Hermine Villinger
Aus dem Badener Land
Hermine Villinger

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Entweder – oder.

»'s kommt mir nüt uf d' Gegnig (Gegend) an,
Z' Herrischried im Wald –«

singt Hebel, und wer da oben nichts zu thun hat, nimmt lieber seinen Weg wo anders hin, als in das hochgelegene Dorf des Hauensteinerlandes, wo noch der Schnee in hohen Haufen liegt, wenn jenseits des rauhen Striches längst die Matten grünen.

Nun aber war nach einem kalten Mai schließlich doch ein leidlicher Juni ins Land gekommen, so daß auch die Fluren rings um Herrischried sich anschickten, ihr sommerlich Gewand überzuziehen.

Der Nachmittagsgottesdienst war zu Ende, die Kinder drängten ins Freie, und das Landvolk stand in Gruppen beisammen vor der Kirche oder vor dem Wirtshaus. Da und dort sah man oft plötzlich unter den meist dunkelgekleideten Bauern einen leuchtend roten Punkt auftauchen, das 234 ›Fürtuch‹ oder den Brustlatz jener alten Mannen, die ihrer ›Montur‹ treu verblieben waren und mit ihrem tief in den Nacken gekämmten Haar, dem schwarzen, kurzen Samtschoben und den weiten, vielfach gefältelten Pluderhosen ein ehrwürdiges Bild darboten.

Die Tracht der jüngeren Männer war längst eine halb städtische geworden, anders die Frauen, die noch jene hohen schmalen Hauben trugen, mit den eng das Kinn umschließenden Bändern.

235 Eine solche Frau, deren Antlitz gar lieblich aus der dunklen Umrahmung des Häubchens herauslugte, hatte mit ihren vier kleinen flachshaarigen Knaben einen holperigen Wiesenpfad eingeschlagen.

Allein, wenn auch die junge Mutter lieb und freundlich mit ihren Kleinen scherzte und ihre Fragen bereitwillig beantwortete, so oft hüben oder drüben am Weg ein Paar auftauchte oder Eltern mit ihren Kindern in die Wiesen zogen, flog über des Weibes Züge ein stiller Gram, und das kecke Näschen, das durchaus nur in ein frohes Gesicht paßte, stand alsdann mit den traurig blickenden Augen im hellsten Widerspruch.

Mit eins – die Frau hatte ein Weilchen vor sich hingesonnen – nahm sie ihre beiden Kleinsten energisch bei der Hand und kehrte mit so raschen Schritten ins Dorf zurück, daß ihr die größeren Knaben kaum zu folgen vermochten. Ihr Weg ging an der Kirche vorbei schnurstraks zum roten Ochsen, wo sie vor einem der niedrigen Fenster des Wirtshauses Halt machte; da es nur angelehnt war, stieß sie's auf und streckte den Kopf in die Wirtsstube, rechts und links einen 236 Blondkopf; hinter ihr aber tauchte noch der Große auf, der sich der Mutter auf den Rücken geschwungen hatte.

»Ruft ihm, ruft dem Vater,« flüsterte sie ihren Kleinen zu, und die begannen alsbald kräftiglich loszubrüllen, und ihr Geschrei übertönte sogar das wüste Thun in der Wirtsstube, allwo bereits wacker darauf losgezecht und gehändelt wurde.

»Strittmatter-Hannes,« fuhr diesen der Wirt an, »so schau doch auf, da sind deine Flachsköpf.«

Da erhob sich einer und näherte sich wankenden Schrittes dem Fenster, ein Hüne von Gestalt, dem das gelbblonde Haar tief in die breite, niedrige Stirne fiel; seine Nase war stumpf, aber sein Mund schön und freundlich und voll der herrlichsten Zähne.

Strittmatter ging allein unter den jüngern Männern in der Tracht, die er mit Stolz trug, da er wohl wußte, daß er darin aussah wie das Urbild eines Alemannen, die in solcher Echtheit nur noch unter den Strittmatterschen zu finden waren.

Er streckte die Hand aus und nahm zwei von den kleinen Burschen ohne weiteres beim Schopf und ließ sie vergnügt in den Lüften zappeln.

237 »Die werden euch noch zu schaffen machen, ihr Mannen,« rief er in die Wirtsstube hinein, »wenn einmal vier von meiner Art die Faust rühren!«

Als aber sein Weib bat:

»Komm mit, Hannes, bleib' nicht bis zur Nacht –« lachte er roh auf.

»Oho, soll ich dir auch noch am Schurzbändel hängen, wie das Kindervolk?« warf ihr die Buben in den Schoß und schlug das Fenster hinter ihnen zu.

Frau Strittmatter verfügte sich in ihren Hof, der der schönste war im ganzen Dorf; sie hieß die Kinder in den Garten gehen und nahm dann ihre Haube ab, den Sonntagsstaat fein sorglich in eine stattliche Kommode mit uralten Schlössern unterbringend. Dabei blieben ihre Augen wie in Gedanken verloren an zwei grob gemalten, aber höchst lebensvollen Ölbildern hängen, die nebeneinander über der Kommode thronten und zwei Männer darstellten, in der Hotzentracht, aber von grundverschiedenem Äußern.

Es war unschwer zu erkennen, daß der mit dem schmalen klugen Gesicht der Vater Mareis, 238 der andere aber mit der niedrigen Stirne, dem Blondhaar und dem Stiernacken der Strittmatter war.

Beide ›große Bauern‹ und nächste Nachbarn, lebten sie in ewigen Händeln und Meinungsverschiedenheiten, bei denen aber der Strittmatter stets den Kürzeren zog, denn wenn er auch dem Nachbarn an Körperkraft bei weitem überlegen war, der Alois Eby war der Klügere, und das Ende vom Lied war immer, daß der Strittmatter sich fügen mußte.

Er war noch keine Fünfzig, da traf ihn unversehens mitten in einem heftigen Streit der Schlag, und der große urkräftige Mann stürzte zusammen wie eine gefällte Eiche. Er starb an seiner eigenen Kraft, sagten die Leute, und der Sohn, der Hannes, war nun Herr im Haus.

Er war von derselben Statur und Gemütsart wie der Vater, der ein strenges Regiment geführt hatte und seinen Buben, wenn er sich widerspenstig zeigte, kurzweg zur Thüre hinauswarf mit der Weisung:

»Komm mir so bald nicht wieder vors Gesicht.«

Da stellte sich dann der Hannes regelmäßig 239 beim Eby drüben ein und verbrachte seine Strafzeit mit der kleinen Marei, die allemal in die Hände klatschte vor Vergnügen, wenn sie des Nachbars Buben auf die Gasse fliegen sah.

