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Die Wunder der Tonkunst

Wenn ich es so recht innig genieße, wie der leeren Stille sich auf einmal, aus freier Willkür, ein schöner Zug von Tönen entwindet, und als ein Opferrauch emporsteigt, sich in Lüften wiegt, und wieder still zur Erde herabsinkt; – da entsprießen und drängen sich so viele neue schöne Bilder in meinem Herzen, daß ich vor Wonne mich nicht zu lassen weiß. – Bald kommt Musik mir vor, wie ein Vogel Phönix, der sich leicht und kühn zu eigener Freude erhebt, zu eignem Behagen stolzierend hinaufschwebt, und Götter und Menschen durch seinen Flügelschwung erfreut. – Bald dünkt es mich, Musik sei wie ein Kind, das tot im Grabe lag, – ein rötlicher Sonnenstrahl vom Himmel entnimmt ihm die Seele sanft, und es genießt, in himmlischen Äther versetzt, goldne Tropfen der Ewigkeit, und umarmt die Urbilder der allerschönsten menschlichen Träume. – Und bald, – welche herrliche Fülle der Bilder! – bald ist die Tonkunst- mir ganz ein Bild unsers Lebens: – eine rührend-kurze Freude, die aus dem Nichts entsteht und ins Nichts vergeht, – die anhebt und versinkt, man weiß nicht warum: eine kleine fröhliche grüne Insel, mit Sonnenschein, mit Sang und Klang, die auf dem dunkeln, unergründlichen Ozean schwimmt. –

Fragt den Tonmeister, warum er so herzlich fröhlich sei auf seinem Saitenspiel. «Ist nicht», wird er antworten, «das ganze Leben ein schöner Traum? eine liebliche Seifenblase? Mein Tonstück desgleichen.»

Wahrlich, es ist ein unschuldiges, rührendes Vergnügen, an Tönen, an reinen Tönen sich zu freuen! Eine kindliche Freude! Wenn andre sich mit unruhiger Geschäftigkeit betäuben, und von verwirrten Gedanken, wie von einem Heer fremder Nachtvögel und böser Insekten umschwirrt, endlich ohnmächtig zu Boden fallen; – oh, so tauch' ich mein Haupt in dem heiligen, kühlenden Quell der Töne unter, und die heilende Göttin flößt mir die Unschuld der Kindheit wieder ein, daß ich die Welt mit frischen Augen erblicke, und in allgemeine, freudige Versöhnung zerfließe. – Wenn andre über selbsterfundene Grillen zanken, oder ein verzweiflungsvolles Spiel des Witzes spielen, oder in der Einsamkeit mißgestaltete Ideen brüten, die, wie die geharnischten Männer der Fabel, verzweiflungsvoll sich selber verzehren; oh, so schließ' ich mein Auge zu vor all dem Kriege der Welt, und ziehe mich still in das Land der Musik, als in das Land des Glaubens, zurück, wo alle unsre Zweifel und unsre Leiden sich in ein tönendes Meer verlieren, – wo wir alles Gekrächze der Menschen vergessen, wo kein Wort- und Sprachengeschnatter, kein Gewirr von Buchstaben und monströser Hieroglyphenschrift uns schwindlich macht, sondern alle Angst unsers Herzens durch leise Berührung auf einmal geheilt wird. – Und wie? Werden hier Fragen uns beantwortet? Werden Geheimnisse uns offenbart? Ach nein! aber statt aller Antwort und Offenbarung werden uns luftige, schöne Wolkengestalten gezeigt, deren Anblick uns beruhigt, wir wissen nicht wie; – mit kühner Sicherheit wandeln wir durch das unbekannte Land hindurch, – wir begrüßen und umarmen fremde Geisterwesen, die wir nicht kennen, als Freunde, und alle die Unbegreiflichkeiten, die unser Gemüt bestürmen, und die die Krankheit des Menschengeschlechtes sind, verschwinden vor unsern Sinnen, und unser Geist wird gesund durch das Anschaun von Wundern, die noch weit unbegreiflicher und erhabener sind. Dann ist dem Menschen, als möcht' er sagen: «Das ist's, was ich meine! Nun hab' ich's gefunden! Nun bin ich heiter und froh!» –

Laß sie spotten und höhnen, die andern, die wie auf rasselnden Wagen durchs Leben dahinfahren, und in der Seele des Menschen das Land der heiligen Ruhe nicht kennen. Laß sie sich rühmen ihres Schwindels, und trotzen, als ob sie die Welt mit ihren Zügeln lenkten. Es kommen Zeiten, da sie darben werden.

