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Der Mann vom Millerntor

Der Abend dämmerte, und über Hamburg senkte sich ein Meer von Nebel nieder. Es war noch nicht ausgesprochen kalt, aber die kühle Feuchtigkeit, die jeden Gegenstand gleichsam durchdrang, bewirkte es, daß Leute, die nicht warm gekleidet gingen, schon froren. Viele heizten sich deshalb mit einem heißen Grog ein, den man gerade in den unscheinbarsten Matrosenkneipen schon wieder in der allerbesten Qualität bekam.

Am Ausgang der Hochbahnstation Millerntor lehnte ein Mann an der Wand, dem man es deutlich ansah, daß er sich nach Wärme sehnte. Er war nicht nur recht schäbig, sondern auch recht dünn gekleidet, – man ahnte es, daß das schmutzige baumwollene Hemd, das er ohne Kragen trug, das einzige Wäschestück war, das er am Leibe hatte. An seinen Beinen baumelten ein paar dünne Hosen, deren Leinwand vor langer Zeit einmal hell gewesen sein mochte, und sein Rock, aus dem gleichen Stoff gefertigt, war unter den Achseln zerrissen und hatte auch keine Knöpfe. Die Schuhe gar erweckten bei jedem, der sie sah, Mitleid und Bedauern. Sie waren ehemals schwarz gewesen, ja, – aber jetzt leuchteten sie rötlich, und ihr Oberleder war so rissig, daß man an den Zustand ihrer Sohlen gar nicht erst zu denken wagte. Auf dem Kopfe trug der Mann, der sich schon seit vielen Tagen nicht mehr hatte rasieren lassen, eine Arbeitermütze.

Er löste sich jetzt vom Millerntor los und schlenderte weiter. Er bewegte sich nur langsam fort, wie ein Mensch, der müde ist und der zudem Zeit hat. So kam er bis zur Reeperbahn.

Es schien, als traue er sich auf das Trottoir nicht hinauf, nach dem er nur sehnsüchtige Blicke schickte. Der Abendverkehr, der hier eben einsetzte, übertraf an Buntheit und Luxus den der Vorkriegszeit bei weitem. Man sah, was es auf der Reeperbahn auch vor dem Kriege schon zu sehen gegeben hatte: viel Licht, viel Leben, viel Eleganz, Herren, die teils wirklich Herren, teils nur Hochstapler waren, und Damen, von denen es mit Sicherheit feststand, welcher Gattung sie angehörten. Autos schwirrten dumpf tutend hin und her, die grell leuchtenden Transparente über den Eingängen zu Kinos, Theatern und Tingeltangeln spien Massen von Licht aus, Worte von heiseren Ausrufern flogen einem als Fetzen zu, die Passanten gingen nicht mehr, sondern wurden geschoben, und ihre Gesichter bekamen unter der Einwirkung des vielen verschiedenen Lichts etwas gespenstisch Bleiches.

Der schäbige Mann vom Millerntor blieb zögernd stehen und entschloß sich nun endgültig, das Trottoir nicht zu betreten. Immerhin, es übte eine so starke Anziehungskraft auf ihn aus, daß er sich, wenn er es auch nicht betrat, doch dicht in seiner Nähe hielt. Kannte er das Pflaster Hamburgs schon? Hatte es Zeiten gegeben, wo er selbst in besserer Kleidung, als Flaneur auf ihm umhergestreift war?

Das nicht, denn er war zum ersten Male in seinem Leben in Hamburg. Die besseren Zeiten freilich, die er gehabt hatte, waren ihm nicht abzusprechen. Er hatte vor fünf Jahren sogar noch sehr gute Zeiten, ja seine Glanzzeit gehabt. Er kannte die Boulevards von Paris, die von Petersburg und Moskau, und unter den eleganten Herren, die sie durchstreift hatten, war er einer der elegantesten gewesen. Sein Name war Fürst Lenski. Daß er heute in einer Kleidung, die ihn von einem Stromer nicht unterschied, fröstelnd durch die Straßen Hamburgs schlich, das verdankte er den Verhältnissen dieser Zeit, die namentlich in seiner russischen Heimat völlig auf den Kopf gestellt waren.

