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Ein Nero im Frack

Die Anstalt des Professors Doktor Luitpold Leithammel lag diskret in eine Lichtung gebettet, die von einem ganz reizenden Fichtenwäldchen gebildet wurde.

Ihre diskrete Lage paßte vortrefflich zu der diskreten Bestimmung, die sie erfüllte. Nur Frauen suchten sie in der Regel auf. Sie kamen bedrückt und scheu und waren, wenn sie wieder gingen, eine Last los, die sie nur widerwillig getragen hatten. Es war daher nur begreiflich, daß sie die Anstalt mit dem Gefühle einer gewissen Befreiung verliehen, die ihren Gesichtern zwar für einige Zeit noch das Scheue ließ, ihnen aber doch zugleich einen Zug von Heiterkeit und neuem Lebensmut aufdrückte. Fast eine jede drückte dem Professor beim Abschied von Herzen dankbar die Hand.

Es war weithin bekannt, daß Professor Doktor Luitpold Leithammel nur Patientinnen aufnahm, die sich von vornherein durch einen möglichst großen Bankscheck empfahlen. In Fällen, wo ein solcher als Legitimation benützt wurde, vermied er es grundsätzlich, Fragen zu stellen, die der Patientin etwa hätten Verlegenheit bereiten können. Er, der in die sechzig ging und der viel Lebenserfahrung besaß, machte dann den Eindruck eines väterlichen Freundes, der, weil er Vieles verstand, gern bereit war, auch Alles zu verzeihen.

Sein gewinnendes Lächeln war ja berühmt und erweckte sofort Vertrauen. Äußerungen überschwenglichen Dankes, die ihm beim Abschied nicht selten zuteil wurden, pflegte er dadurch abzuschneiden, daß er der verwirrten Schönen die linke Wange tätschelte und sagte:

»So, liebes Kind, – ja, ja, – nun wollen wir uns in Zukunft aber vorsehen, – nicht wahr?«

Professor Doktor Luitpold Leithammel besaß einen Ruf, der weithin reichte, und das in zwiefacher Hinsicht. Vor allem war nicht zu leugnen, daß er ein Mann war, der sein Metier verstand. Sein eigenstes Fach aber war das Messer. Er war Chirurg.

Als solcher hatte er schon die schwierigsten Fälle bewältigt und Operationen vollzogen, die namentlich einen Laien verblüfften. Nur hatte es die wissenschaftlichen Kreise schon seit jeher verstimmt, daß er seine Kunst allzu geräuschvoll übte, in der Art etwa, wie ein berühmter Brettl-Stern unter Anwendung von allerlei Mätzchen gern von der Bühne herab mit dem Publikum kokettiert.

Es hatte vor dem Kriege eine Zeit gegeben, in der kaum ein Tag verging, ohne daß der Name des Professors Doktor Luitpold Leithammel in der Presse auftauchte, bald unter, bald über dem Strich, teils im Inseratenteil, teils in Reklame schindenden Schmuck-Notizen. Man sah, der Mann verstand nicht nur sein Fach, sondern auch sein Gewerbe, und das erfüllte alle, die die Wissenschaft nicht zu einer fetten Kuh erniedrigt sehen wollten, die ein Geschäftskundiger wacker molk, mit Erbitterung und Verachtung. Diese entluden sich denn eines Tages auch über dem Haupte des Geldgierigen, als ihm etwas zustieß, das –

Nun, wie sich damals die Dinge in Wirklichkeit zugetragen hatten, das hatte man niemals so recht erfahren, denn unter dem Einflusse von Leuten, die Macht besaßen, hatte man nicht ohne Erfolg die Angelegenheit zu vertuschen versucht.

Fest stand nur das eine, daß in der Berliner Privat-Klinik des Professors eine sehr hohe Dame gestorben war, unter Umständen, für die sich hätte eigentlich der Staatsanwalt interessieren müssen. Anfangs tat er das auch, doch ließ sein Interesse alsbald sehr nach, als eben jene Kräfte wirksam wurden, die, wie bemerkt, sehr mächtig waren.

