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Sechstes Capitel.
Eine unerwartete Begegnung

Auf der Station Lady-Charlotte ersuchte Tom Marix Mrs. Branican um eine Rast von vierundzwanzig Stunden, da die Zugthiere wegen der großen Hitze sehr abgemattet waren. Dolly sah das ein, und man lagerte sich nun, so gut es ging. Die Station bestand nur aus einigen Hütten, deren Bevölkerung die Karawane während eines Tages verdreifachte. Ein Trapper, der in der Nähe ein hübsches Haus hatte, bot Mrs. Branican eine bequemere Unterkunft an, die sie auch annahm, indem sie sich nach Waldek-Hill begab.

Dieser Trapper war nur Pächter einer jener ungeheuren Besitzungen, Runs genannt, die sich in Australien vorfinden. Ein solcher Run umfaßt bis sechstausend Hektar, besonders in der Provinz Victoria. Obgleich Waldek-Hill eine solche Größe nicht hatte, so war es doch nicht unbedeutend. Umgeben von Pallisaden, diente die Ansiedlung besonders zur Schafzucht, weshalb eine Menge Schäfer, Züchter und andere Leute mehr da waren. Der salzige Boden brachte es mit sich, daß man gerade hier einen günstigen Platz für die Schafzucht erkannte.

Um diese Zeit begann eben in Waldek-Hill die Schafschur, und seit einigen Tagen befanden sich eine Menge herumreisender Scheerer dort, um ihr einträgliches Gewerbe auszuüben.

Als Mrs. Branican in Begleitung von Zach Fren die Pallisaden von Waldek-Hill durchschritten hatte, war sie von dem regen Leben überrascht, welches dort herrschte. Die Arbeiter verloren keine Minute. Das Krächzen der Scheere, das Blöcken der Schafe, die Rufe der Männer zu einander, dieses Kommen und Gehen mit den Körben, in denen die Wolle fortgetragen wurde, war sehr interessant. Ueberall, wo viele Arbeiter sind, müssen auch Aufseher sein, von denen sich auch einige in Waldek-Hill befanden. Auf solche Weise verdienen sich Frauen wie Männer ihren Lebensunterhalt.

Wie groß war aber die Ueberraschung der Mrs. Branican – eigentlich nicht Ueberraschung, sondern Bestürzung – als sie plötzlich hinter sich ihren Namen hörte.

Eine Frau stürzte herbei, warf sich auf die Knie und hob flehend die Hände zu ihr empor ...

Es war Jane Burker ... Jane, weniger durch die Jahre als durch Kummer gealtert, das Haar ergraut, mit fast unerkennbaren Gesichtszügen, die Dolly aber doch erkannte.

»Jane!« rief sie.

Dolly hob sie auf, die beiden Cousinen lagen sich in den Armen.

Welches Leben führten die Burker's seit zwölf Jahren? Ein elendes, sogar ein verbrecherisches, wenigstens was den Gatten der unglücklichen Jane anbelangt.

Als Len Burker sich den Nachstellungen in San-Diego entzog, flüchtete er nach Mazatlan, einem Hafen an der westlichen Küste von Mexiko. Man erinnert sich, daß er im Prospect-House die Mulattin Nô zur Bewachung Dollys, die damals noch in geistiger Umnachtung war, zurückgelassen hatte. Als aber kurze Zeit darauf die unglückliche Kranke in die Heilanstalt des Dr. Brumley übertragen wurde, reiste die Mulattin ihrem Herrn nach, dessen Zufluchtsort sie kannte.

Len Burker ließ sich unter falschem Namen in Mazatlan nieder, so daß ihn die californische Polizei nicht entdecken konnte. Uebrigens blieb er auch nur fünf bis sechs Wochen in dieser Stadt, denn mit dem wenigen Gelde – er besaß nur noch etwa dreitausend Piaster unterschlagener Beträge – konnte er in den Vereinigten Staaten nicht mehr viel anfangen, und er beschloß daher, Amerika ganz zu verlassen. Australien schien ihm ein günstiges Feld zu sein, wo es noch etwas zu »machen« gebe, bevor er seinen letzten Dollar ausgegeben hätte.

Jane, die unter der unumschränkten Herrschaft ihres Mannes stand, hatte nicht die Kraft, ihm entgegenzutreten; Mrs. Branican, ihre einzige Verwandte, wahnsinnig; Capitän John todt, und es war über sein Schicksal kein Zweifel mehr ... der »Franklin« war mit Mann und Maus untergegangen. Nichts konnte daher Jane ihrem traurigen Schicksale, dem sie Len Burker entgegenführte, entreißen und sie mußte unter solchen Umständen mit nach Australien auswandern.

