Alfred de Vigny
Die Abendunterhaltung in Vincennes
Alfred de Vigny

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10. Ende der Adjutantengeschichte

Hier stand der gute Adjutant auf, um das Porträt von der Wand zu nehmen und es nochmals von Hand zu Hand gehen zu lassen.

»Das ist sie,« sagte er, »in dem nämlichen Kostüm, mit der Haube und dem Tuch um den Hals. So hat sie die Frau Prinzessin von Lamballe malen wollen. Deine Mutter ist's, mein Kind«, sagte er zu dem schönen Mädchen, das er neben sich hatte und auf seine Knie zog. »Weiter spielte sie keine Komödie, denn sie hat immer nur die eine Rolle aus ›Rose und Colas‹;, welche ihr die Königin beigebracht, spielen können.«

Er war bewegt. Sein weißer Schnauzbart bebte ein wenig und über ihm zitterte eine Träne.

»Das Kind hier hat seine arme Mutter bei der Geburt getötet,« fügte er hinzu; »man muß es sehr liebhaben, um ihm das verzeihen zu können; doch schließlich wird uns nicht alles zu gleicher Zeit gegeben. Scheinbar wär' das zuviel für mich gewesen, da die Vorsehung es nicht wollte. Seitdem bin ich mit den Kanonen der Republik und des Kaiserreichs herumgezogen und kann sagen, daß ich von Marengo bis an die Moskwa viele, viele schöne Siege sah. Nie aber hab' ich einen schöneren Tag in meinem Leben als den Ihnen eben erzählten erlebt. Der, an dem ich in die kaiserliche Garde eingetreten bin, gehört auch mit zu den schönsten. Mit ebenso viel Freude hab' ich mir dann wieder die weiße Kokarde angeheftet, die ich im Leibregiment Auvergne trug. Wie Sie gesehn, Herr Leutnant, lege ich großen Wert darauf, meine Pflicht zu tun. Ich würde, glaub' ich, vor Schande sterben, wenn mir bei der Inspektion morgen auch nur eine Stückpatrone fehlte, und bei der letzten Feuerübung hat man, meine ich, eine kleine Tonne Pulver für Infanteriepatronen entnommen. Fast hätt' ich Lust nachzusehn, wenn's nicht verboten wäre, mit Lichtern hineinzugehn.«

Wir baten ihn sich auszuruhn und bei seinen Kindern zu bleiben, die ihn von seinem Vorhaben abbrachten; und, sein kleines Glas leerend, erzählte er uns noch einige gleichgültige Dinge aus seinem Leben: er war nicht befördert worden, weil er immer die Elitekorps zu sehr geliebt und zu sehr an seinem Regimente gehangen hatte. Kanonier in der Garde der Konsuln, Sergeant in der kaiserlichen Garde war er gewesen, und in den Graden war er sich stets höher vorgekommen, als wenn er Linienoffizier gewesen wäre. Ich habe viele ähnliche Haudegen gesehn. Alles was ein einfacher Soldat an Auszeichnungen erlangen kann, hatte er: die Ehrenbüchse mit silbernem Gewehrringe, das Ehrenkreuz mit Jahresgehalt und vor allem ein schönes und nobles Dienstbuch, worin die Kolonne: hervorragende Handlungen dicht beschrieben war. Das aber erzählte er nicht.

Es war zwei Uhr morgens. Wir machten der Abendunterhaltung ein Ende, standen auf, drückten dem wackeren Manne herzlich die Hand und ließen ihn glücklich über die Erregungen seines Lebens, die er in seiner ehrenwerten und guten Seele aufgefrischt hatte, zurück.

»Wie viel mehr taugt solch alter Soldat mit seiner Ergebung«, sagte ich, »als wir jungen Offiziere mit unserem wahnsinnigen Ehrgeiz! Das sollte uns zu denken geben.«

»Ja, das glaub' ich gern,« fuhr ich fort, als wir über die kleine Brücke gingen, welche hinter uns aufgezogen wurde; »ich glaube, daß es in unseren Zeiten nichts Reineres als die Seele eines solchen Soldaten gibt; ängstlich ist er auf seine Ehre bedacht und hält sie um des geringsten Tadels willen schlechter Manneszucht oder Nachlässigkeit wegen für befleckt; er kennt keinen Ehrgeiz, keine Eitelkeit, keinen Luxus, ist immer Sklave und stolz und zufrieden mit seiner Knechtschaft, teuer in seinem Leben ist ihm nur eine dankbare Erinnerung.«

»Und er glaubt, die Vorsehung blicke auf ihn nieder«, sagte mit tief betroffener Miene Timoléon, als er mich verließ, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen.


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