Immerhin, so mächtig waren sie nicht, daß sie den Professor, der arg bloßgestellt war, noch hätten halten können. In aller Stille verschwand er denn aus Berlin und es war lange Zeit nichts mehr von ihm zu hören, bis plötzlich bei Beginn des Krieges das Gerücht auftauchte, er habe in einer landschaftlich schönen, ebenso wie vom lauten Geräusch des Tages weitab liegenden Gegend Thüringens ein Sanatorium aufgemacht. Und der Betrieb dieser Anstalt erfreute sich, je länger und ärger der Krieg wütete, eines umso steigenderen Aufschwunges, so daß ihr Besitzer um die Zeit, da der Krieg schließlich unglücklich verloren war, glücklich seine ehemalige Position und seinen ehemaligen Reichtum zurückgewonnen hatte.

Nichtsdestoweniger hätte man dem Professor Doktor Luitpold Leithammel unrecht getan, wenn man ihn lediglich als einen unersättlichen Geschäftemacher hätte werten wollen. Nein, er war weit mehr, denn sein Wesen, so eindeutig es auf den ersten Blick erschien, besaß Abgründe, die einen jeden, der in sie etwa hätte hineinsehen können, hätten unheimlich anmuten müssen. Freilich, Professor Doktor Luitpold Leithammel hütete sich, sich so zu zeigen, wie er in Wirklichkeit war. Er trug eine Maske.

Er trug die Maske des überaus leutseligen Mannes, der es weit von sich weist, seinen Patienten mit jener unerbittlich strengen Geste des Unfehlbaren imponieren zu wollen, wie sie Ärzte von Ruf zuweilen verwenden, um sich in Szene zu setzen.

Von ihm konnte man überhaupt nicht sagen, daß er sich in Szene setzte, denn er erschien bei allen Anlässen immer gleich liebevoll und gütig und mild lächelnd, wenngleich man bei ihm nie die Möglichkeit hatte, seine Augen zu sehen, die hinter dicken goldgefaßten Gläsern wie versteckt saßen und die meist zu Boden blickten oder sonst wohin, nur nicht in die Augen dessen, mit dem er gerade sprach.

Und doch entging dem Professor nicht das Mindeste von dem Mienenspiel, den Blicken, den Bewegungen seines jeweiligen Partners. Er besaß eine unvergleichliche Geübtheit darin, scharf zu beobachten und doch nicht als Beobachter zu erscheinen. Manche Menschen, besonders naive Naturen, empfanden das ständige Sich-Verhüllen seines Wesens rein instinktiv, und es war ihnen dann, als lähme sie eine geheime Angst. Aber auch sie lullte sein gewinnendes, Vertrauen erweckendes Lächeln bald wieder ein.

Niemand ahnte deshalb, daß Professor Doktor Luitpold Leithammel eine von jenen Verbrechernaturen war, die das Böse nicht um der äußeren Vorteile willen lieben, die es ihnen bringt, sondern um seiner selbst willen, weil es ihnen die innere Gehobenheit gibt, durch die der bedeutende Mensch erst wahrhaft lebt und wirkt.

Und bedeutend war auch Professor Doktor Luitpold Leithammel, ja geradezu genial in seiner Art, mit einer glühenden Phantasie begabt, wie sie nur große Künstler haben, wenn sie dem Außerordentlichen im Menschen, den verborgensten Tiefen seiner Seele, nachspüren.

In solchen unheimlichen Irrgängen der Seele verlor sich der Professor nicht nur in seinen Träumen, sondern auch in der Tat. Nur deshalb hatte er ja das Messer zu seinem Beruf erwählt, und nur aus dieser seiner grausam-wollüstigen Liebe zu ihm war er auch Meister in seiner Handhabung geworden.

Die Operationen, die er ausführte – und zwar gerade die blutigsten und schwierigsten – waren für ihn nicht nüchterne Arbeit, sondern Erlebnisse, denen große innere Bedeutung zukam. Dem bewußtlosen Körper gegenüber, der seinem Willen, ja seiner Willkür überantwortet war, fühlte er sich dann als ein Henker, der die tausenderlei blutigen Urteile vollstreckte, die der Böse in ihm verkündet hatte.