Er war erst an diesem Nachmittag von Bord eines japanischen Dampfers gegangen, mit dem er als Kohlenschipper die weite Seereise von Japan bis hierher gemacht hatte. Eigentlich hatte er noch viel Glück gehabt, denn wenn vor sechs Monaten die bolschewistische Regierung Moskaus seiner habhaft geworden wäre, dann hätte er heute nicht mehr gelebt.

So aber war es ihm, von allen Mitteln zwar entblößt, dennoch gelungen, sich durch Sibirien bis nach China durchzuschlagen und von dort nach Japan, wo ihn eine Reederei für ihr Schiff gechartert hatte. Aber schon nach kurzer Zeit war er an Bord erkrankt und hatte so die Seereise nur als eine Art halb verendeten Tieres in muffigen Schiffswinkeln mitgemacht, um endlich, mittellos und noch immer krank, hier in Hamburg an Land gesetzt zu werden.

Nun stand er da und war ratlos, was werden sollte. Zwar sprach er deutsch, besaß aber gerade hier in Hamburg keinerlei Beziehungen zu Leuten, die sich seiner vielleicht hätten annehmen können. Das war am Ende in Berlin schon möglich. Wie aber gelangte er nach Berlin? Und wie kam er zu einem Stück Brot, damit er seinen Hunger stillen, und wie zu einem Nachtlager, damit er sich einmal ordentlich ausschlafen konnte?

Diesem Problem grübelte er nach, während ihn das Tohuwabohu des Hamburger Nachtlebens umschwirrte, und indem er das tat, kam in sein Antlitz der Zug jener verzweifelten Entschlossenheit eines Entgleisten, der einem aufmerksamen Beobachter hätte zu denken geben können.

Es war ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren, von etwas mehr als Mittelgröße, schlank und sehnig, mit dunklem Haar, und wenn man sich von seinem Gesicht die häßlichen Bartstoppeln wegdachte, dann gewann man Züge, die unbedingt intelligent und sympathisch wirkten.

Das heißt, man mußte noch einen Abstrich tun, und dieser war wesentlich: man mußte sich auch seine Nase wegdenken, denn diese war von absonderlicher Häßlichkeit und sozusagen ein Unikum unter den Nasen.

War sie denn überhaupt eine Nase? Im Grunde war sie es nicht, sondern nur das Surrogat einer solchen. Die eigentliche Nase, die Fürst Lenski einstmals besessen hatte, war ihm im Kriege verloren gegangen, ein Granatsplitter hatte sie ihm geraubt, und das, was ihm ein findiger Chirurg als Nasenersatz aufgesetzt hatte, war nichts anderes als der kleine Finger des Fürsten, den man von seiner linken Hand amputiert und ihm als künstlichen neuen Nasenrücken wieder eingesetzt hatte.

Aber gerade diese seine seltsame Nase war es, durch die Fürst Lenski noch an diesem Abend sein Glück machen sollte. Es marschierte schon auf ihn zu, das Glück, es faßte ihn, vielmehr seine künstliche Nase, schon heimlich ins Auge, und er sah es nur nicht.

Mühsam bewegte er sich am Rande des Trottoirs weiter und ließ seine Blicke verloren in der Menge der Vorüberflutenden untertauchen, ohne eigentlich Einzelheiten wahrzunehmen, da seine Gedanken lediglich mit dem Abendbrot und mit dem Nachtlager, die ihm fehlten, beschäftigt waren.

Da legte jemand von hinten die Hand fest auf seine Schulter, und er fuhr zusammen und sah sich um. Voll freudigen Erschreckens hoffte er, es könnte ein Schutzmann sein, der ihn verhaften und ihm so wenigstens zu einem Nachtlager verhelfen würde.

Aber er täuschte sich. Er sah sich einem eleganten, glatt rasierten Herrn gegenüber, einem etwa fünfzigjährigen Kavalier in Lackschuhen, im Ulster und mit tadellosem Zylinder, der so ziemlich seine eigene Größe hatte.

