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Im Klub der Dreißig

Überhaupt,« sagte Staatsanwalt Doktor Leo von Brake, »überhaupt – die Russen!«

»Was haben Sie gegen sie?«

Der diese etwas spöttische Frage tat, war Oberlandesgerichtsrat Doktor Agenor Fahlderg. Er stellte sie, indem er einer Zigarre die Spitze abschnitt, sich Feuer gab und dabei den Staatsanwalt auf jene überlegen-väterliche Art, die ihm eigen war, ansah.

Man war ja unter sich. Das heißt, man befand sich, nachdem man mehrere Gerichtsverhandlungen glücklich beendet hatte, in einem Zimmer des Oberlandesgerichts und ruhte sich aus. Der Oberlandesgerichtsrat genoß solche Stunden mit unverkennbarem Behagen, dem Staatsanwalt dagegen waren auch sie nur eine Art Station zur Vorbereitung auf neue Taten. Er war eine sehr schneidige und dabei sehr fahrige Natur.

»Was ich gegen sie habe? Ich mag sie an sich nicht.«

»Ich weiß.«

»Überhaupt,« knurrte Doktor Leo von Brake, »wenn ich schon das eine höre: ein Fürst! ... Ich bitte Sie, was ist das: ein russischer Fürst? Das war schon vor dem Kriege nicht viel und es ist jetzt schon garnichts! ... Mit einem Worte, ich mißtraue dem Mann!«

»Den Menschen mißtrauen, – das tun Sie ja immer!«

»Ja. Und habe ich nicht recht?«

»Dann und wann, – gewiß ...«

»Unsinn,« sagte Doktor Leo von Brake und zuckte unwillig mit den Schultern, »ich habe meistens recht, – nur, es liegt in der Natur der Dinge, daß es mir nicht ein jedesmal gelingt, den Beweis zu liefern, daß ich recht habe!«

»Was schließlich,« bemerkte der Oberlandesgerichtsrat, »in einem gewissen Sinne ein Glück ist.«

Im Gegensatz zum Staatsanwalt, der sehnig, hager, in seinem Äußeren peinlich korrekt und in Sprache und Gesten scharf und draufgängerisch war, war er ein Mann von behaglichem Format, rundlich in der Figur, fast nachlässig gekleidet, allezeit lächelnd und immer zu spöttischen Bemerkungen bereit, die freilich mehr erheitern als verletzen sollten. Doch der Staatsanwalt verstand in amtlichen Dingen keinen Spaß. Und von der Angelegenheit, die man da soeben angeschnitten hatte, meinte er, daß sie wenigstens schon halbamtlichen Charakter habe.

Man sprach von dem Fürsten Basil Lenski, von dem in bestimmten Kreisen Berlins ja zur Zeit alles sprach. Eigentlich fabulierte man schon mehr über ihn, als daß man über ihn redete. Was war von alledem, das über ihn zirkulierte, Wahrheit und was Fabel? Man konnte über seinen angeblichen Reichtum die erstaunlichsten Dinge hören und nicht minder Phantastisches über die geheimnisvolle Art, auf die er es verstehen sollte, seine Umgebung zu beeinflussen und zu beherrschen, – und das nicht etwa, indem er redete und etwas tat, sondern einfach nur dadurch, daß er eben da war.

»Unsinn,« knurrte Doktor Leo von Brake wieder. »Alle Mystik ist heller Unsinn und alle Suggestion ist Blech. Fest steht allein das eine, daß er beim Kartenspiel ein ganz unglaubliches Glück hat. Ein Glück, das verdächtig ist. Und das ist die Stelle, wo wir ihn packen müssen.«

»Sie meinen also, er spielt falsch?«

»Ja.«

»Wer hat ihn denn überhaupt hier eingeführt?« fragte der Oberlandesgerichtsrat.

