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Zweites Kapitel. Seltsames Stück Arbeit

Um 8 Uhr morgens, am andern Tage, also dem 3. März, trat Squambo in die Zelle, in welcher Zermah genächtigt hatte, und brachte etwas zum Essen: Brot, ein Stück kaltes Wild, Obst, einen Topf mit ziemlich starkem Bier, einen Krug Wasser und mancherlei Tischgerät. Ein Neger brachte eine alte Tafel herbei und stellte sie in eine Ecke; Leinenzeug, Tücher und allerhand Kram, für die Kleine und Zermah selber von Nutzen, legte er darauf.

Die Kleine schlief noch immer. Durch einen Wink mit der Hand hatte Zermah den Indianer gebeten, ihren Schlaf nicht zu stören. Als der Neger die Zelle verlassen hatte, richtete sie mit leiser Stimme an den Indianer die Frage:

»Was soll aus uns werden?«

»Das weiß doch ich nicht,« entgegnete Squambo.

»Was hat Euch Texar befohlen?«

»Ob Texar oder jemand anders, ist gleichgiltig,« versetzte der Indianer, »die Befehle sind da, und Ihr habt Euch danach zu richten. So lange Ihr hier bleibt, wird Euch diese Zelle zum Aufenthalt dienen; nachts werdet Ihr im Festungsabschnitt eingesperrt ...«

»Und tagsüber?«

»Tagsüber könnt Ihr Euch im innern Bereich aufhalten!«

»Solange wir hier sind?« versetzte Zermah – »kann ich erfahren, wo wir sind?«

»Dort, wohin ich Euch habe bringen sollen.«

»Und hier sollen wir bleiben?«

»Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte,« erwiderte der Indianer; »weiteres mit mir zu reden hat keinen Zweck; Antwort gebe ich nicht mehr.«

Darauf verließ Squambo, der sich streng an seine Instruktion halten mußte, die Zelle und ließ die Mestizin mit dem Kinde allein.

Zermah betrachtete die Kleine. Tränen traten ihr in die Augen, aber sie wischte sie schnell ab, denn die Kleine durfte, wenn sie erwachte, nicht sehen, daß ihre Freundin geweint hatte. Es war von Wichtigkeit, daß sich die Kleine allmählich an ihre neue Lage gewöhnte: eine Lage, die vielleicht nicht ohne ernste Gefahr war, denn von seiten des Spaniers durfte man sich auf das Schlimmste gefaßt machen.

Zermah überdachte die Vorgänge seit dem verwichenen Tage. Daß Frau Burbank mit Fräulein Alice am Strande heraufkam, während das Boot abstieß, hatte sie recht wohl bemerkt, und ihr verzweifeltes Geschrei war sicher bis zu den Damen gedrungen. Aber hatten die Damen Castle-House wieder erreichen, den Weg durch den Tunnel zurück nehmen, wieder in das belagerte Haus hineingelangen können, um James Burbank von dem neuen Unglück Kenntnis zu geben, das sie betroffen hatte? konnten sie nicht den Leuten des Spaniers in die Hände gefallen sein? konnte der Schurke sie nicht weit weg von Camdleß-Bai geschleppt, vielleicht umgebracht haben? Verhielt es sich so, dann konnte doch James Burbank nicht wissen, daß die Kleine mit Zermah geraubt worden sei! er würde vielmehr meinen, seine Frau hätte sich mit Fräulein Alice, der Kleinen und Zermah nach der Marinokrampe einschiffen können und sei jetzt wohl in Sicherheit auf dem Cedernfelsen; es würde ihm also gar nicht einfallen, sich auf der Stelle um sie zu kümmern.

