Richard Voß
Die Sabinerin
Richard Voß

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Siebentes Kapitel.

Salvatore klopfte das Herz, als er mit seiner Begleiterin aus der Macchie trat und auf die lustige Gesellschaft zuschritt, die ihn für einen Vogeljäger hielt und sich nicht weiter um ihn kümmerte. Es war seit langer Zeit zum erstenmal, daß er mit Bewohnern einer Welt in Berührung kommen sollte, zu denen auch er einst gehört hatte. Lucia schien die Empfindung ihres ehemaligen Liebhabers zu ahnen. Sie sagte: »Sei ohne Sorge und lasse mich nur machen. Unter welchem Namen lebst du in dieser abscheulichen Wildnis?«

»Als Baldassare Leste.«

»Und du wohnst bei Ostia im Turm von San Michele? Als nautischer Beobachter oder so etwas, nicht wahr? Prächtig! Kein Mensch soll dahinterkommen. Still! Da sind sie.« Noch in einiger Entfernung von der Gesellschaft stellte Lucia ihren Freunden Salvatore bereits vor.

»Denkt euch, wen ich hier bringe! Einen Jugendfreund von mir, Baldassare Leste. Wir haben als Kinder zusammen gespielt. Ist es nicht merkwürdig? Ich laufe einer Wachtel nach und finde einen alten Kameraden! Stellt euch vor, er ist ein Menschenfeind. Da lebt er nun in dieser Wildnis, der Arme, schießt Wachteln, ißt Büffelkäse und wohnt mutterseelenallein in einem alten Römerturm. Seid recht nett mit ihm, Kinder. Und nun wollen wir frühstücken, ich habe gräßlichen Hunger.«

Sie waren denn auch alle »recht nett« mit ihm; die Damen fanden in ihm einen schönen Mann, und auch auf die Herren machte er einen vorteilhaften Eindruck. Der Marchese schüttelte ihm die Hand, und selbst der Fürst behandelte den Bewohner von Torre San Michele ohne Herablassung. Die Diener der beiden vornehmen Herren trugen die Körbe an den Strand, packten aus und ordneten die Colazione. Unterdessen zählten die Damen die erlegten Wachteln. Die »Naive« war so glücklich, die meisten Vogelleichen aufweisen zu können, Signora Lucia schmollte mit Salvatore, der Schuld trug, daß sie mit der Zahl ihrer Opfer in bedeutendem Rückstände geblieben war.

Darauf lagerte man sich hinter der Düne in dem weichen Meersande, angesichts der leuchtenden, tiefblauen Flut, auf der die Wogenketten funkelnde Schaumkronen emporwarfen. Salvatore saß zwischen der Tragödin und der Naiven – einem mageren, bleichsüchtigen Geschöpfe mit schwermütigen Augen. Mehr und mehr geriet er in eine wunderliche Stimmung. Die elegante Gesellschaft, die leichten, fast freien Manieren, das zwanglose, beinahe frivole Geschwätz, der Patschuliduft, die leckeren Gerichte und schweren Weine, selbst der leuchtende, heiße Tag und der Wohlgeruch, der von allen Sträuchern und Blumen ausging, trugen dazu bei, Salvatores Sinne zu berauschen. Zuerst nur darauf bedacht, eine möglichst gute Haltung zu zeigen, nahm seine Gezwungenheit jeden Augenblick ab, bis seine Erregung ihn über allen Zwang hinweghob. Er begann von seinem Leben in der Wildnis zu erzählen und that es so vortrefflich, daß die Gesellschaft still wurde und ihm zuhörte. Das ermutigte ihn; es dauerte nicht lange, so war sein Benehmen so frei, als hätte er in den letzten sechs Jahren dieselbe Lebensweise wie der Fürst und der Marchese geführt: im Corso, auf dem Pincio, auf der Piazza Colonna und bei Morteo, im Teatro Apollo und Teatro Valle, und nach der Oper und dem Ballett in mehr oder weniger interessanter Gesellschaft. Einige der Damen, die sämtlich der Truppe Belotti-Bon angehörten, waren jung und hübsch und wirklich liebenswürdig; aber sowohl für die Herren, die nicht vom Theater waren, wie für die Schauspieler nahm die stark verblühte Signora Lucia unbestritten den ersten Rang ein. Was Salvatore anbetraf, so hatte er kein Auge für die gefärbten Haare, die geschminkten Wangen und bemalten Wimpern; mit ihrer geschnürten Taille, ihrem lächerlichen Hut und ihrer unmotivierten Ballrobe kam die Schöne ihm noch ebenso herrlich vor wie an jenem Tage, an dem er sie zum erstenmal gesehen hatte. Plötzlich fuhr er zusammen; Lucia hatte gesagt: »Was meint ihr, wenn wir unserm Herrn Einsiedler in seinem Turm einen Besuch abstatteten?«

Der Vorschlag wurde lebhaft applaudiert.

»Seht doch, was für ein Gesicht der Herr Einsiedler zu unserm menschenfreundlichen Vorschlage macht!« rief die Naive.

Und Marcantonia – – war Salvatores erster Gedanke, und er fühlte plötzlich, daß er das Weib haßte. Er konnte sie diesen Menschen doch unmöglich als sein Weib vorstellen. Dennoch machte er keinerlei Einwendungen, sondern erklärte sich bereit, die Gesellschaft nach San Michele zu führen: Niemand würde auf den Gedanken kommen, daß dieses halbwilde Geschöpf sein Weib sein könnte; er brauchte nur zu schweigen. Lucia schwatzte: »Wir hoffen eine Höhle zu finden, in der Ihr zusammen mit Vipern und Skorpionen wohnt: sehr höflich wäre es von Euch, uns mit Wolfsgeheul empfangen zu lassen. Was würdet Ihr sagen, wenn wir uns in den Kopf gesetzt hätten, bei Euch zu speisen? Ich wünsche Euren Büffelkäse zu kosten und die Bekanntschaft von Oelsuppe zu machen. Gewiß könnt Ihr Euren Gästen Ricotto backen. Nehmt Euch in acht! Sollten wir den geringsten Komfort bei Euch entdecken, so sind wir enttäuscht.«

Damit hing sie sich an Salvatores Arm. Die Diener wurden mit den Sachen und der Jagdbeute nach Fiumicino zurückgeschickt; in heiterster Laune folgte die kleine Gesellschaft ihrem Führer durch das wilde Eiland.


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