Als nun, wie es zu erwarten war, die Nachbarskinder sich zusammenfanden und Marei dem Vater unter Thränen beteuerte, lieber sterben zu wollen, als vom Hannes zu lassen, da sagte der Alois Eby nicht nein, wohl wissend, daß in der Sache nicht viel mehr zu helfen war, aber er nahm sein Mädel bei der Hand und sprach, das ›Tubakpfifli‹ auf die Seite legend, was er nur bei ganz besonders ernsten Fällen that:

»Sterben, Mareile, ist noch lang nicht so arg, als ein Leben voll Unfried und Qual; der Hannes ist so, wie er ist, kein unebener Mensch, aber laß ihn zum Trinker werden, dann wird er ein roher Gesell wie sein Vater einer war. Drum merk' dir's wohl, Mareile, und laß dir's Heft nicht aus der Hand winden, sondern sag' dir's alle Tag von neuem; entweder – oder! entweder du hältst deinen Hannes unter dem Daumen, oder du kriegst Schläg', wie sie die selige Strittmatterin vom Alten 'kriegt hat.«

240 Der Hannes mit seinen zweiundzwanzig Jahren war nun Herr eines stattlichen Hofgutes mit einem Stall voll Vieh und einem Keller voll Wein, den ihm sein blühendes Weib von sechzehn Jahren nur zu willig kredenzte. Kein Wunder, daß ihm der Kamm schwoll, aber er trieb's noch mäßig, so lang drüben sein Schwiegervater lebte. Der alte Mann lag Abend für Abend am offenen Fenster, die kurze Pfeife im Mund, und lauerte auf das Heimkommen des Schwiegersohnes. Und wie er dessen Vater bezwungen, kraft seines überlegenen Verstandes, so bezwang er auch den Sohn. Allein in einer kalten Winternacht verkühlte sich der Alte an seinem Lauerposten, bekam die Lungenentzündung und starb.

Die Marei aber mußte erfahren, daß sie in ihrem jungen Glück es ganz verpaßt, die Worte des Vaters zu beherzigen, und manches Stündlein saß sie mit verschlungenen Händen auf der Ofenbank, in tiefes ›Simulieren‹ versunken, wie sie es wohl anstellen könne, den Karren, der nun einmal verfahren war, wieder herauszuziehen. Wie oft hatte der Vater in der ersten Zeit ihrer Ehe den Finger gegen sie erhoben:

241 »Mareile, Mareile, entweder – oder –«; und einmal hatte er auch hinaufgedeutet zur Strittmatterschen Giebelstube. Dort wohnte die alte Frau seit dem Tode ihres Mannes und strickte Strümpfe für ihre Enkel.

Nach jener Nacht, als die Marei es erlebt, und der Hannes sie zum erstenmal geschlagen, kam sie herauf, denn ihr Vater lebte nicht mehr und einer Seele mußte sie sich anvertrauen.

Sie ergriff die alte Frau beim Arm und rüttelte sie, wie um sie ihrer Stumpfheit zu entreißen:

»Großmutter, Großmutter, er hat mich geschlagen!«

Die Alte hüstelte: »So sind sie, man muß es halt tragen.«

»Ich nicht,« schrie das junge Weib, »ich kann nicht, ich will nicht!«

»Sie sind ja nicht bös,« sagte die Alte, »es ist nur ihre Kraft, die muß halt wo 'naus.«

* * *

Die Giebelstube war leer, die alte Dulderin lag auf dem Kirchhof neben ihrem Peiniger und ein schöner Vers sprach von der glückseligen 242 Wiedervereinigung der Gatten. Für Marei aber war die Alte das Gespenst des Hauses geblieben, und immer wieder fuhr's ihr durch den Sinn: Das ist deine Zukunft, so eine wirst auch du, und da oben in der Giebelstube sitzen, von keinem Menschen heimgesucht, denn der ist mit Recht zu verachten, der sich behandeln läßt wie ein Hund.

Was aber ihr größter Kummer war: die Kinder hatten es schon etlichemal, durch das wüste Toben des Vaters aus dem Schlaf geweckt, mit ansehen müssen, wie er die Hand gegen ihre Mutter aufhob.

Nein, das darf nicht wiedergeschehen, sagte sich Frau Marei, dem muß ein End' gemacht werden.

Und sie schob die Kinderbetten in die Wohnstube und wartete dann seufzend der Heimkunft des Gatten.

Das Lumpenglöcklein hatte längst ausgetönt, als der Strittmatter-Hannes mit der Faust gegen die Hausthür schlug, denn er konnte die Klinke nicht finden.

Frau Marei kam mit dem Licht und holte ihren schwankenden Gatten herein. Er bemerkte 243 sofort, daß die Kinderbetten nicht an ihrem Platz standen, erhob ein großes Geschrei und befahl der Frau, die Kinder hereinzuholen. Sie weigerte sich, es zu thun. Da riß er die Thür auf und stieß die kleinen Bettladen mit solcher Wucht über die Schwelle, daß die Büblein jäh aus dem Schlafe fuhren und nach der Mutter schrieen. Aber der Ehemann befahl ihr, ihm die Stiefel auszuziehen, und da sie nicht ganz bei der Sache war, sondern während des Geschäfts zu ihren Kleinen hinschaute, nahm er das für eine Beleidigung und warf ihr die dicke, silberne Taschenuhr ins Gesicht. Marei schrie laut auf, denn die Uhr hatte sie gegen das Nasenbein getroffen, so daß ihr das Blut in dicken Tropfen am Gesicht herniederlief. Da ertönte hinten aus der Ecke, wo die Kinderbetten standen, die Stimme ihres Ältesten:

»Wart, wart, Vater, wann ich hinter dich komm'.«

Strittmatter brach in ein schallendes Gelächter aus, er wollte von seinem Lager aufstehen, allein die Glieder gehorchten ihm nicht, und in weniger als zwei Minuten lag der Mann im tiefsten Schlaf.

244 Am andern Morgen sah's bei den Strittmatters so freundlich und friedlich aus, als sei das Geschehnis der Nacht nur ein böser Traum gewesen. Frau Marei war freilich etwas blaß und über ihrem Nasenbein klaffte eine Wunde.

Der Hannes sah zuweilen verstohlen nach ihr hin, und damit sie ja nicht von dem, was vorgefallen, rede, erzählte er die schnurrigsten Dinge, wie er's ihnen wieder gezeigt am vergangenen Abend, daß sie alle nur Lumpenkerle seien neben ihm, und der Spaß wäre groß gewesen, wie er nach einander vier Mannen ohne Aufhaltens zum Fenster des ›Ochsen‹ hinausgeworfen habe.

