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Die Töne

Es geschieht oft, daß die Menschen über Alltäglichkeit ihres Lebenslaufs klagen, daß sie jeden Zeitvertreib erhaschen, um die drückende Zeit zu verkürzen. Alle fühlen einen Hang nach dem Wunderbaren in ihrem Busen, und fast alle klagen, daß so gar nichts Wunderbares vor ihren Augen geschehe: daher die unersättliche Neugier, die wilde, ungezähmte Begier, etwas Unerhörtes zu hören, etwas Niegesehenes zu sehn. Eigentlich gleicht jeder Mensch mehr oder weniger dem Bilde des Tantalus in der Unterwelt. Wie treibt es, wie spornt es ihn an, – und wie erhält er so gar nichts! – Über diese unselige Leidenschaft spottet daher auch der Prediger Salomo mit seinem erhabenen Gemüte:

«Das Auge siehet sich nimmer satt, und das Ohr höret sich nimmer satt. Was ist's, das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ist's, das man getan hat? Eben das man hernach wieder tun wird. Und geschieht nichts Neues unter der Sonnen. Geschieht auch etwas, davon man sagen möchte: Siehe, das ist neu? dann ist es vor auch geschehen, in vorigen Zeiten, die vor uns gewesen sind.» –

So wandelt sie, im ewig gleichen Kreise
Die Zeit nach ihrer alten Weise,
Auf ihrem Wege taub und blind,
Das unbefangne Menschenkind
Erwartet stets vom nächsten Augenblick
Ein unverhofftes seltsam neues Glück.
Die Sonne geht und kehret wieder,
Kömmt Mond und sinkt die Nacht hernieder,
Die Stunden die Wochen abwärts leiten,
Die Wochen bringen die Jahreszeiten.
Von außen nichts sich je erneut,
In dir trägst du die wechselnde Zeit,
In dir nur Glück und Begebenheit.

Diese Betrachtungen habe ich schon oft angestellt, wenn ich die Menschen ansah, wie sie sich abarbeiteten, und immer des Ziels verfehlten, weil sie es zu sehr außer sich suchten. Wie wenigen ist es verliehen, die Wunder zu verstehn und zu fühlen, die sich wirklich und wahrhaftig ereignen und immer wieder erneuern! So gehört unstreitig die Musik, die Kunst der Töne, die Wirkung, die in uns durch sie erregt wird, zu den erstaunenswürdigsten Sachen, ja, ich möchte fast sagen, sie sei das Allerunbegreiflichste, das wunderbar-Seltsamste, das geheimnisvollste Rätsel, das sich in unsichtbaren Kreisen, und doch mit funkelndem Glanz, allgegenwärtig und nicht zu sagen wie? um uns her bewegt, uns und unser Gemüt, unsre schönsten Empfindungen, unser süßestes Glück wie ein herrlicher Rahmen einfaßt und schmückt. Wie man sich den Weltgeist in der ganzen Natur allgegenwärtig denken kann, jeden Gegenstand als Zeugen und Bürgen seiner Freundesnähe, so ist Musik wie Bürge, Seelenton einer Sprache, die die Himmelsgeister reden, die die Allmacht unbegreiflich in Erz und Holz und Saiten hineingelegt hat, daß wir hier den verborgenen Funken des Klanges suchen und herausschlagen. Die Kunstmeister offenbaren und verkündigen ihren Geist nun auf die geheimnisvollste Weise auf diesen Instrumenten, ohne daß sie es wissen redet die klingende, beseelte Instrumentenwelt die alte Sprache, die unser Geist auch ehemals verstand und künftig sich wieder darin einlernen wird, und nun horcht unsre ganze innigste Seele, mit allen Erinnerungen, mit allen Lebenskräften darauf hin, sie weiß recht gut, was es ist, das dort in holdseligster Anmut ihr entgegenkömmt, aber irdisch und körperlich befangen, sucht sie mit Gedanken und Worten, mit diesen gröberen Organen, diese feineren, reineren Gedanken aufzubewahren und festzuhalten, und auf diese Weise kann es ihr freilich nicht gelingen.