Beide kamen in Sydney an und hier verwendete Len seine letzten Hilfsquellen zu neuen Betrügereien, die er aber mit größerer Schlauheit verübte, als in San-Diego. Dann ließ er sich in gewagte Speculationen ein, bei denen er das ganze Geld wieder verlor, das er bei seinen unehrlichen Gebahrungen im Anfange »verdient« hatte.

Achtzehn Monate nach seiner Flucht von San-Diego mußte er auf gleiche Weise Sydney verlassen und sein Glück an einem anderen Orte suchen. Doch dieses war ihm auch in Brisbane nicht mehr hold; er flüchtete sich von neuem und begab sich in die entlegensten Districte von Queensland.

Jane folgte ihm und mußte die schwersten Arbeiten verrichten, um nur die nothwendigsten Bedürfnisse bestreiten zu können. Gemartert und gepeinigt von dieser Mulattin, die noch immer der böse Geist Len Burker's war, wollte die Unglückliche oft entfliehen, oft ihrem elenden Dasein ein Ende bereiten. Das war sie aber bei ihrem schwachen, unentschlossenen Charakter nicht im Stande. Ein armer Hund, der Schläge erhält und das Haus nicht zu verlassen wagt!

Um diese Zeit las Len Burker in den Zeitungen von den Versuchen, die Ueberlebenden des »Franklin« aufzufinden. Die zwei Fahrten des »Dolly-Hope«, welche auf die Initiative der Mrs. Branican hin unternommen wurden, erklärten ihm die ganze Sachlage: 1. Daß Dolly wieder ihre Vernunft erlangt hatte, 2. daß sie das ungeheure Vermögen, welches sie von ihrem Onkel Edward Starter geerbt hatte, für diese beiden Unternehmungen verwende. Er erfuhr auch den Mißerfolg dieser Fahrten und die Gewißheit, daß der letzte Ueberlebende des »Franklin« auf der Insel Browse gestorben sei.

Zwischen dem Vermögen Dollys und Janes, ihrer einzigen Erbin, stand kein Kind, kein Gatte mehr, und so große Schicksalsschläge mußten ihre Gesundheit erschüttert haben. Das sagte sich Burker. Aber was konnte er versuchen? Die Verbindung mit Mrs. Branican wieder aufzunehmen war unmöglich. Sie durch Vermittlung Junes um Hilfe anzuflehen, traute er sich nicht, da er verfolgt wurde und bei dieser Gelegenheit leicht verhaftet werden konnte. Wenn aber Dolly starb, durch welches Mittel konnte er verhindern, daß die Erbschaft Jane – vielmehr ihm – nicht entgehe?

Wir wissen noch, daß ungefähr sieben Jahre seit der zweiten Aussendung des »Dolly-Hope« verflossen waren, als durch die Auffindung Harry Felton's die Katastrophe des »Franklin« wieder zur Frage gestellt worden war.

Während dieser Zeit wurde die Lage Len Burker's noch elender als sie schon war. Da er auf seiner verbrecherischen Laufbahn ohne jeden Erfolg noch weiter schritt, so hatte er nicht einmal mehr ein Heim, und Jane sah sich dem Elende eines Nomadenlebens ausgesetzt.

Die Mulattin Nô war gestorben; aber Mrs. Burker brachte der Tod dieser Peinigerin, deren Einfluß auf ihren Gatten so verderblich war, keine Erleichterung. Da er jetzt auf seiner Laufbahn keine Gefährtin mehr hatte, so zwang er seine Frau, ihm in jene Länder zu folgen, wo die Verbrechen so häufig unbestraft bleiben. Nach Erschöpfung der Goldminen in der Provinz Victoria und nach dem Fortzuge der Tausende von Goldsuchern, wurde dieses Land von einer Masse Menschen überfluthet, die sich wenig um die Gesetze kümmerten. So hatte sich bald eine Classe jener gefürchteten Wegelagerer gebildet, die in den Districten Australiens unter dem Namen »Larrikius« bekannt sind.

Solchen Leuten schloß sich Len Burker an, als er wegen der Verfolgungen keine Stadt mehr betreten konnte, und je mehr er in die entlegeneren, der Polizei fern liegenden Gegenden kam, desto mehr wurde er ein Freund jener herumziehenden Verbrecher, die unter dem Namen »Bushrangers« bekannt sind und die bis heute noch nicht verschwanden. Auf einer solch niedrigen Stufe befand sich Len Burker! An wie viel Plünderungen, Eisenbahnüberfällen und Verbrechen aller Art er in den letzten Jahren theilgenommen hatte, hätte nur er sagen können. Ja, nur er, denn Jane, die in irgend einer Ortschaft zurückgelassen wurde, wußte nichts von den verbrecherischen Thaten. Vielleicht klebte an den Händen dieses Mannes sogar Blut, und doch wagte sie nicht, ihn zu verrathen.

