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Raffaels Bildnis

Schon oft habe ich dich angeredet, in Gedanken und laut, du teures Angesicht, alle meine Sorgen, meinen Jammer habe ich dir in schönen abergläubischen Stunden geklagt, und dann schautest du mich an, als wenn du mich kenntest, als wenn du mich besser verständest, als meine Freunde, die mich umgeben.

Innig hat mich schon von meiner Kindheit der Klang deines Namens ergötzt. Was ist es, das meine Seele zu dir Unbekannten, der mir so befreundet ist, hinzieht? Immer red' ich zu dir, wie gegenwärtig, vertraulich bin ich in deiner Nähe, alles, was ich denke, alles, was mir begegnet, erzähl ich dir, wie von einem lieben Herzensfreunde nehme ich am Abend Abschied von dir, und lege mich zur Ruhe.

Kennst du mich? Weißt du von mir? Immer schwank ich, und zittre, dir zu begegnen, und dann bist du wieder nahe an meiner Brust.

Nicht als Künstler bist du mir bloß gegenwärtig, nicht Bewunderung und Liebe allein zieht mich mächtig zu dir hin, eine wunderseltsame unaussprechliche Seligkeit strömt von dir aus, und faßt mich wie mit Wellen ein, daß du es bist, du allein, dein Name, deine Gestalt, die ich mir einbilde, dein hoher Sinn, der dich regierte, das alles, was einzig dich allein vor allen herrlich macht, und was ich immer nicht nennen kann, dies ist, was die glänzenden, unzerreißlichen Ketten um mich windet, was mich wie auf Engelschwingen zwischen Himmel und Erde hält, wo ich dich immer unerreichbar oben sehe und nicht zurück zur Erde kann, und du mit mitleidiger Freundschaft mein Händestrecken, mein inbrünstiges Ringen siehst.

Oft tadle ich mich dann, und wie ein Gewissensvorwurf befällt mich die Ängstlichkeit, daß ich die Kunst und dich, dies eitle menschliche Spielwerk zu himmlisch, zu begeistert anschaue, daß die großen Apostel, die heiligen Märtyrer der Kirche wohl nur ihren Herrn, den Welterlöser mit dieser Anbetung, die das ganze Herz in zitternder, unendlich seliger Freude auflöst, gedacht und sich nahe gewünscht haben mögen. Denn es ist wahr, wenn ich an andre große Namen denke, an alte Helden, an alte Dichter und Propheten, und du fällst dann plötzlich wie eine glänzende Erscheinung in mein Gedächtnis hinein, so ist alles übrige dunkel und ohne Farbe, ich war oft erfreut und erhabenen Gemüts, aber plötzlich fühl ich dann, daß ich irrte, und daß du meine ganze Seele regierst.

Seh ich dann umher und betrachte die übrigen Menschen und die unlebendige aber freundliche Natur, so muß ich mich über mich selber verwundern. Denn dein Odem vom Himmel herab, o Allgütiger, der die Natur bis in die innersten Tiefen durchdringt, der das liebliche Leben in Kreatur und Baum erregt, der in den Seelen zittert, daß sie verehren und anbeten und sich selber lieben, dieser dein Geist erschüttert mich vor allen übrigen gewaltsamer, ein ewiges Entzücken der Wonne bewegt und zerstört und erhält Baum und Zweig meines Daseins, Liebe zu dir und brüderliche Freundschaft, mein Raffael Sanzius ist das Geräusch aller seiner Blätter.

Ich mag dich jetzt mit Worten nicht nennen, du, den alle Gedanken meinen, zu dem die Geister streben, wenn sie es gleich nicht wissen und merken, du letzter Urquell, großes Meer, Unendlichkeit des Lebens! Aber du verzeihst es mir gewiß, wenn ich mit meiner höchsten Liebe ein inwohnendes Bild meiner Seele umfange, wenn ich vor der allerliebsten Gestalt demütig kniee, wenn ich ihr einen menschlichen Namen gebe, und gern gestehe, daß ich das Entsetzen des Gefühls, mit dem ich dich nur denken kann, fürchte, daß ich das Zermalmen des Entzückens, die Last der Wonne, die mich im Tempel wohl zuweilen faßt und niederdrückt, nur in seltenen, geheimnisreichen Stunden zu suchen wage. Du bist es ja doch, den wir mit allen Entzückungen meinen, und daß ich es kindlich und doch kühnlich sage, so hast du deinen Sohn in die Welt geschickt, um unsre Liebe, unsre Huldigung verkleidet zu empfangen, und es freut dich auch, dich in tausend andern Vorstellungen verehrt zu sehn, und darum erregst du in den Seelen guter Menschen die Bilder wohl selbst, in denen sie dich anbeten.

Darum will ich auch an dir, mein Raffael, immer fester hangen. Ich sehe dein ganzes Leben und Wirken vor mir, meine Stunden sind mir fast nur geschenkt, mich der deinigen zu erinnern. Ich verwundere mich immer von neuem, wie du wohl magst in das gewöhnliche Leben hineingeschaut haben, wie dir alle Ärmlichkeiten, alle wilden Verwirrungen, alles kleinliche Interesse vorgekommen ist. Wie du mitleidig gelächelt hast, und dir an deinen Brüdern doch nichts fremd und nichts verächtlich war.

Wenn ich in trüben Stunden verzagen will und die Welt mir unglückselig dünkt, wenn nichts mich dann aufrichtet, und ich mich aller Freunde erinnere, die ich verlor, wenn meine Seele sich in Bangigkeit zusammenkrümmt, und ich ohne Hoffnung die Arme nach einem Troste ausstrecke: dann rufe ich deinen Namen Raffael aus, wie den eines Schutzgeistes, nach dir schreie ich um Hülfe, und milder Sonnenschein verbreitet sich über die Erde, die Blumen, die süßen Frühlingsverkünder keimen, du schickst ein Heer von Engelsgestalten in mein empörtes Gemüt und alle Wellen legen sich wieder zur Ruhe nieder.