Siehst du nicht in Tönen Funken glimmen?
Ja, es sind die süßen Engelstimmen,
In Form, Gestalt, wohin dein Auge sah,
In Farbenglanz ist dir der Ew'ge nah,
Doch wie ein Rätsel steht er vor dir da.
Er ist so nah' und wieder weit zurück,
Du siehst, ergreifst, dann flieht er deinem Blick,
Dem körperschweren Blick kann's nicht gelingen
Sich an den Unsichtbaren hinzudrängen.
Entfernter noch, um mehr gesucht zu sein,
Verbarg er in die Töne sich hinein;
Doch freut es ihn, sich freier dort zu regen,
Bestimmt're Lieb', kömmt dir von dort entgegen.
Das, war ich eh ehmals, ach! Ich fühl' es tief,
Eh' noch mein Geist in diesem Körper schlief. –

Wie wunderbar, wenn man sich vorstellt, man höre Musik zum ersten Male! – Aber niemand hört sie mit diesem Gefühl, sie ist auch nur zum schnöden Zeitvertreibe herabgewürdigt: die Menschen haben sich an dies Wunderwerk gewöhnt, und darum fällt es keinem ein, zu erstaunen.

Aber was kann erstaunenswürdiger sein, als daß durch des Menschen Kunst und Bemühung sich plötzlich in der Stille unsichtbare Geister erzeugen, die mit Wonne und Seligkeit unser Herz bestürmen und es erobern? Daß wenn wir gern unsern Blick vor der dürren Gegenwart verschließen, die uns manchmal wie die Mauern eines Gefängnisses drängt und beengt, – sich dann ein neues Land, eine paradiesische Gegend über unsern Häuptern ausspannt, mit Blumen und herrlichen Bäumen und goldenen Springbrunnen? – Wie im stürmischen Ozean eine selige Insel; wie eine Abendröte, die sich plötzlich zum dichten körperlichen Wesen zusammenzieht, uns auf ihren Wolken aufnimmt, uns aus der Nacht hier unten erlöst und uns mit den hellesten Strahlen umzingelt, und wir nun auf dem azurnen Boden wandeln und einheimisch sind, unsre Häuser im roten Glanze finden, unsere Freunde in den lichten Wolken, alles, was uns so lieb und teuer war, in sichtbarlicher Gestalt uns entgegenlächelnd.

Das scheint mir eben das Große aller Kunst, absonderlich aber der Musik, zu sein, daß all ihr Beginnen so kindlich und kindisch ist, ihr Streben dem äußern Verstande fast töricht, so daß sie sich schämt, es mit Worten auszudrücken, – und daß in dieser Verschämtheit, in diesem Kinderspiel, das Höchste atmet und den Stoff regiert, was wir nur fühlen oder ahnden können.

Denn wer möchte von den ernsthaften Leuten nicht darüber lächeln, wenn es ihm begegnete, daß er als etwas noch nie Gesehenes, den Mechanikus darüber beträfe, wie er die mancherlei musikalischen Instrumente zusammensetzt: – was würde der Taube zu den Handgriffen meinen, durch die der Tonkünstler sein Werk sprechen läßt, und ihm auf so einfache und doch geheime Weise die innere Zunge löst? – Und was könnte endlich der große Kunstmeister antworten, wenn es einem Gefühllosen beifiele, ihn in seiner Treuherzigkeit zu fragen, was er denn mit seinem tiefen Studium, mit seiner Begeisterung ausrichten wolle?

Keiner, der nicht zu dem myst'schen Fest gelassen,
Kann den Sinn der dunkeln Kunst erfassen,
Keinem sprechen diese Geistertöne,
Keiner sieht den Glanz der schönsten Schöne,
Dem im innern Herzen nicht das Siegel brennt,
Welches ihn als Eingeweihten nennt,
Woran ihn der Tonkunst Geist erkennt.

