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Das Jüngste Gericht von Michael Angelo

Schon oft hatte ich mir vorgesetzt, etwas über das erhabene Werk dieses großen Mannes zu sagen, aber immer hat mich der Mut dazu wieder verlassen. Jetzt will ich es wagen, und nicht ohne sonderlichen Antrieb fange ich meine Worte an.

Wenn du, geliebter Leser, Stunden kennst, in denen die Natur wie mit einer freundlichen Glorie umzogen ist, in denen die Bäume wie größere Blumen vor dir stehn, und eine weihende Liebe ihre Mutterarme eng um die Erde schließt, wenn du dich dann erhaben und beseligt fühlst, und alles in einen süßen Klang zerrinnt, ein Widerhall vom Himmel herunter: dann geh in die Hallen, die Raffaels Geist ausgeschmückt hat, dann bist du begeistert, die Worte zu vernehmen, die er dir sagt.

Oft aber verstummt die Poesie, vom Berge herab sieht das Auge den regen, ewigen Gang der Gewässer, ernst steht der Wald und rauscht, hinter ihm entwickelt sich das Gefilde, dahinter das unabsehbare Meer, zur Seite getürmte Felsen, der Himmel voll arbeitender Wolken, ein Heereszug, der auf eilender Wanderung begriffen ist: die Adler fliegen aus den Nestern, der Sturm läßt sich hören, wie ein ferner Donner vom Meer herüber; dann scheint die Welt mit allen Kräften zu ringen, kein Teil im Stillestande und unbeseelt. Aufgerichtet in Majestät steht die Natur vor uns, unser Auge haftet auf keinen Blumen, auf keinem schönen einzelnen Baume, sondern wir sehn die Kräfte der Welt sich mächtig offenbaren, alles wird zu einem großen Bilde, zu einer geheimnisvollen Allegorie, und mit dieser Empfindung tritt dann, geliebter Leser, vor Michael Angelo's großes Gericht.

Was hat man nicht getadelt, und was gelobt! Aber bei dir, großer Buonarroti, muß man durchaus alles Vergleichen unterlassen, man muß in deiner Gegenwart die Liebe zu Raffael durchaus vergessen, denn die Erinnerung jener zartmenschlichen und himmlischen Bilder darf in dein großes Gemälde nicht hineinleuchten.

Michael Angelo und Dante sind die Verkündiger, die Verherrlicher der katholischen Religion, wenn du in ihnen Geschichte und Begebenheit suchst, so trittst du mit unbilliger Erwartung an ihre Werke. Dante singt in prophetischen, wunderbar verschlungenen Terzinen seine Dichtung, nirgend ein Stillestand, nirgend wo die Pracht der gewaltigen Verse aufhörte, immer tiefer wirst du in die geheimnisreiche Allegorie hineingeführt, hier findest du keine Nebensachen, keinen Ruheplatz, auf dem der Dichter stille steht, alle Kräfte spannen sich zum großen magischen Eindruck, aller Reiz ist vernachlässigt, die Erhabenheit nimmt dich in Empfang, die Wunder des Christentums, die mystischen Geheimnisse verschlingen dich in ihren unbegreiflichen Zirkeln, und nehmen dich mit sich fort.

Eben solche Beschaffenheit hat es mit dem Gedicht des Buonarroti. Tritt mit dem heiligen Schauer in die Sestina hinein, und die erhabenen prophetischen Terzinen werden dich anreden, dein Geist wird himmelwärts fortgeführt, kein Stillestand, keine Nebensache, kein Ruhepunkt, auf dem das Auge haften könnte. Die ganze Welt, Vergangenheit und Zukunft sind hier in eine übermenschlich kühne Dichtung zusammengedrängt. Die Erschaffung der Welt mit ihren großen Figuren, Gott Vater, Adam und Eva, Engel, der Verlust des Paradieses, die Prophetenzeit, die furchtbaren Gestalten, der entsetzliche Hesekiel, der unbegreiflich hohe Jesaias, die Sybillen, und nun das zukünftige hohe Gericht, die furchtbare Vertilgung der Erde, die Wiedergebärung der Toten, das Ende der Zeiten.