Angenommen hingegen, Frau Burbank habe mit Fräulein Alice nach Castle-House zurückgelangen können und James Burbank sei von allem unterrichtet, stand nicht dann zu befürchten, die Wohnung sei von den Angreifern gestürmt, geplündert, in Brand gesteckt, zerstört worden? Was war in diesem Falle aus ihren Verteidigern geworden? Waren sie in Gefangenschaft geraten, so konnte Zermah so wenig noch auf Hilfe von ihnen rechnen, als wenn sie tot waren. Auch wenn die Nordstaatler die Herrschaft über den Saint-John gewonnen hätten, so war sie verloren. Weder Gilbert Burbank würde von seiner Schwester, noch Mars von seiner Frau erfahren, daß sie auf diesem Werder der Schwarzen Krampe in Gefangenschaft gehalten würden. Nun, wenn dem so wäre, wenn Zermah bloß noch auf sich rechnen durfte, so würden sie Mut und Tatkraft doch nicht verlassen! sie würde alles tun, was in ihren Kräften stände, um dieses Kind zu retten, das vielleicht niemand mehr als sie auf der Welt hätte. Ihr Leben würde sich auf den einen Gedanken richten: Flucht! keine Stunde würde verstreichen, die sie nicht auf Bereitung der Mittel hierzu verwendete!

Und doch wieder: war es denn möglich, aus dieser von Squambo und seinen Gefährten bewachten Feste zu entweichen, den beiden bissigen Bluthunden zu entrinnen, die um den Zaun herumstreiften, aus diesem in den tausend Windungen der Lagune verlorenen Werder zu fliehen? Ja, möglich war es, aber unter der Bedingung, daß einer von den Sklaven des Spaniers ihr heimlich half, und zwar einer, dem die Kanäle der Schwarzen Krampe genau bekannt waren. Warum sollte nicht der Köder einer hohen Belohnung einen von diesen Leuten bestechen, Zermah bei solcher Flucht beizustehen? ... Hierauf all ihre Anstrengung zu richten, wurde bei der Mestizin zum festen Entschluß.

Inzwischen war die kleine Dy munter geworden. Das erste Wort aus ihrem Munde galt der Mutter. Ihre Blicke irrten durch die Zelle. Die Erinnerung fand sich wieder: all die Ereignisse des letzten Tages traten ihr in das Gedächtnis. Dann erblickte sie Zermah und lief auf sie zu.

»Zermah! liebe, gute Zermah!« flüsterte sie ... »ich fürchte mich ... ich fürchte mich!«

»Furcht soll man nicht haben, mein Herzchen!«

»Wo ist denn Mama?«

»Sie wird kommen ... bald kommen! ... wir mußten doch auf unsere Rettung bedacht sein ... du weißt doch! ... jetzt sind wir unter sicherm Obdach! hier haben wir nichts mehr zu fürchten! Sobald Papa Hilfe bekommen hat, wird er schnell bei uns sein!«

Dy blickte Zermah an, wie wenn sie sagen wollte: »Ist das auch wahr?«

»Ja!« antwortete Zermah, die das Kind um jeden Preis besänftigen wollte ... »Ja! Herr Burbank hat gesagt, wir sollten hier warten!«

»Aber die Menschen, die uns in ihr Boot geschleppt haben?« fragte die Kleine wieder.

»Das sind ja Herrn Harveys Diener, mein Herzchen! Du kennst doch Herrn Harvey, Papas Freund, der in Jacksonville wohnt! ... wir sind auf seinem Landgut Hampton-Red!«

»Und Mama? und Alice? die waren doch bei uns! warum sind sie jetzt nicht da?«

»Herr Burbank, dein Papa, hat sie zurückgerufen, gerade als sie ins Boot steigen wollten ... besinne dich nur! ... wenn die bösen Menschen aus Camdleß-Bai vertrieben worden sind, wird man uns schon holen! ... Ach, weine doch nicht, Herzchen! weine nicht! ... Sei ohne Furcht, Dy, auch wenn wir ein paar Tage hier bleiben sollten ... wir sind ja doch gut versteckt hier! und nun komm und laß dich anziehen!«

Dy ließ aber nicht ab, Zermah mit seltsamen Blicken zu mustern, und trotz der Worte, welche die Mestizin an sie gerichtet, entrang sich ein schwerer Seufzer ihren Lippen. Sie war nicht, wie sonst, mit einem Lächeln auf den Lippen erwacht. Es war also vor allem wichtig, sie zu beschäftigen, sie zu zerstreuen.