»Ein gewisser Konrad Baron von Feistmantel. Ein Kavalier, der aus Wien stammt und der allein aus diesem Grunde schon Verdacht erregt.«

»Haha!«

»Die Angelegenheit ist, scheint mir, durchaus nicht so, daß man über sie lachen könnte. Die Angelegenheit ist recht traurig. Traurig und sehr ernst. Und überdies ist sie typisch. Typisch für unsere Zeit, in der sich wieder allerlei Abenteurer ungestraft breit machen dürfen, wie anno dazumal, wo es nur an der Dummheit der Mitwelt lag, daß Cagliostros und Casanovas und Charlatane ähnlichen Kalibers ihr Wesen treiben konnten ... Aber ich werde ihm das Handwerk legen!«

»Sie?«

»Ja, ich. Ich lasse mich nicht verblüffen. Ich bin nüchtern und habe Verstand und ich weiß, daß zweimal zwei vier ist und nicht mehr.«

»Was wollen Sie tun?«

»Ich gehe hin.«

»In den Klub der Dreißig?«

»Ja.«

»Sie wollen spielen?«

»Nein, aber ich will zusehen, wie er spielt. Und ich will mit ihm reden. Mit ihm reden und ihm sagen, was ich von ihm halte. Auf den Kopf will ich ihm das zusagen. Und ihn dann packen.«

»Lieber Brake,« sagte der Oberlandesgerichtsrat, »wenn Sie nur durch Ihr forsches Zugreifen die Sache nicht von vornherein verderben.«

Doktor Leo von Brake kniff die Lippen fest zusammen und ballte die Faust. »Sehe ich so aus? ... Nein, nein, – ich kann mich beherrschen. Kann mich beherrschen, bis es Zeit ist. Aber dann!«

Er zog den Talar aus, hängte das Barett an den Nagel und stand damit plötzlich in glänzender Abendtoilette da, jeder Zoll ein Gentleman, dessen Eleganz nur irgendwie doch Nüchternheit verriet, ohne daß man herausfand, woran das lag.

»Nun, – sind Sie schon so weit?«

Doktor Leo von Brake zog die Uhr. Es war gleich sieben. Für diese Zeit hatte er eine Autodroschke vor das Oberlandesgericht bestellt.

»Ja,« sagte er. »Zuerst esse ich noch bei Hiller. Dann fahre ich hin. Und morgen, so hoffe ich, wissen wir alles, wie wir mit dem Fürsten daran sind.«

»Dann guten Abend«, verabschiedete sich der Oberlandesgerichtsrat von ihm, »und recht viel Glück!« –

Nachdem Doktor Leo von Brake bei Hiller gegessen hatte, empfand er das Bedürfnis, über die Angelegenheit noch einmal gründlich nachzudenken. Er trank Wein sonst grundsätzlich nur mäßig. Doch diesmal bestellte er über die übliche halbe Flasche hinaus noch eine zweite ganze, weil ihm zu Mute war, als müßte ihm, wenn er leicht angeregt wäre, eine gute Idee kommen, die sein Vorhaben fördern würde.

Und seine Vermutung täuschte ihn auch nicht. Wenn ihm, während er jetzt trank, auch nichts Einzelnes einfiel, kein taktischer Zug oder Vorstoß etwa, wie er geglaubt hatte, so belebte sich doch sein Selbstvertrauen im allgemeinen, und seine Klugheit, die sonst nur nüchtern rechnete, bekam gleichsam weit ausgreifende Flügel.

Und eine nervöse Ungeduld bemächtigte sich seiner, das heftige Verlangen, schon im Spielzimmer des Klubs der Dreißig zu sein, einer Vereinigung von Berlins prominentester Lebewelt, zu der er durch einen jungen Bekannten Zutritt erhalten hatte.

Dieser junge Bekannte war Adalbert Hollander, ein Mann, gegen den Doktor Leo von Brake gleichfalls rein instinktmäßig eine Aversion hatte. Freilich, er wäre in arge Verlegenheit gekommen, wenn man von ihm verlangt hätte, er solle diese Abneigung begründen.

Was konnte man dem jungen Hollander vorwerfen? Doch wohl kaum mehr, als daß er erstaunlich viel Geld ausgab. Nun, das war kein Zug an ihm, der an sich unsympathisch wirken konnte, zumal er ja Geldmittel genug besaß.

Wie reich mochte er wohl sein? Das festzustellen, war ganz unmöglich. Jedenfalls hatte er, seit seinem Vater ein Unglück zugestoßen war, von dem man in Berlin nicht gern sprach, völlig freie Hand. Er war in hunderterlei Geschäfte und Unternehmungen verstrickt, von denen es bald hieß, daß sie sich glänzend rentierten, bald, daß sie nahe am Verenden seien. Vielleicht kannte sich der junge Mensch, der gierig und toll lebte, darin selbst nicht mehr so recht aus.