So waren zwölf Jahre verflossen und die Auffindung Harry Felton's hatte von neuem die öffentliche Aufmerksamkeit auf den »Franklin« gelenkt. Da die verschiedensten Zeitungen und Blätter Australiens diese Nachricht brachten, so konnte sie auch Len Burker nicht verborgen bleiben, der sie in dem »Sydney Morning Herald« in einer kleinen Ortschaft von Queensland las, wohin er sich nach einem Plünderungszuge vor der nachsetzenden Polizei geflüchtet hatte.

Zu derselben Zeit, als er von der Auffindung Harry Felton's las, vernahm er auch, daß Mrs. Branican San-Diego verlassen habe und nach Sydney komme, um mit dem zweiten Officier sprechen zu können. Fast ebenso rasch verbreitete sich das Gerücht, daß Harry Felton gestorben war, nachdem er sichere Angaben gemacht hatte.

Ungefähr vierzehn Tage später hörte Len Burker, daß Mrs. Branican in Adelaïde ausgestiegen sei, um eine Karawane zu organisiren, an der sie theilnehmen würde und die den Zweck habe, die Wüsten der Mitte und des Nordwestens von Australien zu durchforschen.

Als Jane die Ankunft ihrer Cousine auf dem Continente erfuhr, war ihr erster Gedanke, sich zu ihr zu flüchten, aber da sie die Drohungen Len Burker's fürchtete, wagte sie es nicht.

Jetzt entwarf der Elende einen Plan, der ihm endlich die gewünschte Zukunft erschließen sollte. Die entscheidende Stunde war gekommen. Er wollte Mrs. Branican auf ihrer Route begegnen, sie bitten, sie begleiten zu dürfen, was Alles sicher ganz leicht zu erlangen sein würde. Es war kaum wahrscheinlich, daß der Capitän John, angenommen er lebte noch, bei den Eingebornen gesunden würde, und es war möglich, daß Dolly den Strapazen dieser gefährlichen Reise unterlag. Ihr ganzes Vermögen käme dann auf Jane, ihre einzige Verwandte ... Wer weiß? ... Es giebt so viele Zufälle ... wenn man das Talent hat, sie herbeizuführen ...

Wohl verstanden, Len Burker hütete sich wohl, Jane von seiner Absicht, sich wieder Mrs. Branican zu nähern, in Kenntniß zu setzen. Er trennte sich von den Wegelagerern, ohne auf ihre Dienste für später vollständig zu verzichten, wenn es sich von neuem um einen Handstreich handelte. In Begleitung Janes verließ er Queensland und begab sich nach Lady-Charlotte, das nur etwa hundert Meilen entfernt war und welche Ortschaft die Karawane auf dem Wege nach Alice-Spring berühren mußte. So flossen drei Wochen hin. Len Burker befand sich in dem »Run« Waldek-Hill als Aufseher; hier erwartete er Dolly, fest entschlossen, vor keinem Verbrechen zurückzuschrecken, das ihn in den Besitz der Erbschaft bringen konnte.

Man mußte daher eine Furt suchen.

Als Jane nach Lady-Charlotte kam, ahnte sie noch gar nichts. Wie groß mußte ihre Ueberraschung, man möchte eher sagen, Bestürzung gewesen sein, als sie sich so unerwartet Mrs. Branican gegenüber befand.

Len Burker war damals fünfundvierzig Jahre alt und er hatte noch immer jenen lauernden falschen Blick, jenes heuchlerische Gesicht, das sofort Mißtrauen erweckte.

Was Jane anbelangt, so schien sie um zehn Jahre älter zu sein, als sie wirklich war. Die Gesichtszüge waren verwelkt, die Haare an den Schläfen gebleicht, der ganze Körper schwach. Aber ihr Auge bekam doch Glanz, der durch die Leiden schon fast ganz erloschen war, als sie Dolly erblickte.

Mrs. Branican hätte keinen besseren Führer finden können.

Nachdem Mrs. Branican Jane in ihre Arme geschlossen hatte, führte sie dieselbe in das Zimmer, das ihr von dem Farmer in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt worden war. Hier gaben sich die beiden Frauen ganz ihren Gefühlen hin. Dolly erinnerte sich nur an die Pflege, mit der Jane sie im Prospect-House umgeben hatte. Sie hatte ihr nichts vorzuwerfen und war bereit, ihrem Gatten zu verzeihen, wenn er bereit wäre, sich nicht mehr von ihnen zu trennen.