Dessen befliß sich Zermah mit größter Hingabe, mit unverdrossenem Eifer. Mit derselben Sorgfalt, als wenn sich die Kleine in ihrem hübschen Zimmerchen in Castle-House befände, kleidete Zermah sie an und erzählte ihr dabei allerhand Geschichten. Dann aß Dy ein bißchen, und Zermah teilte mit ihr dies erste Frühstück.

»Und nun, mein Herzchen, wollen wir ein bißchen ins Freie hinausgehen, wenn es dir recht ist!«

»Ist es auch hübsch auf der Besitzung des Herrn Harvey?« fragte das Kind.

»Hübsch? ... nein!« erwiderte Zermah; »ich glaube eher, es ist ein recht altes Wassernest! Aber Bäume sind da, und Bäche, an deren Rande wir spazieren gehen können. Ein paar Tage werden wir ja doch hier bleiben, und wenn du dich nicht gar zu sehr gelangweilt hast, wenn du recht artig gewesen bist, dann wird sich Mama auch recht freuen.«

»Ja, liebe Zermah! ja!« erwiderte das Kind.

Die Zellentür war gar nicht abgeschlossen. Zermah nahm das Kind bei der Hand, und sie schritten beide hinaus. Zuerst befanden sie sich in dem ziemlich finstern Mittelgange. Gleich darauf aber wandelten sie im vollen Tageslicht, unter dem Laubdach hoher Bäume, durch das die Sonnenstrahlen brachen.

Der umzäunte Raum war nicht groß: einen Morgen etwa maß er, und zum größten Teil wurde er bedeckt von dem Blockhause. Der Zaun war so hoch, daß Zermah sich über die Lage des Werders inmitten der Lagune nicht unterrichten konnte. Was sie schließlich mit einem Blick zu dem alten Ausfalltor hinaus feststellen konnte, war, daß das Werder durch einen ziemlich breiten Kanal von den benachbarten Werdern getrennt wurde. Einer Frau mit einem Kinde würde es also äußerst schwer sein, hinüber zu gelangen. Selbst wenn es Zermah gelänge, sich eines Bootes zu bemächtigen, so stände sie noch immer vor der Frage, wie sie den Weg durch diese Kreuz- und Querwässer finden sollte, die gar kein Ende zu haben schienen. Was sie gleichfalls nicht wußte, war, daß Texar und Squambo die einzigen waren, welche diese Kanäle kannten. Die im Dienste des Spaniers befindlichen Neger kamen aus der Feste nicht heraus, hatten sogar noch niemals einen Fuß über den Zaun hinaus gesetzt, wußten gar nicht einmal, wo ihr Herr sie hielt! Wer von ihnen das Ufer des Saint-John hätte wiederfinden oder zu den westlich von der Krampe befindlichen Sümpfen hätte gelangen wollen, dem wäre nichts anders als auf den Zufall zu rechnen übrig geblieben. Wäre dies aber im vorliegenden Falle nicht dasselbe gewesen wie gewissem Untergang entgegen rennen?

Zudem gewann Zermah in den nächsten Tagen, als sie die Sachlage besser überschauen lernte, die Ueberzeugung, daß sie von Texars Sklaven wahrscheinlich auf keinen Beistand zu rechnen haben würde. Es waren fast durchweg halbvertierte Neger, deren Aussehen wenig Vertrauen weckte. Wenn sie der Spanier auch nicht in Ketten hielt, so waren sie doch deshalb nicht freier. Von den Produkten des Werders konnten sie sich reichlich sättigen, und an starkem Fusel ließ es Squambo nicht fehlen. Da ihre Arbeit schließlich in nichts anderm bestand als in der Bewachung und, wenn solche sich als nötig erwies, Verteidigung des Blockhauses, so hätten sie gar kein Interesse haben können, solches Dasein gegen ein anderes zu vertauschen. Die Sklavereifrage, die wenige Meilen von der Schwarzen Krampe die Gemüter erhitzte, ließ sie kalt. Sich für die Wiedererlangung ihrer Freiheit begeistern? Wozu? und was hätten sie mit Freiheit anfangen sollen? Für ihr Leben sorgte ja Texar! Squambo war auch kein Schinder, wenngleich er sich schwerlich besonnen hätte, jedem den Kopf einzuschlagen, der es sich hätte einfallen lassen, den Kopf zu erheben. An dergleichen dachten sie jedoch gar nicht! Sie waren Viehzeug, das auf tieferer Stufe stand als die beiden draußen vor der Feste streifenden Bluthunde! Von ihnen besaß keiner Intelligenz genug, um sich, selbst wenn er Lust dazu gehabt hätte, aus diesem Wasserwirrsal herauszufinden. Dazu waren bloß Squambo und Texar imstande.

