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Viertes Kapitel. Ein Sturmwind aus Nordosten

Den Gefangenen verblieb jetzt bloß eine Möglichkeit zur Rettung: daß die Bundestruppen noch vor der zwölften Stunde sich zu Herren über die Stadt machten; denn am andern Tage bei Sonnenaufgang sollten James und Gilbert Burbank füsiliert werden. Wie hätten sie aus ihrem Gefängnis, das so scharf bewacht wurde, wie Herrn Harveys Haus, entfliehen sollen, selbst wenn sich einer von den Wächtern hätte bestechen lassen?

Wenn aber Jacksonville genommen werden sollte, so kamen nicht die vor ein paar Tagen in Fernandina gelandeten Truppen der Nordstaatler in Betracht, welche diesen wichtigen Platz im Norden von Florida unmöglich verlassen konnten, sondern einzig und allein die von Stevens befehligten Kanonenboote. War es für sie aber möglich, obendrein in so kurzer Frist, über die Barre im Flusse hinwegzukommen? Gab es Mittel und Wege, das Hindernis zu besiegen, das Wassermangel nach wie vor den Kanonenbooten entgegensetzte? Wie man sehen wird, war das höchst zweifelhaft.

Nach Fällung des Urteilsspruchs hatte sich Texar mit dem Jacksonviller Milizoberst zum Kai begeben, um den Unterlauf des Flusses in Augenschein zu nehmen.

»Nichts Neues gemeldet worden?« fragte Texar, als sie am äußersten Ende des Pfahlwerks angelangt waren, den Blick scharf auf die Barre hinaus gerichtet und gespannt lauschend, ob sich vom Saint-John herüber Kanonenschläge hören ließen.

»Gar nichts,« versetzte der Oberst. »Ich habe übrigens einen Rekognoszierungsritt in nördlicher Richtung gemacht und dabei feststellen können, daß die Föderierten Fernandina nicht verlassen haben, also nicht nach Jacksonville zu unterwegs sind. Höchst wahrscheinlich bleiben sie an der Georgischen Küste auf Vedette, bis ihre Flottille den Kanal bezwungen haben wird.«

»Können nicht Truppen aus Saint-Augustine von Süden her kommen und bei Picolata über den Saint-John setzen?« fragte der Spanier.

»Das glaube ich nicht,« erwiderte der Offizier. »Soviel Truppen, um die Stadt zu besetzen, hat Kommodore Dupont nicht an Bord; seine Absicht ist augenscheinlich, über das ganze Küstenland von der Saint-John-Mündung bis zu den letzten Werdern von Florida Blockade zu verhängen. Von dieser Seite her steht also für uns nichts zu befürchten, Texar!«

»Mithin verbliebe bloß die Gefahr, durch die Stevenssche Flottille in Schach gehalten zu werden, wenn es ihr gelingt, die Barre, vor der sie seit drei Tagen festliegt, zu überwinden?«

»Zweifelsohne, aber diese Frage wird binnen jetzt und einigen Stunden zur Entscheidung kommen. Vielleicht haben die Föderierten keinen andern Zweck im Auge, als den Unterlauf des Flusses zu sperren, um jede Verbindung zwischen Saint-Augustine und Fernandina abzuschneiden!«

»Ich sage Ihnen wiederholt, Texar, daß es für die Nordstaatler im Augenblick weniger von Wert ist, Florida zu besetzen als der Kriegskonterbande, die von Süden herauf gebracht wird, die Wege zu verstopfen. Von diesem Gesichtspunkte aus liegt die Vermutung nahe, daß ihre ganze Expedition bloß diesen Zweck verfolgt. Sonst würden doch ihre Truppen, die schon seit 14 Tagen die Insel Amelia besetzt halten, gegen Jacksonville vorgerückt sein!«

»Sie können recht haben,« versetzte Texar; »nichtsdestoweniger liegt mir daran, möglichst bald klar zu sehen, wie es sich bezüglich der Barre verhält.«

