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Erster Abschnitt

Schilderung wie die alten deutschen Künstler gelebt haben: wobei zu Exempeln angeführt werden Albrecht Dürer, nebst seinem Vater Albrecht Dürer dem Alten

Es ist eine schöne Sache, einen längst verstorbenen Künstler aus seinen hinterbliebenen Werken sich im Geiste neu zu erschaffen, und aus allen den verschiedenen leuchtenden Strahlen den Brennpunkt zu finden, wohin sie zurückführen, oder vielmehr den himmlischen Stern, von welchem sie ausgingen. Dann haben wir die Weltseele aller seiner Schöpfungen vor uns, – ein Gedicht unserer Einbildungskraft, wovon das wirkliche Leben des Mannes völlig ausgeschieden ist.

Noch fast schöner ist es aber, wenn wir in Gedanken dieses schimmernde Geisterwesen mit Fleisch und Bein bekleiden, – wenn wir ihn uns als einen unsersgleichen, als unsern Freund und Bruder vorstellen können, und wie auch er ein Glied der großen Menschenkette war, an äußerer Beschaffenheit allen seinen geringeren Brüdern ähnlich. Dann ist uns der Gedanke gegenwärtig, wie doch auch diese schönste Menschenseele zuerst aus dem Ei der albernen Kindheit hervorgehen mußte, – wie Vater und Mutter ein Kind zur Welt gebracht, ohne ein Wort von seinem künftigen hohen Geiste zu wissen. Wir denken uns den herrlichen Künstler in allen Szenen des Lebens: wir sehen ihn als Jüngling, wie er den alten Vater verehrt und liebt, – als Mann, wie er mit Bruder, Schwester und Verwandten Freundschaft hält, wie er ein Weib nimmt und selbst Vater wird, – kurz, wie auch er von der Geburt bis zum Tode alle die Schicksale erfährt, welche dem Menschengeschlechte eigen sind.

Besonders rührend, erquickend und lehrreich wird mir nun diese Betrachtung, wenn ein solcher Künstler, obwohl er einen außerordentlichen Geist und seltene Geschicklichkeit besaß, dennoch sein Leben, als ein ganz schlichter und einfältiger Mann, auf diejenige Art durchführte, die in den vorigen Jahrhunderten bei unsern deutschen Vorfahren allgemein üblich war, und die ich hier, weil sie meinem Herzen so inniglich wohlgefällt, mit wenigem schildern will.

