Hermine Villinger
Aus dem Badener Land
Hermine Villinger

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»Zu Licht«.

Der stille Forst lag eingesargt in seinem weißen Schneebett; dann und wann krachte es in den Zweigen der schwer belasteten Tannenriesen, über denen der Vollmond stand; er drang mit seinem silbernen Licht bis hinunter in die schmale Thalmulde mit ihren fast der Erde gleichen Häuschen.

Am letzten derselben ganz zu Anfang des Thales, knarrte eine Thüre und zwei vermummte Gestalten traten heraus; sie stiegen mühselig durch die hohen Schneemassen, längs der ziemlich weit 136 auseinander liegenden Höfe, deren helle Fensterchen traulich in die Winternacht leuchteten. Oben vor dem höchstgelegenen Haus, hinter dem sich der Wald aufbaute, machten sie Halt, traten in den dunklen Flur und tappten sich zur Stubenthüre.

»Eh, schau auch daher,« rief ihnen eine freudig bewegte Stimme entgegen, »das ist gescheit, daß Ihr zu Licht kommt, Bergmänne, wo zur Zeit die Abende so gar kein End' nehmen wollen.«

Die Sprecherin, eine bläßliche Frau mit noch hübschen Zügen, nahm den Gästen die dickwattierten Mäntel ab und hing sie an einen Haken nahe beim Ofen, dessen grüne Glasur aus dem Dunkel glänzte. Hier saß der Bauer, von dem man aber weiter nichts sah als die weiße Zipfelkappe und die roten Fünklein, die in seiner Pfeife glimmten.

Der Sohn, ein ungefähr vierundzwanzigjähriger Bursche, saß unter der kleinen Hängelampe am Tisch, die ihr Licht nur diesem und der nächsten Umgebung spendete. Der junge Mensch hatte ein Buch vor sich liegen, in dem er laut las, als die beiden Frauen eintraten. Nun schwieg er, allein vom Kachelofen her bewegte sich der weiße Hemdärmel des Vaters mit drohender Gebärde 137 gegen den Burschen hin, so daß dieser rasch sein Buch wieder aufnahm und weiter las, aber so leise und undeutlich, daß ihn kein Mensch verstehen konnte.

»Ich,« sagte die Bergmann, eine hohe Fünfzigerin mit wettergebräuntem Gesicht und lebhaft funkelnden Augen, »ich setz' mich ins Eckle, zur Großmutter – wir zwei, gellet,« wandte sie sich an diese, »wir haben unsre Stricket im Griff?«

»Jo jo, freilich,« kam's ganz unten aus der Tiefe, denn der Kopf der alten Frau, von dem man nichts sah, als das weiße Haarschwänzlein, das sich hinten aus der Haube gelöst hatte, befand sich unterhalb eines hochgewölbten Rückens, der das ganze übrige Wesen fast zu erdrücken drohte.

»Aber da, 's Bärbel, das muß ans Licht,« sagte die Bergmann und griff mit der Hand nach der Schürze des jungen Mädchens, das mit seinem Spinnrad unter der Thüre stehen geblieben war; dunkelrot vor Verlegenheit, zerbiß sie die Lippen, schielte nach rechts, schielte nach links und machte ganz den Eindruck eines Geschöpfes, dem's in seiner Haut so unbehaglich wie möglich ist.

138 »Hast gehört, hersitzen sollst,« befahl die Bergmann und zerrte das Mädchen zum Tisch, wo sie es auf die Bank niederdrückte, direkt vor den lesenden Burschen hin. »Die muß auf ihren Faden schauen, die weiß warum.«

Mit tief gesenktem Haupt setzte das junge Ding sein Rädchen in Bewegung, und eine Weile hörte man nichts als den friedlich surrenden Laut des Spinnrades und die leise lesende Stimme des Burschen. Er und das Mädel hatten sich noch mit keinem Blick gestreift, und es wäre schwer zu sagen gewesen, welchem von ihnen die 139 Verlegenheit am deutlichsten auf dem Gesicht geschrieben stand. Das Licht der Lampe beleuchtete ihre roten Köpfe gleich unbarmherzig.

