Richard Voß
Die Sabinerin
Richard Voß

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Elftes Kapitel.

Salvatore sah sich noch für einige Zeit zu seinem Leben in der Einsamkeit verdammt, denn vor dem Ende der Saison vermochte Lucia ihre Verpflichtungen bei der Compagnia Belotti-Bon nicht zu lösen. Bis zur Zeit ihres Austrittes hoffte sie die hauptsächlichsten Engagements ihrer Truppe vollendet zu haben und wollte sich dann im Juli mit ihrem Künstlerpersonal nach irgend einer umbrischen oder toscanischen Stadt begeben, wo die für Amerika bestimmten Stücke, die sämtlich dem französischen Repertoire entnommen waren, einstudiert werden sollten. Es war bestimmt, daß die Gesellschaft im Oktober sich in Livorno einschiffen würde; dort sollte Salvatore mit der Geliebten zusammentreffen.

Er sah sie jede Woche; jede Woche begab er sich nach Rom, sah sie im Theater spielen, kam nach der Vorstellung zu ihr, blieb so lange, bis sie ihn forttrieb. Wenn sie es gestattet hätte, wäre er überhaupt nicht gegangen; aber sie gestattete es nicht.

Sie hatte ihn bald vollständig unterjocht, ließ alle ihre Launen an ihm aus, behandelte ihn als ihren Sklaven, als ihr Geschöpf, hielt mit ihrer Gunst zurück, quälte ihn, bis sie ihn halb toll gemacht, um sich ihm dann schrankenlos zu ergeben, mit einer solchen Liebesgewalt ihn umstrickend, daß er alle Besinnung verlor.

War der Paroxysmus bei ihr vorüber, so schien er ihr unausstehlich, verhaßt und widerwärtig zu sein: in solcher Stimmung pflegte sie zu sagen: »Ich bin eine Närrin, daß ich dich nicht fortjage, zurück zu deiner Sabinerin. Meinetwegen brauchst du dein braunes Weib nicht zu verlassen, meinetwegen wahrhaftig nicht! Ich würde dich auch gar nicht mehr in mein Zimmer lassen, wenn du nicht das Kind hättest. Ich will das Kind haben, ich bin in das Kind verliebt, nicht in dich. Geh mir aus den Augen! Hörst du nicht, du sollst dich fortscheren. Was ist das für ein Mann! Das sollte ich einem andern sagen.«

Machte er einmal den Versuch, sich aus seiner Erniedrigung zu erheben und ihr etwas männliche Würde zu zeigen, so verstand sie es meisterlich, durch eine leidenschaftliche Liebkosung ihn sich sogleich wieder ebenbürtig zu machen.

Befand Salvatore sich in Torre San Michele, so führte er ein Höllenleben. Sogar das Jagen war ihm verleidet. Entweder trieb er sich mit den Hirten, Fischern und Kohlenbrennern umher, oder er lag auf seinem Bette, tobte gegen Marcantonia und war selbst gegen den Knaben brutal. Ging er nach Rom, so suchte er nicht länger eine Ausrede, sondern entfernte sich ohne ein Wort, blieb tagelang aus, kam jedesmal mit immer finstererem Gesichte, in immer wilderer Stimmung zurück.

Marcantonias Wesen dagegen hatte sich seit dem Besuche der Fremden um nichts geändert; gleichmütig verrichtete sie ihre Arbeit, gleichmütig ertrug sie die Launen ihres Mannes, gleichmütig nahm sie es hin, daß ihr Fieber stärker wurde und sie mehr und mehr hinsiechte. Salvatore bemerkte ihren jammervollen Zustand sehr wohl: ihr gelbes Gesicht, ihre glühenden Augen und ihre tiefe Ermattung gewahrend, schoß es ihm durch den Sinn: vielleicht brauchst du es ihr gar nicht zu sagen, vielleicht geht sie diesen Sommer darauf. Es wäre immerhin besser für sie, als zu erfahren, daß sie gar nicht mein Weib ist und daß ich mit dem Knaben davongehen will. Doch gab er ihr täglich Chinin, beobachtete aber ängstlich die Wirkung der Arznei und atmete erleichtert auf, als keine Besserung eintrat. Täglich erkundigte er sich nach ihrem Befinden und erhielt täglich die Antwort, daß es ihr nicht schlecht ginge. Bisweilen dachte er darüber nach, ob sie wohl wüßte, wohin und zu wem er so häufig ging. Da sie indessen niemals eine Aeußerung that, nahm er an, daß sie sich in ihrer Stumpfheit überhaupt keine Gedanken über seine häufige und lange Abwesenheit machte. Bei ihrem Charakter hätte sie ihm durch ihre Eifersucht das Leben wohl vollends vergällt; er hatte es ja erlebt, wie bestialisch sie sein konnte, damals, als Lucia Silvio liebkoste und der Knabe sich gegen die Fremde zutraulich bezeigte. Sie hatte ihrem Sohne noch immer nicht vergeben, noch immer zeigte sie ihm eine starre Miene. Sie war und blieb eben ein wildes Geschöpf, dem Salvatore das Kind gar nicht lassen durfte, selbst wenn Lucia keine so unbegreifliche Zärtlichkeit für den Knaben gefaßt hätte. Auch das mußte bedacht werden: gesetzt den Fall, das Fieber ließ Marcantonia diesen Sommer noch am Leben, so würde sie doch im nächsten Jahre unfehlbar daran zu Grunde gehen. Und was sollte dann aus Silvio werden?!