»Die Frage wird noch heute aus der Welt sein!«

»Wenn aber die Stevensschen Kanonenboote heute noch im Hafen anlaufen sollten – was dann?«

»So würde ich ohne weiteres den vorliegenden Befehl ausführen, die Miliz nach dem Innern abzuführen, also jeden Zusammenstoß mit den Föderierten zu vermeiden. Mögen sie doch die Plätze der Grafschaft besetzen! Lange halten können sie dieselben nicht, weil sie von ihren Verbindungen mit Georgia oder Carolina abgeschnitten sein werden; die Plätze müssen uns also bald von selber wieder in die Hände fallen!«

»Bemächtigen sie sich aber der Stadt,« erwiderte Texar, »wenn auch nur für einen Tag, so müßte man sich doch auf Repressalien von ihrer Seite aus gefaßt machen! All diese sogenannten anständigen Leute, diese reichen Pflanzer und Antisklaverei-Leute, würden wieder zur Macht gelangen – und dann – der Fall wird es ja nicht sein – nein! – und lieber als daß ich die Stadt verließe –«

Der Spanier vollendete den Satz nicht; es war leicht, seinen Gedanken zu verstehen. Den Bundestruppen würde er die Stadt nicht ausliefern, denn das wäre dasselbe, als wenn er sie den gleichen Behörden wieder übergeben wollte, die durch den Pöbel beseitigt worden waren. Lieber würde er sie niederbrennen: und wer weiß, ob nicht alle Maßnahmen zu solchem Zerstörungswerk bereits getroffen waren! Wenn er sich mit seinen Anhängern dann den Miliztruppen anschlösse, so würden sie in dem südlichen Marschlande unzugänglicher Schlupfwinkel mehr als genug finden, wo sich die weiteren Ereignisse abwarten ließen.

Indessen war diese Eventualität, wie schon gesagt, nur für den Fall zu befürchten, daß die feindlichen Kanonenboote über die Barre hinüber gelangten: und der Augenblick, in welchem diese Frage ihre endgültige Lösung finden sollte, war nun da.

Vom Hafen her drängte sich eine mächtige Menschenflut. Im Handumdrehen waren die Kais so voll, daß kein Apfel zur Erde konnte. Ohrenbetäubendes Geschrei erfüllte die Luft.

»Die Kanonenboote kommen über die Barre!«

»Nein! sie rühren sich nicht vom Fleck!«

»Das Meer steigt!«

»Die Boote versuchen es mit Volldampf!«

»Seht doch! – seht doch!«

»Kein Zweifel!« bemerkte der Milizoberst – »es geht etwas dort vor – Texar! sehen Sie doch!«

Der Spanier gab keine Antwort; seine Augen wichen nicht vom Unterlaufe des Flusses, von der Linie am Horizont, die durch die Kette von Fahrzeugen gezogen wurde. Ein dichter Qualm stieg von dort auf und wurde von dem jetzt kräftig blasenden Winde in der Richtung auf Jacksonville zu getrieben.

Augenscheinlich suchte Stevens mit Wahrnehmung der Hochflut und indem er die Kessel, wie man sagt, »bis zum Platzen« spannte, über die Barre zu kommen.

Der Pöbel verfolgte dies Beginnen mit Spannung. Das Geschrei verdoppelte sich; alles brüllte durcheinander, denn was der eine gesehen haben wollte, bestritt der andere.

»Eine halbe Kabellänge haben sie gewonnen!«

»Nein! sie liegen noch genau so, als wenn sie den Anker noch nicht gehoben hätten!«

»Seht doch! das eine Boot manövriert!«

»Ja! aber es zeigt seine Breitseite und schwenkt, weil es nicht Tiefgang genug findet.«

Ist das ein Qualm!«

»Und wenn sie alle Steinkohlen Amerikas verfeuern, hinüber kommen sie doch nicht!«

»Seht doch! seht! die Flut geht schon zurück!«

»Hurra, Süden!«

»Hurra! hurra! hurra!«

Der Versuch, den die Flottille unternahm, dauerte etwa zehn Minuten – Minuten, die Texar und seinen Parteigängern, allen, denen es, wenn die Stadt genommen wurde, an den Kragen zu gehen drohte, gleich Ewigkeiten dünkte – sie wußten nicht, woran sich zu halten, denn die Entfernung war zu groß, um die Bewegungen der Kanonenboote genau zu verfolgen. Indessen fing, wie richtig bemerkt worden war, die Flut schon wieder an zurückzugehen; und war erst einmal Ebbe im Anzug, dann senkte sich der Wasserstand des Saint-John mit großer Schnelligkeit.