In vorigen Zeiten war es nämlich Sitte, das Leben als ein schönes Handwerk oder Gewerbe zu betrachten, zu welchem sich alle Menschen bekennen. Gott ward für den Werkmeister angesehen, die Taufe für den Lehrbrief, unser Wallen auf Erden für die Wanderschaft. Die Religion aber war den Menschen das schöne Erklärungsbuch, wodurch sie das Leben erst recht verstehen, und einsehen lernten, wozu es da sei, und nach welchen Gesetzen und Regeln sie die Arbeit des Lebens am leichtesten, und sichersten vollführen könnten. Ohne Religion schien das Leben ihnen nur ein wildes, wüstes Spiel, – ein Hin- und Herschießen mit Weberspulen, woraus kein Gewebe wird. Die Religion war bei allen großen und geringen Vorfällen beständig ihr Stab und ihre Stütze; sie legte ihnen in jede sonst geringgeachtete Begebenheit einen tiefen Sinn; sie war ihnen eine Wundertinktur, worin sie alle Dinge der Welt auflösen konnten; sie verbreitete ihnen ein mildes, gleichförmiges, harmonisches Licht über alle verworrenen Schicksale ihres Daseins, – ein Geschenk, welches wohl das kostbarste für sterbliche Wesen genannt werden mag. Ihr sanfter Firnis brach der grellen Farbe wilder Ausgelassenheit die scharfe Spitze ab, – aber er warf auch über die trockne, schwarze Erdfarbe des Unglücks einen glänzenden Schimmer. – So führten die Menschen die Stunden ihres Lebens langsam und bedächtig, Schritt vor Schritt, und immer im Bewußtsein der guten Gegenwart, fort. Jeder Augenblick war ihnen wert und wichtig; sie trieben die Arbeit des Lebens treu und emsig und hielten sie rein von Fehlern, weil sie es nicht über ihr Gewissen bringen konnten, ein so löbliches und ehrenvolles Gewerbe, das ihnen zugeteilt war, durch ruchlosen Leichtsinn zu schänden. Sie taten das Rechte, nicht um eines Lohns willen, sondern bloß aus dem nie erlöschenden Gefühle der Dankbarkeit gegen denjenigen, welcher allein die Kunst verstanden, die ersten Fäden ihres Daseins an das unhaltbare Nichts anzuzetteln. – Am Ende, da der große Werkmeister sie von der Werkstatt rief, gaben sie, aufgelöst in heilige Gedanken, sich und ihr ganzes Tagewerk, mit fröhlicher Rührung, Ihm in die Hände. Nun wurden die Personalia des Verblichenen als eine kurze Chronik aufgesetzt, oder vor den weinenden Verwandten am Sarge ward eine Leichenrede gehalten, welche ursprünglich die Bedeutung eines Zeugnisses von der treu und redlich vollendeten Lebensarbeit hatte, und der Jugend zum Vorbilde diente. Der unbekannte Gott im Himmel aber wandte das vollendete Tagewerk alsdann zu seinem großen, geheimnisvollen Zwecke an: denn aus allen den Millionen von der Erde abscheidenden Leben baut Er, jenseits jenes blauen Firmaments, eine neue, glänzendere Welt, näher um seinen Thron herum, wo jedes Gute seinen Platz finden wird. – –

So waren die Menschen in vorigen frommen Zeiten beschaffen. Warum muß ich sagen: sie waren? Warum, – wenn ein sterbliches Wesen also fragen darf, – warum hast Du die Welt entarten lassen, allgütiger Himmel?

Wehe den törichten neuen Weisen, welche, aus innerer Armut und Krankheit des Geistes, die Menschenwelt als einen nichtswürdigen Insektenhaufen ansehen, und durch die Betrachtung der Kürze und Vergänglichkeit der tausend wimmelnden Leben auf dieser Erde zu einem trägen, mürrischen Trübsinn oder zu frecher Verzweiflung sich verleiten lassen, worin sie das höchste Ziel zu erschwingen glauben, wenn sie ihr Leben als eine leere Hülse mutwillig zu zerdrücken und zerquetschen streben. Wer so das Leben verachtet, der verachtet alle Tugend und Vollkommenheit, wovon der Mensch Begriff hat, und deren Schaubühne und Übungsplatz allein das Leben ist. – Ein großer Unterschied ist es, ob man sein Gewerbe selbst verachtet, oder ob man bescheiden seine Arbeit gering anschlägt, sein Gewerbe aber liebt, ja bloß zu eigner Freude zu treiben scheint. – Freilich sind wir nur Tropfen im Ozean, freilich tanzen wir alle, ein wimmelnder Reigen, nach kurzem Dasein dem Tode in die Arme: allein unser Geist übersteiget doch die engen Schranken, in ihm wohnen ja die unnennbaren, uns selber unbegreiflichen Kräfte, welche den Himmel und die ganze Erde, welche Zeit und Ewigkeit in den engen Raum zwischen Geburt und Grab zu verpflanzen fähig sind. – Unser Leben ist eine leichte Brücke, von einem dunkeln Lande zum andern hinübergeschlagen: so lange wir darauf gehen, sehen wir das ganze himmlische Firmament im Wasser sich spiegeln. –