Als Zermah inne wurde, durch wen draußen vor dem Zaune die Wache gehalten wurde und daß sie von seiten der Wächter innerhalb desselben auf Beistand nicht rechnen dürfe, verfiel sie nicht in Mutlosigkeit und Verzweiflung, wie es wohl jeder andern an ihrer Statt ergangen sein würde, sondern sie sagte sich, daß ihr von außen her, und zwar entweder durch Burbank oder durch Mars, Hilfe kommen müsse – von Burbank, wenn er im Besitze seiner Freiheit war, von dem Mestizen, sobald er erfuhr, unter welchen Umständen seine Frau verschwunden war. Bliebe hingegen solche Hilfe aus, so dürfe sie bloß auf sich rechnen, wenn sie das Heil der Kleinen im Auge behalten wolle.

Gänzlich auf sich angewiesen in der Tiefe dieser Wasserkrampe und ausschließlich von wilden Gestalten umgeben, meinte Zermah nichtsdestoweniger, die Wahrnehmung zu machen, als ob einer von den Negern, der noch jung an Jahren war, sie mit einem gewissen Grade von Teilnahme, wenn auch nicht gerade Mitleid, beobachte. Ob sich hierauf Hoffnung setzen ließe? Ob sie sich ihm vertrauen könnte? ihm die Lage von Camdleß-Bai beschreiben, ihn auffordern könnte, von hier zu entweichen und zu versuchen, ob sich Castle-House von ihm erreichen lasse? Ein zweifelhafter Versuch! Zudem merkte ohne Zweifel Squambo, daß der Sklave sich für Zermah interessiere, denn er hielt ihn abseits, so daß ihn die Mestizin auf ihren Spaziergängen im Freien nicht mehr traf.

Mehrere Tage verflossen, ohne daß in der Lage eine Aenderung eintrat. Der Indianer sprach niemals ein Wort, und Zermah hatte auf Fragen verzichtet. Er wich niemals von dem Werder, und Zermah fühlte es recht gut, daß sein Auge nicht von ihr wich, auch wenn sie ihn nicht sah. Sie beschränkte deshalb all ihre Sorge auf das Kind, das unablässig nach seiner Mama verlangte.

»Sie wird kommen!« tröstete sie Zermah nach wie vor; »sie hat geschrieben ... auch dein Papa wird kommen, Herzchen, mit Fräulein Alice ...«

Damit war sie aber am Ende ihres Lateins, denn zu weiteren Lügen reichte ihre Phantasie nicht aus. Sie versuchte dann, die Kleine, die für ihr Alter sehr klug war, durch mancherlei Zerstreuung abzulenken.

So waren der 4., 5. und 6. März vergangen. So angespannt auch Zermah lauschte, ob ein fernes Dröhnen die Anwesenheit der Bundesflotte auf dem Saint-John anzeige, so war doch noch nicht das leiseste Geräusch zu ihren Ohren gedrungen. Alles war still und ruhig im Schoße der Schwarzen Krampe. Hieraus war zu schließen, daß Florida noch nicht im Besitze der Bundesarmee sei: was die Mestizin aufs äußerste beunruhigte. Konnte sie nicht wenigstens, falls James Burbank mit den Seinen außer stand gesetzt war zu handeln, auf Gilberts und ihres Mannes Dazwischenkunft rechnen? Wären ihre Kanonenboote Herren über den Fluß gewesen, so hätten sie doch sicher nicht unterlassen, die Ufer abzusuchen, und hätten wohl auch Mittel und Wege gefunden, bis zu dem Werder hinzugelangen. Aber nichts, nichts ließ auf einen Kampf schließen, dessen Schauplatz die Wasserfläche des Saint-John war.