Denn ist es zum Lächeln, zum Beweinen wehmütig, und zur Anbetung erhaben, – daß unser Herz sich aus seiner irdischen Sphäre hebt, daß alle unsre Gedanken in ein feineres, edleres Element geraten, daß aller Kummer, alle Freude wie ein Schatten schwindet, – und Jammer und Glück, Entzücken und Tränen, alles in eins verwandelt und durch gegenseitigen Abglanz verschönt wird, so daß man in den Momenten dieses Genusses nichts mehr zu sagen weiß, nicht mehr trennt und sondert, wie unser Geist sonst immer nur zu gern tut, sondern wie von einem Meerstrudel immer tiefer und tiefer hinuntergeführt, immer mehr der obern Welt entrückt wird. Und was ist es, das uns so glücklich macht? – Ein Zusammenklingen von Holz und Metall! –

Aber freilich haben jener ernste Mann, der Taube und der Gefühllose nicht so ganz unrecht, wenn wir sehn, wie sich die meisten Leute dabei benehmen, wenn sie das Werk eines großen Tonmeisters zu genießen und zu beurteilen meinen.

In der lebenden Natur begleitet Schall und Geräusch unaufhörlich Farbe und Form. Die bildende und zeichnende Kunst entlehnt immer von dort ihre Bildungen, wenn sie sie auch noch so sehr verschönt: ja, Abend- und Morgenrot, so wie Mondschein, spielen in Farben und Wolken, die kein Maler mit seinen Farben erreichen oder nachahmen kann; der Glanz, der in der Natur brennt, das Licht, mit dem die grüne Erde sich schmückt, ist der Malerkunst unzugänglich.

Wie anders verhält es sich mit der Musik! Die schönsten Töne, die die Natur hervorbringt, ihren Vogelgesang, ihr Wasserrauschen, ihr Bergwiderhall und Waldbrausen, ja der majestätische Donner selbst, alle diese Klänge sind nur unverständlich und rauh, sprechen gleichsam nur im Schlafe, nur einzelne Laute, wenn wir sie gegen die Töne der Instrumente messen. Ja diese Töne, die die Kunst auf wunderbare Weise entdeckt hat, und sie auf den verschiedensten Wegen sucht, sind von einer durchaus verschiedenen Natur, sie ahmen nicht nach, sie verschönern nicht, sondern sie sind eine abgesonderte Welt für sich selbst.

Sie sind gleichsam ein neues Licht, eine neue Sonne, eine neue Erde, die im Licht auf unserer Erde entstanden ist. Jenseits der ersten Musik liegt eine rohe, unfreundliche Natur, auch im schönsten Lande, unter dem günstigsten Klima. Natur und Menschen sind wild: es fehlt das Element, das alles zur Freundlichkeit bezähmt. Ohne Musik ist die Erde wie ein wüstes, noch nicht fertiges Haus, in dem die Einwohner mangeln.

Darum fängt die früheste griechische und biblische Geschichte, ja die Geschichte einer jeden Nation, mit der Musik an. Die Musik ist Dichtkunst, der Dichter erfindet die Geschichte. Es ist dem menschlichen Geiste nicht möglich, vorher sich etwas Reizendes, Schönes, Lebensfülle vorzubilden. Diese Gedanken führen mich darauf, hier einige Worte über die Töne an sich selber auszusprechen.

Jeder einzelne Ton eines besondern Instrumentes ist wie die Nuance einer Farbe, und so wie jede Farbe eine Hauptfarbe hat, so hat auch jedes Instrument einen einzigen, ganz eigentümlichen Ton, der es am meisten und besten ausdrückt. Es war eine unglückliche Idee, ein Farbenklavier zu bauen, und zu glauben, daß das kindische Spielwerk nur irgendeine angenehme Wirkung hervorbringen könne, gleich den mannigfaltigen Tönen eines Instrumentes. Es konnte nichts weiter erfolgen, als wenn auf mehreren Blas- oder Saiteninstrumenten hintereinander dieselben Töne angegeben würden; denn der Ton ist der Farbe, die Melodie und der Gang des komponierten Stückes der Zeichnung und Zusammensetzung zu vergleichen. Die Musiktöne gleichen oft einem feinen flüssigen Elemente, einem klaren, spiegelhellen Bache, wo das Auge sogar oft in den schimmernden Tönen wahrzunehmen glaubt, wie sich reizende, ätherische und erhabene Gestalten eben zusammenfügen wollen, wie sie sich von unten auf emporarbeiten, und klarer und immer klarer in den fließenden Tönen werden. Aber die Musik hat eben daran ihre rechte Freude, daß sie nichts zur wahren Wirklichkeit gelangen läßt, denn mit einem hellen Klange zerspringt dann alles wieder, und neue Schöpfungen sind in der Zubereitung.