Beide sprachen lange miteinander. Jane erzählte von ihrer Vergangenheit nur das, was sie sagen konnte, ohne Len Burker zu compromittiren, und Mrs. Branican fragte sie auch nicht weiter. Sie fühlte, wie sehr diese Arme gelitten hatte und noch litt. War das nicht genug, daß sie ihres Mitleides, ihrer Liebe würdig war? Die Lage des Capitän John, die unerschütterliche Hoffnung, ihn bald zu finden, die Anstrengungen, die sie machen werde, um dahin zu gelangen, nur davon sprach sie ... dann auch von ihrem kleinen, lieben Wat ... Und als sie sogar sagte, daß er noch lebe, da wurde Jane so bleich, daß Dolly glaubte, die Arme befinde sich unwohl.

Jane gelang es jedoch, sich zu beherrschen, und nun erzählte sie ihr trauriges Leben von dem Tage an, wo ihre Cousine wahnsinnig geworden war, bis zu jenem, der Len Burker zu der Flucht aus San-Diego zwang.

»Ist es möglich, arme Jane, sagte dann Dolly, ist es möglich, daß ich in den vierzehn Monaten, während welcher Du mich pflegtest, keinen einzigen lichten Augenblick hatte? ... Ist es möglich, daß ich mich gar nicht mehr an meinen John erinnerte?

– Nein ... Dolly!

– Nun ... Jane ... so will ich Dir jetzt sagen, was ich Niemandem gesagt habe ... Als ich wieder zur Vernunft kam ... ja ... da hatte ich die Ahnung, daß John noch lebe, daß ich nicht Witwe sei ... und es schien mir auch ...

– Auch? ...«

Ihre Augen drückten eine unaussprechliche Furcht aus, der Blick war verstört, sie erwartete voll Angst, was Dolly sagen werde.

»Ja, Jane, hub Dolly wieder an, ich hatte das Gefühl, daß ich immer noch Mutter war.«

Jane sprang auf und schlug mit den Händen herum, als wollte sie ein entsetzliches Bild verscheuchen; ihre Lippen bewegten sich, ohne daß es ihr gelang, nur ein Wort herauszubringen. Dolly, die ganz in Gedanken versunken war, bemerkte von alledem nichts, und Jane war äußerlich wieder ruhiger geworden, als ihr Gatte auf der Schwelle erschien.

Er blieb an der Thür stehen, und sah seine Frau an, als wollte er sagen:

»Was hast Du gesagt?«

Jane, die unter seiner unbesiegbaren Herrschaft stand, fiel vor diesem Blick in ein Nichts zusammen.

Mrs. Branican verstand ihn. Der Blick Len Burker's erinnerte sie an seine Vergangenheit und an die Leiden Janes. Aber diese Auflehnung ihres Herzens dauerte nur einen Augenblick und sie war entschlossen, seine Leidenschaften zu bezähmen, um sich nie mehr von Jane zu trennen.

»Len Burker, sagte sie, Sie wissen, warum ich nach Australien gekommen bin; es ist eine Pflicht, die ich verfolge, bis ich John wiederfinden werde, denn er lebt. Da Sie der Zufall auf meinen Weg gebracht hat, und ich Jane, meine einzige Verwandte, wiedergefunden habe, so lassen Sie mir sie und erlauben Sie, daß sie mich begleitet, wie sie es wünscht ...«

Len Burker zögerte mit der Antwort. Da er fühlte, daß sie gegen ihn voreingenommen sei, so wollte er, daß Mrs. Branican ihren Antrag noch in der Weise ergänze, daß sie ihn ersuchte, sich der Karawane anzuschließen. Nun, da Dolly aber schwieg, glaubte er doch, daß er sich selbst anbieten müsse.

»Dolly, sagte er, ich entspreche sofort ohne Umschweife Ihrem Verlangen und war schon darauf gefaßt. Ich bin vollständig damit einverstanden, daß meine Frau bei Ihnen bleibe. Ja, das Leben ist uns Beiden sehr hart geworden, seitdem mich mein Mißgeschick gezwungen hat, San-Diego zu verlassen. Wir haben viel in diesen vierzehn Jahren gelitten, und Sie sehen, daß mir das Glück auch auf der australischen Erde nicht hold war, da ich mir meinen Lebensunterhalt von einem Tage zum anderen suche, und wenn die Schafschur hier in Waldek-Hill vorüber sein wird, weiß ich nicht, wo ich Arbeit finden werde. Da es mir nun aber leid sein würde, mich von Jane trennen zu müssen, so bitte ich meinerseits um die Erlaubniß, mich der Expedition anschließen zu dürfen. Ich kenne die Eingebornen, mit denen ich schon oft zu thun hatte, und kann daher von großem Nutzen sein. Zweifeln Sie nicht, Dolly, daß ich mein Möglichstes thun werde, um zur Befreiung des Capitän John nach Kräften beizutragen ...«

