Sie das getan?« stammelte sie. »Welchen Grund hatten Sie denn?«

»Was soll ich getan haben?« fragte Bones mit hohler Stimme. »Was soll ich für Gründe gehabt haben? Geldgier, meine liebe, alte Schwester, nichts als verrückte, böse Geldgier!«

»Aber ich dachte, Sie würden ein gutes Geschäft damit machen«, sagte sie verstört.

»Haha!« lachte Bones ohne Freude.

»Aber warum tun Sie es nicht?«

»Ich denke nicht daran«, sagte Bones freundlich.

»Aber warum haben Sie den Vertrag annulliert?«

Hamilton sprang auf.

»Den Vertrag annulliert?« sagte er ungläubig.

»Was meinen Sie damit?« rief Bones. »Was für ein unnützer, alter Märchenerzähler Sie sind!«

»Aber Sie haben doch gekündigt!« sagte sie. »Hier ist eine Nachricht vom Ministerium, in der das Bedauern ausgesprochen wird, daß Sie Ihre Meinung geändert haben und sich des § 7 bedienten. Der Kontrakt wurde um 4.49 Uhr aufgehoben.«

Bones schluckte.

»Das geht nicht mit rechten Dingen zu«, sagte er feierlich. »Nach all dem will ich nie wieder etwas gegen den Spiritismus sagen!«

Inzwischen waren zwei Damen in Paris angekommen. Ihre Stimmung war etwas gedrückt, und sie waren müde und staubig von der Reise, als sie bei dem Morgenkaffee vor dem Café de la Paix saßen.

»Trotzdem, meine Liebe,« sagte Clara gehässig, »haben wir dem jungen Teufel doch einige Unannehmlichkeiten bereitet. Es ist sehr leicht möglich, daß sie den Vertrag erneuern wollen, und der Beweis, daß er den Kündigungsbrief, den ich einsandte, nicht geschrieben hat, wird ihm viel Mühe kosten.«

Aber Bones machte niemals den Versuch, diesen Beweis zu erbringen.


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