Der lächelte ihn an und winkte ihn bei Seite. Mechanisch folgte ihm Fürst Lenski. Folgte ihm bis zu einem Stand von Mietautos, wo der Elegante einem der wartenden Chauffeure ein Zeichen gab.

»Ich setze voraus,« sagte der Elegante zu dem Fürsten, »daß Sie Hunger haben, Mann?«

Fürst Lenski nickte.

»Nun gut, dann kommen Sie.«

Der Elegante stieg in einen geschlossenen Wagen und bedeutete dem Fürsten mit einer Geste, an seiner Seite Platz zu nehmen. Der Fürst war viel zu müde und hatte zudem in den letzten zwei Jahren zuviel des Überraschenden und Ungewöhnlichen erlebt, als daß er sich hätte wundern können. Stumm tat er, was man von ihm verlangte.

Aber auch sein Begleiter sprach zunächst kein Wort. Während der zehn Minuten, die die Fahrt währte, musterte er den Fürsten und insbesondere dessen Nase nur von der Seite und gab ihm, als der Wagen hielt, wiederum durch eine Geste zu verstehen, daß er ihm folgen möge.

Man befand sich vor dem Portal eines der ersten Hotels Hamburgs. Ein betreßter Hoteljunge war schon herbei gesprungen, um die Wagentür zu öffnen. Man sah es, wie er gleichsam zurückprallte, als er der schäbigen Erscheinung des Fürsten ansichtig wurde. Doch der Elegante schob ihn barsch bei Seite und nahm den Fürsten beim Arm, um mit ihm, an bestürzt drein schauenden Kellnern und Gästen vorbei, die Halle des Hotels zu durchschreiten, bis zum Lift, das sie beide sogleich aufnahm und in das zweite Stockwerk hinauf beförderte. Dort führte der Elegante den Fürsten in einen Salon. Es war dies einer der drei luxuriös möblierten Räume, die er für sich gemietet hatte.

»Setzen Sie sich,« forderte der Elegante den Fürsten zwar kurz, aber nicht unfreundlich auf.

Der Fürst nahm Platz und blickte sich um. Wie lange war es her, daß er eine solche Wohlhabenheit nicht mehr geatmet hatte? Er dachte an seine Frau, die man ihm ermordet hatte, und an seine beiden Kinder, die vielleicht inzwischen, Gott mochte es wissen wo, verkommen waren. Trotzdem war nicht das Gefühl der Bitterkeit, sondern nur Müdigkeit in ihm, und heimlich fragte er sich, ob es wohl wahr sein werde, daß man ihm etwas zum Essen anbot.

»Sie haben Hunger?« fragte in gleichem Augenblick der elegante Herr.

Mit dem scheuen Blick des Ertappten nickte der Fürst.

»Wie lange haben Sie nichts mehr gegessen?«

»Seit gestern,« antwortete der Fürst Lenski, »seit gestern früh ... Aber es war nur eine Kleinigkeit,« setzte er gleichsam entschuldigend hinzu.

»Es wird sich also empfehlen, daß Sie nur etwas ganz Leichtes zu sich nehmen,« erklärte der Elegante.

Er läutete dem Zimmerkellner, dem er einen Auftrag gab. Man brachte Suppe und eine gefüllte Taube. Dazu eine Flasche Wein.

»Essen Sie jetzt, aber essen Sie nicht zu gierig!«

Fürst Lenski griff zu. Er gab sich Mühe, der empfangenen Weisung zu folgen, aber sein Heißhunger brachte es mit sich, daß er den Teller Suppe nicht aß, sondern verschlang.

Der Elegante, der inzwischen seinen Ulster abgelegt hatte, und sich damit in vornehmster Abendtoilette präsentierte, sah ihm dabei zu, und die delikate Art, wie der Fürst setzt trotz seines Heißhungers die Taube sachgemäß zerlegte, blieb auf ihn sichtlich nicht ohne Eindruck.

»Hm,« sagte er, »Sie haben offenbar schon bessere Tage gesehen?«

»Ja,« sagte der Fürst.