Plötzlich reckten sich die Arme zum Flusse hin, und über alles Geschrei hinweg dröhnte der Ruf:

»Ein Boot! – ein Boot!«

Wirklich kam am linken Ufer, wo sich die Strömung der Flut noch fühlbar machte, während die Gegenflut in der Kanalmitte an Stärke gewann, ein leichtes Fahrzeug in Sicht, das von Rudern geführt wurde und schnell herantrieb. Im Hinterschiff stand ein Offizier in der Uniform der floridischen Miliz; bald hatte er Tritt auf dem Pfahlwerk gefaßt und kletterte behend die Stufen der seitlich zum Kai emporführenden Leiter hinauf. Als er Texar erblickte, schritt er auf ihn zu, mitten durch die Gruppen von Menschen, die sich herandrängten, um ihn zu sehen und um seine Worte zu hören.

»Was ist los?« fragte der Spanier.

»Nichts! und es wird auch nichts losgehen!« versetzte der Milizoffizier.

»Wer schickt sie?«

»Unser Bootskommandant! unsere Boote werden sich nach dem Hafen zurückbegeben!«

»Warum?«

»Weil die Kanonenboote umsonst versucht haben, die Barre zu überwinden. Es hat nichts genutzt, daß sie Ballast ausluden, auch aller Volldampf hat sie nicht hinübergebracht. Es steht also nichts mehr zu befürchten.«

»Für diese Flut?« fragte Texar.

»Auch für keine andere – wenigstens nicht auf Monate hinaus!«

»Hurra! hurra! hurra!«

Dies Siegesgeschrei erfüllte die Stadt. Der Offizier hatte recht: von jetzt ab sank das Meer täglich, und nur eine geringe Wassermenge würde noch den Weg in das Bett des Saint-John finden. Die Flut vom 22. März war eine der stärksten im Jahr gewesen, und ehe sich der Flußlauf wieder zu dieser Höhe erhob, mußten mehrere Monate verfließen; der Kanal blieb also unpassierbar und Jacksonville entrann dem Feuer des Kommandanten Stevens. Das bedeutete also die Verlängerung von Texars Gewalt und für diesen Schurken die Gewißheit, das Werk seiner Rache zu Ende zu führen. Und selbst wenn General Sherman beabsichtigen sollte, die Stadt durch die Mannschaften des Generals Wright nehmen zu lassen, die in Fernandina gelandet worden waren, so ließ sich solcher Marsch nach Süden doch nur in einer gewissen Zeit bewerkstelligen. Da nun aber die Hinrichtung von James und Gilbert Burbank für den nächsten Tag in aller Frühe festgesetzt worden war, war nichts mehr imstande, sie zu retten.

Die vom Offizier gemeldete Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Gegend, und welche Wirkung sie auf solchen entfesselten Pöbel hervorbrachte, kann sich jeder, leicht denken. Die wüsten Szenen der letzten Tage erneuerten sich mit verdoppelter Stärke. Die bessere Bevölkerung, die sich der größten Greuel versehen durfte, rüstete sich zum Wegzug aus einer Stadt, die ihnen keinerlei Sicherheit mehr verbürgte.