Salvatore hatte recht mit seiner Annahme, daß Marcantonia nichts von seinen Heimlichkeiten ahnte. Sie hatte kein Reflexionsvermögen, nur Instinkte. Ihr Instinkt sagte ihr sehr wohl, daß sie ihrem Manne längst keine Leidenschaft mehr einflößte; er verriet ihr aber nicht, daß Salvatore ihr treulos sei. Denn alles in diesem Frauengemüte war Ursprünglichkeit, war einfach und unkompliziert; für einen Ehebruch fehlte ihr jeder Begriff. Und vollends unverständlich wäre ihr eine Leidenschaft ihres Mannes für jene Frau gewesen, deren Art für sie etwas so Fremdes, ihrer Natur Feindseliges hatte, daß sie gar nicht darauf kam, sie mit sich und ihrem Leben in Zusammenhang zu bringen. Etwas ganz anderes war es gewesen, als sie ihr Kind in den Armen der Fremden gesehen, als sie gesehen hatte, wie ihr eigenes Fleisch und Blut sich von ihr abwendete; da war etwas in ihr erwacht, da hatte sie ihr Eigentum mit der Wildheit einer Wölfin an sich gerissen.

Sie vermochte nicht über eine Sache zu sinnen und zu grübeln. Ihr Bruder hatte das Fieber gehabt, sie hatte für seine Genesung der Madonna eine Wallfahrt gelobt und ein Paar geweihter Wachskerzen geschenkt, und – ihr Bruder war gestorben. Also war ihr von der Madonna unrecht geschehen ... Salvatore hatte nachts in ihre Hütte steigen wollen, und sie hatte auf ihn geschossen. ... Er hatte sie zum Weibe begehrt, und sie war sein Weib geworden. Er hatte ihr erzählt, daß er um einer Frau willen jemand getötet, und sie hatte sich dabei nichts andres gedacht, als daß ihr Mann sich vor den verd ... Carabinieri hüten mußte. Ihr Mann schlug sie – dazu hatte er das Recht; sie hatte das Fieber – das Fieber hatten hundert andre; sie würde vielleicht daran sterben – auch die andern starben daran.

Inzwischen ward es Hochsommer. Die Einwohner von Ostia und Portus wanderten aus, die fremden Schnitter und Kohlenbrenner zogen davon. Das versengte Land ruhte im Sonnenbrande unter fahlem Himmel, wie von allem Leben verlassen.

Lucia war fort von Rom. Sie hatte Salvatore den Tag ihrer Abreise verheimlicht. Er fand in Rom die Wohnung verschlossen und erfuhr, daß die Tragödin nach Rimini gegangen. Dorthin schrieb er ihr; es war ein Brief voll wahnwitziger Leidenschaft. Ihr zu folgen, wagte er nicht; hatte sie doch gedroht, ihn fortzujagen, ließ er sich eher blicken, als sie es gestattete. So wartete er denn in Torre San Michele auf ihren Ruf. In unerträglicher Oede schlichen ihm die Tage dahin. Es war gut, daß die Gluten ihn beinahe betäubten und er die Stunden in halber Bewußtlosigkeit verbrachte. Marcantonias Anblick ward ihm mehr und mehr verhaßt; er gab ihr kein Chinin mehr und hoffte von Tag zu Tag, daß das Fieber sie hinraffen würde. Auf seinen Sohn war er eifersüchtig, weil Lucia das Kind liebte.

