Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel. Was Zermah hörte

»Du hier, auf der Insel Carneral?«

»Ja, seit ein paar Stunden.«

»Ich dachte, du wärest noch in Adamsville Eine kleine Stadt im County Putnam. in der Gegend des Apopka-Sees.« Ein See, der einen der Hauptflüsse des St. John speist.

»Dort war ich vor acht Tagen.«

»Und warum bist du hergekommen?«

»Es ging nicht anders.«

»Wir dürfen nirgendswo zusammentreffen, als in der Schwarzen Krampe, das weißt du, und dort auch nur, nachdem ich durch ein paar Zeilen von dir benachrichtigt worden bin.«

»Ich sage dir nochmals, ich mußte in aller Eile fort und nach den Everglades flüchten.«

»Warum?«

»Das wirst du erfahren.«

»Wie leicht kannst du uns beide verraten!«

»Ich bin in der Nacht gekommen, und keiner deiner Sklaven hat mich sehen können.«

Zermah hatte bisher den Sinn des Gesprächs nicht begreifen können; auch konnte sie nicht ahnen, wer dieser unerwartete Gast des Wigwams war. Sicherlich sprachen zwei Männer, und doch schien es nur einer zu sein, der Fragen stellte und Antworten erteilte, so völlig gleichen Klang hatten die Stimmen beider. Man hätte glauben können, all diese Worte kämen aus ein und demselben Munde.

Vergebens suchte Zermah durch einen Spalt in der Tür zu spähen. Die matt erleuchtete Kammer lag in einem Halbdunkel, in welchem kein Gegenstand zu erkennen war. Die Mestizin mußte sich daher damit begnügen, soviel wie möglich von diesem Gespräch zu belauschen, das von größter Wichtigkeit für sie sein konnte.

Nach einem Augenblick des Schweigens setzten die Männer ihr Gespräch fort. Augenscheinlich war es Texar, der die folgende Frage stellte:

»Du bist nicht allein gekommen?«

»Nein, ein paar unserer Genossen sind mir bis in die Everglades gefolgt.«

»Wie viel?«

»Vierzig.«

»Fürchtest du nicht, daß sie nun durchschauen werden, was wir so lange Zeit glücklich geheim gehalten haben?«

»Keineswegs. Sie werden uns nie zusammen zu Gesicht bekommen. Wenn sie von der Insel Carneral wieder abziehen, wird ihnen unser Geheimnis nicht verraten sein, und an dem Programm unsers Lebens wird sich nichts ändern.«

»Was ist seit der Einnahme von Jacksonville vorgefallen?«

»Du weißt, daß Dupont St. Augustine genommen hat?«

»Ja, das weiß ich, und auch du weißt wohl, wie es kommt, daß ich davon unterrichtet bin?«

»Allerdings! Die Geschichte mit dem Eisenbahnzug von Fernandina kam dir gerade zu statten, um dir einen Alibi-Beweis zu ermöglichen, auf Grund dessen das Gericht dich laufen lassen mußte.«

»Und dazu hatte es eigentlich gar keine Lust. – Bah! Es ist nicht das erstemal, daß wir ihnen auf diese Weise eine Nase drehen!«

»Und wird auch nicht das letztemal sein. Aber vielleicht weißt du nicht, zu welchem Zweck die Unionstruppen St. Augustine besetzt haben? Dies geschah weniger, um die Hauptstadt des County St. John zu nehmen, als um die Küste des Atlantischen Ozeans zu blockieren.«

»Davon habe ich gehört.«

»Nun genügte es dem Kommodore nicht, die Küste von der Mündung des St. John bis zu den Bahama-Inseln in der Gewalt zu haben, sondern er wollte die Kriegskonterbande bis ins Innere von Florida verfolgen und entsandte zu diesem Zweck zwei Schaluppen mit einer Abteilung Seesoldaten unter dem Befehl zweier Offiziere seines Geschwaders. – Hast du von dieser Expedition gehört?«

