Richard Voß
Die Sabinerin
Richard Voß

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Zehntes Kapitel.

Marcantonias Wesen gegen ihren Sohn blieb verwandelt; sie bekümmerte sich nur so viel um das Kind, als unumgänglich nötig war. Der Knabe wurde in wenigen Tagen scheu und furchtsam, verkroch sich vor der Mutter, die er aus großen, erstaunten Augen ansah, und flüchtete zum Vater, bei dem er eine fast leidenschaftliche Zärtlichkeit fand. Einmal fuhr Salvatore seine Frau wild an: »Was hat dir der Knabe gethan?«

Ruhig erwiderte die Mutter: »Lief er nicht gleich zu der fremden Frau? Ließ er sich nicht gleich von der fremden Frau liebkosen und einen goldnen Scudo schenken? Das Kind ist, wie du bist.« Salvatore geriet in Wut.

»Es wäre kein Wunder, wenn wir beide von dir fortliefen.«

Aber diese Drohung wirkte nicht auf Marcantonia. Sie hatte wohl gehört, daß ein Bursche seine Verlobte verließ; doch daß ein Mann von seinem Weibe gehen könnte, war ihr etwas ganz Fremdes. Sie und Salvatore standen miteinander in der Kirche vor dem Priester, der sie eingesegnet hatte; da mußten sie nun fortan ihr Lebenlang zusammenbleiben.

Salvatore befand sich fast immer außer dem Hause. Was seine Thätigkeit auf dem Observatorium anbetraf, so war diese längst auf Marcantonia übergegangen, welche ihr Amt mit derselben Treue erfüllte, wie alle ihre übrigen Pflichten. Zwar ging Salvatore mit der Büchse und dem Hunde aus, aber anstatt zu jagen, trieb er sich zwecklos umher, lag stundenlang auf einer Düne oder in der Macchie, mit offenen Augen träumend: von Frauen aus einer andern Welt als seine schweigsame, fiebergelbe, stumpfe und verwelkte Sabinerin, von Damen mit Pariser Federhüten, Damen, die nach Patschuli dufteten und die Reize besaßen, um derentwillen ein Mann ohne Gewissensbisse einen Mord begehen konnte. Von solchen Bildern verfolgt und umgaukelt, versank Salvatore in dumpfes Brüten über sein verlorenes Leben, verloren, nicht weil er durch eine Blutthat, die ungesühnt geblieben, aufgehört hatte, ein Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu sein, sondern deshalb verloren, weil er der Mann einer Halbwilden geworden. Oder er brütete über das Leben, das einstmals vor ihm gelegen hatte: die schönste, beneidenswerteste, menschenwürdigste aller Existenzen: das Dasein eines römischen Müßiggängers und Tagediebes, der wundervolle Beruf eines gänzlich unnützen Menschen. Wie herrlich, jeden Morgen spät aufzustehen, sorgfältig Toilette zu machen, dann auszugehen und umherzuschlendern, im Café zu plaudern über alles und nichts, für nichts ein wahres Interesse haben zu müssen, alles mit möglichst blasierten Augen anzusehen, der möglichst diskrete Freund einiger Frauen zu sein und der möglichst indiskrete Liebhaber irgend einer Dame, die gerade von sich reden machte. Um diese schöne Zukunft, für welche er den besten Anfang gemacht hatte, war er für alle Zeiten gekommen.

Und nun dieses Wiedersehen!

Leidenschaftliche Empfindungen, welche die Totenstille der Einsamkeit längst zum Schweigen gebracht hatte, heiße Wünsche, die durch das Leben in der Wildnis und der Unkultur längst erstickt waren, regten sich von neuem in Salvatores Seele, erfüllten den ganzen Menschen mit unbezwinglicher Begierde nach jenen Gütern und Freuden der Welt, denen er bereits entsagt hatte.