In den ewigen Bildern spiegelt sich Angelo's Größe, seine wilde Grazie, seine furchtbare Schönheit. Alle Gestalten sind größer als die irdischen, alle bezeichnet der kühne Stempel, der sie von allen übrigen Bildern auf immer absondert, aber nirgend liegt so der tiefe allegorische Sinn verborgen, das Geheimnis der Religion, das im jüngsten Gerichte webt. Die Zukunft tut sich auf, alle Bilder, alle Kraft und Anstrengung ist gleichsam zu matt, zu gewöhnlich, Buonarroti ergreift hier das Mächtigste, das Ungeheuerste, sein Gemälde ist der Schluß aller Dichtung, aller religiösen Bilder, das Ende der Zeiten.

Darum ist es klein, mit dem großen Meister über den gewählten Gegenstand zu rechten, ungeziemend, bei diesem Bilde über Handlung zu sprechen, und wenigstens unbillig, wenn nicht ungerecht, die Symmetrie der Gruppen zu tadeln.

Wenn dein Auge alles mit einem Blicke hier überschauen könnte, so wäre es nicht dieser große allmächtige Gegenstand, es könnte dann keine Offenbarung der Zukunft sein, die Symmetrie der Gruppen aber macht die Übersicht nach einiger Zeit möglich, in ihnen liegt zugleich das Geheimnis der Allegorie, darum kann und soll das Bild auch keine Handlung darstellen, die in einem einzigen Augenblicke vorgeht.

In allen Kunstwerken Michael Angelo's ist das Streben zur Allegorie, dieses kalte große Ideal, von allem Reiz des Zufälligen und den Nebensachen entblößt, anzutreffen, in diesem großen Werke aber, eine seiner letzten Arbeiten, strebt alles hauptsächlich darnach hin, alles erhält nur durch die Allegorie Bedeutung und Würde. Von allem Irdischen entkleidet, sowohl Figuren als Gegenstand der Bildung, verlieren sich die gewöhnlichen Bedeutungen vom Schicklichen und Unschicklichen gänzlich.

Oben in Wolken sieht man Engel, die mit aller Anstrengung das Kreuz, die Martersäule aufrichten wollen. Man tadle hier nicht und spreche von Unwahrscheinlichkeit, daß das Kreuz, das ein einziger trug, jetzt der Macht vieler Engel zu schwer ist; denn eben hier hat Angelo einen großen Sinn hineinlegen wollen. Die Sünden des Menschengeschlechts, die Martern des Erlösers geben ihm diese Schwere, es wird immer wieder niedergezogen, bis die Glorie des Allmächtigen vollendet ist, bis alle Seligen heraufgeschwebt, alle Sünder hinuntergestürzt sind, kann die Säule, das heilige Kreuz nicht aufgerichtet werden.

Christus spricht das Urteil, seine sanfte Mutter erschrickt, sie verbirgt sich und schmiegt sich an ihn, der Erlöser ist in heftiger Bewegung, so eben steht er auf, und das entsetzliche Urteil ertönt aus seinem Munde. Die Heiligen neben ihm, männliche und weibliche, sind in ihrer Seligkeit ruhig, sie sind sich ihres Glücks bewußt, aber doch ergreift sie der gewaltige Augenblick; Adam ist unter der Versammlung, einige Apostel erkennt man, die Märtyrer. Unter ihnen sieht man die Engel des Gerichts, die mit aller Macht in die Posaunen stoßen, um die Toten zum ewigen Leben aufzurufen: Schauder und Entsetzen ergreift den Beschauer, die mildeste Erhabenheit ist in ihnen dargestellt, sie dürfen, sie können nicht zierlich sein, Schönheit und Grazie würden dies Gemälde vernichten. Zur Seiten schweben selige Seelen auf, einigen entfällt das Leichentuch, die Sünden halten sie schwer zurück, aber sie streben und ringen mit vollem Andrange nach der Höhe. Die Allegorie regiert alle Figuren des Gemäldes, und alle Gestalten der Seligen sind noch von der schweren, irdischen Sünde belastet.