»So, – und nun trinken Sie auch!«

Der Elegante goß Wein in die zwei bereit gestellten Gläser und stieß mit dem Fürsten an. Es war Südwein, eine ganz schwere Sorte. Er stärkte den Fürsten noch weit mehr, als es das Essen schon getan hatte. Ihm war, als rönnen plötzlich frische Lebensenergien durch seine Adern.

»Was ich sagen wollte,« begann dann der Gastgeber nach einer Weile, wobei er den Fürsten scharf ansah, »nämlich, – es handelt sich um Ihre Nase.«

Dieser Satz, mit vollkommener Sachlichkeit gesprochen, klang trotzdem fast abrupt.

Der Fürst blickte auf. Um seine Nase sollte es sich handeln? Er wurde rot. Wurde rot und hüstelte verlegen.

»Um meine Nase?«

»Ja ... Darf ich fragen, wie Sie zu dieser Nase gekommen sind?«

»Durch eine Granate,« antwortete der Fürst gehorsam, »im Krieg.«

»Es ist also eine neue Nase?«

»Ja.«

»Die man Ihnen eingesetzt hat, nachdem Sie Ihre eigentliche verloren hatten?«

»Ja.«

»Wie hat man das gemacht?«

Der Fürst hob seine linke Hand, so daß es sichtbar wurde, daß daran sein kleiner Finger fehlte. Und nach einigem Zögern gab er die Erklärung dazu. Er sprach noch schüchtern und offenbar sehr befangen. Um sich Mut zu machen, nahm er noch einen Schluck Wein.

Das Ganze war recht einfach vor sich gegangen. An der Stelle, wo sich ursprünglich seine Nase befunden hatte, hatte damals ein großes Loch geklafft. Da hatte man in den kleinen Finger seiner linken Hand einen Einschnitt gemacht und einen weiteren Einschnitt in seinen linken Oberschenkel. Darauf hatte man beide Wunden aufeinander gelegt und das Ganze bandagiert, so daß notwendig sein kleiner Finger mit seinem Oberschenkel verwachsen mußte. Daraus hatte man seinen kleinen Finger mit einem Hautlappen, den man aus seinem Oberschenkel herausschnitt, wiederum von diesem gelöst und schließlich den kleinen Finger amputiert, mit dem man dann so geschickt das klaffende Loch in seinem Gesicht bedeckte, daß sich eine vollkommen neue künstliche Nase gebildet hatte. Das war alles innerhalb weniger Wochen geschehen, und man konnte nicht leugnen, daß es recht gut gelungen war.

»So,« sagte der Elegante. »Es hat mich sehr interessiert, das zu erfahren ... Ich danke Ihnen.«

Er nickte dem Fürsten flüchtig zu und ging, ohne das verlassene Thema noch einmal zu berühren, sogleich auf ein neues über. Er sprach wie ein Mensch, der seinen Plan hat, der genau weiß, was er will, und der nicht fürchtet, das Ziel, das er sich gesteckt hat, nicht zu erreichen.

»Darf ich fragen, wie Sie heißen?« sagte er nach einer Weile.

»Lenski,« antwortete der Fürst.

»Sie sind Russe?«

»Ja.«

»Ihr Stand?«

»Ich war – Fürst.«

»So,« sagte der Gastgeber und blickte zum ersten Male auf eine Art auf, die eine gewisse, wenn auch nicht große Überraschung ausdrückte.

»Ja. Aber ich habe alles verloren. Vermögen, Titel, meine Frau und selbst meine Kinder.«

»Durch den Umsturz – wie?«

Fürst Lenski nickte.

»Ihre Frau ist tot?«

»Man hat sie mir erschlagen. In Moskau, auf offener Straße. Bei einer Razzia.«

»Und Ihre Kinder?«

»Ich weiß nicht, wo sie sind, – aber ich hoffe, daß sie tot sind ...

»Das ist recht traurig.«

»Es ist bitter,« sagte der Fürst.