Endlich kam der Tag, an dem ihm von Lucia gestattet worden war, sie in Rom aufzusuchen. Wegen seiner Sicherheit war er unbesorgt. Sogar für den Fall, daß einer seiner ehemaligen Bekannten ihm begegnen sollte, konnte er sicher sein, so wenig erkannt zu werden, wie er von Lucia erkannt worden war. In seinem Anzuge aus ungebleichtem Linnen, mit seinem langen Barte würde man ihn für einen wohlhabenden Landmann oder Mercante de Campagna halten. Uebrigens konnte er sich jederzeit als Baldassare Leste und Beamter des Königs legitimieren.

Marcantonia sagte er, daß er eine Inspektion der Wachttürme an der Küste gegen Porto d'Anzio hin vornehmen wollte, welche Posten nur durch Strandwächter besetzt waren.

Eine Strecke weit ging Salvatore der Küste entlang, dann veränderte er die Richtung, schritt durch Sumpf, Macchie und Steppe nach Ostia hinüber, erreichte unweit Malafede die römische Landstraße und befand sich bei Anbruch der Dunkelheit in der Stadt.

Das Gewühl der Wagen, das Drängen der Fußgänger und der Lärm des nächtlichen Straßentreibens versetzten ihn in fieberhafte Erregung. Am liebsten wäre er vor jedem Magazin, vor jedem Straßenverkäufer, an jeder Ecke stehen geblieben und hätte sich dem lange entbehrten Genüsse großstädtischen Lebens überlassen. Alles war ihm neu, wunderbar und überraschend.

An einer Hausmauer in der Nähe des Forum Trajanum prangten mächtige bunte Plakate mit den Theateranzeigen. Beim Schein einer Laterne las Salvatore: Im Teatro Valle gab die Gesellschaft Belotti-Bon Nr. 7 die »Prinzessin Georges« von Dumas. Prinzessin Georges – Signora Lucia ... Der Name der Künstlerin war fett gedruckt. Salvatore stand und starrte auf die Buchstaben, bis er sich besann, daß das Theater um neun Uhr anfing. Er nahm also einen Wagen nach der Via della Balle, wo Lucia dem Theater gegenüber wohnte, und erfuhr von einem ältlichen, schmierigen Frauenzimmer, das ihn mißtrauisch musterte, daß die Signora ihn nach der Aufführung in ihrer Wohnung erwartete. Fünf Minuten später saß er auf einer der letzten Bänke im Parterre und sah seine ehemalige Freundin eine vornehme, tugendhafte und geistvolle Frau darstellen.

Nun war Signora Lucia weder eine Marini noch eine Duse, noch eine Pia Marchi; aber sie hatte diesen drei Künstlerinnen allerlei abgesehen. Ueberdies besaß sie Temperament. Ihre Toilette war nicht geschmackvoll, aber prächtig; ihr Spiel nicht charakteristisch, aber routiniert; vor allem behandelte sie den blitzschnellen Uebergang vom höchsten Affekt zum Pianissimo und zur statuarischen Ruhe mit einer solchen Virtuosität, daß das volle Haus in Jubel ausbrach, so oft die Dame dem Publikum den Gefallen that, das beliebte Kunststück zu machen. Am liebsten hätte man gesehen, wenn auf das tosende » Bis! Bis!« die Handlung unterbrochen und die Bravourstelle wiederholt worden wäre.

Salvatore jubelte und jauchzte mit den übrigen. Er war entzückt, Lucias Triumphe versetzten ihn in einen Taumel. Sie sah vortrefflich aus, um zehn Jahre jünger als am Tage des Wiedersehens, an dem sie ihrem verwilderten Liebhaber wie ein Gestirn erschienen. Er merkte sehr wohl, daß sie auch für andre ein begehrenswertes Weib war; besonders einige sehr jugendliche Exemplare der Jeunesse dorée verrieten starken Enthusiasmus. Salvatore fühlte es in sich wie Feuer; voller Wonne dachte er daran, daß er um dieser Frau willen einen von jenen umgebracht hatte, um sich gleich darauf durch die Vorstellung zu foltern, wie diese Frau, nachdem er um ihretwillen einen Mord begangen, andern gehört hatte. So kam es, daß Salvatore in den Zustand von Leidenschaft, Eifersucht und Wut geriet, dem er kurz vor der That verfallen gewesen und der ihn in der ersten Zeit nach seiner Flucht dem Wahnsinn nahe gebracht hatte.

