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Fünfzehntes Capitel.
Das letzte Lager

Der Capitän John, ohne daß er wußte, was er that, stürzte auf den jungen Mann los.

Len Burker stand wie versteinert da.

Godfrey gegenüber ... Godfrey, der Sohn Dollys und Johns! Aber war denn die Karawane der Mrs. Branican nicht zugrunde gegangen? ... Sie war also hier ... einige Meilen entfernt ... vielleicht nur einige hundert Schritte ... oder war Godfrey der einzige Ueberlebende von Jenen, welche der Elende verlassen hatte?

Wie dem auch sei, diese unerwartete Begegnung konnte den ganzen Plan Len Burker's vernichten. Wenn dieser junge Matrose spräche, so würde er sagen, daß Mrs. Branican an der Spitze der Karawane sei ... Er würde sagen, daß Dolly tausend Strapazen und Gefahren in den Wüsten bestanden hatte, um ihrem Gatten Hilfe zu bringen ... daß sie da sei ... daß sie ihm folge ...

Und so war es auch.

Am Morgen des 27. März hatte sich nach dem Verrathe Len Burker's die kleine Karawane gegen Nordwesten gewendet. Am 8. April sanken die Armen halbtodt vor Hunger und Durst in den heißen Sand.

Mit allen ihren Kräften versuchte Mrs. Branican ihre Gefährten zu ermuthigen, flehte sie an, noch einmal aufzustehen, die letzte Anstrengung zu machen, um den Fluß zu erreichen, wo sie einige Hilfsmittel finden würden ... Sie sprach wie zu Leichnamen ... sogar Godfrey hatte das Bewußtsein verloren.

Aber die Seele der Expedition war Dolly, und Dolly that, was ihre Gefährten nicht mehr thun konnten.

Sie hatten die Richtung gegen Nordwesten eingeschlagen; nach dieser Richtung hin hatten Tom Marix und Zach Fren ihre Arme ausgestreckt ... Dolly eilte nach dieser Richtung weiter.

Was hoffte die muthige Frau in dieser endlosen Ebene, aller Hilfsmittel entblößt? ... Ihr Ziel war der Fitz-Roy! Dort wollte sie bei den Weißen oder bei den Eingebornen Hilfe suchen ... Sie eilte weiter und legte in drei Tagen etwa zwanzig Meilen zurück ... Aber ihre Kräfte verließen sie, sie stürzte zusammen und wäre gestorben, wenn ihr nicht – man möchte sagen – vom Himmel Hilfe gekommen wäre.

Um diese Zeit ritt die schwarze Polizei der Grenze der »Großen Wüste« entlang, und der Hauptmann unternahm, indem er etwa dreißig Mann an dem Fitz-Roy zurückließ, mit sechzig Mann einen Streifzug in diesen Theil der Provinz.

Diese fanden Dolly. Als sie wieder zum Bewußtsein kam, sagte sie gleich, wo ihre Gefährten wären, zu denen man sie sofort führte. Dem Mani und seinen Leuten gelang es, die Armen wieder zum Bewußtsein zu bringen, von denen kein Einziger nach vierundzwanzig Stunden noch lebend angetroffen worden wäre.

In diesem Augenblicke waren an dem Ufer nur die Schwarzen der Escorte.

Tom Marix, der ein Bekannter des Mani war, berichtete, was seit ihrer Abreise von Adelaide vorgefallen war. Als er die Indas erwähnte, erwiderte der Hauptmann, daß dieser Stamm an den Ufern des Fitz-Roy, ungefähr sechzig Meilen entfernt, lagere.

Es war keine Zeit zu verlieren, wenn sie die Pläne Len Burker's vereiteln wollten, den der Mani wegen Theilnahme an verschiedenen Plünderungen und Raubzügen schon von früher her zu verhaften hatte. Es unterlag keinem Zweifel, daß es Len Burker gelingen werde, den Capitän John zu befreien, der keine Ursache hatte, ihm zu mißtrauen.

Aber er und John wurden überwältigt.

Würde es möglich sein, ihre Spuren zu finden?

Mrs. Branican konnte auf den Mani und seine Leute rechnen, die mit ihren Gefährten die Lebensmittel theilten und ihnen ihre Pferde abtraten. Die Truppe brach noch denselben Abend auf, und Nachmittags am 21. April zeigten sich am Horizonte die Höhen des Thales.

Hier stieß der Mani auf zwei seiner Leute, die er am Ufer des Fitz-Roy zurückgelassen hatte; diese theilten ihm mit, daß die Indas ungefähr hundert Meilen weiter am Oberlaufe lagerten. Man mußte sie sofort erreichen, denn wenn Mrs. Branican jetzt nach dem Verrathe Len Burker's kein Lösegeld mehr hatte, so konnte John nur mit Gewalt den Indas entrissen werden. Doch als sie das Thal erreichten, wo sich sonst das Lager der Indas befand, waren diese fortgezogen. Der Mani verfolgte sie, und so kam es, daß am 25. April sich Godfrey, der eine halbe Meile vorausgeeilt war, plötzlich dem Capitän John gegenüber befand.