»Und Sie? Sie sind geflohen?«

»Ja. Es gelang mir, durch Sibirien nach China zu entkommen. Mit einem Dampfer, der mich für seinen Maschinenraum engagierte, bin ich heute nachmittag hier in Hamburg angekommen.«

»Sie sind mittellos?«

»Vollkommen, ja.«

»Und obdachlos.«

»Auch das.«

»Was haben Sie vor?«

Der Fürst senkte den Kopf. Zwei Falten wurden auf seinen Wangen, die bleich und eingefallen waren, sichtbar. Aufs neue erkannte man die übergroße Müdigkeit, die das Einzige war, die sein Denken und Handeln zur Zeit bestimmte.

»Ich weiß es nicht.«

»Sie wissen es nicht?«

»Nein.«

Dies ›nein‹ klang trostlos und ergeben. Es war die völlig apathische Äußerung eines Menschen, dessen einziger Wunsch es nur noch ist, zu sterben, der aber auch nicht mehr die Energie aufbringt, sich selbst zu töten.

»Ich könnte Ihnen vielleicht helfen,« sagte der elegante Gastgeber nach einer Weile.

»Mir?«

»Ja, Ihnen.«

»Helfen?« wiederholte der Fürst in ungläubigem Tone seine Frage.

»Gewiß. Es käme freilich darauf an, ob Sie Papiere haben ... Haben Sie die?«

»Papiere?«

»Ja, irgendein amtliches Dokument, aus dem hervorgeht, wer Sie sind, das nachweist, daß Sie Fürst Lenski sind ... Haben Sie ein solches Dokument?«

Der Fürst lächelte schüchtern. »Es ist das Einzige, was ich noch habe.«

Zugleich griff er mit der Rechten unter sein Hemd. Er beförderte einen schmierigen Umschlag zu Tage. Den öffnete er und entnahm ihm ein Papier, das er dem fremden Gastgeber mit einer fast demütigen Geste überreichte.

»Es ist ein Sowjet-Paß,« sagte der mit zitternder Stimme, als fürchte er, es könnte zu wenig sein, was er da zu bieten hatte, »der außerdem nur zu Reisen in Rußland selbst berechtigt.«

»Das ist Nebensache,« erklärte der andere. »Wichtig ist nur, ob er auch Ihr Bild enthält.«

»Ja,« sagte Fürst Lenski.

Der Elegante verglich die rohe Paß-Photographie mit dem Gesicht des Fürsten. Die ungewöhnliche Nase bewies auf den ersten Blick, daß dieser selbst es sei, den sie darstellte, wenn sie auch, der Kleidung nach, die der Fürst auf dem Bilde trug, gerade einen Fürsten durchaus nicht vermuten ließ. Die Kleidung war vielmehr die eines Handarbeiters. Aber so trugen sich zur Zeit wohl gerade die Fürsten in Rußland.

»Ich will Ihnen den Paß abkaufen,« sagte der Elegante plötzlich.

Sein Ton schien jede Weigerung auszuschließen und klang so bestimmt, daß Fürst Lenski erschrak. Er hatte plötzlich Furcht. Eine Furcht nicht so sehr für sich selber als für andere, gegen die dieser Fremde hier offenbar etwas im Schilde führte. Was konnte dies sein?

»Sind Sie bereit?«

»Der Paß,« murmelte der Fürst, »ist das Einzige, was ich noch besitze.«

»Gewiß. Aber sein Besitz wird es nicht verhindern, daß Sie unter Umständen verhungern.«

»Dennoch ...«

»Haben Sie Furcht?«

»Was wollen Sie mit dem Paß tun?« fragte der Fürst.

»Das ist allein meine Sache,« erklärte der Elegante noch um eine Nuance bestimmter. »Das Wesentliche ist, ich kaufe Ihnen den Paß ab. Für einen Zeitraum von – sagen wir: sechs Monaten ... Innerhalb dieser Zeit bin ich dann Fürst Lenski.«