Eines Tages erfuhr er durch einen Hirten, daß in Fiumicino ein Brief für ihn liege. Ohne sich erst nach Hause zurückzubegeben, machte er sich auf den Weg und holte sich Lucias nach Patschuli duftendes Billet, das er mit zitternden Händen öffnete und mit schwerem Atem las. Lucia schrieb, es stünde alles vortrefflich – sie habe mit einem Impresario einen glänzenden Kontrakt abgeschlossen, eine vortreffliche Truppe engagiert, und es seien die Proben bereits in vollem Gange. Sie schien von ihrem ersten Liebhaber ganz entzückt zu sein; er war ein blutjunger Mensch mit großem Talent, das sie irgendwo entdeckt hatte.

Salvatore zerknitterte den Brief, knirschte mit den Zähnen, murmelte einen Fluch nach dem andern, faßte sich dann mühsam und las weiter.

Sie erwartete ihn am 18. Oktober, aber nicht, wie bestimmt gewesen war, in Livorno, sondern in Rom. Daß er ja den Knaben mitbrächte!

Noch in Fiumicino beantwortete Salvatore diesen Brief: Am 18. Oktober würde er in Rom sein – mit dem Knaben. Aber er würde den Knaben seiner Mutter wieder zurückbringen, falls sie sich weigern sollte, anstatt erst in Amerika noch hier seine Frau zu werden. Nach Absendung dieses Briefes wurde Salvatore um vieles ruhiger.

Am Abend des 16. Oktobers begab er sich nach Crocetta. Von den drei Mönchen, die vor fünf Jahren in dem einsamen Heiligtum gehaust hatten, waren zwei am Fieber gestorben. Aber der Priester lebte noch. Nach den ersten hergebrachten Fragen und Antworten ging Salvatore ohne Umschweife auf die Sache über: »Hört, Bruder! Ihr erinnert Euch doch noch, daß Ihr mich vor fünf Jahren mit einer Sabinerin getraut habt?«

Der Bruder entsann sich noch recht gut; er war für die Trauung sogar bezahlt worden, und ohne daß ihm etwas abgehandelt worden war.

»Wie geht's Eurem Weibe?«

Salvatore fuhr auf: »Schwatzt Ihr auch von meinem Weibe?« Darauf gemäßigter: »Ihr habt mir da eine schöne Sache angerichtet. Mein Weib – als ob Ihr nicht sehr gut wüßtet, daß die Frau gar nicht mein Weib ist, daß Ihr uns gar nicht verheiraten durftet, daß Ihr damit eine ungesetzliche Handlung begangen habt. Wenn meine Heirat in Rom zur Anzeige käme, würdet Ihr schwer gestraft werden; das würdet Ihr!«

Der gute Alte erschrak. Allerdings hatte der Staat über den Akt der christlichen Eheschließung gewisse Bestimmungen getroffen und sogar ein Gesetz erlassen; freilich brauchte die Kirche sich um die Gebote des Staats nicht zu kümmern; im Gegenteile: diese Gesetze zu übertreten verdiente Gotteslohn. Indessen sich verantworten zu sollen, wegen seines Gehorsams gegen Gott irdische Strafe zu erleiden – das war für einen alten, fieberkranken Mann ein großes Unglück.

»Nun, was sagt Ihr?«

Einstweilen gar nichts, einstweilen seufzte der gute Bruder nur; endlich gestand er: »Es dürfte Euch und der Marcantonia beim Staate allerdings nichts helfen, daß ich euch getraut habe, obgleich die Handlungsweise des Staates eine schwere Sünde gegen Gott und die Kirche ist.«

»Mit andern Worten: Ihr räumt ein, daß die Ehe zwischen mir und der Sabinerin ungültig ist?«

»Vor dem Herrn sicher nicht; indessen –«

Aber Salvatore ward ungeduldig,

»Ihr räumt es ein? Oder muß ich mich deswegen in Rom auf dem Kapitol erkundigen?« Das war nicht nötig! der Mönch räumte die Sache ein.

»Dann kommt mit mir.«

»Wohin?«

»Nach Torre San Michele.«

»Was soll ich dort?«

»Ihr sollt dort die Sache bestätigen, der Sabinerin gegenüber. Ihr sollt Marcantonia die Sache erklären. Ich würde es ihr doch nicht begreiflich machen können; mich würde sie gar nicht verstehen. Es ist ein dummes Geschöpf.«

»Warum muß sie es überhaupt erfahren?«

»Warum?«

»Sie kann Euer Weib bleiben, wie sie es bisher gewesen ist. Was geht das den Staat an?«

»Aber mich geht es etwas an.«

»Euch –«

»Weil ich mir ein andres Weib nehmen will. Begreift Ihr jetzt?«

Der Mönch begriff. Da er die Sache nicht ändern konnte, begnügte er sich damit, aus tiefstem Herzen zu seufzen.

Die beiden gingen.


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