Die Alten saßen im Dunklen, das heißt, die Bäuerin hatte sich mit ihrer Flickarbeit ein wenig der Lampe zugekehrt, so daß deren Licht eben noch ihre Hände beschien und ihr vorgebeugtes Profil.

»Ja, da hab' ich nun 's Bärbel bei mir, ihr werdet staunen,« sagte die Bergmann, »'s ist eine lange Geschicht', ich werd' sie euch erzählen – du lieber Gott, wer so viel in der Welt herum kommt, wie ich, Dorf auf, Dorf nieder, von einem Haus in's andre und überall die kleinen Schreihäls auf die Welt bringen hilft, da sieht man so viel Elend, so viel Jammer, so viel Dummheit und auch wieder so viel Glück, daß man ein bißle ruhiger wird im Gemüt als die andern Leut' und nit gleich schreit: 's ist alles aus, wenn's einmal mit einer Sach' schief gangen ist –

Nur nit verzag'
Glück kummt all' Tag –

heißt's«. – Sie lachte, daß ihre großen weißen Zähne beinahe unheimlich aus ihrem dunklen Gesicht herausleuchteten.

140 »'s Bärbel, wie ihr's da seht, ist halt in Gottesnamen ein bißle vom graden Weg ab'kommen, und jetzt meint jeder in seinem Ort, er könn' einen Stein auf 's werfen; da hab ich 's halt zu mir genommen. Wie's zugangen ist, das will ich euch verzählen: Im Sommer, wie unsere Landsmutter in St. Blasien drunten war, hat sie einen Preis ausgesetzt für die beste Spinnerin, und die Maidle haben müssen in ihrem Staat und mit dem Garn, das sie 's Jahr durch gesponnen, im Amthaus erscheinen. Da hat unser Bärbel 's feinst' Garn gehabt von allen, und der Herr Amtmann hat sie sehr belobt darum. Aber nun sollten sie ihm auch alle einmal was vorspinnen, hat er verlangt, und jetzt was geschieht? 's Bärbel mit seinem schönen Garn, spinnen kann's nit! Nun freilich, den Preis hat ein anderes Maidle kriegt, und es hat die Schand' gehabt. Ich bin gleich zu seiner Mutter 'gangen und da hab' ich's denn gehört: sie war's, die dem jungen Ding ihr Garn zugesteckt, und drum hätt' man sie müssen an Pranger stellen, aber wie die Leut' sind in ihrer Unvernunft, 's hat alles aufs Bärbel 'neingehackt und kein einzigs Kamerädle mehr mit ihm 141 gehen wollen. Notabene, wohl aufgemerkt: Die Mutter ist eine wohlhabende Witwe mit Haus und Feld und schönem Vieh im Stall; 's könnt gerad einer 'nein sitzen, aber auf einmal war der Segen fort mit dem guten Namen; 's hat nit einmal nix zu tanzen kriegt wie's Öhmd vorbei war.«

Die Bäuerin hatte, während die Frau sprach, das auf ihre Flickarbeit gesenkte Gesicht ein wenig erhoben und zu ihrem Sohn hinübergeblickt; es war eine eigentümliche Veränderung mit ihm vorgegangen – als habe sich in seinem Innern ein Druck gelöst, als sei da plötzlich etwas Tröstliches, Hoffnungsvolles eingezogen – ja, der Blick, mit dem er zu dem jungen Ding hinüber sah, das völlig geknickt hinter seinem Spinnrad saß, hatte geradezu etwas Freudiges, Triumphierendes. Da gewahrte er ihre Thränen, er hörte die bangen Seufzer, die ihrer Brust entstiegen, und das tiefste Mitgefühl schwellte ihm die Seele. Er hustete ein paar mal, um sich dem Mädchen bemerklich zu machen, er streckte den Fuß aus und suchte den ihren, um sie auf diese Weise von seinem Mitgefühl in Kenntnis zu setzen. Aber da kam wieder jener weiße Hemdärmel aus dem Dunkel 142 der Ofenecke, drohender noch als zuvor, und der Bauer sprudelte etwas zwischen der Pfeife und seinem einzigen Vorderzahn hervor, das sich wie das dumpfe Grollen des Donners anhörte.

Der Bärbel stockte vor Schreck das Rädchen, während der Bursche sofort wie ein Häufchen Unglück zusammensank und sein Lesen von neuem aufnahm.