Durch ihn hatte Doktor Leo von Brake davon erfahren, daß in Berlin plötzlich ein Russe aufgetaucht sei, ein Fürst Basil Lenski aus Moskau, der durch die wahnsinnige Art, wie er in dem Klub der Dreißig spielte, ungeheures Aussehen erregte.

Er spielte so, als ob ihn das Geld, von dem er märchenhaft viel besitzen mußte, vollständig kalt lasse. Und das Sonderbare war, daß er fast regelmäßig gewann. Aber auch verlieren hatte man ihn schon gesehen und zwar enorme Summen, doch auch seinen Verlusten gegenüber hatte er sich mit der gleichen absoluten Teilnahmslosigkeit verhalten wie gegenüber seinen Gewinnen.

»Zumal auf mich hat er es abgesehen,« erklärte der junge Hollander, und in seiner Stimme zitterte ein nur mühsam verhaltener Grimm, »aber ich hoffe, die Stunde kommt, wo ich an ihm gründlich Revanche nehme.«

»Ob er nicht etwa falsch spielt?« warf Doktor Leo von Brake da ein.

Der junge Hollander stutzte. »Sie meinen –?«

Der Staatsanwalt zuckte mit den Schultern. »Ich gestehe, ich bin voreingenommen gegen eine solche absolute Teilnahmslosigkeit dem Gelde gegenüber und gegen die hohen Gewinne, die der Mann, wie Sie sagen, regelmäßig macht ... Spielt er denn täglich?«

»Das nicht ... Aber morgen spielt er!«

»Ich hätte große Lust, ihn einmal zu beobachten.«

»Gut,« rief der junge Hollander aus, »so kommen Sie doch in den Klub!«

»Ich werde kommen«, versprach Doktor Leo von Brake, »und ich schwöre Ihnen, daß ich dem Mann gründlich auf die Finger sehen will!«

Doktor Leo von Brake trank den Rest seines Weines aus und bezahlte. Er hatte sich so intensiv mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er es erst jetzt wahrnahm, daß er sich nahezu um zwei Stunden verspätet hatte. Hoffentlich kam er nicht zu spät. Er stand auf, und es verdroß ihn eigentlich, daß sein Kopf nicht mehr so recht klar war. Energie hatte er jetzt dafür für Drei!

Er nahm eine Autodroschke und nannte dem Chauffeur die Straße und die Nummer des Hauses, in dem sich das Klublokal befand.

Der Klub der Dreißig verdankte seinen Namen einem Einfall eines seiner Mitglieder. Dieses hatte eine Vereinigung von Männern schaffen wollen, die nach Vermögen und Namen streng gesiebt sein sollten. Die Mitgliederzahl sollte ursprünglich die dreißig nicht überschreiten, doch war der Zudrang zu dem Klub so groß gewesen, daß man mit diesem Grundsatz alsbald hatte brechen müssen. Der Klub, der keinerlei politische Ziele verfolgte, umfaßte heute schon mehr als fünfzig Mitglieder, denen es außerdem frei gestellt war, Fremde als Gäste einzuführen. Nichtsdestoweniger verhielt man sich noch immer streng exklusiv und duldete in seinen Reihen keine Leute, die nach Herkunft oder nach Art ihres Erwerbes irgendwie im Verdachte der Anrüchigkeit standen.

Es ging nahezu auf zehn, als Doktor Leo von Brake, von einem Diener geleitet, endlich den Spielsaal betrat, und er war, um das vorwegzunehmen, eigentlich ein wenig enttäuscht.

Alles, was er sah, machte durchaus nicht den Eindruck des Ungewöhnlichen. Der Saal war nicht allzugroß und noch weniger mit übertriebenem Luxus ausgestattet. Es sah gut bürgerlich hier aus, mit einem Stich ins Solid-Diskrete.