Wenn das Geschrei zu den Ohren der Gefangenen drang und ihnen kündete, daß jede Aussicht auf Rettung geschwunden sei, so drang es nicht minder auch in Harveys Haus und jagte Herrn Stannard und seine Tochter Alice in helle Verzweiflung. Was ließ sich nun noch tun zur Rettung der beiden Unglücklichen? Nichts! nichts! Die Nacht senkte sich nieder. Die Witterung, die schon seit einigen Tagen umzuschlagen drohte, hatte sich merklich geändert. Der Wind war, nachdem er erst vom Lande her gekommen, plötzlich nach Nordost umgesprungen. Schon jagte graues, zerrissenes Gewölk, das keine Zeit mehr gefunden, sich in Regen aufzulösen, vom Meere her, fast dicht über seine Fläche hin. Das Barometer war rasch auf Sturm gefallen. Alle Anzeichen sprachen für einen am fernen Horizont des Atlantischen Meeres rasenden Orkan, der mit Einbruch der Nacht, die den Weltenraum in tiefe Finsternis hüllte, alsbald mit außerordentlicher Heftigkeit losbrach. Brausend peitschte er quer durch das Aestuarium des Saint-John. Er trieb die Fluten an seiner Mündung zur richtigen Hochsee empor, jene blitzschnelle Erscheinung auf ihm hervorrufend, die man zur Zeit der Syzygien oder des Neu- und Vollmonds, wenn Mond- und Sonnenflut zusammenfallen, einander also verstärken, bei den großen Strommündungen der Ozeane als »Springfluten« kennt, die mit ihren haushohen Wogen alles Land an den Ufern vernichten und ganze Stücke davon verschlingen.

Während dieser wilden Sturmnacht wurde Jacksonville fürchterlich heimgesucht. Das Pfahlwerk im Hafen wich den Stößen der dagegen stürmenden Wogen. Die Kais wurden überflutet; allerhand Fahrzeuge, deren Taue wie Fäden zerrissen, zerschellten an den Ufern. Sich auf den Straßen oder Plätzen zu halten, war ganz unmöglich; von allen Seiten her hagelte es Dachsteine und andere Trümmer, ganz wie wenn sie aus Maschinengewehren beschossen würden. Der Pöbel mußte sich in die Schenken und Spelunken flüchten, wo freilich die Kehlen nicht zu kurz kamen; das Toben und Brüllen, das von dorther Gassen und Straßen füllte, versuchte nicht ohne Erfolg gegen das Brausen des Orkans aufzukommen.

Aber nicht bloß auf der Erdoberfläche wirkte dieser Sturmwind verheerend. Quer durch das Bett des Saint-John rief die Veränderung des Wasserstandes eine Hochflut von um so größerer Gewalt hervor, als sie sich durch die Gegenschläge von der Tiefe herauf verzehnfachte. Die vor der Barre ankernden Schaluppen wurden durch diese Springflut überfallen, ehe sie den Hafen hatten erreichen können; ihre Anker verloren den Grund, und ihre Taue zerrissen. Die durch den Druck des Sturmwinds angeschwollene Nachtflut jagte sie mit unwiderstehlicher Gewalt zum Oberlaufe hin. Ein paar zerschellten an den Pfählen des Kais, während die andern über Jacksonville hinaus verschlagen wurden und meilenweit weg von der Mündung an den Werdern oder in den Krümmungen des Flußlaufs zu Grunde gingen. Von der Mannschaft kamen auch nicht wenige bei diesem Elementarereignis um, dessen plötzliches Auftreten alle in solchen Fällen gebotenen Maßregeln vereitelt hatte.

Was war nun aus den Kanonenbooten des Kommodore Stevens geworden? hatten sie die Anker gelichtet und unter Volldampf Zuflucht in den Buchten des Unterlaufs gesucht? hatten sie durch solches Manövrieren gänzlicher Vernichtung entrinnen können? Gleichviel ob es sich so verhielt oder ob sie vor Anker geblieben waren: Jacksonville brauchte sie auf alle Fälle nicht mehr zu fürchten, da ihnen die Barre jetzt ein unüberwindliches Hindernis entgegensetzte.