»Gott versprich' mir's, ich hab' den Bauern kein Wort verstanden,« sagte die Bergmann, »Ihr vielleicht?« wandte sie sich an dessen Weib. Diese hatte einen kurzen, zornigen Blick nach der Ofenecke geworfen, allein bevor sie die schmalen, fest geschlossenen Lippen zu einer Antwort geöffnet, erhob die Großmutter ihr kleines verrunzeltes Gesicht:

»Aber ich hab' ihn verstanden – ich hab' ihn verstanden, wie er noch keinen Zahn gehabt, da werd' ich ihn nit verstehen, wo er noch einen hat – der –« sie deutete mit der Stricknadel nach dem jungen Burschen hin, »der dort schmiedet die Nägel zu unserm Sarg; vom Vater hat er's nit, er hat's von ihr.« –

In das blasse Gesicht der Schwiegertochter 143 stieg eine dunkle Röte, und um ihre Mundwinkel zuckte es heftig, aber sie sagte nichts, sondern seufzte bloß tief auf, während die Alte zu sprechen fortfuhr:

»Zwei Monat lang hat er in St. Blasien sitzen müssen – fürs Wildern – er, der den braven Vater hat und so einen braven Großvater gehabt, denen man nie kein Brösele hat nachsagen können.« – »Bet',« herrschte sie den Enkel an, »laß' nit ab, dein Gebet für reumütige Sünder aufzusagen, damit dich Gottvater nit dereinst in der Höll' braten läßt.«

»Bald drei Wochen sind's,« murmelte die Bäuerin, »daß er alle Abend denselben Spruch ein paar Dutzend mal 'runterbeten muß.«

»Eh, du grundgütiger Heiland,« rief die Bergmann aus, »wie gehen auch die Leut' mit den armen Würmle um, die man ihnen munter zappelnd in den Schoß gelegt hat! Stundenlang beten so ein kräftiger Bursch – laßt ihn Holz hacken und sich regen und müd' machen, das ist die best' Medizin für ein übermütig's Blut.«

»Sie sollten Euch zum Doktor machen,« sagte die Bäuerin. Die Großmutter überschrie sie: »Der 144 bös Feind ist allweil nur durch 's Beten zu vertreiben gewesen.«

»Auch mit dem Schaffen kann man ihm zu Leib gehen,« sagte die Bergmann, »der goldene Mittelweg ist halt immer 's best' auf der Welt; Ihr nehmt die Sach' zu ernst, und dem Bärbel seine Mutter hat's zu leicht genommen; um's zu trösten hat sie's wollen nach Waldshut, zu einer Tante schicken, da soll's tanzen und im Frühjahr mit einem schönen Bräutigam zurückkommen, da wären die bösen Mäuler still. – Ja, wollt Ihr denn Euer Maidele mit Gewalt zu Grund richten, hab' ich gesagt, spinnen soll's und nit ruhen bis es wirklich das schönste Garn hat weit und breit, und kriegt's dann den Preis, so sind die Mäuler auch still, denn dann hat's seine Ehr' wieder rein gewaschen; das ist meine Meinung; und zum Bärbel hab' ich gesagt: So, jetzt wähl' zwischen der Buß' und dem Sündenfall – 's hat die Buß' gewählt– ohne sich zu besinnen, ist's zu mir her'kommen und hat gesagt: ich möcht' meine Ehr' wieder rein waschen.«

»Ich muß Euch nur bewundern, wie Ihr Euch um fremde Leut' verdient macht, Bergmänne,« sagte die Bäuerin.

145 Jene lachte: »'s ist nit der Müh' wert, ich bin selber am wenigsten schuld dran, denn ich war nit immer so; aber da hat mir unser Herrgott einen hohen Lehrmeister geschickt, damals wie unsere guten Herrschaften 's erstemal nach St. Blasien 'kommen sind; da hab' ich's so recht erfahren, was es heißt, einem Menschen wohl zu thun; da war kein Kummer, keine Sorg', aus der mir unsere Landsmutter nit 'rausgeholfen hätt'; alles hab' ich ihr anvertraut, auch daß der Doktor mir gesagt, ich sollt' Zähn' haben wegen meinem Magen. Nun, da schaut her, was in meinem Mund ist, das ganz' stattlich' Gebiß, ein Präsent ist's von unserer Landsmutter! – Und so über einmal hat's mir keine Ruh' mehr gelassen; Bergmänne, hat eine innere Stimme zu mir gesagt, steh' nit da wie der Ochs am Berg, gieb's weiter; wenn's auch kein Geld ist, ein guter Rat und eine gute That sind auch was wert. Und ich kann's euch versichern, wenn man einmal angefangen hat, dem lieben Gott so ein bisle ins Handwerk zu pfuschen, man kann's gar nimmer lassen.«