Höllische Trunkenheitsgefühle hüllten ihn dann ein, er erlebte Ekstasen, und von seinem Gesicht fiel für Augenblicke die beherrschte Maske ab, die sein wirkliches Wesen für die Mitwelt unkenntlich machte.

Die oder jene Schwester, die bei den Operationen assistierte, der oder jener junge Arzt, der ihm half, hatten ihn dann wohl gesehen, hatten gestutzt, dann aber schließlich die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, als eine Folge des tiefen Verlorenseins in die Arbeit aufgefaßt.

Nichtsdestoweniger war auch in ihnen eine Art heimlichen Grauens zurückgeblieben, das sie sich nicht erklären konnten und das sie umsomehr verwirrte, als Professor Doktor Leithammel, kaum daß die Operation vorüber und der Kranke aus dem Operationszimmer getragen war, sogleich wieder als der Alte erschien, als der joviale, milde, leutselige Herr, dem nur der eine Makel anhing, daß er geldgierig war und von seinen Patienten enorme Honorare nahm ...

Es war ein naßkalter Spätnachmittag im Oktober, als vor der Anstalt des Professors Doktor Luitpold Leithammel ein luxuriöses Auto vorfuhr. Der Chauffeur sprang ab und öffnete die Tür des Wagens, dem ein eleganter Herr entstieg, mittelgroß, glattrasiert, in Ulster, Lackschuhen und Zylinder. Er gab dem Chauffeur das Zeichen, zu warten, drückte aus den Knopf der elektrischen Glocke am Gartentor, und ging dann, nachdem man ihn eingelassen hatte, den gelben Sandweg zum Portal hinauf, wo ihn ein junges Mädchen empfing, das ihn in das Wartezimmer wies.

Das Wartezimmer war leer, und erst nach einigen Minuten trat Schwester Lisbeth ein, ein älteres, schon stark verblühtes Mädchen, das den Fremden, der sich zu so ungewohnter Stunde einfand, mit einiger Verwunderung nach seinen Wünschen fragte.

»Ich möchte den Herrn Professor sprechen,« sagte der Fremde.

»Als Patient?«

»Jawohl.«

»Ich bedaure,« sagte die Schwester, »um diese Stunde empfängt der Herr Professor nicht mehr.«

»Warten Sie,« sagte der Fremde rasch, indem er aus seiner Brusttasche einen Umschlag nahm, »geben Sie ihm das: es ist meine Karte.«

In dem Ausdruck seiner Miene war etwas, das jeden Widerspruch von vornherein scharf abzuschneiden schien. Schwester Lisbeth nahm daher den Umschlag und entfernte sich mit ihm, einigermaßen verdutzt und verlegen, denn der späte Gast hatte einen sonderbaren Eindruck auf sie gemacht. Diese Befangenheit verlor sich auch nicht, als sie jetzt dem Professor in dessen Privatzimmer gegenüber stand und ihm den erhaltenen Umschlag überreichte.

Der Professor griff zu, wandte sich von der Schwester ab und riß den Umschlag auf. Nichts befand sich darin als eine Tausendfrancs-Note in schweizer Währung.

Dieser höchst seltsame Inhalt überraschte ihn dermaßen, daß er einige Zeit brauchte, um sich zu sammeln. Erst als ihm dies gelungen war, wandte er sich der Schwester, die den Inhalt des Umschlags nicht wahrgenommen hatte, wieder zu.

»Wer ist der Herr?«

»Er sagt, seine Karte befinde sich im Umschlag.«

»Und was wünscht er?«

»Er will Sie sprechen, Herr Professor.«

»Als Patient?«

»Ja,« sagte die Schwester.

Professor Doktor Luitpold Leithammel räusperte sich. Er war schon wieder der Alte. Er lächelte, jovial und mild.

»Ich lasse bitten,« sagte er freundlich.

Ehe er sich in dem bequemen Lehnsessel niederließ, der hinter seinem Schreibtisch stand, richtete er den seidenen Behang der elektrischen Lampe so, daß das volle Licht auf das Gesicht des Patienten fallen mußte, während sein eigenes Gesicht im Dunkeln verblieb. Erst dann setzte er sich. Setzte sich und gab seiner Miene wieder das Jovial-Väterliche, das man an ihm so schätzte.

