Alfred de Vigny
Die Abendunterhaltung in Vincennes
Alfred de Vigny

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9. Ein schöner Abend

Hier nippte der ehrenwerte Adjutant ein wenig an seinem kleinen Absynthglase, indem er uns zu gleichem Tun aufforderte, und nachdem er seinen weißen Schnauzbart mit einem roten Taschentuche abgewischt und es einen Augenblick in seinen derben Fingern herumgedreht hatte, fuhr er so fort:

»Wenn ich mich auf Überraschungen verstünde, Herr Leutnant, wie man es in den Büchern tut, wo man die Leute auf das Ende einer Geschichte warten läßt, indem man das Zuckerzeug vor sie hinhält, sie es mit dem Lippenrande kosten läßt und es ihnen wieder fortnimmt, um es ihnen schließlich dann zum Verspeisen zu geben, würde ich Ihnen meine Fortsetzung in origineller Weise erzählen. Doch geh ich lieber ganz einfach aufs Ziel los, wie mein Leben tagtäglich gewesen ist, und will Ihnen sagen, daß ich seit der Stunde, wo mein armer Michel mich hier in Vincennes besucht und in Feuerstellung in erster Reihe gefunden hatte, in lächerlicher Weise abmagerte, weil ich nicht mehr von unserer kleinen Montreuiler Familie sprechen hörte und schließlich dachte, Pierrette habe mich vollständig vergessen.

Das Regiment Auvergne war seit drei Monaten in Orleans und Heimweh kam über mich. Zusehends wurde ich gelb und konnte meine Flinte schon nicht mehr halten. Meine Kameraden fingen an mich groß zu verachten, wie man hier doch jede Krankheit, Sie wissen es ja, verachtet.

Einige gab's, die mich geringschätzten, weil sie mich für sehr krank hielten, andere, weil sie behaupteten, daß ich mich nur verstelle; in letzterem Falle blieb mir nichts anderes übrig, wie zu sterben, um ihnen zu beweisen, daß ich die Wahrheit sagte, da ich mich nicht wieder aufrappeln konnte, aber auch nicht so schlecht fühlte, daß ich mich hätte zu Bett legen müssen; eine ärgerliche Lage war's...

Eines Tages suchte mich ein Offizier meiner Kompagnie auf und sagte zu mir:

»Mathurin, Du kannst ja lesen, lies mir das da mal vor.«

Und er führte mich auf den Jeanne d'Arcplatz, einen Platz, der mir teuer ist, wo ich eine große Theaterankündigung las, auf welcher man folgendes gedruckt sah:

Auf allerhöchsten Befehl.

Nächsten Montag außerordentliche Vorstellung von »Irene«, neuem Stück des Herrn von Voltaire und von »Rose und Colas« des Herrn Sédaine, Musik von Herrn Monsigny, zum Besten von Fräulein Colombe, berühmter Sängerin der Comédie Italienne, welche im zweiten Stücke auftreten wird. Ihre Majestät die Königin hat zu versprechen geruht, daß sie das Schauspiel mit ihrer Gegenwart beehren würde.

»Nun,« sagte ich, »Herr Hauptmann, was habe ich damit zu schaffen?«

»Du bist ein guter Untertan,« sagte er zu mir, »bist ein hübscher Junge, ich werde Dich pudern und frisieren lassen, um Dir ein etwas besseres Aussehn zu geben, und Du sollst Wache vor der Königin Logentüre stehn.«

Wie gesagt, so getan. Als die Schauspielstunde gekommen war, stand ich in der Paradeuniform des Regiments Auvergne im Korridor auf einem blauen Teppich inmitten von Blumengirlanden und Rosenkränzen, die man überall aufgehängt hatte, und blühende Lilien gab's auf jeder Treppenstufe des Theaters. Mit freudig erregter Miene lief der Direktor nach allen Seiten. Er war ein kleiner dicker und roter Mann in himmelblauem seidenem Anzuge mit üppigem und aufgeplustertem Busenstreifen. Er haspelte sich in jeder Beziehung ab, stürzte in einem fort ans Fenster und rief:

»Das hier ist der Frau Herzogin von Montmorency Livree, das der Läufer des Herrn Herzogs von Lauzun; der Herr Prinz von Guéménée trifft soeben ein; Herr von Lambesc kommt hinter ihm her. Haben Sie gesehn ? Wissen Sie's ? Wie gut die Königin ist... Wie gut die Königin ist!«

Außer sich kam und ging er, suchte Grétry, und stand ihm dann auf dem Korridor gegenüber, gerade vor mir.