»Nein.«

»Aber wann hast du denn die Schwarze Krampe verlassen? Ein paar Tage nach deiner Freisprechung?«

»Ja, am 22. dieses Monats.«

»Sieh da! Und die Geschichte ist auch am 22. passiert.«

Auch Zermah konnte von dem Hinterhalte nichts wissen, von dem Kapitän Howick Gilbert Burbank erzählt hatte. Auch sie erfuhr jetzt erst zur gleichen Zeit wie der Spanier, wie nach dem Brande der Schaluppen kaum ein Dutzend Ueberlebende dem Kommodore die Nachricht von diesem Unglück hatten überbringen können.

»Gut! – Gut!« rief Texar. »Das ist eine glückliche Rache für die Einnahme von Jacksonville. Wenn wir doch diese verdammten Bundesstaatler bis hier herunter locken könnten! Bis zum letzten sollten sie fallen!«

»Ja, bis zum letzten, zumal wenn sie sich in diese Sümpfe der Everglades wagen,« versetzte der andere. »Und eben hier werden wir sie in kurzem zu sehen bekommen.«

»Was sagst du?«

»Dupont hat geschworen, den Tod seiner Offiziere und seiner Seesoldaten zu rächen. Es ist daher eine neue Expedition nach dem Süden des County St. John entsandt worden.«

»Die Nordstaatler kommen also hierher?«

»Ja, aber in größerer Zahl und gut bewaffnet. Sie sind sehr auf der Hut und gehen in keine Falle.«

»Bist du mit ihnen zusammengetroffen?«

»Nein, denn unsere Leute sind nicht stark genug, und da haben wir ihnen aus dem Wege gehen müssen. Aber dabei haben wir sie doch immer weiter gelockt. Wenn wir die Milizen aus dem ganzen Territorium zusammengezogen haben, fallen wir über sie her, und kein einziger soll entkommen!«

»Woher kommen sie?«

»Vom Moskito-Eiland her durch den Zypressenwald.«

»Wo mögen Sie in diesem Augenblick sein?«

»Etwa 40 Meilen von der Insel Carneral.«

»Gut,« antwortete Texar. »Wir müssen sie noch weiter nach Süden ziehen lassen, sie dort festzuhalten suchen und ohne Säumen die Milizen zusammenziehen. Gleich morgen werden wir aufbrechen und im Bahama-Kanal Zuflucht suchen –«

Was Zermah hörte, war von größter Bedeutung für sie. Wenn Texar sich entschloß, die Insel zu verlassen, würde er sie mit sich führen oder im Wigwam unter Squambos Obhut zurücklassen? Im letztern Falle hätte die Mestizin vielleicht mit mehr Aussicht auf Erfolg einen Fluchtversuch ins Werk setzen können.

Aber wenn sie in dieser Hinsicht einige Hoffnungen gehegt hatte, so wurden diese sogleich vernichtet; denn auf die Frage, was er mit der Mestizin und dem Kinde machen werde, antwortete Texar:

»Die nehme ich, wenn es sein muß, bis nach den Bahama-Inseln mit.«

»Aber wenn das kleine Kind die Strapazen nicht aushält und zu Grunde geht?«

»Lieber will ich es tot sehen als seinem Vater wiedergeben!«

»Ach! du hassest die Burbanks gründlich!«

»Ebenso wie du sie selber hassest!«

Nach einer kurzen Pause fragte Texar weiter:

»Was gibt es Neues im Norden?«

»Nichts Bedeutendes. Unglücklicherweise scheinen die Nordstaatler im Vorteil zu sein, und es steht zu fürchten, daß die Sache der Sklaverei endgiltig verloren ist.«

»Bah!« machte Texar im Tone tiefster Gleichgültigkeit.

»Allerdings, wir sind ja weder für den Süden noch für den Norden!« sagte der andere.