Die Aufmerksamkeit zog nur ein großer kreisrunder Spieltisch auf sich, der in der Mitte des Saales stand, doch gerade er war in diesem Augenblick unbesetzt. Eine größere Anzahl von Herren, etwa ein Dutzend, sah man vielmehr in einer Ecke des Saales, um einen kleineren Spieltisch geschart, wo sie offenbar dem Laufe eines Spieles folgten, das zwischen zwei Einzelnen ausgefochten wurde. Details erkannte Doktor Leo von Brake einstweilen noch nicht.

Die Aufmerksamkeit der Herren, die den kleineren Spieltisch umstanden, wurde von dem Spiel selbst in einem solchen Maße gefesselt, daß sie den Eintritt des Gastes gar nicht bemerkten.

Er trat hinter sie, und was er jetzt wahrnahm, machte ihn dermaßen verdutzt, daß er alle Mühe hatte, seine Kaltblütigkeit und Besonnenheit, die er um keinen Preis verlieren wollte, wirklich zu bewahren.

Es sahen bloß zwei Spieler an dem Tisch, und sie spielten Einundzwanzig. Der eine von ihnen war Adalbert Hollander. Aber der Staatsanwalt erkannte ihn kaum wieder.

Denn das Gesicht des jungen Mannes drückte eine Erregung aus, wie sie Doktor Leo von Brake noch an keinem Menschen beobachtet hatte, und zwar wirkte sie umso intensiver, je mehr Mühe sich der junge Hollander gab, ihrer Herr zu werden oder sie doch zu verbergen.

Seine Miene hatte etwas Verzerrtes, winzige Schweißperlen standen auf seiner Stirn, und seine Hände, wenn sie die Karten teilten oder abhoben, zitterten merklich. Die fieberhafte Spannung, die ihn zerquälte, war in ihm so groß, daß sie sich auch den umstehenden Zuschauern mitteilte und insbesondere in dem Staatsanwalt ein durch nichts abzuweisendes Angstgefühl erzeugte.

Um so drastischer wirkte daher auch der Kontrast, der von dem Partner des jungen Hollander ausging. Daß dies der Fürst sei, der sagenhafte Fürst Basil Lenski, das sagte dem Staatsanwalt sofort das Gefühl. Und indem er ihn, der geradezu maskenhaft in seiner kalten Ruhe da saß, nun näher ins Auge faßte, erbebte er unwillkürlich. Erbebte, obwohl er sich mit Heftigkeit dagegen sträubte, fest die Zähne zusammen beißend und all seinen Willen zusammen nehmend, da er sich kaltes Blut und einen klaren Blick bewahren wollte. Jedoch der Eindruck, den er von dem Gesicht des Fürsten empfing, war viel zu stark. Er war so zwingend, daß Doktor Leo von Brake so etwas wie Grauen in sich aussteigen fühlte.

War das denn überhaupt das Gesicht eines Menschen, was sich hier zeigte?

Wohl, es hatte eine hohe, prächtig gewölbte Stirn, einen intelligenten Mund und ein eckiges, scharf geschnittenes Kinn, das große Energie verriet, – aber dort, wo hätte die Nase sitzen müssen, die kühne, edle Nase, die allein zu diesem Gesicht paßte, – was saß dort?

Dort saß nicht, nein: dort hing eine Art Fleischlappen, der, wenn man ihn ansah – und man mußte ihn ansehen! – in einem physische Übelkeit erzeugte. Und über diesem Lappen, der keine Nase war, der vielmehr nur ein Loch zudeckte, das durch das Wegnehmen der ehemals vorhanden gewesenen Nase entstanden war, – über diesem Lappen saßen ein paar Augen, die ruhig und kalt und fast wie tot waren und denen dennoch ein irgendwie verträumter Ausdruck eigen war, die über die Dinge ringsum nicht hinweg, nein: durch sie hindurch sahen, so, als besäßen sie für sie keine Realität und noch weniger eine Bedeutung ...

Der Staatsanwalt hatte sich in den Anblick des Fürsten so versenkt, daß er dem Spiele keinerlei Beachtung geschenkt hatte. Seine Aufmerksamkeit wurde auf dieses erst gelenkt, als er merkte, wie durch die Reihen der Zuschauer plötzlich eine Welle gespanntester Erregung zu gehen schien. Diese erfaßte auch ihn, und er zwang sich, dem Spiele zu folgen, das offenbar an der entscheidenden Endphase angelangt war.