Wohl dem, der, wann der irdische Boden untreu unter seinen Füßen wankt, mit heitern Sinnen auf luftige Töne sich retten kann, und nachgebend, mit ihnen bald sanft sich wiegt, bald mutig dahertanzt, und mit solchem lieblichen Spiele seine Leiden vergisst!

Wohl dem, der, (müde des Gewerbes, Gedanken feiner und feiner zu spalten, welches die Seele verkleinert,) sich den sanften und mächtigen Zügen der Sehnsucht ergibt, welche den Geist ausdehnen und zu einem schönen Glauben erheben. Nur ein solcher ist der Weg zur allgemeinen, umfassenden Liebe, und nur durch solche Liebe gelangen wir in die Nähe göttlicher Seligkeit.

Dies ist das herrlichste und das wunderbarste Bild, so ich mir von der Tonkunst entwerfen kann, – obwohl es die meisten für eitle Schwärmerei halten werden. –

Aber aus was für einem magischen Präparat steigt nun der Duft dieser glänzenden Geistererscheinung empor? – Ich sehe zu, – und finde nichts, als ein elendes Gewebe von Zahlenproportionen, handgreiflich dargestellt auf gebohrtem Holz, auf Gestellen von Darmsaiten und Messingdraht. – Das ist fast noch wunderbarer, und ich möchte glauben, daß die unsichtbare Harfe Gottes zu unsern Tönen mitklingt, und dem menschlichen Zahlengewebe die himmlische Kraft verleiht. –

Und wie gelangte denn der Mensch zu dem wunderbaren Gedanken, Holz und Erz tönen zu lassen? Wie kam er zu der köstlichen Erfindung dieser über alles seltsamen Kunst? – Das ist ebenfalls wiederum so merkwürdig und sonderlich, daß ich die Geschichte, wie ich sie mir denke, kürzlich hersetzen will.

Der Mensch ist ursprünglich ein gar unschuldiges Wesen. Wenn wir noch in der Wiege liegen, wird unser kleines Gemüt von hundert unsichtbaren kleinen Geistern genährt und erzogen und in allen artigen Künsten geübt. So lernen wir durchs Lächeln, nach und nach, fröhlich sein, durchs Weinen lernen wir traurig sein, durchs Angaffen mit großen Augen lernen wir, was erhaben ist, anbeten. Aber so wie wir in der Kindheit mit dem Spielzeuge nicht recht umzugehen wissen, so wissen wir auch mit den Dingen des Herzens noch nicht recht zu spielen, und verwechseln und verwirren in dieser Schule der Empfindungen noch alles durcheinander.

Wenn wir aber zu den Jahren gekommen sind, so verstehen wir die Empfindungen, sei es nun Fröhlichkeit, oder Betrübnis, oder jede andre, gar geschickt anzubringen, wo sie hingehören; und da führen wir sie manchmal recht schön, zu unsrer eigenen Befriedigung, aus. Ja, obwohl diese Dinge eigentlich nur eine gelegentliche Zutat zu den Begebenheiten unsers gewöhnlichen Lebens sind, so finden wir doch soviel Lust daran, daß wir die sogenannten Empfindungen gern von dem verwirrten Wust und Geflecht des irdischen Wesens, worin sie verwickelt sind, ablösen, und sie uns zum schönen Angedenken besonders ausführen, und auf eigene Weise aufbewahren. Es scheinen uns diese Gefühle die in unserm Herzen aufsteigen, manchmal so herrlich und groß, daß wir sie wie Reliquien in kostbare Monstranzen einschließen, freudig davor niederknieen, und im Taumel nicht wissen, ob wir unser eignes menschliches Herz, oder ob wir den Schöpfer, von dem alles Große und Herrliche herabkommt, verehren.