Aber Len Burker gelang es, sich zu fassen; er sah Godfrey an, ohne ein Wort zu sagen, und wartete, was der junge Mann thun werde.

Godfrey sah ihn gar nicht, denn sein Auge hing nur an dem Capitän, den er nach der Photographie, die ihm Mrs. Branican gegeben hatte, sofort erkannte. Kein Zweifel – dieser Mann war der Capitän John.

Auch John sah Godfrey mit ungewöhnlicher Bewegung an. Obwohl er nicht errathen konnte, wer dieser junge Mann war, so verschlang er ihn doch mit seinen Blicken ... er streckte ihm die Arme entgegen ... er rief ihn mit zitternder Stimme ... Ja! Er rief ihn, als wäre er sein Sohn!

Godfrey stürzte in seine Arme, indem er rief:

»Capitän John!

– Ja ... ich ... ich bin es! erwiderte John. Doch Du ... mein Kind ... wer bist Du? ... Woher kommst Du? ... Wie kennst Du meinen Namen?«

Godfrey konnte nicht antworten, denn plötzlich erblickte er Len Burker und erbleichte.

»Len Burker! rief Godfrey.

– Ja, mein Kind, erwiderte John, es ist Len Burker ... ihm verdanke ich meine Rettung!

– Rettung! rief Godfrey. Nein, Capitän John, nein, Len Burker rettete Sie nicht! ... Er wollte Sie vernichten, er verließ uns in der Wüste, er stahl Mrs. Branican das Lösegeld ...«

Bei diesem Namen that John einen Schrei und ergriff Godfrey bei der Hand:

»Dolly? ... Dolly? ... wiederholte er.

– Ja ... Mrs. Branican, Capitän John, Ihre Frau, die ganz in der Nähe ist!

– Dolly? rief John.

– Der Bursche ist verrückt! sagte Len Burker, indem er sich Godfrey näherte.

– Ja ... Verrückt! ... sagte John leise. Das arme Kind ist verrückt!

– Len Burker, hub Godfrey wieder an, der vor Zorn zitterte, Sie sind ein Verräther ... Sie sind ein Mörder! ... Wenn dieser Mörder da ist ... so will er Sie, Capitän John, ebenso vernichten, wie er Mrs. Branican und ihre Gefährten vernichten wollte ...

– Dolly! ... Dolly! ... rief Capitän John. Nein ... Du bist nicht verrückt, mein Kind! ... Ich glaube Dir ... Komm! ... Komm!«

Len Burker und seine Leute warfen sich auf Godfrey und John; der junge Matrose zog seinen Revolver und schoß einem Schwarzen eine Kugel in die Brust. Aber er und John wurden überwältigt und von den Schwarzen gegen den Fluß hingeschleppt.

Glücklicherweise wurde der Schuß gehört, wurden Rufe laut, und sofort stürmten der Mani und seine Polizeisoldaten, Tom Marix und seine Genossen herbei. Mrs. Branican, Zach Fren, Jos Meritt, Gîn-Ghi eilten zu Hilfe.

Len Burker und die Schwarzen konnten keinen Widerstand leisten, und einen Augenblick darauf lagen sich John und Dolly in den Armen.

Die Partie war für Len Burker verloren, wenn man ihn erwischte, konnte er auf keine Gnade hoffen. Dies sah er ein, deshalb floh er. Der Mani und seine Leute, Zach Fren, Tom Marix, Jos Meritt eilten ihm nach.

Es ist unmöglich, die rührende Scene zu beschreiben, als Dolly und John sich nach so langer Trennung in den Armen lagen. Sie weinten, und Godfrey theilte ihre Küsse, ihre Thränen, ihre Freude.

So viel Glück konnte Dolly nicht ertragen. Ihre Kräfte verließen sie und eine tiefe Ohnmacht umfing sie.

Godfrey kniete neben ihr und half Harriette, sie zum Bewußtsein zu bringen. John wußte es nicht, wohl aber die Anderen, daß Dolly das erstemal vor Schmerz wahnsinnig geworden war ... Konnte sie ihren Geist nicht ein zweitesmal vor Freude verlieren? ...

»Dolly! ... Dolly!« rief John.

Godfrey küßte ihre Hände und rief:

»Mutter! ... Mutter!«

Dolly schlug die Augen auf, ihre Hand drückte die Johns, dessen Freude keine Grenzen kannte; er schloß Godfrey in seine Arme.

»Komm ... Wat! ... Komm! ... Mein Kind!«

Aber Dolly konnte ihn nicht in diesem Irrthum, nicht in dem Glauben lassen, daß Godfrey sein Kind wäre:

»Nein, John, sagte sie, nein ... Godfrey ist nicht unser Sohn! ... Unser armer Wat ist gestorben ... gestorben kurz nach Deiner Abfahrt.

– Todt!« rief John, der von Godfrey keinen Blick abwandte.

Dolly wollte ihm eben sagen, welches Unglück sie vor fünfzehn Jahren betroffen habe, als plötzlich ein Schuß auf der Seite ertönte, wohin Len Burker geflohen war.