In jenen Zeiten unsrer deutschen Vorfahren aber, – denn vorzüglich auf den stillen, ernsten Charakter unsrer vaterländischen Nation ist jene Schilderung gegründet, – als die Menschen bei aller Fröhlichkeit doch fromm, ernsthaft und langsam das Turmgebäude des Lebens aus aufeinandergesetzten Stunden und Tagen aufbauten; welche unter den damaligen Menschen können unsrer zurücksehenden Einbildungskraft wohl ein herrlicheres und werteres Bild darbieten, als die Künstler, die also lebten? Denn ihnen mußte ja ihre Kunst, – denn auch diese trieben sie nicht vornehm als Liebhaberei und um der Langenweile willen, (wie jetzt zu geschehen pflegt,) sondern mit emsigem Fleiße, wie ein Handwerk, – sie mußte ihnen, ohne daß sie es selber wußten, ein geheimnisvolles Sinnbild ihres Lebens sein. Ja, beides, ihre Kunst und ihr Leben, war bei ihnen in ein Werk eines Gusses zusammengeschmolzen, und in dieser innigen, stärkenden Vereinigung ging ihr Dasein einen desto festeren und sicherern Gang durch die flüchtige umgebende Welt hindurch. In ruhiger, bescheidener Stille, ohne viel scharfsinniger Worte, malten oder bildeten sie ihre Menschenfiguren, und gaben ihnen treulich dieselbe Natur, die das geheimnisvoll-wunderbare lebendige Original ihnen zeigte: und eben so bildeten sie ihr Leben ganz folgsam nach den vortrefflichen Himmelslehren der Religion. Sie dachten aber keinesweges an spitzfindige Fragen, warum der Menschenkörper gerade so und nicht anders gestaltet sei, oder zu welchem Zwecke sie ihn nachahmten, und ebensowenig konnte es ihnen einfallen, nach dem Grunde zu fragen, warum die Religion da sei oder nach der Bestimmung, wozu sie selber geschaffen wären. Nirgends fanden sie Zweifel und Rätsel; sie verrichteten ihre Handlungen, wie sie ihnen natürlich und notwendig erschienen, und fügten ihre Lebenszeit ganz unbefangen aus lauter richtigen, regelrechten Handlungen zusammen, eben so wie sie an ihren gemalten Figuren die gehörigen Knochen und Muskeln, woraus der menschliche Körper nun einmal gebaut ist, aneinandersetzten.

Es ist mir eine große Herzensfreude, wenn ich diese treuen Arbeiter, in der Kunst wie im Leben, welche die deutsche Vorzeit, und vor allem jenes fruchtbare sechzehnte Jahrhundert, hervorgebracht hat, mit gesammelten Gedanken betrachte. Um aber ein paar Exempel anzuführen, so will ich meine vorige allgemeine Abschilderung durch etliche ganz einzelne Züge aus der Geschichte meines lieben Albrecht Dürers, und seines Vaters, welcher der Goldschmied Albrecht Dürer der Alte ist, erläutern. Denn wenn gleich diese kleinen Züge an sich unbedeutend scheinen möchten, so denke ich doch, daß man, nach dem voraus von mir entworfenen, vielsagenden Gemälde, den richtigen Sinn derselben und ihre wahre Bedeutung besser verstehen wird.