»Und ich?«

»Sie sind ein Beliebiger, zu dem ich Sie machen werde, mit Hilfe von Papieren, die ich Ihnen noch beschaffe. Es wird Ihnen während dieser sechs Monate sehr gut gehen. Als ein Erholungsbedürftiger werden Sie in einem Sanatorium leben, in dem Sie sich nichts abzugehen lassen brauchen. Ich kleide Sie, und gebe Ihnen soviel, daß Sie so leben können, wie es früher Ihre Gewohnheit gewesen ist. Und wenn die sechs Monate dann um sind, dann, – dann werden Sie soviel haben, daß für den Rest Ihres Lebens für Sie und Ihre Angehörigen gesorgt ist.«

Der elegante Gastgeber sagte die letzten Worte mit finsterem Ausdruck und wendete dabei sein Gesicht zur Seite. Zugleich griff er in das Innere seines Rockes und warf eine dicke Brieftasche auf den Tisch. Sie enthielt eine solche Menge Papiergeld, daß es einen dumpfen Ton gab.

Dieser Ton war es, der es dem Fürsten antat. Mit lauernden Blicken folgte er der Hand des fremden Mannes, der die Tasche nun öffnete und ihr einen Pack Banknoten entnahm, die er auf den Tisch hinzählte, eine nach der anderen. Es waren Noten zu tausend Francs in schweizer Währung. Es häufte sich von ihnen schon ein kleiner Berg. Der Fürst sah ihn, und der Anblick benahm ihm den Atem.

Seine Phantasie arbeitete mit Hochdruck. Es kam ganz von selbst. Die Hemmungen, die vorhanden waren, zerrannen in nichts.

Er malte es sich aus, welche Möglichkeiten sich ihm vielleicht boten. An sich selber dachte er zuletzt. Aber war es nicht möglich, daß er, sofern er nur Geld hatte, nach Rußland zurückkehren konnte, um seinen Kindern nachzuforschen, über deren Verbleib er nichts wußte?

Die übergroße Müdigkeit wich plötzlich von ihm, und sein Gesichtsausdruck wurde lebendig.

»Sie wollen also?«

»Ja,« sagte der Fürst.

»Gut, warten Sie, – wir machen sogleich einen Vertrag.«

»Mit wem mache ich den Vertrag?« fragte der Fürst, dessen Blicke sich von dem Geldhaufen auf dem Tisch nicht trennen konnten.

»Mit mir.«

»Wer sind Sie?«

»Ein Unbekannter. Der Mann, der Ihre Papiere hat. Und der von jetzt an Fürst Lenski ist.«

Ohne den Fürsten weiter zu beachten, setzte sich der Elegante an den Tisch und warf mit einem Füllfederhalter auf ein Blatt Papier ein paar Zeilen, die er dem anderen zur Unterschrift reichte. Der Fürst las sie garnicht. Hastig setzte er seinen Namen unter das Blatt, das sein Partner dann in die Tasche steckte.

»So. Hier ist das Geld. Stecken Sie es ein.«

»Ich soll –?« stammelte der Fürst.

»Es gehört Ihnen.«

»Ich danke,« murmelte der Fürst, indem er nach dem Geldhaufen griff, den er zusammen preßte und unter sein Hemd schob.

»Es scheint, Sie sind müde?«

»Ja.«

»Nun, es ist wohl das beste, Sie legen sich schlafen. Hier links ist mein Schlafzimmer. Benützen Sie es. Was morgen geschieht, darüber instruiere ich Sie, sobald Sie ausgeruht sind.«

Der Elegante nickte dem Fürsten zu, zog seinen Ulster an und bedeckte sich mit dem Zylinder. Er grüßte den Fürsten noch ein zweites Mal flüchtig, während dieser aufstand und sich tief vor ihm verbeugte. Dann ging er hinaus.

Der Fürst war allein. Er machte ein paar unsichere Schritte durch das Zimmer und blieb dann vor einem Spiegel stehen, in dem er sich betrachtete. Ein wie blödes Lächeln lag auf seinen Lippen. Plötzlich erschrak er. Er griff unter sein Hemd. Ja doch, das Geld war noch da, – – und indem er dies konstatierte, belebten sich seine Züge wieder. Scheu sah er sich um. Dann wankte er zu der Tür, die in das Schlafzimmer führte, das ihm der Fremde angewiesen hatte. Gehorsam schloß er hinter sich ab.


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