Er redete noch, als die Thüre aufging und jene vier Bauern hereinschlürften, alle in einem Zustand, der Strittmatters Beschreibung vom Abend vorher nicht Lügen strafte. Sie setzten sich neben einander auf die Ofenbank und der eine hub alsogleich an:

»Es thut mir leid, aber gestern habt Ihr's doch ein bisle zu arg getrieben, Strittmatter, und darum, wenn Ihr nicht wollt, daß wir's an den Bürgermeister bringen, so haltet nur gleich ein schönes Wehr- und Schmerzensgeld bereit, denn 245 wir sind nicht gesonnen, zu unsern Beulen auch noch den Schaden zu haben.«

Der Strittmatter-Hannes schaute die vier kläglichen Männlein vergnüglich an und brüllte laut auf vor Pläsir, als sie auf seine Frage, ob sie schon ein Fäustlein, wie er eines habe, gesehen, einstimmig mit ›nein‹ antworteten. Hierauf zeigte er sich sofort bereit das Verlangte herzugeben, ohne sich in ein Feilschen oder Handeln einzulassen, denn mit dem Bürgermeister wollte er nichts zu thun haben, da er wohl wußte, daß die Aufdeckung seines Lebenswandels 246 ihm nicht gerade zur besondern Ehre gereicht hätte.

Als Strittmatter, nachdem er die armen Schlucker befriedigt, bemerkte, daß ihm das bare Geld ausgegangen war, holte er ein Kälblein aus dem Stall, um es auf den Viehmarkt zu Albbruck zu treiben. Bevor er ging, scherzte er mit den Kleinen, versprach, ihnen Gipfel mitzubringen, und erkundigte sich bei der Frau, ob sie nicht auch einen Wunsch habe.

Sonst hatte sie sich immer wieder gewinnen lassen, da er eine gar freundliche Art hatte, das Geschehene gut zu machen; heute zum erstenmal blieb sie fest und hatte keinen Blick für ihn. Es that ihr aber gleich wieder leid und sie wollte ihm nacheilen, als ihr Blick zufällig in den kleinen Spiegel neben der Thüre fiel; ganz erschrocken blieb die junge Frau stehen, denn ihr sonst so blühendes Gesicht war bleich, ihre Augen blickten trüb.

»Ich seh' schon bald aus wie die Strittmatterin,« murmelte sie vor sich hin, »ja ja, 's ist Zeit – jetzt heißt's: entweder – oder –«

Sie sah eine Weile ganz in sich versunken zum Küchenfenster hinaus, ohne zu sehen, wie die 247 Magd sich abmühte die Wäsche auf der Wiese vor den größeren Buben zu retten, die durchaus über das Leinenzeug hinwegsetzen wollten. Erst als die Magd ganz verzweifelt rief:

»Aber Bäuerin, seht Ihr denn nicht, sie verderben mir ja die ganze Wäsch'« – kam Frau Marei zu sich und holte die Knaben herein.

»Ihr bleibt hier,« befahl sie und hielt die beiden, die wieder hinausdrängten, fest. Da wandte sich plötzlich der Große um und schlug nach der Mutter, und auch der Zweite erhob die Hand.

»Was thut ihr!« schrie Marei auf, und der Bub sagte trotzig:

»Der Vater thut's auch.«

Frau Marei sank auf die Bank neben der Thür und barg schluchzend das Gesicht in beide Hände. Alsobald fielen die Knaben über sie her, liebkosten sie, und ihre Reue war ebenso heftig wie vorher ihr Zorn.

Marei aber schämte sich augenblicklich ihrer Schwäche, und schob die Kinder von sich und ging an ihre häuslichen Geschäfte.

Ihr Herz ist noch nicht dabei, sagte sie zu sich, sie thun nur, was sie gesehen, aber mit der Zeit 248 könnt' es anders kommen – wie wird's überhaupt werden, wenn das so fort geht? Treibt er nicht ein Stückle Vieh ums andere hinunter zum Viehmarkt, alles um die Schäden zu vergüten, die seine Faust angerichtet? Auf die Weis' aber werden unsere Buben mit der Zeit zu kleinen Bauern, und dafür haben unsre Väter nicht gearbeitet –

Als sie im Laufe des Morgens, immer mit diesem Gedanken beschäftigt, hinten auf der Wiese ihre Wäsche begoß, geschah's, daß der Nachbar, dessen Hof an die Strittmattersche Wiese stieß, just gar so jammernd aus seinem Stall herauskam, so daß Frau Marei, die eben am Zaun stand, nicht umhin konnte, die Frage an den Nachbarn zu stellen:

»Was fehlt Euch denn, Vogelbacher, Ihr thut ja wie Mathäi am letzten?« Der Mann seufzte: »Mit dem Roß will's halt nimmer recht werden; seit ihm der Bader zu Ader gelassen vor ein paar Wochen, ist das feurig' Tier wie ohne Kraft.«

»Besser könnt man sich's ja gar nicht wünschen,« sagte Frau Marei und starrte dem Mann völlig abwesend ins Gesicht.

»Was redet Ihr daher?« fuhr er sie an, 249 »wenn ich Zeit hätt', wär' ich schon lang nach Görwihl hinunter, um dem Bader den Kopf zu waschen.«

»Den Gang kann ich Euch abnehmen,« unterbrach ihn Marei, »ich hab' noch heut drunten zu thun.«

Sie besprachen sich noch eine Weile, dann verfügte sich die Frau in das Haus. Sie war überzeugt, daß sie der liebe Gott dies nur hatte erfahren lassen, um ihr den Weg zu zeigen, den sie zu gehen hatte.

Sie säumte nicht lange und machte sich auf.

Unterhalb ihres Dorfes umfing sie ein Nebel, der Wind wehte die Wolkenmassen zum Bergwald hinauf, daß die wacker Ausschreitende sich bald wie allein auf der Welt vorkam in dem feuchten Nebelmeer, das sie von allen Seiten umschloß. Aber mit eins, kurz oberhalb Görwihl, teilten sich die Wolken, und die weißen Firnen des Berneroberlandes zeichneten sich scharf am blauen Himmel ab.

Frau Marei eilte durch ein paar winkelige Gassen des kleinen Landstädtchens, trat in den Flur eines niedrigen Hauses, überschritt einen 250 schmutzigen Hof voll Hühner und Gänse und klopfte endlich an die Thüre eines Hinterhauses, das so niedrig war, daß sie sich bücken mußte, als sie über die Schwelle trat.

Da saß ein kleines, putziges Kerlchen mit einem höchst verwegenen Schnurrbart auf einem Tisch am Fenster, zwischen einem Haufen Flickarbeit, und nähte eifrig darauf los.