Tiefe, rabenschwarze Nacht war es also, die das ganze Tal des Saint-John einhüllte, während Luft und Wasser in einander verschmolzen, gleich als ob irgendwelcher chemische Vorgang sie zu einem einzigen Elemente zu einen versucht hätte. Man sah sich hier einem jener großen Naturereignisse gegenüber, die man in der wissenschaftlichen Welt als »Kataklysmen«, in der Laienwelt als »Sintfluten« bezeichnet und die zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche ziemlich häufig auftreten; aber die elementare Flut, die jetzt über die Halbinsel Florida hereinbrach, war von solch unheimlicher Gewalt, wie noch kein Mensch je auf ihr erlebt hatte.

Genau im Verhältnis zu dieser Gewalt des Meteors stand seine Dauer, die sich nicht über ein paar Stunden erstreckte. Vor Sonnenaufgang wurden die Leeren des Weltraums durch dieses gewaltige Aufgebot von Luft jählings gefüllt und der Orkan verlief sich oberhalb des Golfs von Mexiko, nachdem er mit seiner letzten Wut die floridische Halbinsel heimgesucht hatte.

Um die vierte Morgenstunde herum, als die ersten Dämmerungsschimmer einen Horizont zu färben begannen, der mit solchem gewaltigen nächtlichen Kehrbesen blitzrein gefegt worden war, folgte auf solches Wüten der Elemente die Windstille, und alsbald ergoß sich der Pöbel aus den Schenken und Spelunken, in die er hatte fliehen müssen, wieder auf die Straßen und Plätze. Die Miliz bezog die verlassenen Wachen wieder. Soweit es anging, befaßte man sich mit der Ausbesserung der durch den Sturm verursachten Schäden, die begreiflicherweise am Kai und in der Nähe desselben am schlimmsten waren. Auch auf dem Flusse sah es arg aus: zertrümmerte Kähne, mitten durch geborstene Pfähle trieben im Umkreise von mehreren Yards auf seiner Fläche. Dichter Nebel hatte sich über das ganze Bett gesenkt, der bis in die hohen, vom Sturme gekälteten Luftschichten hinauf sich erstreckte. In der fünften Morgenstunde war der Kanal in der Mitte noch nicht sichtbar, und bis der Nebel nicht unter den ersten Sonnenstrahlen zerstiebte, stand dies auch nicht zu erwarten.

Plötzlich, kurz nach 5 Uhr, zerrissen gewaltige Schläge die dichte Nebelmasse. Ueber die Natur derselben konnte kein Irrtum obwalten: das waren keine langgezogenen Donnerschläge! das waren Kanonenschläge! Geschosse aus schweren Geschützen, die mit ihrem charakteristischen Pfeifen durch die Lust sausten!

Ein Schrei des Entsetzens entrang sich den Kehlen der Menschenmenge, die zum Hafen hinuntergerannt war und sowohl aus Pöbel wie aus Miliz bestand.

Unter diesen fortwährenden Kanonenschlägen begann gleichzeitig der Nebel sich zu zerteilen; mit den Blitzen derselben durchsetzt, lösten sich seine Dunstschlangen allmählich von der Wasserfläche.

Die Kanonenboote der Nordstaatler waren da! lagen dicht vor Jacksonville! hielten die Stadt unter ihren Breitseiten!

»Die Kanonenboote!« Bis zu dem letzten Vorstadthause hinaus hatte sich dieser Schreckensschrei im Nu von Mund zu Mund getragen: mit höchster Genugtuung vernahm ihn die bessere, mit höchstem Entsetzen der Abschaum der Bevölkerung. Die Flottille der Bundestruppen beherrschte den Saint-John, und wenn sich die Stadt nicht ergab, so war es um sie geschehen!