»Sagen Sie mir, Herr Grétry, mein lieber Herr Grétry, sagen Sie mir, inständig bitte ich Sie darum, kann ich denn die berühmte Sängerin, die Sie bringen, nicht sehn ? Sicherlich ist es einem so unwissenden und ungebildeten Manne wie mir nicht erlaubt, den leichtesten Zweifel an ihrem Talente zu hegen, aber nochmals, gern möcht' ich von Ihnen wissen, ob auch ja nicht zu befürchten steht, daß die Königin unzufrieden. Man hat keine Probe gehalten ...«

»Ach, ach,« antwortete Grétry mit spöttischer Miene, »unmöglich kann ich Ihnen darauf antworten, mein lieber Herr; was ich Ihnen aber versichern kann, ist, daß Sie sie nicht vorher sehn werden. Eine Schauspielerin wie sie, mein Herr, ist ein verwöhntes Wesen. Zu Gesicht werden Sie sie aber kriegen, wenn sie auftritt. Wenn es übrigens eine andere Künstlerin als Fräulein Colombe wäre, was täte Ihnen das?«

»Wie, mein Herr, ich, Direktor des Orleanser Theaters, sollte nicht das Recht besitzen...?« fuhr er, seine Backen aufblasend, fort.

»Kein Recht, mein wackerer Direktor«, sagte Grétry. »He, wie können Sie auch nur einen Augenblick an einem Talente zweifeln, für das Sédaine und ich einstehn?« fuhr er mit etwas mehr Ernst fort.

Ich war sehr froh, als ich den Namen mit einigem Gewicht angeführt werden hörte, und schenkte dem Gespräch größere Aufmerksamkeit.

Als ein Mann, der sich auf seinen Beruf verstand, wollte der Direktor den Umstand ausnutzen.

»Aber rechnet man mich denn für nichts?« sagte er; »nach was seh' ich denn aus? Ich hab' mein Theater mit unsäglichem Vergnügen hergeliehen, bin zu glücklich, die erlauchte Fürstin zu sehen, die ...«

»Hören Sie übrigens,« sagte Grétry, »ich soll Ihnen mitteilen, daß die Königin Ihnen eine der halben gewöhnlichen Einnahme gleiche Summe einhändigen lassen wird.«

Der Direktor dienerte, immer rückwärts weichend, voll tiefer Entrüstung, worin sich aber das Vergnügen kund tat, das ihm diese Nachricht bereitete.

»Pfui doch, mein Herr, pfui doch! Trotz der Ehrfurcht, mit der ich solche Gunst entgegennehmen werde, spreche ich nicht darüber; doch Sie haben mich auf nichts hoffen lassen, was von Ihrem Genie herrührt und ...«

»Wissen Sie auch, daß Rede davon ist, daß Sie die Comédie Italienne in Paris leiten sollen ?«

»Ach, Herr Grétry ...«

»Man spricht bei Hofe von Ihrem Verdienste; alle Welt liebt Sie dort sehr, und um deswillen hat die Königin Ihr Theater sehn wollen. Ein Direktor ist die Seele des Ganzen; von ihm geht das Genie der Autoren, das der Komponisten, der Schauspieler, der Dekorateure, der Maler, der Beleuchter und der Auskehrer aus; er ist der Anfang und das Ende von allem; die Königin weiß das ganz genau. Sie haben Ihre Plätze zum dreifachen Preise verkauft, hoff ich?«

»Teurer noch, Herr Grétry; sie kosten einen Louis; ich konnte es dem Hofe gegenüber doch nicht an Respekt fehlen lassen und sie billiger abgeben.«

In diesem Augenblicke tönte alles von lautem Pferdegetrappel und lauten Freudenrufen wieder und die Königin kam so schnell herein, daß ich kaum zum Gewehrpräsentieren Zeit hatte, ebenso ging's auch der Wache neben mir. Schöne parfümierte Herren folgten ihr und auch eine junge Frau, in welcher ich die wiedererkannte, die sie in Montreuil begleitete.

Das Schauspiel fing sofort an. Le Kain und fünf andere Schauspieler der Comédie Francaise waren gekommen, um die Tragödie »Irene« zu spielen, und ich merkte, daß die Tragödie ihren Gang nahm, obwohl die Königin all die Zeit über, die sie währte, redete und lachte. Aus Ehrfurcht vor ihr spendete man keinen Beifall, wie es, glaub' ich, noch bei Hofe üblich ist. Als aber die komische Oper an die Reihe kam, sagte sie nichts mehr, und kein Mensch flüsterte in ihrer Loge.

Plötzlich hörte ich eine schöne Frauenstimme, die sich auf der Bühne erhob und mir das Herz im Leibe umdrehte; ich bebte und mußte mich auf meine Flinte stützen. Nur eine solche Stimme gab's auf der Welt, eine Stimme, die aus dem Herzen kam und wie eine Harfe, eine Stimme der Leidenschaft, in der Brust widerhallte.

Mein Ohr an die Tür legend, lauschte ich und durch den Gazevorhang des kleinen Logenfensters sah ich die Schauspieler und das Stück, das sie gaben.

Da stand eine kleine Person und sang:

Ein liebes Vögelein,
Grau wie ein Mäuschen klein,
Macht für die Jungen sein
Zierlich und fein
Ein Nestelein ...