Mit einem schnellen Blick orientierte er sich. Während vor dem jungen Hollander, der sich mit einer hastigen Geste den Schweiß von der Stirn wischte, auch nicht ein einziger Geldschein mehr lag, waren die Banknoten, fast ausnahmslos Tausendmark-Scheine, vor dem Fürsten zu einem dicken Haufen aufgestapelt. Das Ergebnis des Spieles war also völlig klar: der junge Hollander hatte seinen ganzen Barbestand an den Russen verloren. Wollte er dennoch die Torheit begehen, noch weiter zu spielen?

»Nun?« fragte in diesem Augenblick der Fürst.

»Wir wollen noch ein letztes Spiel machen«, sagte der junge Hollander zitternd. »Um das Ganze ... Ist es Ihnen recht?«

»Um alles, was vor mir liegt?«

»Ja.«

»Es sind sechsmalhunderttausend ...«

»Das tut nichts ... Nehmen Sie an?«

»Ja,« sagte der Fürst.

Er mischte die Karten, und sein Partner hob ab. Der junge Hollander bekam eine Karte, der Fürst eine zweite, und beide blickten sie an.

»Noch eine?« fragte der Fürst.

»Ja.«

Er bekam sie, und auch der Fürst nahm noch eine zweite.

»Noch eine?«

»Ja.«

»Ich habe genug.«

Sie deckten um. Der junge Hollander hatte sechzehn, der Fürst aber einundzwanzig.

Ein allgemeines ›Ah!‹ der Befreiung ging durch die Reihen der Zuschauer, das sie von der qualvollen Spannung befreite.

Das Spiel war aus. Der junge Hollander hatte endgültig verloren.

Von seinem Gesicht war mit der Spannung auch die Erregung gewichen. Er sah matt und müde aus. Er riß von einem Notizblock ein Blatt Papier ab, beschrieb es hastig und schob es dem Fürsten zu.

»Es ist Ihnen doch recht, wenn ich Ihnen einstweilen einen Schuldschein gebe?«

Der Fürst nickte nur und steckte das Papier gelassen ein. Auch den Haufen Banknoten tat er gelassen in eine große Brieftasche. Dann gähnte er leicht und maß mit einem kühlen Blick den Kreis der ihn umstehenden Herren.

Der lichtete sich plötzlich, denn alle schlossen sich dem jungen Hollander an, der aufstand und, mit einer knappen Verbeugung gegen den Fürsten, den Tisch verließ.

Im Spielsaal wurde es nach der langen Stille, die bleiern über allen gelastet hatte, mit einem Male lebendig. Es bildeten sich Gruppen, und es schien, als bespreche man allgemein das Spiel, das im Grunde nichts anderes gewesen war als ein Zweikampf zwischen dem Fürsten und dem jungen Hollander, zu dem dieser schroff herausgefordert hatte.

Man spürte nichts von einer Animosität gegen den Fürsten, der sich durchaus fair verhalten hatte, und auch nichts von einem Bedauern gegen den jungen Hollander, dem man die Niederlage vielleicht gar gönnte, weil er allzu wild an seinen Gegner heran gegangen war, wie ein Wütender, der einem dumpfen Haßgefühl, das in ihm gegen den Fürsten bestehen mußte, hatte Luft machen wollen.

Während sich nun so die Menge über den Spielsaal hin verteilte, plauderte, rauchte und trank und auch wohl neue Spiele einleitete, verblieb der Fürst allein an seinem Tische, und ihm gegenüber verharrte Doktor Leo von Brake, der noch immer ohne Bewegung an seinem Platz stand und die Lehne eines Stuhles mit beiden Händen krampfhaft umfaßt hielt.

Der Blick des Fürsten fiel jetzt auf ihn, und beider Augen trafen einander für eine Weile, die lang genug war, auf daß sie beide erkennen konnten, daß sie Gegner auf Tod und Leben seien.

Der Fürst lächelte kühl und zuckte wie gelangweilt mit den Schultern. Das reizte den Staatsanwalt so sehr, daß er sich feig vorgekommen wäre, wenn er diese stumme Herausforderung nicht angenommen hätte.