»Als Frau Marei mit einem: »Grüß' Gott, Schneider-Bader« in die Stube trat, nickte er mit dem Kopf und zeigte auf einen Hund, der 251 die Eintretende mit freundlichem Wedeln begrüßte.

»Hab's schon gewußt, 's ist gut Freund, denn er hat nicht gebellt; er riecht's, er riecht die Schlechtigkeiten und den Geiz bis über den Hof, Gott sei Dank!«

Und der Schneider stieß blitzschnell mit dem Fuß einen Rock von dem einzigen Stuhl, der neben seinem Tisch stand, und lud Frau Marei zum Sitzen ein.

»Ist wer krank?« fragte er.

»Nein, ich hab' nur einen schönen Gruß vom Vogelbacher auszurichten,« sagte die Frau, »und seit Ihr sein Roß zu Ader gelassen, sei's mit dem Tier seiner Kraft vorbei, und Ihr hättet's gewiß nicht recht gemacht.«

Der Schneider-Bader machte ein Gesicht, als habe er Galle verschluckt, und fuhr im nächsten Augenblick mit einem wahren Hagelschlag von Schimpfnamen über seinen Hund her.

»Jetzt, was hat Euch das arme Tier gethan?« forschte Frau Marei.

»Nichts,« gab ihr der Schneider zur Antwort, »der Hallunk hat mir nichts gethan, Gott sei Dank, 252 aber es ist mir ein bequemes Auskunftsmittel, alles was ich auf dem Herzen habe, an den Hund zu bringen; und nicht nur das Schlimme, notabene, auch das Gute, denn mein Grundsatz ist: nur nie die Leut' was merken lassen, die Welt ist voller Hallunken, Strittmatterin; weiß einer, daß er dem andern lieb ist, gleich tanzt er auf ihm herum, merkt er, daß man ihn nicht leiden mag, gleich wittert er in allen Ecken und Enden Verrat. Hätt' nur jeder so einen Hundebuckel, um darauf seine täglichen Gefühle abzuladen, die Welt wär' eine ganz andere, aber wer ist so gescheit, nach meiner Weisheit zu fragen?«

Frau Marei lachte, und dieses Lachen klang so angenehm, daß der Hund plötzlich zu ihr hinging und den Kopf auf ihr Knie legte. Sie streichelte ihn, und der Schneider bemerkte: »Jetzt denkt er, so eine kommt nicht alle Tag. O du kluges, bildschönes Tierle, du mordsappetitlicher Fratz, dafür sollst auch ein Zückerle haben. – Das ist nämlich allemal unsere Belohnung,« setzte er hinzu und holte zwei ganz mit Schnupftabak beklebte Stückchen Zucker aus der Tasche, von denen er eines in den Mund steckte und das andere dem Hund zuwarf.

253 »Daß ich's nur nicht vergess',« sagte die Strittmatterin. »Ihr sollt mir ein Mittel mitgeben, daß dem Vogelbacher sein Roß wieder zu Kräften kommt.«

Und während der Schneider in einer Schieblade herum suchte, sah sich die junge Frau in der Stube um.

»Es ist recht hübsch bei Euch, Schneider-Bader,« nahm sie nach einer Weile wieder das Wort; eine Behauptung, die etwas kühn war, denn es gab nicht leicht einen unerfreulichern Raum als diese schmutzige, dumpfe Schneiderstube, deren einziges Fenster auf eine kohlschwarze Scheunenwand sah, die so nah war, daß der Schneider sie als Rechentafel benutzte und mit weißer Kreide sein Soll und Haben darauf verzeichnet hatte.

»Recht hübsch,« behauptete Frau Marei ein zweitesmal, »und lieber als daß ich ins Wirtshaus geh', ruh' ich mich noch ein bisle bei Euch aus, um so mehr, als es mir eine besondere Ehr' ist, mit einem Mann zu reden, der sich auf Krankheiten versteht und schon so vielen geholfen hat.«

»Ja, ich bin fix,« sagte der sich sehr geschmeichelt fühlende Schneider, »fix bin ich, Gott sei Dank, 254 und es wär' alles gut, wenn mir der Doktor nicht alleweil ins Handwerk pfuschen thät, denn aus Eifersucht, weil die Bauern lieber zu mir kommen, Gott sei Dank, ist er mir immer auf den Fersen, untersucht meine Verordnungen und erhebt gleich ein Geschrei, wenn mir einmal ein Handgriff ein wenig versagt hat. Und das wissen die schlechten Bauern, das wissen die Hallunken nur zu gut, und alle paar Tag kommt mir so einer ins Haus gelaufen und droht: ›Schneider-Bader, ich sag's gleich dem Doktor, daß Ihr mir ein Stück Kinnlad' mit dem Zahn ausgerissen habt, wenn Ihr mir mein Geld nicht wieder gebt‹ – oder einer will schier gestorben sein an meiner Mixtur, und was sie sonst noch alles zusammenlügen – kurz, ich mag mich abschaffen und quälen wie nicht gescheit, der Stand meiner Kasse bleibt alleweil im Absterben –« seufzte der Schneider und gab einer kleinen, hölzernen Schüssel, die neben ihm stand, einen Stoß mit dem Ellenbogen, – »habt Ihr schon einmal eine solche Einöde gesehen, Strittmatterin?«

Sie erbarmte sich des armen Schluckers und legte ein Zehnpfennigstückchen in seine Kasse; 255 sodann meinte sie, ihn mit den unschuldigsten Augen anblickend:

»Und es ist doch im ganzen Land berühmt, daß Ihr den Aderlaß aus dem Fundament versteht, was doch gewiß eine der schwierigsten Wissenschaften auf der Welt sein muß?«

Das Männlein riß ein langes, schmales, lanzettartiges Messer von der Wand, wo überhaupt allerlei zu seinem Doktorberuf Dienliches beisammen hing, stülpte den Hemdärmel zurück und zeigte mit der Spitze seines Messers auf eine der drei im Ellenbogengelenk liegenden Adern:

»Da schaut her, da sticht man hinein, schwub! und das Blut spritzt heraus, ein ganz probates Mittel, so ein Aderlaß, und für alle Fälle, Gott sei Dank!«

»Wie viel aber darf einer Blut verlieren, damit's nicht zu viel ist?« fragte Frau Marei, die voller Aufmerksamkeit das Gebaren des Mannes verfolgt hatte.