Unter der Lampe, am Tisch, hatte sich während der langen Rede der Bergmann alles 146 mögliche zugetragen. In dem Maße nämlich als der Bursche, wie es über seine Sünden losging, kleiner und verlegener geworden war, hatte sich das junge Mädel gestreckt, und nun schaute sie mit einemmal ganz anders aus den Augen; was glänzte da nicht alles drin an Freudigkeit, Überraschung und Dankbarkeit, nicht länger allein das räudige Schaf in dieser Versammlung sein zu müssen – einen Leidensgefährten zu haben, der sich auch schämen mußte, und darum keinen Grund hatte, verächtlich von ihr zu denken. Wie anders surrte mit einemmal das Rädchen, so lebendig, ja beinahe lustig, als sei in das junge Ding plötzlich ein fröhlicher Kobold gefahren und habe alle Trübsal in ihrem Herzen überwunden und in die Flucht geschlagen. Und siehe da, nun hustete auch das Bärbel, ja ganz ernstlich überkam sie's, und ihre Blicke flogen über den Tisch, erst verstohlen und unsicher, dann immer länger und dringender, endlich hafteten sie fest und voll herzlichen Mitgefühls auf der gesenkten Stirne des Burschen, der stockend sein Gebet las und mit der Rechten in seinem Haarschopf wühlte. Da zog's ihm plötzlich wie mit Gewalt die Wimpern in 147 die Höhe und – »Daß ihr's nur wißt, ihr junges Volk,« unterbrach die Bergmann das Freudenfest, das eben vier Augen in aller Stille und Weltvergessenheit mit einander zu feiern im Begriff waren, »daß ihr's wißt, gut machen, aufstehen, wenn man auf die Nas gefallen ist, das ist jetzt eure nächste Aufgab'; 's Vertrauen müßt ihr euch wieder gewinnen, und habt ihr's, dann bleibt auch die Belohnung nit aus. – Und jetzt, ich bitt' Euch, Bauer, laßt's genug sein mit der Beterei, ich kann das Gemurmel nimmer länger mit anhören; schickt den Buben lieber 'naus, er soll Schnee schaufeln, da kommt doch was dabei 'raus.«

Der junge Mensch blickte erwartungsvoll nach der Ofenecke, und da es dort still blieb, warf er das Gebetbuch zu, sprang in die Höhe, daß die Stube dröhnte, riß Jacke und Mütze, die an der Thüre hingen, vom Nagel und stürmte hinaus.

»Eigentlich,« meinte die Bergmann, »könntst du dich auch nützlich machen, Bärbel, du weißt wie beschwerlich wir's hatten, den Weg herauf, mach', daß wir's 'runter leichter haben, will sehen was ihr leisten könnt mit einander.«

148 Das junge Ding ließ alles liegen und stehen; es vergaß sogar seinen Mantel, den ihm die Bergmann lachend nachwarf.

»So,« meinte sie, auf ihren Platz zurückkehrend, »wenn man über Erziehung red', müssen die jungen Leut' aus dem Weg sein; die Fehler der Eltern gehen sie nix an. Du lieber Gott, als ob nit jeder einmal ein bisle gewildert hätt', wie er jung war.«

»Der Sohn nit,« fiel ihr die alte Frau ins Wort, »und der Großvater auch nit.«

»Nun ja, das ist ja aller Ehren wert,« gab die Bergmann zu, »aber wenn so ein junger Bursch gerad vom Dienen kommt, da hat er halt das Schießen noch so im Gelenk; darum muß man nit gleich verzweifeln.«