Oh, wie soll ich dich genug preisen, du himmlische Kunst! Ich fühle, daß hier Worte noch weniger wie bei allen übrigen Werken der Kunst genügen, ich möchte alle Bilderpracht, allen Stolz und kühnen Schwung der Sprache zusammenfassen, um recht vom Herzen loszusprechen, was mein innerstes Gefühl mir sagt.

Wie glücklich ist der Mensch, daß, wenn er nicht weiß, wohin er entfliehen, wo er sich retten soll, ein einziger Ton, ein Klang sich ihm mit tausend Engelsarmen entgegenstreckt, ihn aufnimmt und in die Höhe trägt! Wenn wir von Freunden, von unsern Lieben entfernt sind, und durch den einsamen Wald in träger Unzufriedenheit dahinirren, dann erschallt aus der Ferne ein Horn, und schlägt nur wenige Akkorde an, und wir fühlen, wie auf den Tönen die fremde Sehnsucht uns auch nachgeeilt ist, wie alle die Seelen wieder zugegen sind, die wir vermißten und betrauerten. Die Töne sagen uns von ihnen, wir fühlen es innigst, wie auch sie uns vermissen, und wie es keine Trennung gibt.

Weht ein Ton vom Feld herüber,
Grüß' ich immer einen Freund,
Spricht zu mir: was weinst du Lieber?
Sieh, wie Sonn' die Liebe scheint:
Herz am Herzen stets vereint
Gehn die bösen Stunden über.

Liebe denkt in süßen Tönen,
Denn Gedanken stehn zu fern,
Nur in Tönen mag sie gern
Alles was sie will verschönen.
Drum ist ewig uns zugegen
Wenn Musik mit Klängen spricht
Ihr die Sprache nicht gebricht
Holde Lieb' auf allen Wegen,
Liebe kann sich nicht bewegen,
Leihet sie den Odem nicht.

Ja, ich möchte noch mehr behaupten. Der Mensch ist gewöhnlich so stolz darauf, daß es ihm vergönnt ist, in Worte ein System zu fassen und auszuspinnen, daß er in der gewöhnlichen Sprache die Gedanken niederlegen kann, die ihm als die feinsten und kühnsten erscheinen. Aber was ist sein höchstes Bestreben? Sein höchster Triumph ist das, sich und seine selbstgeschaffenen Gedankenheere immer wieder von neuem zu besiegen, und als ein Wesen dazustehn, das sich durch keine äußere Gewalt, ja durch sich selbst keine Fesseln anlegen läßt. Denn der größere Mensch fühlt es zu gut, wie auch seine innersten Gedanken immer nur noch ein Organ sind, wie seine Vernunft und ihre Schlüsse immer noch unabhängig sind von dem Wesen, das er selbst ist, und dem er in seinem hiesigen Leben nie ganz nahekommen wird.

Ist es nun nicht gleichgültig, ob er in Instrumentestönen oder in sogenannten Gedanken denkt? – Er kann in beiden nur hantieren und spielen, und die Musik als dunklere und feinere Sprache wird ihm gewiß oft mehr als jene genügen.

Wenn die Ankerstricke brechen,
Denen du zu sehr vertraust,
Oft dein Glück auf ihnen baust,
Zornig nun die Wogen sprechen, –
O so laß das Schiff den Wogen,
Mast und Segel untergehn,
Laß die Winde zornig wehn,
Bleibe dir nur selbst gewogen,
Von den Tönen fortgezogen,
Wirst du schön're Lande sehn:
Sprache hat dich nur betrogen,
Der Gedanke dich belogen,
Bleibe hier am Ufer stehn. –


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