»Jawohl, und für uns kommt's nur darauf an, solange die beiden Parteien sich zerfleischen, auf der Seite zu sein, wo das meiste zu holen ist.«

Mit diesen Worten gab Texar sich voll zu erkennen. Im trüben Wasser des Bürgerkrieges zu fischen, das war der einzige Zweck dieser beiden Männer.

»Aber was,« fuhr er fort, »ist im Besondern in Florida vorgegangen in diesen acht Tagen?«

»Nichts, worüber du nicht unterrichtet wärest. Stevens ist noch Herr des Stromes bis Picolata.«

»Und er scheint nicht weiter den St. John hinauf vordringen zu wollen.«

»Nein, die Kanonenboote steuern nicht weiter nach Süden. Es geht sogar das Gerücht, daß Dupont beabsichtige, Florida wieder aufzugeben und nur drei Schiffe zur Aufrechterhaltung der Blockade dort zu lassen.«

»Wär's möglich?«

»Ich sage dir, man spricht davon, und in diesem Falle würde auch St. Augustine bald geräumt.«

»Und Jacksonville?«

»Jacksonville auch.«

»Tausend Teufel! Dann könnte ich dort zurück, unser Komitee neu bilden und den Platz wieder einnehmen, von dem die Nordstaatler mich verdrängt haben. Und wenn dann James Burbank mit seiner Familie noch nicht Camdleß-Bai verlassen hat, wenn er sich noch nicht durch die Flucht meiner Rache entzogen hat, dann soll er mit seiner ganzen Sippe mir nicht wieder entgehen!«

»Ich pflichte dir bei! Alles, was du durch diese Familie erduldet hast, das habe ich mit dir erduldet! Was du willst, das will ich auch! Was du hassest, hasse ich auch! Wir zwei sind im Grunde nur einer!«

»Jawohl, einer!« antwortete Texar.

Das Gespräch stockte ein Weilchen. Gläser klirrten, als ob der Spanier und der andere zusammen tranken.

Zermah traute ihren Ohren nicht. Nach dem, was sie hörte, schienen diese beiden Männer im gleichen Maße beteiligt zu sein an den Verbrechen, die in letzter Zeit in Florida und besonders gegen die Familie Burbank verübt worden waren.

Hier waltete ein Geheimnis, das zu entdecken für Zermah von großem Interesse sein mußte.

Es mochte jetzt elf Uhr abends sein. Noch immer wütete ein furchtbares Unwetter. Wind und Regen brauste und goß ohne Unterlaß. Texar und sein Gefährte würden sicher die Nacht im Wigwam verbringen und ihre Pläne erst am folgenden Tage ausführen.

Dies erfuhr Zermah sogleich; denn der Spießgeselle Texars – jetzt mußte es dieser sein – fragte eben:

»Welchen Entschluß wollen wir fassen?«

»Folgenden,« antwortete der Spanier. »Morgen im Laufe des Vormittags suchen wir mit unsern Leuten die Umgebung des Sees ab. Wenn nichts auf die Annäherung der feindlichen Abteilung deutet, kehren wir zurück und warten, bis der Augenblick gekommen sein wird, daß wir uns zurückziehen müssen. Wem, im Gegenteil die Gefahr nahe ist, vereinige ich unsere Genossen und meine Sklaven und nehme Zermah bis zum Kanal mit. Du machst dich daran, die in Niederflorida verstreuten Milizen zusammenzuziehen.«

»Abgemacht,« antwortete der andere. »Und morgen halte ich mich solange in den Wäldern der Insel verborgen. Es darf uns niemand zusammen sehen.«

»Gewiß nicht!« rief Texar. »Der Teufel soll mich bewahren, eilte solche Dummheit zu machen, durch die unser Geheimnis an den Tag käme! Wir werden uns also erst in der kommenden Nacht im Wigwam wiedersehen. Wenn ich morgen schon von der Insel weg muß, verläßt du sie erst nach mir. Begib dich dann in die Gegend von Kap Sable!«

Zermah sah wohl ein, daß sie auf keine Hilfe mehr rechnen konnte. Sie konnte sich nur durch sich selber retten, wie groß auch die Gefahren sein mochten, unter so schwierigen Umständen einen Fluchtversuch zu wagen. Aber sie war entschlossen, alles zu versuchen, um von der Insel Carneral zu entkommen.