Was hatte sich denn zugetragen? War den Nordstaatlern in dem Orkan ein unvermuteter Helfer erwachsen? Ja! Deshalb hatten die Kanonenboote auch nicht versucht, sich nach den unteren Buchten der Mündung zu retten. Trotzend der Gewalt von Hochsee und Sturm, waren sie vor Anker geblieben. Während ihre Gegner mit ihren Schaluppen abrückten, hatten sie dem Orkan, auf die Gefahr ihres Untergangs hin, standgehalten in der Absicht, die Umstände, welche das Unwetter schuf, zu einer Erzwingung der Einfahrt zu benutzen. Der Orkan verursachte dadurch, daß er die Meeresflut in das Aestuarium des Flusses hineinstieß, eine beträchtliche Anschwellung desselben: sein Niveau wuchs zu solch anormaler Höhe, daß die Kanonenboote durch die Engen getragen wurden: und unter Volldampf hatten sie, wenn auch mit dem Kiele den Sand aufwühlend, die Barre bezwungen.

Gegen 4 Uhr hatte Kommandant Stevens, im dichtesten Nebel manövrierend, schätzungsweise festgestellt, daß er dicht vor Jacksonville befindlich sein müsse. Nun hatte er Anker geworfen und Aufstellung genommen, dann im richtigen Augenblicke durch das Abfeuern seiner groben Geschütze den Nebel zerrissen und seine ersten Geschosse auf das linke Ufer des Saint-John geschleudert.

Die Wirkung folgte auf dem Fuße. Im Nu hatte die Miliz, getreu dem in Fernandina und Saint-Augustine von den südstaatlichen Truppen geschaffenen Beispiel, die Stadt geräumt. Sobald der Kommandant der Bundesschiffe wahrnahm, daß sich die Menge von den Kais verlief, stellte er das Feuer ein, denn nicht die Zerstörung, sondern die Besetzung und Unterwerfung Jacksonvilles war Zweck und Absicht seiner Anwesenheit.

Fast im gleichen Augenblick stieg am Justizpalast eine weiße Fahne empor.

Mit welchen Aengsten diese ersten Kanonenschläge in Herrn Harveys Hause vernommen worden waren, wird der Leser sich leicht ausmalen können. Ganz ohne Zweifel drohte der Stadt ein Angriff, der aber nur durch die Bundestruppen bewirkt werden konnte, die also entweder den Saint-John herauf gekommen waren oder sich vom Norden Floridas her genähert hatten. War dies also die unverhoffte Rettung? die einzige, die James und Gilbert Burbank noch winkte?

Harvey und Alice stürzten zur Schwelle hin. Texars Leute, die vor dem Hause Wache gehalten hatten, waren verschwunden: sie hatten sich mit den Milizen nach dem Innern der Grafschaft geflüchtet.

Harvey und Alice suchten nach dem Hafen vorzudringen. Der Nebel hatte sich zerstreut. Man konnte den Fluß bis zum rechten Ufer hin überschauen. Die Kanonenboote waren verstummt, denn augenscheinlich hatte Jacksonville schon auf allen Widerstand verzichtet.

Am Kai legten gerade Boote an, um ein mit Gewehren, Revolvern und Aexten bewaffnetes Detachement zu landen.

Plötzlich erklang ein Ruf aus der Schar der vor einem Offizier befehligten Matrosen. Der Mann, der ihn ausgestoßen, stürzte auf Fräulein Alice zu.

»Mars! – Mars!« rief das junge Mädchen, versteinert durch den Anblick, der sich ihr bot: der Mann, der vor ihr stand, war Zermahs Mann, war Mars, von dem man meinte, er sei in den Fluten des Saint-John umgekommen.

»Herr Gilbert! – Herr Gilbert!« rief Mars – »wo ist Herr Gilbert?«

»Mit Herrn Burbank gefangen! – Mars, Mars! retten Sie ihn! – retten Sie ihn und seinen Vater!«

»Zum Gefängnisse! – auf zum Gefängnisse!« schrie Mars, zu seinen Kameraden gewandt, die er hinter sich her riß.

Wie der Sturmwind rasten sie weg, um zu verhindern, daß ein letztes Verbrechen auf Texars Befehl hin verübt würde.

Harvey und Fräulein Alice folgten ihnen.