War dieser Elende gerichtet oder hatte er ein neues Verbrechen begangen?

Fast in demselben Augenblicke erschien eine Gruppe Leute am Ufer des Fitz-Roy. Zwei Polizisten trugen eine Frau, die aus einer Wunde in der Brust heftig blutete.

Es war Jane.

Was war da vorgegangen?

Trotz der schnellen Flucht Len Burker's ließen ihn seine Verfolger nicht aus den Augen, und sie waren nur noch hundert Schritte von ihm entfernt, als er bei dem Anblicke Janes plötzlich stehen blieb.

Am vorhergehenden Abend war es der Unglücklichen gelungen, ihren Wächtern zu entfliehen. Sie wanderte aufs Gerathewohl weiter; als sie die ersten Schüsse hörte, war sie nur noch eine Viertelmeile von der Stelle entfernt, wo sich Godfrey und John gefunden hatten. Sie eilte vorwärts und befand sich plötzlich ihrem Gatten gegenüber.

Len Burker packte sie am Arme und wollte sie vergebens fortziehen. Da er dachte, daß Jane bei einer Begegnung mit Dolly das Geheimniß von der Geburt Godfreys verrathen könnte, so stieß er ihr den Dolch in die Brust.

In diesem Augenblicke ertönte ein Schuß, der von folgenden, jetzt ganz treffenden Worten begleitet war:

»Gut! ... O ... Sehr gut!«

Jos Meritt hatte sich Len Burker von der Seite genähert und ihm eine Kugel durch die Brust geschossen, so daß der Elende todt in den Fitz-Roy stürzte.

Tom Marix beugte sich über Jane, die nur noch schwach athmete. Zwei Polizeisoldaten hoben die unglückliche Frau auf und trugen sie zu Mrs. Branican.

Als Dolly sie erblickte, stieß sie einen herzzerreißenden Schrei aus. Sie stürzte auf sie los, beugte sich über sie, lauschte dem langsamen Schlagen des Herzens. Aber die Wunde Janes war tödtlich, der Dolch hatte ihre Lunge durchbohrt.

»Jane! ... Jane!« rief Dolly schmerzlich aus.

Die Sterbende schlug die Augen auf, und als sie Dolly erblickte, lächelte sie.

»Dolly! ... Liebe Dolly!« sagte sie leise.

Plötzlich belebte sich ihr Blick; sie sah den Capitän John.

»John ... Sie ... John! sagte sie, aber so leise, daß man es kaum hörte.

– Ja ... Jane, erwiderte John ... Ich bin es ... ich ... den Dolly gerettet hat ...

– John ... John ... ist da, murmelte sie.

– Ja ... bei uns, liebe Jane, sagte Dolly. Er wird uns nicht mehr verlassen ... Wir werden ihn mit Dir zu uns nehmen ... mit Dir ... mit Dir ...«

Jane hörte nicht mehr. Ihr Auge schien Jemand zu suchen ... und sie sagte:

»Godfrey! ... Godfrey!«

Die Todesangst begann schon ihre Gesichtszüge zu verzerren.

Mrs. Branican gab Godfrey ein Zeichen, der an sie herantrat.

»Er! ... Er! ... Endlich!« rief Jane mit der letzten Kraft.

Dann ergriff sie die Hand Dollys.

»Komm näher ... komm näher, Dolly, sagte sie. John ... auch Du ... höret, was ich Euch sage!«

Beide beugten sich über die Sterbende, um kein Wort zu überhören.

»John, Dolly, sagte sie, Godfrey ... Godfrey, der da steht ... Godfrey ist Euer Kind ...

– Unser Kind?« fragte Dolly leise.

Dabei wurde sie so bleich wie die Sterbende.

»Wir haben keinen Sohn mehr, sagte John, er ist gestorben. – Ja, erwiderte Jane, der kleine Wat ... ist ... im Golfe von ... San-Diego ... Aber Ihr habt ein zweites Kind gehabt ... und dieses Kind ... ist Godfrey.«

In abgebrochenen Sätzen konnte Jane noch Alles erzählen, was seit der Abfahrt Johns im Prospect-House vorgefallen war. Die geisteskranke Dolly wurde, ohne daß sie es wußte, zum zweitenmale Mutter, das Kind wurde auf Befehl Len Burker's einige Stunden nach der Geburt ausgesetzt, glücklicherweise aber gefunden und unter dem Namen Godfrey im Wat-House erzogen ...

»Wenn ich schuldig bin, fuhr die Sterbende fort, weil ich nicht den Muth hatte, es Dir zu gestehen, liebe Dolly, so verzeihe mir ... verzeihe auch Du mir, John!

– Verzeihung, Jane ... Dir, die uns unser Kind wiedergegeben hat ... – Ja ... Euer Kind, rief Jane. Vor Gott ... John, Dolly, ich schwöre es ... Godfrey ist Euer Kind!«

Als die Sterbende sah, daß Beide Godfrey in ihre Arme schlossen, da lächelte sie glücklich und schloß dann die Augen für immer.


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