Mit dem Frieden, der mich beseligt, umfange ich dann dich selbst. Mit allen Kräften strebe ich zu dir hinan, ich möchte dich mit meinen innigsten Gedanken in meine Sphäre ziehn, ich weine, daß du in der Ferne bleibst. Zuweilen glaub ich und hoffe, du müßtest gewiß sichtbar aus der leeren Luft heraustreten, daß ich dich fassen, festhalten und dir alles sagen könnte. Vielleicht daß du mich in diesen Minuten der Begeisterung umschwebst, und deine Geisterhand mein armes dürstendes Herz berührt. Ich glaube, daß es so ist und so sein muß, daß unsre Liebe die verwandten Geister aus ihrer seligen Ruhe hinunterzieht. So bewahrt mich deine Gegenwart vor dem irdischen Tun und Treiben.

Wie der Abendwind durch die Harfensaiten geht, so daß sie leise und doch vernehmlich klingen, rührend und wehmütig ohne Melodie, so fliegt dein Geist im kühlen Gehölz, am murmelnden Bache oft meiner Seele vorüber, und ich fasse dann nicht und weiß nicht, welche plötzliche Erquickung wie ein goldener Funke durch meinen Busen geht. Neue Lebenslust strömt, ein reiner frischer Quell durch mein Gemüt, er rieselt fort, und nimmt auf seinen Wogen alle Gestalten der Sorge mit sich, alle trübe Vergangenheit und eine kristallene Zukunft wird der Lethe, der mir den Becher der Vergessenheit ermunternd gibt.

Wunderbar hast du mich durch deine Kunst an dich gerissen und seitdem lieb ich jedes neue Wort, das ich von dir erfahren kann. Wie groß erscheinen mir die Menschen, die, von der Not ihrer Mitbrüder gerührt, ihre Habe, ihr Besitztum nicht achten, sondern alles gern dahingeben, um die Tränen der Dürftigkeit zu trocknen, um den Hunger, den Durst der Unglückseligen zu stillen! Oh, wie betrübt ist es, in das Elend, in die irdische Not hineinzuschauen, wie vielen jedes andre Glück mangelt, und der Bissen Brot ihr einziges, ihr höchstes Glück ist! So wie sich dort die Hungrigen versammeln, so stehn, du größter Raffael, die edleren Seelen um dich, und flehen dich um milde Gabe an, ihre herzliche Sehnsucht, ihre schönsten Wünsche sollst du erfüllen und befriedigen, Sie ahnden, sie möchten es erhaschen, das überirdische Gefühl, die schönsten Augenblicke, die schon dem Himmelsleben; gehören. Und du, Unbegreiflicher, stehst nun mit reichem Segen da, und gibst und gießest die goldene Schale aus. Du magst nichts sparen, nichts zurückbehalten, immer größere Wunder tun sich auf, immer lieblicher, immer gedrängter fahren die Engel herunter, und das Schlagen ihrer Flügel weht in feinen, melodischen Kreisen. Unschuldig stehst du in deiner Herrlichkeit, unbefangen, als empfingst, nicht als schenktest du. In allen Richtungen sendest du deine Strahlen aus, die Malerkunst hast du gewürdigt, dich in ihr zu offenbaren, dein unsterbliches Wesen und sie zugleich verklären. Alles, wonach du strebst, ist neu und schön und groß, aber du scheinst es nicht zu wissen, du überlässest dich dem Gefühl, du wirkst ohne Stolz das Göttlichste aus, und verwunderst dich nicht über deine Schöpfung. Wo deine gesegnete Hand verweilt, entsteht eine neue Welt, eine unbekannte, geheimnisreiche Schönheit. In dir selber glücklich, öffnest du voll Liebe die Arme, und empfängst jeden, der dich sucht, mit Himmelsspeise, mit Trost und Beruhigung und Wonne.

Wie bin ich zu schwach, dich zu lobpreisen! Wie unglückselig dünken mir diejenigen zu sein, die deine geweihten Hallen nur wie gemalte Wände besuchen, die dich mit den übrigen nennen, dich mit billiger Zunge loben und dich noch lieber meistern möchten!

Darum bleibe auch jegliche Vergleichung von dir Raffael fern. Nur sei es mir vergönnt, deinen großen Bruder Buonarroti zu nennen. Er will nicht trösten und beruhigen, er strebt mit fortgesetzten Schritten nach einem und demselben Ziele, das er erreicht, ihm ist die Kunst sein Höchstes, sein Letztes, und er hat gewiß über dein wunderbares, unergründliches, von oben bewegtes Gemüt gelächelt.

Nur noch einen Mann unterstehe ich mich in deiner Gegenwart auszusprechen, den lieben deutschen Albrecht Dürer. Sein schönes Gemüt trieb ihn oft an, seinen Menschen, die er auf seine Weise liebte, das zu schenken, was du ihnen glorreich verleihst: aber man sieht es seinen Gaben an, daß er selber zu den Bittenden gehörte, die Erdensorgen wohnen verborgen in seinen Bildern, seine trüben Tage, seine Kunstsachen sind wie ein Fest, das ein Unglückseliger anstellt.

Durch alle Zeiten, Raffael, werde gepriesen, und erwecke einst einen würdigen Schüler, der das lauter und deutlicher verkündigen möge, was ich hier mit unbeholfener Zunge habe sagen wollen.


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