Zu dieser Aufbewahrung der Gefühle sind nun verschied schöne Erfindungen gemacht worden, und so sind alle schönen Künste entstanden. Die Musik aber halte ich für die wunderbarste dieser Erfindungen, weil sie menschliche Gefühle auf eine übermenschliche Art schildert, weil sie uns alle Bewegungen unsers Gemüts unkörperlich, in goldne Wolken luftiger Harmonien eingekleidet, über unserm Haupte zeigt, – weil sie eine Sprache redet, die wir im ordentlichen Leben nicht kennen, die wir erlernt haben, wir wissen nicht wo? und wie? und die man allein für die Sprache der Engel halten möchte.

Sie ist die einzige Kunst, welche die mannigfaltigsten und widersprechendsten Bewegungen unsers Gemüts auf dieselben schönen Harmonien zurückführt, die mit Freud und Leid, mit Verzweiflung und Verehrung in gleichen harmonischen Tönen spielt. Daher ist sie es auch, die uns die echte Heiterkeit der Seele einflößt, welche das schönste Kleinod ist, das der Mensch erlangen kann; – jene Heiterkeit mein' ich, da alles in der Welt uns natürlich, wahr und gut erscheint, da wir im wildesten Gewühle der Menschen einen schönen Zusammenhang finden, da wir mit reinem Herzen alle Wesen uns verwandt und nahe fühlen, und, gleich den Kindern, die Welt wie durch die Dämmerung eines lieblichen Traumes erblicken. –

Wenn ich in meiner Einfalt unter freiem Himmel vor Gott glückselig bin, – indes die goldnen Strahlen der Sonne das hohe blaue Zelt über mir ausspannen, und die grüne Erde rings um mich lacht, – da ist's am rechten Ort, daß ich mich auf den Boden werfe, und in vollen Freuden dem Himmel lautjauchzend für alle Herrlichkeit danke. Was aber tut alsdann der sogenannte Künstler unter den Menschen? Er hat mir zugesehen, geht, innerlich erwärmt, stillschweigend dahin, läßt sein sympathetisches Entzücken auf leblosem Saitenspiel weit herrlicher daherrauschen, und bewahrt es auf, in einer Sprache, die kein Mensch je geredet hat, deren Heimat niemand kennt, und die jeden bis in die innersten Nerven ergreift. –

Wenn mir ein Bruder gestorben ist, und ich bei solcher Begebenheit des Lebens eine tiefe Traurigkeit gehörig anbringe, weinend im engen Winkel sitze, und alle Sterne frage, wer je betrübter gewesen als ich, dann, – indes hinter meinem Rücken schon die spottende Zukunft steht, und über den schnell vergänglichen Schmerz des Menschen lacht, – dann steht der Tonmeister vor mir, und wird von all dem jammervollen Händeringen so bewegt, daß er den schönen Schmerz daheim auf seinen Tönen nachgebärdet, und mit Lust und Liebe die menschliche Betrübnis verschönert und ausschmückt, und so ein Werk hervorbringt, das aller Welt zur tiefsten Rührung gereicht. – Ich aber, wenn ich längst das angstvolle Händeringen um meinen toten Bruder verlernt habe, und dann einmal das Werk seiner Betrübnis höre, – dann freu' ich mich kindlich über mein eignes, so glorreich verherrlichtes Herz, und nähre und bereichere mein Gemüt an der wunderbaren Schöpfung. –

Wenn aber die Engel des Himmels auf dieses ganze liebliche Spielwerk herabsehen, das wir die Kunst nennen, – so müssen sie wehmütig lächeln über das Kindergeschlecht auf der Erde, lächeln über die unschuldige Erzwungenheit in dieser Kunst der Töne, wodurch das sterbliche Wesen sich zu ihnen erheben will. –


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