Nicht minder befremdlich war, daß sich der Spanier noch kein einziges Mal, weder tagsüber noch nachts, in der kleinen Feste hatte sehen lassen. Zum wenigsten hatte Zermah noch nichts bemerkt, was darauf hätte schließen lassen. Und doch schlief sie kaum und hielt diese ganzen langen Stunden, die sie schlaflos zubrachte, die Ohren gespannt – bis zur Stunde umsonst!

Was übrigens hätte sie machen können, wenn Texar sich in der Schwarzen Krampe eingefunden hätte? wenn er vor sie hingetreten wäre? würde er für ihre flehentlichen Bitten Gehör gehabt, an ihre Drohungen sich gekehrt haben? War des Spaniers Anwesenheit nicht mehr zu befürchten als seine Abwesenheit?

Zum tausendsten male überdachte Zermah dies alles am Abende des 6. März. Es war etwa elf Uhr. Die kleine Dy lag in ziemlich friedlichem Schlummer. In der Zelle, die sie bewohnten, war es stockfinster. Kein Geräusch drang von außen bis zu ihnen, höchstens einmal wenn der Sturm durch die morschen Balken des Blockhauses pfiff.

Da war es der Mestizin mit einem Male, als wenn auf dem Gange im Innern des Blockhauses Schritte laut würden. Zuerst dachte sie, es möchte der Indianer sein, der seine neben der ihrigen befindliche Zelle aufsuche, nachdem er die gewöhnliche Runde um die Feste gemacht. Gleich darauf fing sie aber Worte auf, die von zwei Personen gewechselt wurden. Sie trat an die Tür, spitzte das Ohr, erkannte Squambo und alsbald auch Texars Stimme.

Ein Schauder überlief sie. Was wollte der Spanier zu solcher Stunde in der Feste? Handelte es sich um ein neues Manöver gegen die Mestizin und die Kleine? sollten sie etwa aus ihrer Zelle gerissen, nach einem andern, noch entlegeneren Winkel als diese Schwarze Krampe war, geschleppt werden? All diese Mutmaßungen traten Zermah im Nu in den Sinn ... All ihre Energie zusammenraffend, lehnte sie sich an die Tür und horchte.

»Nichts Neues?« fragte Texar.

»Nein, Massa,« antwortete Squambo.

»Und Zermah?«

»Ich habe auf ihre Fragen die Antwort verweigert.«

»Sind seit der Affäre von Camdleß-Bai Versuche gemacht worden, zu ihr zu gelangen?«

»Ja, aber durchweg ohne Erfolg.«

Diese Worte unterrichteten Zermah, daß man nach ihr gesucht habe ... aber wer war es gewesen?

»Wieso ist dir das bekannt geworden?« fragte Texar.

»Ich bin wiederholt am Saint-John-Ufer gewesen,« versetzte hierauf der Indianer, »und habe seit ein paar Tagen ein Boot vor der Einfahrt in die Schwarze Krampe bemerkt. Auf einem der Uferwerder sind sogar zwei Männer gelandet.«

»Wer waren die Männer?«

»James Burbank und Walter Stannard!«

Zermah konnte ihrer Erregung kaum Herrin werden. James Burbank und Walter Stannard! also waren bei dem Ueberfall auf die Pflanzung die Verteidiger nicht alle um ihr Leben gekommen! und wenn sie mit Nachforschungen begonnen hatten, so mußte ihnen der Kindesraub doch bekannt sein! und wer anders als Frau Burbank und Fräulein Alice hätten es ihnen sagen können? Also lebten auch sie beide! also hatten beide nach Castle-House zurückgelangen können, nachdem sie Zermahs letzten Hilferuf vernommen? also hatte James Burbank von allem Vorgefallenen Kenntnis? auch von dem Namen des Schurken! vielleicht argwöhnte er sogar, an welchen Ort die beiden Opfer geschleppt worden waren? und vielleicht – vielleicht! – gelänge es ihm, bis zu ihnen vorzudringen!