Er holte eine Blechschüssel von der Kommode und bezeichnete mit dem Finger eine Stelle an dem Gefäß:

»So viel ungefähr zapf' ich einem starken Bauern ab.«

256 »Und hernach?«

»Hernach ist die Kreatur lammfromm.«

»Man kann doch allweil etwas lernen,« sagte Frau Marei, »aber mir wär' höllenangst bei der Sach', da ich nicht wüßt', wie das Blut wieder zu stillen ist;« und sie legte ein zweites Zehnpfennigstückchen in die Kasse.

»Leicht, kinderleicht,« versicherte der Schneider, »nur eine Binde bereit halten und den Arm fein fest umwickeln, weiter braucht's nichts.«

»Nun dank' ich auch schön,« sagte die junge Frau und legte ein drittes Geldstückchen in die Kasse, »es war mir recht unterhaltlich, und schön ausgeruht bin ich auch.«

Der Schneider, der in seiner Dankbarkeit der schönen Frau auch gern etwas Freundliches erwiesen hätte, griff in die Tasche und hielt Frau Marei eine Handvoll tabakbestreuter Zuckerplätzchen hin. Sie langte jedoch nicht zu, sondern meinte:

»Ich werd' doch dem Hund nicht seinen Zucker wegessen!«

»Ach, das wär' noch schöner, den freut's,« versicherte der Schneider, »nur zugegriffen, wenn's beliebt.«

257 Sie schüttelte den Kopf; »'s möcht mich leicht lupfen (übel werden) wegen dem Tubak.«

»Das nenn' ich heikel,« wunderte sich das Männlein, seinen Zucker wieder einsteckend, »uns geniert's nicht, Gott sei Dank! Wenn's aber gefällig wär', auch das Schröpfen ist unterhaltlich, sowie das Blutegelansetzen, und im Hühneraugenschneiden hab' ich einen Vorteil, der mindestens einen Dukaten wert ist; Ihr sollt ihn aber um ein Billiges zu hören kriegen und noch ein Sympathiemittel dazu, damit Euch nie die schönen Zähn' ausfallen.«

Frau Marei aber hörte den Reden des mundfertigen Männleins nicht mehr zu, sondern verglich im Stillen ihr Schinkenmesser daheim mit dem Instrument, das der Bader für seine Aderlasse benutzte. Und als sie auch beim Abschied dem Käßlein keine fernere Gnade zuwandte, da meinte der Schneider, indem er einen erbärmlichen Seufzer ausstieß:

»'s nimmt doch alles ein End', und die Tugend am ehsten.«

* * *

258 Frau Marei schritt über die Hauptstraße des großen saubern Dorfes und setzte sich außerhalb desselben am Waldesrande nieder, denn sie sagte sich, daß der Mann nun bald heimkommen müsse; und in der That, wenige Augenblicke später kam Strittmatter kräftig ausschreitend den Weg herauf. Das junge Weib aber saß wohlgemut im Dickicht verborgen, und als ihr Mann näher kam, wollte ihr angesichts seiner schönen, lebensvollen Erscheinung plötzlich wieder warm ums Herz werden, um so mehr, als sie zugleich die Angst ergriff: wird ihm der Aderlaß auch keinen Schaden zufügen? Ein Sperling wiegte sich ihr gegenüber auf einem Ast, und indem sie ihm zusah, lachte sie plötzlich auf und rief diesem alle die lieben Worte und Dinge zu, die sie in diesem Augenblick für ihren Mann auf dem Herzen hatte, gerade wie es der Schneider mit seinem Hund gethan.

Dann, als der Hannes plötzlich vor ihr stand, hatte sie ihrem Herzen Luft gemacht und sah ihn bloß mit einem freundlichen, etwas überlegenen Lächeln an; er griff wie verlegen in die Tasche und langte ein silbernes Kettlein hervor, das er für sie zu Albbruck erstanden hatte.

259 Hierauf kehrten sie miteinander im Wirtshaus ein, nahmen einen Imbiß und waren guter Dinge, denn Frau Marei wußte jetzt, daß sie's in der Hand hatte, ihren Riesen zu zähmen. Sie sah ihn darum auch plötzlich mit ganz andern Augen an, so daß der Hannes mit einemmal wie aus heiterm Himmel bemerkte:

»Du, heut' seh' ich erst, wie du eigentlich deinem Vater gleichst, besonders im Blick; ich hab' den Blick nicht gerad' mögen an ihm, es war mir immer, als führ' er was im Schild.«

»So so, ei der tausend!« lachte das junge Weib.

»Aber gelt, jetzt bist wieder völlig gut?« bat er, »wie's zugegangen, daß ich dir dein Näsle verunglimpft hab', Gott weiß es, aber das kannst mir glauben, mit Willen thu' ich dir nie was böses an, 's ist nur der Überschuß.«

Den wollen wir schon wegbringen, dachte sie.

Hand in Hand schlenkerten sie heim, wie ein junges Brautpaar, dem noch der Himmel voller Baßgeigen hängt; und als ihnen unter der Hausthür die vier Büblein mit hellem Jubel entgegenstürzten, sah alles aus wie eitel Glück, und als könnt' es nie anders werden.

260 Aber es hielt nur acht Tage, sodann geschah's, daß den Strittmatter-Hannes wieder nach ein paar Pröbchen seiner Kraft gelüstete, so daß er den Weg zum roten Ochsen einschlug. Dort aber entstand ein großer Jubel, als der schmerzlich Vermißte sich endlich wieder wuchtigen Schrittes zu seinem Erb- und Stammsitz begab. Und seine vier Trabanten huben alsbald einen solchen Wett- und Lobgesang über ihn an und salbten ihn so kräftiglich ein, daß er vor Eitelkeit triefte und nimmer widerstehen konnte.

Frau Marei aber sagte zu sich selber, als der Mann unter den Klängen des Lumpenglöckleins und in seiner alten Verfassung über die heimatliche Schwelle stolperte:

's nimmt doch alles ein End', und die Tugend am ehsten.

Und nachdem alles den gewöhnlichen Verlauf genommen, sie ihre Schläge weg hatte, und der Mann in tiefem Schlafe lag, begab sie sich unverweilt in die Küche und kehrte gleich darauf mit dem großen, scharfgeschliffenen Schinkenmesser und einer Blechschüssel in die Stube zurück. In weniger als fünf Minuten hatte sie ihr Werk 261 vollbracht, das Blut floß kräftig und rot in die Schüssel, und als Frau Marei das Quantum für richtig hielt, verband sie den Arm des Gatten und legte sich mit dem Bewußtsein zur Ruhe, daß nun alles anders werden müsse.

Strittmatter schlief bis tief in den Tag; als er erwachte und sich aufrichten wollte, wurde ihm ganz eigentümlich zu Mute, und er sank wieder in seine Kissen zurück.