Also hatte Mars, nach seinem Sturz in den Fluß, den Wirbeln der Barre zu entrinnen vermocht? Ja! und aus Klugheit hatte sich der mutige Mestize gehütet, in Castle-House bekannt werden zu lassen, daß er heil und gesund sei. Dort Zuflucht suchen wäre gleichbedeutend gewesen mit Gefährdung seiner persönlichen Sicherheit, und um sein Werk zu vollbringen, mußte er seine Freiheit wahren. Nachdem er schwimmend das rechte Ufer erreicht hatte, war es ihm gelungen, sich durch das Schilf bis zu den Booten zu arbeiten. Sobald dort seine Signale bemerkt worden waren, hatte ihn ein Kahn an Bord des Flaggschiffs herübergeholt. Kommandant Stevens überblickte die Situation auf der Stelle, und angesichts der schweren Gefahr, von der sein Offizier Gilbert bedroht wurde, richtete er alle Anstrengungen darauf, den Fluß hinaufzugelangen. Wäre Mars nicht zur Stelle gewesen, so würde die Flottille, da niemand diese schwierige Passage kannte, wohl auf den vielen Untiefen, die das Flußbett hier hatte, aufgelaufen sein. Aber Mars steuerte sein Boot mit höchster Gewandtheit, und dem von ihm gehaltenen Kurse folgend, gewannen auch die andern Boote, dem entfesselten Unwetter zum Trotz, das Ziel, und früher als der Nebel das Tal des Saint-John bedeckte, gingen sie vor Jacksonville vor Anker und eröffneten das Feuer.

Es war hohe Zeit, denn sobald der Tag graute, sollten die beiden Verurteilten erschossen werden. Aber schon stand für sie nichts mehr zu befürchten, denn die Stadtbehörde von Jacksonville hatte die ihr von Texar entrissene Gewalt wieder an sich gebracht, und als Mars mit seinen Gefährten vor dem Gefängnis ankam, setzten James und Gilbert Burbank, endlich wieder in Freiheit, den Fuß heraus.

Im Nu hatte der junge Leutnant Alice an sein Herz gerissen, während Herr Stannard und James Burbank einander in die Arme sanken.

»Und Mutter ...?« war Gilberts erste Frage.

»Sie lebt, Gilbert! – sie lebt!« lautete des Mädchens Antwort.

»Nun, dann nach Castle-House!« rief Gilbert – »nach Castle-House!«

»Nicht eher, als bis Gerechtigkeit geübt worden!« erwiderte James Burbank.

Mars hatte seinen Herrn verstanden, und in der Hoffnung, dort Texar zu finden, hatte er sich nach dem Hauptplatze zu entfernt. Sollte aber der Spanier, um Repressalien zu entgehen, nicht schon die Flucht ergriffen haben? Sollte er sich nicht, zusammen mit all denen, die sich in dieser Zeit wilder Exzesse bloßgestellt hatten, der öffentlichen Rache zu entziehen gesucht haben? Sollte er nicht schon mit den Milizsoldaten auf der Flucht nach den unteren Gegenden der Grafschaft befindlich sein?

Man konnte, oder vielmehr mußte das annehmen.

Aber ohne die Intervention der Föderierten abzuwarten, waren schon zahlreiche Stadtbewohner in den Justizpalast gestürzt. Von ihnen war Texar, eben als er sich auf die Flucht machen wollte, ergriffen worden; von ihnen wurde er streng bewacht. Im übrigen schien er sich ziemlich leichten Mutes in sein Schicksal ergeben zu haben.

Erst als er sich Mars gegenübersah, ward er der Gefahr inne, die seinem Leben drohte.

Der Mestize hatte sich auf ihn gestürzt, hatte ihn, der Anstrengungen seiner Wächter, ihn zu schützen, ungeachtet, bei der Gurgel gepackt, um ihn zu erwürgen – da zeigten sich Burbank Vater und Sohn.

»Nein – nein! lebendig!« schrie James Burbank – »er muß am Leben bleiben! – er muß reden!«

»Ja! – reden muß er!« wiederholte Mars.

Kurz darauf saß Texar in derselben Zelle, in welcher seine Opfer der Stunde der Hinrichtung geharrt hatten.


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