Und zu ihrem Liebsten sagte sie:

»Lieb mich, lieb mich, König mein!«

Und als der sich ins Fenster gesetzt hatte, kriegte sie Angst, ihr Vater möchte aus dem Schlafe erwachen und Colas sehen; und sie wechselte den Refrain des Liedes und sagte:

»Daß man's nicht sieht, zurück das Bein.«

Ein ungewöhnlicher Schauder überlief mich, als ich sah, bis zu welchem Grade diese Rose Pierrette glich; es war ihre Figur, war ihr eigenes Kleid, ihr rotblauer Überwurf, ihr weißer Rock, ihre beherzte und naive niedliche Miene, ihre so schön geformten Beine und ihre kleinen Silberschnallenschuhe samt ihren rotblauen Strümpfen.

»Mein Gott,« sagte ich mir, »wie geschickt müssen Schauspielerinnen sein, daß sie so ohne weiteres anderer Menschen Mienen anzunehmen wissen! Das ist das berühmte Fräulein Colombe, die in einem schönen Hotel wohnt, die mit der Post hierhergekommen ist, mehrere Lakaien hat und in Paris wie eine Herzogin angezogen geht, und sieht doch Pierretten so ähnlich! Doch merkt man auch gleich wieder, daß sie's nicht ist. Meine arme Pierrette singt nicht so schön, obwohl ihre Stimme mindestens ebenso hübsch ist.

Und doch konnte ich's nicht lassen, immer mußte ich durch das Glas schauen, und harrte dort, bis man mir die Türe derb gegen den Schädel stieß. Der Königin war es zu warm geworden, und sie wünschte, daß ihre Loge geöffnet würde. Ich hörte ihre Stimme, sie sprach lebhaft und laut.

»Ich bin sehr zufrieden; toll wird der König über unser Abenteuer lachen. Der erste Kammerherr mag Fräulein Colombe sagen, sie würde es nicht zu bereuen haben, daß sie mich die Honneurs ihres Namens habe machen lassen.

»O, wie mich das amüsiert!«

»Meine liebe Prinzessin,« sagte sie zu Frau von Lamballe, »alle Leute hier haben wir angeführt... Alle, die hier anwesend sind, begehen, ohne es zu ahnen, eine gute Handlung. Da sind die Leutchen der guten Stadt Orleans begeistert von der großen Sängerin und der ganze Hof möchte ihr Beifall klatschen. Ja, ja, klatschen wir Beifall!«

Gleichzeitig gab sie das Zeichen zum Beifall, und da die Hände des ganzen Saales nun entfesselt waren, ließ man kein Wort der Rose vorübergehn, ohne es nicht rasend zu beklatschen. Die reizende Königin war entzückt.

»Hier gibt es an die dreitausend Liebhaber,« sagte sie zu Herrn von Biron, »doch sind sie dieses Mal in Rose und nicht in mich verliebt.«

Das Stück ging zu Ende und die Frauen warfen ihre Sträuße auf Rose.

»Und wo steckt denn der wirkliche Liebhaber?« fragte die Königin den Herrn Herzog von Lauzun. Der ging aus der Loge und machte meinem Hauptmann, der im Flur herumstenderte, ein Zeichen.

Ein Zittern überkam mich; ich fühlte, daß mir etwas zustoßen sollte, wagte aber nicht, es vorherzusehn oder zu begreifen oder auch nur zu denken.

Mein Hauptmann grüßte tief und sprach leise mit Herrn von Lauzun. Die Königin erblickte mich; ich lehnte mich gegen die Mauer, um nicht umzufallen. Jemand kam die Treppe herauf, und ich sah Michel Sédaine im Gefolge von Grétry und dem wichtigtuerischen und dummen Direktor kommen; sie brachten Pierrette, die wirkliche Pierrette, meine mir gehörende Pierrette, meine Schwester, meine Frau, meine Pierrette von Montreuil.

Der Direktor rief schon von weitem: »Das ist ein feiner Abend ... achtzehntausend Franken!«

Die Königin wandte sich um, faßte Pierrettes Hand und erklärte aus ihrer Loge heraus mit einer Miene, die zugleich voll freimütiger Heiterkeit und wohlwollender Feinheit war:

»Komm, mein Kind,« sagte sie, »in keinem andern Berufe kann man in einer Stunde, ohne zu sündigen, seine Mitgift verdienen, Morgen werd' ich meine Schülerin zum Herrn Pfarrer von Montreuil zurückbringen, der uns allen beiden hoffentlich vergeben wird. Dir wird er doch wohl verzeihen einmal in Deinem Leben Komödie gespielt zu haben; darunter tut's eine anständige Frau nun einmal nicht!«

Dann begrüßte sie mich... Mich zu grüßen, mich, der ich mehr als halbtot war, welch' eine Grausamkeit!

»Herr Mathurin wird, hoff ich«, sagte sie, »Pierrettes Vermögen jetzt wohl annehmen, ich füge nichts hinzu, sie hat es selber verdient.«


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