Der Bauer kam jetzt aus der Ofenecke und nahm am Tisch Platz, gerad' unter der Lampe, die sein treuherziges Gesicht hell beleuchtete. Er gab sich alle Mühe verstanden zu werden, indem er die Pfeife weglegte und ganz langsam die Worte hervorstieß, als habe er es mit lauter Tauben zu thun:

»Eine gute Heirat – hätt' er machen können – da hinten – im Blasiwald – eine Wirtstochter – aber der Alt' will nimmer – einen Schwiegersohn, der gesessen hat, dafür, sagt er, bedank' er sich.« –

»Er hat's verscherzt,« jammerte die Großmutter, »er hat's verscherzt – Jesus Maria, er wird keine brave Frau mehr kriegen.«

Jetzt erhob die Bäuerin das Haupt und rasch, beinah heftig stieß sie die Worte hervor: »Brav, nun ja, ich sag' ja nit, daß es ums brav sein nit was gut's ist, aber wie einem die braven Leut 's Leben verbittern können, das glaubt Ihr nit, Bergmänne. Ich hab' nie nix gesagt, ich hab' alles geschluckt, ich hab' denkt, 's muß so sein, weil ich's verdient hab'. Ich war keins von den 150 besten Früchtle in meiner Jugend, die Erst' und die Letzt' auf dem Tanzboden und Flatusen waren mir auch lieber als Grobheiten. Wie der kommen ist – sie deutete auf ihren Mann – und hat mich wollen, da hat meine Mutter gesagt: Jetzt hast einen Braven erwischt, aber für seine Mutter wird's keine Freud' sein, wenn du ins Haus kommst. – In Weg gelegt hat sie mir nix, aber wenn der Bub nit gut mitkommen ist in der Schul', gleich hat's geheißen: das hat er von seiner Mutter, das ist ihr Leichtsinn, der muß ihm ausgetrieben werden. – So ist noch kein Kind gehauen worden wie der Bub, er hat oft nimmer reden können, so hat er sich heißer geschrieen. Kaum war er aus dem Haus, beim Militär, war er recht; nach zwei Jahren haben sie ihn schon frei 'geben wegen seiner braven Führung; er kommt nur heim und gleich geht's wieder los.«

Der Bauer wollte etwas sagen, sie fiel ihm ins Wort: »Nein, nein, reden muß ich – ich muß einmal reden – nit muksen hat er sich sollen und ist doch ein ausgewachsener Mensch; hätt' er ein bisle Freiheit gehabt, sich austoben dürfen wie die andern Burschen auch, er wär' gewiß nit aufs 151 Wildern gekommen, 's hat halt wo 'naus müssen. Schau, Mutter, hat er zu mir gesagt, wann ich nit den paar Hasen eins aufgepfeffert hätt', ich wär' verrückt 'worden bei dem trübseligen Zusammenhocken, mit der ewigen Predigerei. – Ich hätt' weiter geschwiegen und von meinen Gedanken nix vermerken lassen, aber nun hab' ich gered', weil ich's nit vertragen könnt', wenn der Bub' auch so eine Brave bekäm' und hätt's einmal später wie seine Mutter.« – Sie schwieg. Der Bauer hatte sich erhoben und ging unruhig in der Stube auf und ab; die Pfeife war ihm ausgegangen und er fuhr sich immerfort mit dem Finger in seinen Hemdenkragen, als beenge ihn da was. Die Worte der Frau erschreckten und kränkten ihn zugleich; er hatte dies Weib genommen gegen den Willen seiner Mutter und sich alle Mühe gegeben, es jeder recht zu machen. Nun sah er, es war ihm doch nicht ganz gelungen. »Mutter,« sagte er, die Hand auf den hohen Rücken der alten Frau legend, »Ihr seid doch nit bös? Ihr wißt, sie ist nur ein bisle rasch manchmal.« –

»Ich misch' mich in nix, ich misch' mich in nix!« murmelte die Alte.