»Ei zum Kuckuck!« sagte er, that sich Gewalt an und fuhr in seine Kleider. Als er jedoch ein paar Schritte machen wollte, taumelte er und mußte sich am Tisch festhalten. Da fing er an zu schreien:

»Weib, Weib, hol' den Doktor, ich bin sterbenskrank!«

Frau Marei kam lächelnd herein, brachte den Kaffee und tröstete den Mann:

»Wart' nur, es wird schon besser, wenn du gegessen hast.«

Plötzlich schrie er auf: »Schau doch meine Händ' an, sehen die nicht aus, als hätt' ich über Nacht die Schwindsucht gekriegt? – O Herr Jesus, und was hab' ich denn da für eine Bind' – was ist denn mit der Bind' an meinem Arm?«

262 »Das will ich dir sagen,« nahm Frau Marei das Wort, »ich habe dir zu Ader gelassen, um dir die wilde Kraft auszutreiben, die uns alle zu Grund richtet. Du thust mir leid, Hannes, aber 's war die höchste Zeit.«

Strittmatter sah sein Weib einen Augenblick wie erstarrt an, dann griff er nach seinem Arm, und eine grenzenlose Wut bemächtigte sich seines Innern. Allein statt zu schreien und zu brüllen, wie er es sonst bei solchen Gelegenheiten zu thun pflegte, wurde er nur kreideweiß, kämpfte mit einem Gefühl der Ohnmacht und setzte sich vors Haus, in die Sonne; ihn fror, und er sah aus, wie ein kranker Mann.

Sofort versammelten sich seine vier Trabanten um ihn und Strittmatter klagte sein Leid, wies seine blutleeren Fäuste hin und ächzte und stöhnte dazu ganz erbärmlich. Die Mannen aber schlugen die Hände zusammen über den ›Affront‹, den die Strittmatterin ihrem Ehegemahl angethan; sie erklärten einstimmig, daß so etwas nicht ungestraft bleiben dürfe, da es sonst unstreitig um seine Mannesehre geschehen sei, wenn sich's auf dem Wald herum spreche, was ihm, dem stärksten 263 Mann des Dorfes, von seinem Weib widerfahren war. Denn die armen Schlucker fürchteten mit Recht, daß es ihnen unfehlbar ans Wohlergehen ging, sobald die Strittmatterin in diesem Handel den Sieg davontrug; sie meinten, daß wenn der Fall ungerochen bleibe, am End' die übrigen Weiber des Dorfes sich ein Beispiel daran nehmen möchten, und es dann auf dem Wald heiße, zu Herrischried sei die Mode des Weiberregiments aufgekommen, und der Strittmatter-Hannes sei der erste gewesen, der sich habe ducken müssen. Kurz, sie wußten ihn wieder derart bei seiner Eitelkeit zu packen und ihm die Hölle heiß zu machen, daß er schließlich in alles einwilligte, was sie vorschlugen. Öffentlich sollte nach ihrer Meinung das böse Thun des Weibes gebrandmarkt werden, daß ihr nicht etwa einfalle, sich gelegentlich wieder an ihrem Eheherrn zu versündigen; denn so wie dieser eben war, in seiner Schwäche und Jämmerlichkeit, ohne Rauf- oder Trinklust, gefiel er seinen Kumpanen gar wenig, da für sie dabei nichts herauskam.

So machten sie sich denn eines Tages selbander ans Werk, eine Klagschrift aufzusetzen mit 264 aller Bitternis und Empörung, und es wurden sämtliche Posaunen des jüngsten Gerichtes aufgerufen zur Anklage der schweren Schmach, die hier ein Weib ihrem Eheherrn angethan, und verlangt wurde eine weithin schreiende Genugthuung von sämtlichen Richtern des Himmels und der Erde.

Einer der Bauern machte sich sofort auf, um die Klagschrift an den Gerichtsschreiber auf dem Amtsgericht zu Säckingen abzuliefern, und Strittmatter sagte des Abends zu seinem Weibe:

»Jetzt ist die Kapp' zerschnitten, ich hab' dich verklagt beim Amtsgericht.«

»Sei's darum,« sagte sie, ganz freundlich dem Blick ihres Mannes begegnend, denn es war ihr nicht bang, da sie wohl vor einem gerechten Richter bestehen zu können glaubte mit dem, was sie bisher erduldet, und dem reinen Bewußtsein, ihre That aus keinem bösen Herzen gethan zu haben.

Strittmatter aber hatte schlechte Nächte, das Essen schmeckte ihm nicht, und es saß ihm auf dem Herzen wie ein Alb, daß er seines Lebens keinen Augenblick froh werden konnte.

265 Als er am Tage der Vorladung sich in sein Feiertagsgewand warf, war es ihm eine peinvolle Überraschung, zu bemerken, daß ihm die scharlachrote Weste nicht mehr so stramm saß wie vordem; dies erfüllte seine Seele mit Angstgedanken vor einem frühen Ende und stimmte ihn nicht eben zu Gunsten seines Weibes. Trotzdem war er gesonnen, im kritischen Augenblick, wenn sie für längere Zeit ›ins Loch‹ abgeführt werden sollte, auf das Strafverfahren zu verzichten und sich mit der gerichtlichen Feststellung zu begnügen, daß sich die Frau schwer an ihrem Eheherrn vergangen und ihr Thun ein gesetzwidriges und strafbares gewesen. Nach solchem Rechtsspruche glaubte er seiner Mannesehre genug gethan zu haben; aber damit die Sache auch wirksam verbreitet werde, lud er seine vier Anhänger zur Mitfahrt nach Säckingen ein, ebenso befahl er seinem Weib:

»Die zwei Großen müssen auch mit, auf daß sie bei Zeiten erfahren, was ein Mannsbild in der Welt gilt.«

Frau Marei widersprach nicht und hob ihre Buben zum Kutschersitz hinauf, wo sie rechts und 266 links vom Vater zu sitzen kamen; sie selber kletterte, nachdem sämtliche Mannen ihren Platz eingenommen, zu hinterst auf den letzten Sitz, so wie es einer Sünderin geziemte; allein sie saß so schmuck und wohlgemut mit ihrem Körblein auf den Knieen da, als ging's zur Kirchweih und nicht aufs Gericht, hatte sie doch seit jener Nacht keinen einzigen Rausch ihres Gatten zu verzeichnen, er war wirklich lammfromm geworden, so daß sie nicht anstand die Worte des Schneider-Baders vor sich hin zu murmeln:

»So ein Aderlaß ist wirklich ein probates Mittel, Gott sei Dank!«

Zu Säckingen im ›Knopf‹ wurde ein kräftiges Frühstück genommen, und da auch Frau Marei in dieser letzten Stunde weder Mutlosigkeit noch Zerknirschung verriet, sondern wacker zulangte, ihre Knäblein versorgte und nicht einmal vergaß, ihnen die Mäuler zu wischen, da sagte sich der höchsterregte Strittmatter angesichts einer solchen Verhärtung:

»Jetzt soll mir's auch nicht darauf ankommen, sie wenigstens einen halben Tag lang sitzen zu lassen.«

267 Als die Stunde gekommen war, erhoben sie sich und traten, mit den vier Mannen hinter sich her, ihren Weg ins Amtshaus an.