Der Patient trat ein. Er verneigte sich stumm vor dem Professor, der seinerseits ihn mit einer freundlichen Geste einlud, auf dem bereit gestellten Stuhle Platz zu nehmen. Das tat der Patient. Eine längere Zeit blickten sich die beiden, ohne ein Wort zu sagen, an. Schließlich räusperte sich der Professor.

»Darf ich fragen, mit wem ich das Vergnügen habe?«

»Verzeihung, – meldete mich vorhin die Schwester nicht mit meiner Karte an?«

»Hm,« machte der Professor. »In dem Umschlag, den Sie so gütig waren, mir zu schicken, befand sich nur Geld. Ein Tausendfranc-Schein.«

Der Patient nickte.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Doch so,« erklärte der Patient, indem er seiner Stimme einen ganz leisen Unterton von Ironie gab, »daß ich Sie bitte, nach meinem Namen nicht zu fragen.«

»Hm.«

Der Professor schwieg und blickte unter dem Schutze der Dunkelheit, in der er sich selbst befand, den Patienten wieder aufmerksam an. Er interessierte ihn. Er machte einen gesunden und in jeder Hinsicht sympathischen Eindruck. Trotzdem war etwas an ihm, das Rätsel aufgab. Woran lag das? Vielleicht an jener Partie des Mundes, die einen gewissen Starrsinn verriet, gemischt mit einem Zuge, der auf Verbittertsein hinwies? Aber es konnten auch die Augen sein, die eine merkwürdige Art hatten, vor sich hin ins Leere zu schauen, durch alle Realitäten, die sie nicht zu interessieren schienen, gleichsam hindurch.

»Sie dürfen,« fuhr der Patient nach einer Weile fort, »die Karte, mit der ich mich bei Ihnen eingeführt habe, auch als ein Symbol auffassen.«

»Nämlich?« fragte der Professor.

»Nämlich, ... daß ich, der ich keinen Namen habe, – nun ja, – in meiner Person eben das Geld verkörpere, – den Reichtum, den Besitz.«

»Sie sind also sehr reich?«

»Ja.«

»Und das Geld spielt bei Ihnen keine Rolle, – wollen Sie sagen?«

»Nein, gar keine Rolle.«

»Und weshalb sagen Sie das gerade mir?«

»Weil ich mich Ihrer bedienen will.«

»Sie wollen sich meiner bedienen?«

»Ja, Ihres Messers will ich mich bedienen, – der Fertigkeit, die Sie in der Handhabung des Messers besitzen.«

»So,« sagte der Professor.

Der Patient gefiel ihm von Sekunde zu Sekunde besser. Insbesondere das gefiel ihm sehr gut, daß er, der offenbar recht Ungewöhnliches plante, mit so unbetonter Selbstverständlichkeit den Herrn hervorkehrte, den Herrn und Meister, der mit einem, den er als gleichwertig schätzte, doch eine Art von Katze und Maus-Spiel trieb.

Professor Doktor Luitpold Leithammel freute sich. Und seine Freude fand in seinem Lächeln, das immer jovialer und väterlicher wurde, einen unverkennbaren Ausdruck.

»Darf ich fragen, ob Sie selbst derjenige sind, den –?«

»– den Sie behandeln sollen?«

»Ja.«

»Ja,« sagte der Patient.

Diese Antwort überraschte den Professor, denn er hatte sie nicht erwartet. Er war der Meinung gewesen, daß dieser Fremde gekommen sei, um bezüglich eines Zweiten mit ihm zu verhandeln, – etwa bezüglich einer Frau, bei der vielleicht ein Eingriff vorzunehmen war, der –

Nun, nun, – der Fall wurde, nachdem diese seine Vermutung nicht zutraf, nur umso interessanter. Sich selbst also wollte der Mann dem Messer überliefern! Warum? Was fehlte ihm? Und warum, wenn er krank war, führte er sich auf eine so absonderliche Art ein, die doch recht überflüssig war, wenn er nur etwas verlangte, gegen das nach dem Gesetze ein Bedenken nicht vorlag?