Diese Folge von Tatsachen schloß sich im Nu in Zermahs Geiste zur Kette: Hoffnung zog in ihr Herz ein, Hoffnung in unermeßlicher Fülle – die aber fast ebenso schnell wieder sich verflüchtigte, als sie die Antwort des Spaniers vernahm:

»Jawohl! suchen mögen sie, aber finden werden sie nichts! Binnen wenigen Tagen wird übrigens James Burbank nicht mehr zu fürchten sein!«

Den Sinn dieser Worte konnte die Mestizin nicht erfassen. Auf jeden Fall bedeuteten sie aus dem Munde desjenigen Menschen, welchem der Jacksonviller Ausschuß angehörte, eine Drohung furchtbarer Art.

»Und nun, Squambo,« sagte hierauf der Spanier, »brauche ich dich auf eine Stunde!«

»Ich stehe zu Befehl, Massa!«

»Folge mir!«

Im nächsten Augenblick waren die beiden Männer in die von dem Indianer bewohnte Zelle getreten.

Was wollten sie dort? sollte dort ein Geheimnis zur Sprache kommen, dessen Kenntnis für Zermah von Nutzen sein konnte? In der Lage, in die sie das Geschick geführt hatte, durfte sie nichts verabsäumen, was ihr irgend welchen Vorteil in Aussicht stellte.

Daß die Tür der Zelle, in welcher die Mestizin Unterkunft gefunden hatte, auch zur Nacht unverschlossen blieb, weiß der Leser. Solche Vorsicht wäre übrigens unnütz gewesen, denn der Festungsgang war von innen verrammelt und den Schlüssel zum Tore trug Squambo bei sich. Aus dem Blockhause herauszugelangen, war mithin ebenso unmöglich wie jeder Fluchtversuch.

Zermah konnte also die Zellentür aufdrücken und sich bis zu Squambos Zelle schleichen. Dort blieb sie mit verhaltenem Atem stehen.

Tiefe Finsternis herrschte auf dem Gange. Bloß aus der Zelle des Indianers drangen ein paar Schimmer. Zermah guckte durch den Spalt, den ein paar schlechtgefügte Balken ließen. Was sie nun sah, war so seltsam, daß sie den Sinn unmöglich zu fassen vermochte.

Obgleich die Zelle bloß durch ein Stückchen Harzlicht erhellt wurde, so reichte das bißchen Helligkeit dem Indianer doch hin, um ein ziemlich heikles Stück Arbeit zu verrichten.

Texar saß vor ihm. Er hatte sein Lederkoller ausgezogen und hielt den nackten linken Arm auf einen kleinen Tisch gestreckt, und zwar so, daß ihn der Schein des Harzlichts traf. Ein Papier von wunderlicher Form, mit kleinen Löchern durchstochen, war auf den innern Teil des Vorderarms gelegt. Mit einer feinen Nadel stach Squambo durch jedes der kleinen Löcher in Texars Haut. Eine Tätowierung war es also, die Squambo vollzog: eine Arbeit, in welcher er in seiner Eigenschaft als Seminole große Gewandtheit besaß. Er vollzog sie auch mit solcher Geschicklichkeit und einer so leichten Hand, daß bloß die äußere Haut von der Nadelspitze getroffen wurde und der Spanier nicht den geringsten Schmerz fühlte.

Als die Arbeit verrichtet war, nahm Squambo das Papier weg und rieb den Arm mit ein paar Pflanzenblättern, die Texar mitgebracht hatte. Als der Saft, den diese Blätter hielten, in die Nadelstiche drang, konnte sich der Spanier eines lebhaften Ekels nicht erwehren, aber er war der Mann nicht, den solche Kleinigkeit rührte. Hierauf brachte Squambo Harz auf die tätowierte Stelle, und eine rötliche Zeichnung erschien nun auf der Haut des Armes: ein merkwürdiges Linien-Netz, die Darstellung irgend einer symbolischen Figur aus der seminolischen Götterlehre, das von der Stelle am Arme, aus die es Squambo punktiert hatte, nie wieder getilgt werden konnte.