Er nahm sie an. Und indem er sich dem Fürsten vorstellte, fragte er ihn, ob es ihm recht sei, wenn er für einige Minuten an seinem Tisch Platz nehme.

»Natürlich,« willigte der Fürst ein, »denn ich sehe, Sie haben mir etwas zu sagen.«

Der Staatsanwalt nickte. »Das habe ich. Und ich bedauere nur, daß ich vorläufig noch nicht imstande bin, das, was ich Ihnen unter vier Augen sagen möchte, auch zu beweisen.«

»Meinen Sie, daß die Stunde noch kommt?«

»Ja.«

»Nun,« sagte der Fürst, »ich will Sie in Ihren Hoffnungen nicht wankend machen, – aber ich fürchte doch für Sie, daß Sie sich täuschen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Haben Sie einen so scharfen Blick?«

»Den habe ich.«

»Und was sagt er Ihnen?«

»Daß Sie ein Verbrecher sind, Fürst.«

»Sie wollen sagen: ein Falschspieler?«

»Ja.«

Der Fürst lachte. »Soll ich Ihnen sagen, als was Sie mir erscheinen?«

»Tun Sie sich keinen Zwang an!«

»Verzeihen Sie, – als ein Kind –«

»Herr ...«

»– als ein Kind,« vollendete der Fürst, »das sich eine Aufgabe gestellt hat, Herr Staatsanwalt, die in einem entgegengesetzten Verhältnis zu seinen schwachen Fähigkeiten steht, die es besitzt ... Oder maßen sie sich wirklich an, es mit mir aufzunehmen?«

»Das tue ich.«

»Dann können Sie mir leid tun, Mann. So leid, daß ich fast Mitleid mit Ihnen fühle und mich die Lust anwandelt, Ihnen zu helfen.«

»Zu helfen? Mir?«

»Ja. Denn wenn ich das nicht tue und Sie Ihrem eigenen Scharfsinn überlasse, dann – dessen dürfen Sie versichert sein, Herr Staatsanwalt! – dann werden Sie über meine Person niemals ins Klare kommen, – und zwar umso weniger, je mehr Mühe Sie sich geben!«

»Das ist schon etwas,« erwiderte Doktor Leo von Brake mit einem Anflug von nervöser Gereiztheit, die er hinter einem spöttischen Ton zu verbergen suchte. »Sie geben also offen zu, daß Ihre Person mit allerlei Dingen verquickt ist, die –«

»– um die sich zu kümmern die Staatsanwaltschaft alle Ursache hätte, – meinen Sie?«

»Ja.«

»Das ist nicht unmöglich.«

»Dies Geständnis ist mir sehr wertvoll!«

»Trotzdem, – Sie werden damit nichts Rechtes anzufangen wissen.«

»Wer weiß.«

»Sprechen Sie amtlich mit mir?«

»Nein, bis jetzt nur privat.«

»Dann wollen wir doch,« meinte der Fürst, »unserer Unterhaltung eine Form geben, die ihren privaten Charakter auch ausdrückt ... Oder haben Sie etwas dagegen?«

»Nein.«

»Nun, – darf ich Sie dann zu einem Glas Wein einladen?«

»Warum nicht,« erwiderte Doktor Leo von Brake spöttisch, »ich nehme an.«

Der Fürst winkte einem Diener, und dieser brachte auf sein Geheiß eine Flasche Sekt. Der Fürst selbst füllte die Gläser und stieß mit dem Staatsanwalt an.

»Auf daß Sie Erfolg haben, Herr Doktor!«

»Auf Ihr Verderben, Fürst Basil Lenski!«

Sie tranken beide ihre Gläser leer, und der Fürst setzte das seine mit einem leichten Lächeln auf den Tisch zurück.

»Fürst Basil Lenski, – der bin ich in Wirklichkeit gar nicht!«

»Das weiß ich,« sagte der Staatsanwalt erregt. »Dieser Fürst, den Sie spielen, existiert ja überhaupt nicht.«

»Doch, er existiert. Er erholt sich zur Stunde in einem Sanatorium von den Strapazen seiner Flucht aus Rußland und dankt Gott dafür, daß er mich getroffen hat, der ihm die Last seines Namens abgenommen hat, mit der er nichts anzufangen wußte.«

»Was man Ihnen wohl nicht nachsagen kann,« bemerkte Doktor Leo von Brake sarkastisch.