»Sie selbst also soll ich behandeln,« sagte der Professor freundlich. »So. Und zwar mit dem Messer? Wie?«

»Ja, mit dem Messer.«

»Sind Sie krank?«

»Nein,« sagte der Patient.

»Weshalb also –?«

»Sagen wir, – aus Laune ... ...«

»Aus Laune, – so, so ...«

Professor Doktor Luitpold Leithammel kicherte. Er hatte zuweilen solche Anfälle einer herzlichen Heiterkeit, und die war immer ein Zeichen, daß er ungemein zufrieden war, – zufrieden mit sich selbst, mit den Nächsten und mit der Welt überhaupt. Nein, keinerlei Boshaftigkeit brach sich in diesem seinem Kichern Bahn, sondern nur reine Freude und aufrichtige Herzlichkeit. Man sah ihm das an.

»Und welchen operativen Eingriff, wenn ich fragen darf, soll ich an Ihnen vornehmen, Herr?«

»Sie sollen mein Aussehen verändern,« erwiderte der Patient gelassen.

»Ihr Aussehen – verändern?«

»Ja.«

»He, – inwiefern?«

»Sie sollen mich körperlich so verändern,« erklärte sich der Patient deutlicher, »daß, wer mich heute sieht, mich morgen nicht wieder erkennt. – Ja, daß mich überhaupt kein Mensch mehr wieder erkennt, selbst keiner von denen, die mir früher etwa sehr nahe gestanden haben.«

»So, so ... Und wie stellen Sie sich das vor?«

»Sehr einfach. Sie geben mir ein neues Gesicht.«

»Ei, ei, – ein neues Gesicht ... Und wie soll ich das machen?«

»Wie? ... Wissen Sie sich da keinen Rat?«

»Hm,« machte der Professor.

»Nichts einfacher als das,« sagte der Patient spöttisch. »Sie nehmen von meinem Gesicht einen Teil fort und ersetzen ihn durch einen anderen Teil, den Sie von einer zweiten Stelle meines Körpers wegnehmen.«

»Vortrefflich ... Und welchen Teil sollte ich von Ihrem Gesicht etwa fortnehmen?«

»Meine Nase.«

Der Professor kicherte. »Ihre Nase?«

»Ja.«

»Und durch welchen anderen Teil Ihres Körpers sollte ich dann Ihre Nase ersehen?«

Der Patient hob seine linke Hand und zeigte dem Professor deren kleinen Finger. Er tat das mit vollkommener Sachlichkeit und mit Ernst. Der Professor aber hörte auf zu kichern, schob seine Brillengläser über die Stirn hinauf und starrte mit nackten Augen einigermaßen verblüfft auf den sich ihm entgegenstreckenden kleinen Finger des Patienten.

»Durch Ihren kleinen Finger, meinen Sie?«

»Ja.«

»Herr,« rief da Professor Doktor Luitpold Leithammel mit plötzlich veränderter Stimme aus, indem er seine Gläser wieder über die Augen hinab fallen ließ, »wie kommen Sie aus die Idee?«

»Erscheint sie Ihnen als undurchführbar?« fragte der andere zurück.

»Das nicht ... Aber wie kommen Sie darauf?«

»Halten Sie mich für irrsinnig?«

Professor Doktor Luitpold Leithammel stutzte. »Für irrsinnig? Hm. Sonderbar, daß ich an diese Möglichkeit noch gar nicht gedacht habe ...«

Er blickte den Fremden scharf an. Doch dieser hielt den Blick ruhig aus. Er lächelte mit einem Male.

»Nun?«

»Herr,« sagte der Professor nervös, »seien Sie einigermaßen offen ... Welches Ziel verfolgen Sie eigentlich?«

»Nur dies, mich unkenntlich zu machen.«

»Zu welchem Zweck?«

»Auch danach sollen Sie mich nicht fragen.«

»Hm ...«

Professor Doktor Luitpold Leithammel versank in tiefes Nachdenken. Er stützte beide Ellenbogen auf den Schreibtisch und vergrub den Kopf in seine Hände. So verging eine lange Weile. Es war totenstill in dem kleinen Zimmer.