Nun hatte es aber der Richter hinter seinem grünen Tisch bereits aus der wunderlich verfaßten Klagschrift ersehen, daß der Handel zwischen den beiden Eheleuten nicht eben ernst zu nehmen und wohl mit Leichtigkeit beizulegen sei.

Das Gebaren des schön herausgeputzten Hotzenwälders bestärkte ihn nur in seiner Meinung, denn Strittmatter, angefeuert durch die Gegenwart seiner vier Trabanten, vor denen er seines Renommees halber durchaus groß dastehen wollte, Strittmatter brachte seine Klage über die That seines Weibes in solch unklaren, sich widersprechenden Worten hervor, er konnte kein Ende finden, sich als den stärksten Mann mit der größten Faust im Umkreis von fünf Stunden zu preisen und lamentierte so herzbrechend über die Abnahme dieser schönen Kraft nach dem Aderlaß, der sein blühendes Dasein in ein Siechtum verwandelt habe, daß die studierten Herren, die da saßen, augenscheinlich mit dem Lachen kämpften, und sein Weib, sich seiner schämend, vor Unwillen errötete.

268 Nur die vier Bauern, die in einer der vordern Bänke Platz genommen, wohnten der Sache mit vollkommenem Ernste bei; unter ihnen saßen auch die Knaben mit andächtig gefalteten Händchen, da ihnen der Ort gar mächtig imponierte, und ihnen überdies eingeschärft worden war, sich ja nicht zu mucksen.

Strittmatter aber schloß seine Rede mit dem Antrag, der Herr Richter möge seinem Weibe nur recht die Leviten lesen und ihr auch eine gehörige Straf' zudiktieren, denn man sollte zu Herrischried sehen, daß es nicht ungerochen bleibe, wenn eine sich gegen die Ehre ihres Mannes verging und selbigen zum Gespött der Leute mache.

Der Richter ließ sich jedoch nichts vorschreiben, sondern forderte die schmucke Frau in aller Freundlichkeit auf, ob sie auf die Anschuldigungen ihres Mannes nicht ein Wörtlein zu erwidern habe, worauf Frau Marei sich bescheiden erhob, einen Knix machte und folgendermaßen begann:

»Ich darf mich wohl rühmen, so mir Gott verzeihen möge, den besten Mann zu haben, den sich ein Weib nur wünschen mag, denn nicht nur, daß er alleweil fröhlich und guter Dinge ist, nie 269 knausert oder in den Topf guckt, es ist noch außerdem die pure Freud, sich mit ihm blicken zu lassen, wo's lustig hergeht unter den Leuten, und eben ein ganz ander Ding, sich mit einem gerad gewachsenen Menschenbild im Tanz zu drehen, als mit einem kropfigen, windschiefen oder gar kupfernasigen Mannsbild, wie sie da unten beisammen hocken und Maulaffen feil haben.«

Die vier Herrischrieder sahen sich bei diesen Worten betroffen an, als wollten sie sagen: sind wir damit gemeint? Strittmatter aber, höchlich erstaunt über das gute Zeugnis, das ihm sein Weib so vor aller Welt ausstellte, Strittmatter dachte eben: Lumpen laß ich mich nicht, ich erlaß ihr die Straf' – als die Frau wieder das Wort nahm und ruhig und klar zu sprechen fortfuhr:

»Nun werden's aber die Herren Richter wohl auch wissen, daß wir alle miteinander Menschen sind, und darumwegen nicht nur Tugenden, sondern auch Laster auf unsern Erdengang mitbekommen haben: eines der größten aber ist die Eitelkeit; und jeder soll sich nur gleich an der eigenen Nas' packen, ob er nicht selber so ein Gärtlein voll Unkraut in sich heget und großzieht und ein 270 Geschrei anhebt, so ihm einer hineintritt – gerad wie mein lieber Mann, dessen irdisch' Teil der arge Mißbrauch ist, den er mit seiner schönen Kraft treibt, denn der Teufel ist allweil bei der Hand, uns vom rechten Weg zu locken. Diesmal aber hat er sich hinter jene vier Mannen versteckt, die wir von Herrischried mitgebracht, und die keine Ruh' geben mit ihrem: ›Strittmatter, so einer wie du – Strittmatter mit deiner Faust – die ist nur zum Aufräumen in der Welt –‹; kurz ihn zu all den bösen Händeln aufstiften, ihn im Wirtshaus festhalten, sich blau und lahm von ihm schlagen lassen und dann ihr schönes Wehr- und Schmerzensgeld verlangen, auf welche Weise sie alle Viere, wie sie dort sitzen, sich allgemach ein nettes Sümmlein erpreßt haben.«

Der Richter sah auf:

»Also Erpressung – da gehören ja jene vier Leute auf die Anklagebank –«

Die Herrischrieder erbleichten, hierauf wurde einer nach dem andern mählich kleiner, zuletzt sah man nur noch einzelne Haarbüscheln über die Lehne der vordersten Bank ragen, und also gebückt und so leise wie möglich auftretend, strebten sie der 271 Thüre zu, hinter der sie geräuschlos verschwanden. »Ja, macht euch nur aus dem Staube,« rief ihnen Frau Marei nach, »von nun an hab' ich euch doch im Sack! – denn,« wandte sie sich an den Richter, »wenn sie mir den Mann so weit gebracht, daß er das Dreinschlagen für seine Schuldigkeit hält, und ihn, Gott sei's geklagt, der Wein gänzlich zum wilden Tier gemacht, so setzt er daheim das böse Handwerk fort und schlägt mich, sein Weib –«

Hier unterbrach sie der Mann, dunkelrot im Gesicht:

»Ich bin mir's nicht bewußt – ich weiß nichts von Schläg' –«

»Aber ich,« unterbrach ihn die helle Stimme seines Ältesten, »sei nur still, Vater, oder ich sag's –«

»Ja, ja, wir sagen's,« rief auch der Jüngere.