Endlich war das Stück aus; das Publikum applaudierte frenetisch, das Haus leerte sich; Salvatore begab sich in eine nahe Liquorista, wo er stehenden Fußes einige Gläser Wermut hinunterstürzte und dann sogleich Lucia aufsuchte, bei der er indessen noch nicht vorgelassen wurde. Er mußte eine halbe Stunde warten, was ihn vollends in Fieber versetzte.

Lucia empfing ihn in dem Nachtgewande, darin sie den letzten Akt der »Kameliendame« zu spielen pflegte. Sie warf sich dem Eintretenden an die Brust, küßte ihn heftig, raunte ihm zu, daß sie vor Sehnsucht beinahe gestorben wäre und daß sie ihm jetzt vergelten wollte, was er um ihretwillen gelitten hatte.

Es dauerte eine Weile, bevor Salvatore im stande war, etwas Sinn in seine Reden zu bringen. Auch die Umgebung der Göttin – ein echt römisches » appartamento mobiliato« mit gelbseidenen Vorhängen, hochroten Möbeln und grüner Tapete – dünkte dem Bewohner von Torre San Michele etwas ganz Unirdisches zu sein. Die Beleuchtung dieses Elyseums war keine allzu glänzende – ein Umstand, welcher den Reizen der Tragödin jedenfalls zu gute kam. Sie saß neben ihm auf dem Sofa; auf dem Tische stand ein Fiascho edlen Orvietoweines und ein Teller mit Ciambelli.

»Was macht der Knabe?«

»Er lief mir nach, als ich fortging. Aber wir wollen nicht von dem Kinde sprechen.«

»Nein, von der Mutter.«

»Laß doch das.«

»Du mußt mir alles über sie sagen.«

»Du weißt schon alles.«

»Noch nicht, wie sie deine Frau geworden ist.«

»Auf die einfachste Weise.«

Und Salvatore erzählte. Mit gespannter Aufmerksamkeit hörte Lucia zu. Dann rief sie: »Aber du bist ja gar nicht mit der Person verheiratet!«

»Wie?«

»Die Ehe ist ungültig.«

»Ungültig – –«

»Man merkt, daß du wie ein Wilder gelebt hast. Als du deine Sabinerin heiratetest, bestand in Italien längst die Civilehe; jener Priester durfte euch gar nicht trauen, bevor nicht der Staat euch getraut hatte. Vor dem Gesetze ist deshalb deine Ehe null und nichtig. Uebrigens ist das ganz gleich. Du hättest ja doch nicht länger mit diesem vertierten Wesen zusammenleben können.«

Salvatore stand auf.

»Du hast recht, es ist ganz gleich.«

Sie teilte ihm nun mit, daß sie den Fürsten ins Vertrauen gezogen; daß der Fürst sich sehr für ihn interessiere, indessen der Meinung sei, es würde sich in der Sache kaum etwas machen lassen, da es schließlich ein Totschlag gewesen.

»Wenn es unter dem Kirchenstaate geschehen wäre, würde es weiter keine Schwierigkeiten gemacht haben, meinte der Fürst; aber mit dieser Regierung sei nichts anzufangen. Es thut ihm aufrichtig leid, denn du hast ihm gefallen. Er begriff nicht, warum du nicht in Amerika geblieben bist.«

»Weil ich in dem Lande sein wollte, wo du warst; weil ich dich wiedersehen wollte; weil ich vor Liebe, Eifersucht und Qualen halb wahnsinnig war.«

Sie zog ihn zu sich herab und küßte ihn. Dann fragte sie: »Daß du später nicht auf den Gedanken kamst, Europa ein zweites Mal zu verlassen?«

Salvatore, sie mit verzehrenden Blicken betrachtend, murmelte, daß er wirklich nicht auf den Gedanken gekommen sei.