Der Professor verbarg sein Gesicht, weil recht Ungewöhnliches in ihm vorging. Er fühlte sich seltsam angezogen von dem Fremden, der sicherlich etwas plante, das irgendwie den Charakter des Unheimlichen haben mußte. Nicht das große Honorar reizte ihn, das von jenem mit Sicherheit zu erwarten war, sondern die Tat, – die unbekannte Tat, deren Plan in dem Kopfe des anderen schon längst reif war und die – der Professor fühlte das – getan werden würde, auf alle Fälle, – so oder so ... Etwas wie Bewunderung wurde in dem alten Manne wach, – das Gefühl einer Bewunderung für diesen Kühlen und Entschlossenen da ihm gegenüber, der, im Vollbesitze seiner Gesundheit, dennoch nicht zögerte, sich dem Messer auszuliefern, das in seinem Fleische wühlen sollte, – getrieben eben von jener Tat, die außer ihm niemand kannte ...

Der Professor löste den Kopf aus seinen Händen und blickte auf. Ihm war, als erwache er aus einem Traum. Aber noch immer hielt ihn das Spukhafte seiner Empfindungen fest im Bann. Aber er freute sich dessen und gab sich ihm willig hin.

»Sagen Sie,« begann er nach längerem Schweigen, und seine Stimme zitterte ein wenig, »ist es Ihnen mit Ihrem Vorhaben wirklich ernst?«

Der Gefragte nickte.

»Ich soll Ihnen die Nase amputieren?«

»Ja.«

»Und Ihnen aus Ihrem eigenen Fleisch eine neue Nase schneiden?«

»Ja.«

»Und Sie wollen mir nicht sagen, wer Sie sind?«

»Nein.«

»Und mir auch nicht sagen, zu welchem Zweck Sie so – Ungewöhnliches planen?«

»Nein.«

Der Professor schwieg wieder, lehnte sich in den Stuhl zurück und verschränkte die Arme über der Brust. Er blieb längere Zeit stumm. Dann räusperte er sich und wandte sich mit einer Miene, die nichts als sachliche Trockenheit verriet, dem Patienten zu.

»Hm, – Ihr sonderbares Verlangen hat zwei Seiten. Eine klinische und eine sozusagen kriminelle Seite ... Was das Klinische der Angelegenheit betrifft, so muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die gewaltsame Veränderung, die Sie mit Ihrem Körper vornehmen wollen, unter Umständen Folgen haben kann, die –«

»Ich fürchte mich nicht,« unterbrach ihn der Fremde. »Ich meine, Sie sind in Ihrer Kunst viel zu sicher, als daß ich mit einem Mißlingen der Operation zu rechnen brauchte.«

»Schön,« sagte der Professor, »Ihr Vertrauen ehrt mich ... Immerhin, es bleibt noch die kriminelle Seite der Sache übrig ... Was dann, wenn die Angelegenheit bekannt wird, wenn mich jemand, der ein gesetzliches Recht dazu hat, fragt, warum ich den operativen Eingriff an Ihnen vorgenommen habe?«

»Die Angelegenheit wird nicht bekannt werden.«

»Wer bürgt mir dafür?«

»Ich.«

»Womit?«

»Mit meinem Wort.«

Diese Versicherung wurde mit so stolzem Nachdruck gegeben, daß sie weitaus überzeugender wirkte, als dies der heiligste Eid hätte tun können. Sie blieb aus Professor Doktor Luitpold Leithammel, der beifällig nickte, auch nicht ohne Wirkung.

»Für den Fall aber,« fuhr der Fremde fort, »daß Sie meinem Wort, das ich unter gar keinen Umständen brechen würde, dennoch nicht trauen sollten, – ich meine, für diesen Fall können Sie ruhig annehmen, daß ich zu Ihnen gekommen bin, um Sie wegen Nasenkrebses zu konsultieren, und daß ich der Operation, die Sie für nötig befunden haben, zustimme.«

»Ja,« sagte der Professor trocken. »So bliebe denn nur noch die moralische Seite der Angelegenheit übrig.«

»Wie?«

»Nun, Sie haben vor, Ihr Äußeres unkenntlich zu machen. Dergleichen tut niemand, ohne daß er entweder dazu schon einen Grund hat oder ohne daß er damit doch einen Zweck verfolgt ... Diesen Zweck mir zu nennen, – das weigern Sie sich aber?«

»Ja.«

»Schön, schön ... Wenn dieser Zweck aber ein verbrecherischer wäre?«

Wieder sahen sich die beiden stumm an. Diesmal war es aber der Professor, der dem Blick seines Gegenübers nicht standhielt. Er senkte wie beschämt den Kopf. Und hüstelte.