In dem Werke des edlen Joachim von Sandrart, (in welchem derselbe mit lobenswürdigem Eifer gern das ganze Gebiet der Kunst mit beiden Händen umfassen wollte), finden wir in dem Leben Albrecht Dürers einen kleinen Aufsatz von diesem Künstler selbst eingerückt, worin er, ihm selber und seinen Nachkommen zum Andenken, einige Nachrichten von seinem Leben und von seiner Familie, mit wenigen aber treuen und frommen Worten, aufgezeichnet hat. Es war damals nicht ungewöhnlich, seinem vollbrachten Lebenslaufe durch genaue Aufzeichnungen wieder nachzudenken und ihn zu prüfen; und niemals sonderte man sich in solcher Beschreibung von allen übrigen Menschen ab, vielmehr betrachtete man sich immer nur als ein Mitglied und Mitbruder des großen Menschengeschlechts, indem man sein ganzes Geschlechtsregister durchführte, und sich bescheiden seinen gehörigen Platz auf irgendeinem Nebenzweige des alten ehrwürdigen Stammbaums anwies, nicht aber sich allein zum Hauptstamme der Welt machte. Die lieblich-verschlungene Kette der Verwandtschaft war ein heiliges Band: mehrere Blutsfreunde machten gleichsam ein einziges, geteiltes Leben aus, und ein jeglicher fühlte sich desto reicher an Lebenskraft, in je mehr andern Herzen das gleiche urväterliche Blut schlug: – die ganze Verwandtschaft endlich war der heilige kleine Vorhof zu dem großen Inbegriff der Menschheit. Die alten Vorfahren, die der Himmel zu Werkzeugen bestimmt hatte, der fruchtbaren Nachkommenschaft das Leben, und mittelbar alle Güter des Lebens, (ich meine Tugend und göttliche Gesinnung,) zu schenken, wurden, aus einem schönen, natürlichen Instinkte, nicht anders als mit dankbarer Ehrfurcht genannt. Der Sohn horchte in der Jugend seinem alten Vater wißbegierig zu, wenn dieser von seinen oder seines Vaters Schicksalen erzählte; er nahm alles eifrig in sein Gedächtnis auf, als wären es wichtige Glaubensartikel, denn auch er sollte das Werk des Lebens durchführen, das seine Vorfahren schon so ruhmwürdig vollendet hatten.

Dies sind die Gedanken, welche bei mir aufsteigen, wenn ich des Albrecht Dürers Bericht von seinem Vater und seinen Vorfahren lese, welchen er mit folgenden Eingangsworten anhebt:

«Ich Albrecht Dürer der jüngere hab zusammengetragen aus meines Vaters Schriften, von wannen er her sei, wie er herkommen und blieben und geendet seliglich. Gott sei ihm und uns gnädig. Amen.»

Alsdann erzählt er: seines Vaters Vater, genannt Antoni Dürer, sei als Knabe in ein Städtlein in Ungarn gekommen zu einem Goldschmied, und habe allda das Handwerk erlernt. Dann habe er sich verheiratet mit einer Jungfrauen mit Namen Elisabeth, mit dieser habe er vier Kinder geboren, und der erste Sohn, Albrecht Dürer, sei sein lieber Vater gewesen, und sei auch ein Goldschmied worden. Dieser sein lieber Vater habe sich nachher lange Zeit in Niederlanden bei den großen Künstlern aufgehalten, und im Jahre 1455 sei er nach Nürnberg gekommen, gerade an demselben Tage, als Philipp Pirkhaimer auf der Vesten Hochzeit gehalten, und ein großer Tanz unter der großen Linden angestellt gewesen.

Das ganze Wesen seines Vaters spricht Albrecht Dürer gleich anfangs gar kräftig und bündig in zweien Worten aus, wenn er sagt: er sei gewesen ein künstlicher und reiner Mann. Und am Ende fügt er folgende Züge hinzu, die uns ihn ganz lebhaft vor Augen schildern. Es habe sich derselbe mit Weib und Kindern von seiner Hände Arbeit notdürftig ernährt, und sein Leben unter mancherlei Mühe, Anfechtung und Beschwerden hingebracht. Bei allen, die ihn gekannt, habe er ein gut Lob gehabt, denn er sei ein gottesfürchtiger Mann gewesen, geduldig, sanftmütig, ehrbar, und immer voll Dankbarkeit gegen Gott. Übrigens sei er von wenig Worten gewesen, habe allzeit in der Stille und Einsamkeit fortgelebt und sich gar wenig weltlicher Freuden bedient. Sein höchstes Begehren sei dahin gegangen, seine Kinder zur Ehre Gottes aufzuziehen, darum habe er großen Fleiß auf sie gewandt und täglich von der Liebe Gottes zu ihnen gesprochen. Endlich, in der Krankheit, da er seinen Tod vor Augen gesehen, habe er sich willig dreingegeben, habe seinen Kindern befohlen, göttlich zu leben und sei christlich verschieden, im 1502ten Jahre, vor Mitternacht nach St. Matthäus-Abend.