152 Sie pflegte das immer zu sagen, so oft Mann und Frau uneins waren und sich über den Buben stritten, und allemal hatte der Sohn erklärt: »Nein, Mutter, Ihr seid die Hauptperson, auf Euch kommt's an!« Heute nahm die Bergmann für ihn das Wort: »Ja, Großmutter, Ihr redet klug, ja wohl, Ihr wißt's halt – der Mann gehört zur Frau und die Frau gehört zum Mann, und was sich dazwischen drängt, das ist von übel. Ihr habt halt dem Leben auch schon eine Weil' zugeschaut, da weiß man wie's geht, gellet? Und daß man die Sonn' nit aufhalten kann in ihrem Lauf und zwei Herzen auch nit, wenn sie zu einander wollen. Mir käm's zum Beispiel wie die reinst' Fügung Gottes vor, wenn die zwei da draußen – sie zeigte mit dem 153 Daumen nach dem Fenster – aneinander Gefallen fänden.« –

»O um Gottswillen nit!« stöhnte die Großmutter auf, »so eine! Nein, das geb' ich nit zu.« –

»Freilich,« sagte die Bergmann, »Ihr mögt ja recht haben, aber er hat's auch einmal nit leicht, der arm' Kerl, denn wo soll die Frau 'rausschlupfen: Brav wie ein Engele Gottes, mit einem netten Vermögen doch auch natürlich, die an ihm nix auszusetzen hat, und ihm auch recht ist – und den Eltern, und der Großmutter dazu! Sonst in der Welt helfen die Alten immer den Jungen; am End' aber macht Ihr auch keine Ausnahm', Großmutter, und ich red' mich umsonst heiser. Herrgott, da schlagt's achte! Schon zwei Stunden 'rum – wenn man sich aber auch so gut unterhalten thut, kein Wunder!«

Sie fuhr in ihren Mantel, ohne dabei die Großmutter aus den Augen zu lassen, die in ihrem Winkel saß und sich nicht rührte.

»Hm ja,« meinte die Bergmann, »so geht's, da fallen einem über einmal wieder die alten Geschichten ein. – Jesses, was hab' ich aber auch für eine gute, gute Großmutter gehabt! Der Vater 154 selig war oft ganz wütig, weil sie mir alleweil beigestanden hat – wann ich Schläg' kriegt hab', oder daß sonst ein Unglück über mich 'nein'brochen ist, allemal ist sie mir so mit der Hand über den Kopf gefahren und hat gesagt: »Gang, Maideli, und hol' dir ein Äpfeli!« – Das hör' ich noch, ich glaub', in meiner letzten Stund' – so eine Großmutter, das ist ein Segen für ein Kind.« –

»Der Mutter ist was!« unterbrach sie der Bauer, »he Mutter, warum schnauft Ihr auch so, ist Euch was?«

»He freilich!« sprudelte die Alte heraus, indem sie sich aufrichtete und die tiefliegenden Augen auf die Anwesenden richtete, »'s wird mir nix sein – ich werd' mir nachsagen lassen, daß ich eine Ausnahm' mach' – daß ich nit auch so eine gute Großmutter sei, wie's die andern sind! Kann ich mehr thun, bei Gott, als daß ich eine zum zweitenmal in dem Haus willkommen heiß', die ich nit auch brav heißen kann.« –

Die Bergmann ergriff die zitternde Rechte der alten Frau: »Ihr machet's halt, wie sie's im Himmel machen, Großmutter, dort ist auch die allergrößt' Freud' über einen Sünder, der Buße thut.«

155 »Bergmänne,« sagte der Bauer, »sie sollten Euch zum Pfarrer wählen!«

Die Bäuerin sagte nichts, sie geleitete den Gast bis vor die Thüre, wo sie einen Augenblick das Gesicht gegen die Schulter der robusten Frau drückte: »Ihr habt ein gutes Werk gethan,« flüsterte sie, »vergelt's Euch Gott, Bergmänne!«

Diese schritt mit einem: »Jo jo, schon recht!« in die stille Nacht hinaus. Rechts und links lag der Schnee in hohen Haufen und ein schön gebahnter Weg that sich vor ihr auf. Sie schritt wohlgemut dahin, über sich den sternenklaren Himmel. »Schau, schau,« sprach sie laut, »was die schon ein schönes Stück weggeschafft haben miteinander – wenn sie das so weiter treiben im Leben, dann brauch' ich mich auch meiner Hinterlist nit zu schämen und daß ich schon mit dem abgekarteten Spiel in der Tasch' zu Licht heraufgekommen bin.«

 

 


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