»Hm,« machte er.

Der Patient lächelte. Dünn und ironisch und dennoch nicht so, daß seine Ironie hätte beleidigend wirken können. Sogar etwas von Güte hatte sein Lächeln an sich oder doch zum mindesten viel von Nachsicht. Man ahnte, daß er sehr welterfahren und jedenfalls ohne alle Illusionen war. Und das nahm seiner Überlegenheit den bitteren Stachel.

»Was die moralische Seite der Angelegenheit betrifft,« erklärte er langsam und mit Nachdruck, »so sind wohl, glaube ich, auch Sie der Ansicht, daß wir uns über diesen Punkt werden in Güte verständigen können.«

»In Güte?«

»Ich meine damit: geschäftlich.«

»Wie das?«

»Nun,« sagte der Patient, indem er sich erhob, »ich biete Ihnen nicht wenig.«

»Wieviel?« fragte Professor Doktor Luitpold Leithammel, wobei seine Stimme wieder zu zittern anfing.

»Rund eine Million.«

Der Professor zuckte zusammen. Seine Lippen verkrampften sich. Seine knöchernen Hände fuhren nach der Kante des Schreibtisches, an dem er sich festhielt, als fürchte er, sonst umzufallen.

»Eine Million Mark,« wiederholte der sonderbare Patient, »die ich sogleich mitgebracht habe, in hochwertigen amerikanischen Banknoten und Wertpapieren.«

Er griff in das Innere seines Ulsters und legte eine schwere, sehr große Brieftasche auf den Tisch.

»Hier,« sagte er.

Er öffnete sie, entnahm ihr einen mächtigen Haufen Banknoten und Wertpapiere und begann diese auf den Tisch hinzuzählen.

Zuletzt schob er dem Professor ein Blatt Papier hin. Es war eine Quittung.

Der Professor blickte auf.

Der Patient sah ihn fragend an.

»Nun?«

Der Professor zuckte ratlos und wie mit sich kämpfend die Schultern.

»Nun, – wollen Sie?«

»Ja!« sagte der Professor da plötzlich voll Gier, als fürchte er, es könnte, wenn er noch länger zögerte, zu spät sein.

Hastig griff er nach der Feder und setzte seinen Namen unter die Quittung.

Der Fremde verneigte sich dankend, nahm die Quittung an sich und steckte sie ein.

Der Professor griff nach dem Gelde. Ohne es zu zählen, raffte er es zusammen und steckte es in ein Fach seines Schreibtisches, den er verschloß.

Vernehmlich atmete er auf.

»Hm,« machte er wieder.

»Noch eins,« sagte der Fremde voll Ruhe. »Es pressiert mir nämlich. Darf ich fragen, wann die Operation vonstatten gehen kann?«

»Wenn Sie es wünschen: schon morgen,« erwiderte der Professor heiser.

»Gut,« sagte der Fremde und wendete sich, sich ein zweites Mal leicht verneigend, zur Tür.

Aber der Professor hatte schon geläutet.

Schwester Lisbeth trat ein. Ihre große Verwunderung über den späten Gast war noch immer nicht von ihrer Miene geschwunden.

»Schwester,« sagte Professor Doktor Luitpold Leithammel, dessen Stimme zwar noch ein wenig bebte, der aber sein jovial-väterliches Lächeln endlich wiedergefunden hatte, zu ihr, »führen Sie diesen Herrn auf Nummer 3 ... Als Abendbrot nur eine leichte Suppe, – verstanden? Und vor dem Schlafengehen eine Morphiumspritze! ... Adjüs«!


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