Die Ausführung dieses Planes mußte sie aber um 24 Stunden verschieben, obwohl die sehr finstere Nacht einen Fluchtversuch jetzt begünstigt hätte. Die Leute Texars, die nicht unter den Bäumen Schutz gesucht hatten, hielten sich jetzt um den Wigwam herum auf. Man hörte sie am Ufer hin und her gehen und plaudern. Wenn aber der Fluchtversuch mißglückte, so hätte Zermah ihre Lage nur noch verschlimmert.

Vielleicht bot sich auch am folgenden Tage eine bessere Gelegenheit zu fliehen. Hatte nicht der Spanier gesagt, daß er mit seinen Gefährten, seinen Sklaven und selbst dem Indianer Squambo sich auf den Weg machen wolle, um über den Marsch der Unionsabteilung Rekognoszierungen anzustellen? Konnte dieser Umstand nicht leicht Zermah größere Aussicht auf glückliches Gelingen verschaffen? Wenn es ihr gelang, über den Kanal hinüberzukommen, ohne gesehen zu werden, so wollte sie, einmal im Walde, sich und das Kind mit Gottes Hilfe zu retten versuchen. Sie wollte sich so gut verstecken, daß sie Texar nicht wieder in die Hände fiele. Kapitän Howick konnte ja nicht mehr fern sein.

Es war also ratsam, bis zum folgenden Tage zu warten. Aber ein Umstand warf dieses schwache Gerüst, auf dem die letzten Hoffnungen der Mestizin ruhten, über den Haufen.

In diesem Augenblick klopfte es an die Tür des Wigwams. Squambo war es.

»Tritt ein!« sagte der Spanier.

Squambo kam herein.

»Habt Ihr mir für die Nacht Befehle zu erteilen?« fragte er dann.

»Es soll aufs sorgfältigste Wache gehalten werden,« antwortete Texar, »und beim geringsten verdächtigen Zeichen weckst du mich!«

»Wird besorgt,« sagte Squambo.

»Morgen vormittag gehen wir ein paar Meilen weit in den Zypressenwald rekognoszieren.«

»Und die Mestizin und Dy?«

»Werden ebenso scharf bewacht wie sonst. Jetzt, Squambo, soll niemand uns im Wigwam stören.«

»Jawohl.«

»Was machen unsere Leute?«

»Die gehen auf und ab und scheinen wenig Lust zum Schlafen zu haben.«

»Niemand soll sich entfernen.«

»Niemand.«

»Und das Wetter?«

»Weniger schlecht. Es regnet noch immer, aber der Sturm wird sich bald legen.«

»Gut.«

Zermah hatte noch immer zugehört. Das Gespräch war anscheinend zu Ende, als ein Seufzer, ein leises Röcheln sich hören ließ.

Zermah eilte sofort nach der Grasschütte und neigte sich über das kleine Mädchen.

Dy war munter geworden. Sie keuchte und schlug mit den Händen in der Luft. Zermah vermochte nur die Worte zu verstehen:

»Zu trinken! Zu trinken!«

Das unglückliche Kind war dem Ersticken nahe. Es mußte sogleich hinausgebracht werden. In der tiefen Finsternis nahm Zermah die Kleine auf den Arm, sie fühlte, daß eine Art Krampf sie schüttelte.

Die Mestizin schrie laut und riß jäh die Tür der Kammer auf.

Zwei Männer standen dort vor dem Indianer Squambo, aber beide waren einander in Gesicht und Gestalt so sehr ähnlich, daß Zermah nicht hätte unterscheiden können, welcher von beiden Texar war.


 << zurück weiter >>