Darum muß eine Gestalt von Heiligen mit Rosenkränzen in die Höhe gezogen werden: das Gebet wirkt, die Sünden sind ihr vergeben. Wer keinen Sinn dafür hat, wie wundersam die Allegorie oft das Gemeine in das Erhabene verwandeln kann, wird diesen Umstand seines Tadels vorzüglich würdig finden. Gegenüber die Verdammten, von bösen Engeln in den Abgrund hinuntergerissen. Entsetzen und kalte Verzweiflung, das Wildeste und Gräulichste ist hier mit einer Kraft der Phantasie dargestellt, daß man den großen Sterblichen nicht genug bewundern kann, der diesen Stoff mit der Ruhe beherrschte, und alles zu seinem erhabenen Zwecke hinausführte.

Unten erstehn die Toten. In wunderlichen Stellungen kriechen sie aus der Erde, und sehn das Gericht; viele erschrecken, andre sind noch Gerippe, einige gestaltet, aber noch betäubt. Der alte Fährmann Charon ist unter ihnen, und treibt manche in seinen Kahn, der gräuliche Minos vollzieht das Urteil. Man werfe nicht ein, daß hier Mythologie der Griechen mit christlicher Lehre vermischt sei, denn diese Bilder sind echt katholisch, und dürfen die Wirkung des Ganzen nicht stören; Michael Angelo ist es nicht allein, der die ehemaligen Götter der griechischen Nation einführt, manche Gedichte und Traditionen tun es auch, sie treten aber hier als Teufel auf, und der Sinn ist, daß die Gestalten, die die abgöttischen Heiden verehrten, böse, verdammte Geister waren, die sich verstellten, und so lange auf ihren Thronen herrschten, bis Christus ihr Reich zertrümmerte. Nun kommen sie im jüngsten Gerichte wieder, noch kenntlich, aber doch in einer andern furchtbaren, ihrer wahren Gestalt.

So ist mir dieses große Gemälde immer erschienen. Man sage nicht, daß der Maler die Stellungen gewählt, um seine Kenntnis des menschlichen Körpers, seine Gelehrsamkeit in den Muskeln zu zeigen, sondern alles muß drängen und streben, die höchste Kraft auszudrücken, Entsetzen, Furcht, Verzweiflung, Angst und Hoffnung beseelen jedwede Gestalt, jegliches Glied, selbst die Ruhe und das hohe Bewußtsein der Heiligen und Patriarchen ist Anstrengung und Kampf.

Es ist süß, die Herrlichkeit der Religion labend aus den Händen des menschenfreundlichen Sanzius zu empfangen, seine Passion zu sehn, in der die Größe sich so lieblich spiegelt: – aber hier, vor Angelos gewaltigem Mauergemälde bebt Liebe und Hoffnung zurück, das Ende der Zeiten ist da, alle heiligen Geschichten, die frühen Zeiten derselben sind nur Einleitung und Vorbereitung zu diesem Augenblick, nach seiner Verfließung kann die Phantasie nichts ersinnen und erfinden, die sterbende Zeit regt sich mit allen Muskeln im fürchterlichen Kampfe, die Religion spricht das erste, unwiderrufliche Urteil. –

Ich habe mit diesen Worten den gewaltigen Buonarroti nur gegen einige Unbilligkeiten rechtfertigen wollen, indem man diese hohen Gestalten zu oft wie irgendeine andre Historie beurteilt; wenn ich irrte, so irrte ich doch aus bessern Willen, als diejenigen kältern Menschen tun, die zu gern das Erhabene schmälern, um einen andern Liebling desto ruhiger Recht widerfahren zu lassen; oder wir irrten vielmehr aus gleichen Gründen, aus verzeihlicher Vorliebe, und Gott und die Kunst mag uns verzeihen.


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