»So denke jetzt daran.«

»Jetzt – –«

»Nun ja. Dein Kind nimmst du mit, um das Weib kümmerst du dich nicht.«

»Und du?«

Sie lächelte: »Ich begleite dich.«

»Lucia!«

Nun setzte sie ihm ihren Plan auseinander. Sie hatte vor, ihr Verhältnis zur Gesellschaft Belotti-Bon zu lösen, selbständig eine Truppe zusammenzubringen und mit dieser als »Star« nach Amerika zu gehen. Bereits hatte sie glänzende Anerbietungen erhalten, bereits im geheimen Vorbereitungen getroffen und bei einem Pariser Schneider, der zuweilen für Sarah Bernhardt lieferte, große Bestellungen gemacht. Doch es fehlte ihr noch eine Persönlichkeit, unter deren Schutz sie sich stellen konnte, denn auf den Impresario sei kein Verlaß. Salvatore war ganz der Mann, den sie suchte. Er kannte Amerika, er liebte sie – ob er mit ihr gehen wollte?

»Ja. Unter einer Bedingung.«

»Nun?«

»Als dein Mann.«

Sie lachte, sie wollte sich ausschütten vor Lachen; dann küßte sie ihn, und dann lachte sie wieder. Aber Salvatore machte ein Gesicht, daß ihr das Lachen verging. Sie ward still, schien zu überlegen, fragte ihn, ob er es im Ernst meinte.

Im Ernst! Da seine Ehe mit der Sabinerin keine Gültigkeit hatte, wollte er Lucia heiraten.

»Aber in aller Welt, warum?«

»Damit ich nicht wieder deinetwillen zum Mörder werde, damit du mir ausschließlich gehörst, damit ich alle Rechte auf dich besitze.«

Sie hätte beinahe wieder gelacht.

»Was du für ein närrischer Mensch bist. Zuerst heiratest du eine Wilde, dann willst du mich zur Frau nehmen.«

»In aller gesetzlichen Form.«

»Es ist zu komisch. Aber wenn du durchaus willst und weil ich wirklich viel an dir zu vergelten habe – – Ueberlege es dir lieber noch einmal.«

Das wollte er aber nicht. Er blieb dabei: nur unter dieser Bedingung käme er mit ihr.

»Meinetwegen denn! Meinetwegen können wir uns in Amerika heiraten. Da fällt mir etwas ein: ich erzähle drüben die ganze Sache einem Reporter, und ich habe eine Reklame, mit der ich selbst gegen diese magere Sarah aufkommen kann. Sarah hat keinen Mann, der aus Eifersucht einen Mord begangen, sieben Jahre in einer Wildnis gelebt und der sie schließlich doch noch geheiratet hat. Es ist wirklich ein prächtiger Gedanke von dir.«

»Ich liebe dich; das ist das einzige, was ich dabei gedacht habe.«

»Uebrigens mache ich auch eine Bedingung.«

»Welche?«

»Daß ich das Kind bekomme.«

»Ich soll Marcantonia das Kind nehmen?«

»Nun ja.«

Er versuchte, ihr diesen Gedanken auszureden, aber vergebens. Sie bestand darauf, der Sabinerin den Knaben zu nehmen; behauptete, eine leidenschaftliche Liebe für Silvio gefaßt zu haben, und bekannte, die heftigste Sehnsucht nach einem Kinde zu empfinden. Genug, sie wollte den Knaben haben.

»Da dieses Weib gar nicht deine Frau ist, kann sie dir das Kind nicht verweigern. Sollte dir die Sache sehr peinlich sein, so brauchst du sie ja nur heimlich mit dem Kinde zu verlassen, denn sie wird sich natürlich wie eine Furie gebärden. Was sagst du?«

Er hatte nur gesagt, daß er Marcantonia nicht heimlich verlassen wollte.

»Wie du willst. Aber ich bin müde.«


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