Darauf entstand eine augenblickliche Stille, in der aller Augen auf Strittmatter gerichtet waren. Er wischte sich angelegentlich die Stirne: schlug ihm nicht alles fehl? Er hatte seine Buben mitgenommen, damit sie erfahren sollten, was ein Mannsbild in der Welt galt, und nun zeugten sie gegen ihn, zum Vorteil der Mutter. Seine vier Kumpane aber, die ihn gegen sein Weib 272 aufgestiftet hatten und allein schuld waren, daß er sie vor Gericht verklagt hatte, die elenden Kerle verließen ihn in dem Augenblick, als ihnen die eigene Sicherheit gefährdet erschien.

Frau Marei hatte auf der Kinder Einmischung nur einen kurzen Blick auf ihren Hannes geworfen und dann schnell wieder weggeschaut, denn sie fürchtete, sein Anblick möchte sie weich stimmen, sie aber wollte ihre Sache zu Ende führen. Ihre Stimme zitterte freilich ein wenig, als sie jetzt, mit der Hand auf ihre Kleinen weisend, zu sprechen fortfuhr:

»Ich will nicht dereinst vier Mannsbilder in der Welt zurücklassen, die's in der Ordnung finden, ihre Weiber zu prügeln; denn was man von früh auf mit angesehen, daran gewöhnt sich der Mensch. Der alte Strittmatter selig hat sein Weib geschlagen, jetzt macht's ihm sein Sohn nach – im Rausch noch – aber später könnt's anders kommen. Da hab' ich mir gesagt, jetzt heißt's: entweder – oder! entweder du gehst wie die alte Strittmatterin zu Grund, verlierst die Achtung der Leute und läßt deine Buben wie ihr Vater werden, oder du legst ihm's Handwerk und kurierst ihn von der 273 bösen Kraft, die in ihm wohnt. Nun, und da hab' ich ihm halt in Gottesnamen eine halbe Schüssel Blut abgezapft, und kann nur sagen, 's ist ein probates Mittel und hat recht geholfen, Gott sei Dank, denn alles Übel kommt bei ihm vom Überschuß.«

Eine halbe Stunde später verließen die Herrischrieder das Amtshaus; Strittmatter ging kleinlaut hinter seinem Weib und den Kindern her, die ihrer Mutter jauchzend am Arm hingen.

So viel stand fest, nicht sie, er, der Mann war's, an den die Strafpredigt des Richters ergangen war; denn auf dessen Frage, ob er mit seinem Weib überhaupt nicht glücklich gelebt habe, hatte Strittmatter der Wahrheit die Ehre gegeben und die Tugenden seiner Marei herausgestrichen, wie vorher sie die seinen; nur die letzte That, so etwas, meinte er, könne ein Ehemann doch eigentlich nicht gut ungerochen auf sich sitzen lassen.

Aber der Richter belehrte ihn eines andern; er erklärte, nichts Strafbares an dem Thun der Frau finden zu können, denn nicht verletzen habe sie ihn wollen, sondern heilen – gewissermaßen eine Operation an ihm vornehmen, um, wie sie 274 gesagt habe, ihn von seinem Überschuß zu befreien. Jedenfalls aber habe er, Strittmatter, allen Grund, seinen Antrag zurückzunehmen und froh zu sein, wenn ihm sein Weib, nach allem, was er ihr zugefügt, willig zur Versöhnung die Hand reiche.

Dies geschah denn auch, und so war Frau Marei die einzige, die aus diesem Handel wie frischgefallener Schnee hervorging. Denn nicht nur, daß der Richter ihr kein Wort des Tadels gesagt hatte, er gab ihr noch die gute Lehre mit auf den Weg, fürderhin, wenn sie wieder unter der Behandlung ihres Mannes zu leiden habe, sich einfach an das Gericht zu wenden, wo ihr zu jeder Zeit Schutz und Hilfe zu teil werde, denn fortgesetzte Mißhandlung von seiten des Ehegatten sei ein genügender Grund zur Ehescheidung.

Besonders dieser letzte Ausspruch war dem Hannes in alle Glieder gefahren, denn daß so etwas möglich sein könne, daran hatte er gar nicht gedacht.

Als vor dem Wirtshaus die Buben sich unter Jubelgeschrei auf ihren vor der Thüre stehenden Wagen stürzten, stand sich das Elternpaar plötzlich gegenüber, aber mit seltsam flimmernden Augen, als blende sie der grellste Sonnenschein.

275 Indes Frau Marei fand alsobald das richtige Wort:

»Jetzt will ich nur schnell ein tüchtiges Essen bestellen, denn die Sitzung war lang, du aber such' derweil die vier armen Sünder zusammen, damit sie sich auch gütlich thun und wenigstens eine schöne Erinnerung an die gemeinsame Reis' haben.«

Die Bäuerlein ließen sich trotz ihres Grolls nicht sonderlich bitten, langten beim Mahle wacker zu und behielten ihre Gedanken für sich.

Bei der Heimfahrt aber schwang sich Frau Marei, ohne lang zu fragen, auf den Kutschersitz zu ihrem Gatten, nachdem sie vorher die Büblein zu dessen Füßen auf den Pferdedecken untergebracht hatte. In einem Anfall von Übermut nahm sie dem Mann plötzlich Zügel und Peitsche aus der Hand und lenkte das Gefährt gar lustig knallend zum Städtlein hinaus.

»Ihr fahrt aber zu, Strittmatterin,« meckerte einer der Bauern, der gut' Wetter machen wollte.

Sie lachte: »Soll ich mich nicht freuen, daß ich den Karren heraus hab', und noch dazu einen, der so schwer beladen war? – hüschto, Brauner, hüschto, meine Rößle!«

276 Und sie gab den schön gebürsteten, kräftig ausschreitenden Pferden all die herzlichen, warmen Worte, die sie in diesem Augenblick für ihren Hannes auf den Lippen hatte, dessen demütige Gebrochenheit ihr in die Seele schnitt. Zu sich selber aber sagte sie: Auch das ist ein probates Mittel, seine Sach' an den Letzen zu bringen, denn's erleichtert einen selber, und thut dem andern keinen Schaden.

»Fahr' zu, Hannes,« wandte sie sich an den Gatten, ihm die Zügel hinwerfend, »mir pressiert's heim, denn ich hab' den Weibern zu Herrischried eine gar frohe Kundschaft zu bringen, und ich weiß manch' eine, 277 die mir dankbar sein wird für den Weg, den ich ihr weisen kann. Du aber, Hannes,« und sie gab dem Gatten einen kräftigen Klaps auf die Schulter, »du brauchst den Kopf nicht hängen zu lassen, wie die viere da hinten, denn sie sind's und nicht wir, zu denen der Herr Richter gesagt, sie gehören auf die Anklagebank.«

 

 


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