Ein solches stilles, abhängiges Leben führen, da man in keiner Stunde vergißt, daß man nichts anders ist als ein Arbeiter Gottes, dies heißt den sichersten Weg zur Glückseligkeit gehn. Wer aber keinen Gott verehrt, das heißt mit andern Worten, wer sich selbe zum Gott und Regierer des Weltalls machen will, der befinde sich in einer unglückseligen Verrückung, und genießt nur die traurige, falsche Glückseligkeit eines törichten, wahnsinnigen Bettlers der sich ein Kaiser in der Krone dünkt. –

Noch finden wir an dem oben gedachten Orte ein von dem alten Dürer hinterlassenes Verzeichnis aller seiner Kinder, an der Zahl achtzehn, welche er eigenhändig, nach Vornamen und nach Tag und Stunde der Geburt, in ein eigen Buch sorgfältig aufgezeichnet hat. Dieser gute Bürger und Goldschmied zu Nürnberg, Dürer der Alte, mag während seines Lebens gewiß oftmals vielfältige gute Gedanken in seinem Kopfe hervorgebracht haben; allein viel davon aufzuschreiben ist ihm wohl nicht eingefallen, ja es möchte ihm dies vielleicht seltsam vorgekommen sein: weit natürlicher war es ihm, über alle Kinder, die der Himmel ihm geschenkt hatte, ein genaues Register zu führen. Von allen diesen achtzehn Kindern aber gedenken wir jetzt, nach ein paar Jahrhunderten, keines als nur des geliebten Albrechts, und alle übrigen sind der Vergessenheit übergeben, wovon freilich der Vater bei der Geburt nichts ahnden konnte, ihn vielmehr, ohne Auszeichnung, mit ähnlichen Worten als die andern, also aufführt:

«Item, nach Christi Geburt 1471 Jahr, in der sechsten Stunde am Sankt Prudentien Tag, an einem Freitag in der Kreuzwoche gebar mir meine Hausfrau Barbara meinen andern Sohn, der ward genannt Albrecht nach mir.»

Nachdem unser Albrecht Dürer der jüngere dies Register von allen seinen Geschwistern aus seines Vaters Buch eingerückt, so setzt er hinzu: «Nun sind diese meine Geschwister, meines lieben Vaters Kinder, fast alle gestorben, etliche in der Jugend, die andern so sie erwachsen waren; nur wir drei Brüder leben noch, so lange Gott will, nämlich ich Albrecht, desgleichen mein Bruder Hans und mein Bruder Andreas.» – So lange Gott will! Ein schöner Wahlspruch! Ein kindliches Gefühl, daß wir Menschen uns von Gott, in den teuren Banden seiner Liebe hängend, solange unter den Blumengerüchen dieser grünen Erde hin und her wiegen lassen, als es ihm gut dünkt daß uns dienlich sei.