Zermah hatte alles mit angesehen, aber, wie schon gesagt, ohne das geringste davon zu verstehen. Welches Interesse konnte Texar an solchem tätowierten Zierat haben? Wozu, um ein Wort aus der Paßsprache herzusetzen, solches »besondere Kennzeichen«? wollte er denn für einen Indianer gelten? Das litten doch weder sein Charakter noch sein Aussehen! oder war nicht vielmehr ein Zusammenhang zu erblicken zwischen dieser Tätowierung und jener anderen, welche einigen aus Florida gebürtigen Reisenden im Norden der Grafschaft von Seminolen aufpunktiert worden war, denen sie in die Hände gefallen waren? ... und wollte sich Texar auf solche Weise in den Stand setzen, mit einem jener unbegreiflichen Alibi– Beweise hervorzutreten, durch die er sich schon aus mancher schlimmen Patsche gezogen hatte?

Vielleicht gehörte es mit zu jenen Geheimnissen, die in seinem Privatleben eine Rolle spielten und die durch die Zukunft entschleiert werden sollten?

Eine andere Frage, die sich Zermahs Geiste zeigte: war der Spanier wirklich bloß in das Blockhaus gekommen, um sich Squambos Geschicklichkeit im Tätowieren zu nutze zu machen? war es seine Absicht, nach Vollzug dieser Arbeit die Schwarze Krampe zu verlassen und sich nach dem Norden von Florida, jedenfalls nach Jacksonville zu begeben, wo seine Parteigänger noch die Herrschaft in Händen hatten? oder gedachte er bis zum Tagesanbruch im Blockhause zu bleiben und seiner Gefangenen mit irgend welcher neuen Entscheidung über das ihr vorbehaltene Geschick gegenüberzutreten?

In dieser Hinsicht fand Zermah schnell Gewißheit. Sie hatte gerade wieder ihre Zelle betreten, als der Spanier auf den Gang hinaustrat. Dort gegen die Tür gelehnt, lauschte sie noch auf die wenigen Worte, die zwischen dem Indianer und seinem Herrn noch gewechselt wurden.

»Halte noch schärfer Wache als bisher,« sagte Texar.

»Jawohl,« versetzte Squambo, »sollten wir aber von James Burbank in der Schwarzen Krampe berannt werden ...«

»Ich sage dir ja, James Burbank werden wir in wenigen Tagen nicht mehr zu fürchten haben. Zudem weißt du, wohin du die Mestizin mit dem Kinde im Notfall zu bringen hast ... dorthin, wo ich dich zu treffen haben würde!«

»Jawohl, Herr,« versetzte Squambo, »denn Vorsorge muß getroffen werden für den Fall, daß Gilbert, James Burbanks Sohn, und Mars, Zermahs Mann ...«

»Noch ehe 48 Stunden verstrichen sind, werden sie in meiner Gewalt sein,« erwiderte Texar, »und habe ich sie erst einmal ...«

Zermah hörte das Ende dieses für ihren Mann und für Gilbert so bedrohlichen Satzes nicht. Texar und Squambo verließen nun die Feste, deren Tür sich hinter ihnen schloß. Kurz nachher stieß das Skiff, vom Indianer geführt, vom Werder ab, schoß durch die finsteren Windungen der Lagune und traf an der Einfahrt in den Saint-John ein Boot, das dort auf den Spanier wartete.

Hier schieden die beiden Männer voneinander, nachdem Texar dem Indianer noch mancherlei ans Herz gelegt hatte. Vom Strome gefaßt, schoß Texars Boot in der Richtung auf Jacksonville von dannen.

Dort kam er bei Tagesgrauen an und grade noch zurecht, um seine Pläne in Ausführung zu setzen. Wenige Tage nachher verschwand Mars in den Fluten des Saint-John und Gilbert Burbank wurde zum Tode verurteilt.


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