»Nein.«

»Damit geben Sie also unumwunden zu, daß Sie ein Hochstapler sind, Herr?«

»Das gebe ich nicht zu.«

»Was sind Sie sonst?«

»Allerlei, Herr Doktor. Vor allem ein Mensch, der für deutsche Verhältnisse immens reich ist.«

»Ah!«

»Jawohl. Der so reich ist, weil er es verstanden hat, die großen ausländischen Werte, über die er verfügte, zur richtigen Stunde aus Deutschland hinaus zu bringen, und der diese Werte, die unausgesetzt steigen, nun voll und ganz besitzt.«

»Demnach wären Sie also ein Valuta-Schieber?

»Sie können es immerhin so nennen.«

»Und was sind Sie noch?«

»Ein Irrsinniger.«

»Was?«

»Ein Irrsinniger, dem es gelungen ist, aus der Anstalt, die ihn in Gewahrsam hielt, zu entweichen. Und der nun eine Reihe von Handlungen plant, die, wenn sie von keinem Irrsinnigen vollführt würden, eben schlankweg Verbrechen genannt werden müßten.«

»Sie sind verrückt!«

»Ja, das bin ich.«

»Eine Reihe von Handlungen, die –

»– die eigentlich sonst Verbrechen wären, ja. So aber sind es nur die Handlungen eines Irrsinnigen. Und er vollbringt sie mit Hilfe eines Mittels, das Sie gleichfalls für verrückt halten werden.«

»Mit Hilfe welches Mittels?«

»Mit Hilfe eines Giftes. Eines Giftes, das die Eigenschaft hat, einen jeden, der es in irgendeiner Form genießt, auf der Stelle zu töten. Aber so zu töten, daß ein Mord niemals nachgewiesen werden kann.«

»Sie sind in der Tat verrückt,« murmelte der Staatsanwalt und fühlte sich irgendwie von einer dumpfen Angst beklemmt.

Der Fürst nickte. »Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich es bin.«

»Und welche Handlungen führen Sie im Schilde?« fragte der Staatsanwalt traumhaft weiter.

»Auch das will ich Ihnen verraten,« erwiderte ihm der Fürst. »Aber es scheint, daß Ihre Nerven Sie irgendwie im Stich lassen wollen ... Hier, wenn ich bitten darf, – rauchen Sie doch eine von diesen Zigaretten!«

Mit einer liebenswürdigen Geste hielt er dem Staatsanwalt sein Etui hin. Der griff mechanisch hinein. Der Fürst gab ihm Feuer.

»So,« fuhr er fort, »und nun will ich Ihnen gern sagen, welche Handlungen ich plane, da Sie ja doch nicht in die Lage kommen werden, mich zu verraten.«

»Nicht?« fragte der Staatsanwalt und tat, um ein aufsteigendes seltsames Angstgefühl zu bannen, aus der Zigarette einen tiefen Zug.

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil Sie in den nächsten Augenblicken ein toter Mann sein werden,« erwiderte der Fürst.

Er begleitete seine Worte mit einem harten Blick. Diesen Blick fing der Staatsanwalt, der leichenblaß geworden war, noch auf. Dann sank er in den Stuhl zurück und schloß die Augen. Noch einmal öffnete er den Mund, als wolle er schreien. Doch über seine Lippen drang kein Laut mehr. Er war tot.

»Halloh!« rief der Fürst aus, indem er plötzlich aufsprang.

Seine Stimme dröhnte durch den Saal wie ein Signal. Alles horchte auf und fuhr dann bestürzt von den Sesseln in die Höhe.

Ein wirres Durcheinander entstand. Im nächsten Augenblick umstanden alle den toten Doktor Leo von Brake, der steif und tot in seinem Sessel saß.

»Es scheint,« wandte sich der Fürst mit ruhiger Stimme an den Kreis der Erschreckten, »dem Herrn hier ist übel geworden ... Rufen Sie doch einen Arzt!«

Damit schritt er, ohne sich weiter um die Angelegenheit zu kümmern, aus dem Saal ...


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