Ihm, unserm werten Albrecht Dürer, hat er ein 57jähriges Alter dienlich gehalten; dabei hat er ihm aber auch gütig verliehen in der Kunst ein weit größerer Mann als sein Vater zu werden Anfangs lernte dieser ihn zum Goldschmiedgewerbe an, und wollte die großväterliche Kunst auf den Enkel verpflanzen. Denn wenn in den vorigen Zeiten Deutschlands die Kunst einmal dem Stamm eines Geschlechts eingeimpft war, so wurden gemeiniglich auch die nachschießenden Zweige veredelt, und das Band der Blutsfreundschaft ward gleichsam vergoldet durch diese erbliche Jugend der Kunst, wovon uns mehrere edle Künstlerfamilien entsprossen aus den blühenden alten Städten des südlichen Deutschlands, ein Beispiel abgeben. – Der junge Albrecht übte sich also unter seines Vaters Anweisung in der Goldschmiedearbeit und kam, (wie Sandrart erzählt), so weit, daß er die sieben Fälle des Leidens Christi in getriebener Arbeit verfertigte. Damals war es jedem, ohne sich zu besinnen, das nächste und natürlichste, sich durch heilige Gegenstände zur Kunst einzuweihen, und für die erlangte erste jugendliche Geschicklichkeit dem Himmel durch eine Vorstellung, die ihm wohlgefällig wäre, sich dankbar zu beweisen. Dürer aber trug innerlich weit größere Lust zur Malerei und obwohl der Vater ihn gar gern auch zum Sohne seiner Kunst behalten hätte, so gab er doch nach, und, – spricht Albrecht Dürer, – «im Jahre 1486 am St. Andreas Tag versprach mich mein Vater in die Lehrjahr' zu Michael Wohlgemuth, drei Jahr lang ihm zu dienen; in der Zeit verliehe mir Gott Fleiß, daß ich wohl lernete, aber viel von seinen Knechten leiden mußte; und da ich ausgedient hatte, schickt' mich mein Vater hinweg, und blieb ich vier Jahr außen, bis daß mich mein Vater wieder fordere.» In diesem einfachen Tone zählt er die Umstände seines Lebens her: ohne sich zur Rechten oder Linken umzusehen, geht er seinen geraden Weg fort, und tut, als wenn alles, was ihm begegnet, so und nicht anders sein müßte.

In seinen Gemälden, Kupferblättern und Holzstichen, welche zum großen Teil geistliche Vorstellungen enthalten, zeigt unser Dürer eine treue, handwerks-mäßige Emsigkeit. Das Gemüt, welches ihm das Streben nach dieser in feinen Linien ausgeführten Vollendung, das man so offen und unverstellt in seinen Werken erblickt, einflößte, und welches ihn trieb, den besten und richtigsten Proportionen des menschlichen Körpers sorgfältig nachzuspüren, und sie in einem Buche aufzubewahren, welches nachher in allen Sprachen übersetzt, allen zeichnenden Völkern zum Kanon diente: dies war eben dasselbe Gemüt, welches ihn auch im Leben und Handeln überall das Rechte und Gute so verfolgen hieß. Obgleich aber die Posaune der Fama in den besten Ländern Europas, (nämlich außer dem deutschen Reiche in Italien, Frankreich, Spanien, Holland und England,) weit und breit seinen Namen ausrief und verherrlichte, so daß er sowohl von den berühmtesten Malern damaliger Zeit, als von Kaisern und Königen, der größten Ehren genoß, welches seinem Vater, dem ehrlichen Goldschmied, keineswegs begegnet war; so wich der teure Mann doch in der Art zu leben gar nicht von diesem ab, sondern setzte den Pilgerstab seiner irdischen Wanderschaft eben so Schritt vor Schritt, still und bedächtig fort, und war ein künstlicher und reiner Mann.

Aus solchen Beispielen wird man ersehen, daß, wo Kunst und Religion sich vereinigen, aus ihren zusammenfließenden Strömen der schönste Lebensstrom sich ergießt.

So wie aber diese zwei großen göttlichen Wesen, die Religion und die Kunst, die besten Führerinnen des Menschen für sein äußeres, wirkliches Leben sind, so sind auch für das innere, geistige Leben des menschlichen Gemüts ihre Schätze die allerreichhaltigsten und köstlichsten Fundgruben der Gedanken und Gefühle, und es ist mir eine sehr bedeutende und geheimnisvolle Vorstellung, wenn ich sie zweien magischen Hohlspiegeln vergleiche, die mir alle Dinge der Welt sinnbildlich abspiegeln, durch deren Zauberbilder hindurch ich den wahren Geist aller Dinge erkennen und verstehen lerne. –


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