Dolly sah ein, daß sie nur unter dieser Bedingung Jane als Gefährtin erhalten werde. Da er doch bis zu einem gewissen Grade auch von Nutzen sein konnte, so erwiderte schließlich Mrs. Branican, aber in sehr kühlem Tone:

»Einverstanden, Len Burker, und machen Sie sich zum Aufbruche fertig, denn morgen verlassen wir frühzeitig Lady-Charlotte ...

– Ich werde bereit sein,« erwiderte Len Burker, der das Zimmer verließ, ohne daß er gewagt hätte, Mrs. Branican die Hand zu geben.

Als Zach Fren hörte, daß Len Burker sich an der Expedition betheiligen werde, war er wenig erbaut, denn er kannte diesen Mann, dessen Betrügereien an Dolly ihm Mr. William Andrew seinerzeit völlig enthüllt hatte. Da er nun wußte, unter welchen Umständen dieser betrügerische Curator und alte Sünder von San-Diego flüchten mußte, konnte er sich auch von dem Leben, daß er seit vierzehn Jahren in Australien führte, viel Schlechtes denken ... Doch machte er keine weitere Bemerkung, da er sah, wie glücklich Dolly sich fühlte, Jane in ihrer Nähe zu haben; in seinem Innern aber nahm er sich vor, Len Burker nicht aus den Augen zu verlieren.

Dieser Tag verlief ohne weiteren Zwischenfall. Len Burker, der nicht mehr gesehen wurde, traf seine Vorbereitungen zur Abreise und regelte seine Angelegenheit mit dem Squatter von Waldek-Hill. Letzterer machte ihm weiter keine Schwierigkeiten und erbot sich sogar, seinem ehemaligen Aufseher ein Pferd zur Verfügung zu stellen, damit er die Karawane bis Alice-Spring begleiten könne, wo sie reorganisirt werden sollte.

Dolly und Jane blieben den ganzen Nachmittag und Abend im Hause von Waldek-Hill. Dolly vermied es, von Len Burker zu sprechen und machte nicht die geringste Anspielung auf das, was seit der Flucht von San Diego vorgegangen war, da sie einsah, daß Jane dies nicht sagen konnte.

An jenem Abende kamen weder Tom Marix noch Godfrey in die Farm von Waldek-Hill, da sie auf Recognoscirung nach den ansässigen Eingebornen geritten waren, die in der Nähe von Lady-Charlotte ihre Dörfer hatten. Erst am folgenden Tage hatte Mrs. Branican Gelegenheit, Jane ihren Adoptivsohn Godfrey vorzustellen.

Jane war von der auffallenden Aehnlichkeit dieses Knaben mit dem Capitän John so betroffen, daß sie ihn nicht anzusehen wagte. Welche Gefühle durchwogten ihre Brust, als ihr Dolly erzählte, unter welchen Umständen sie ihm an Bord des »Brisbane« begegnet war ... ein Findelkind aus den Straßen von San-Diego, im Wat-House erzogen ... ungefähr vierzehn Jahre alt ...

Jane hörte, bleich wie der Tod, diesen Worten mit der größten Bestürzung zu.

Als Dolly sie allein ließ, fiel sie auf die Knie und rang die Hände; dann belebten sich ihre Züge ...

»Er! ... Er! rief sie bewegt aus. Er! ... bei ihr! ... Gott hat es so gewollt!«

Einen Augenblick darauf verließ Jane Waldek-Hill und eilte in die Hütte, die ihr und ihrem Gatten als Wohnung diente. Len Burker schnürte eben ein Bündel zu, in dem sich einige Kleidungsstücke und andere nothwendige Sachen für die Reise befanden. Als er Jane bleich hereinstürzen sah, erschrak er.

»Was giebt es? fragte er barsch. Sprich doch! ... Wirst Du sprechen? ... Was giebt es?

– Er lebt! rief Jane ... Er ist hier ... bei seiner Mutter ... er, den wir für ...

– Bei seiner Mutter ... Er lebt ... Er? ... erwiderte Len Burker, der wie vom Blitze getroffen dastand. Er hatte nur allzugut verstanden, wer »Er« war.

– Er! ... wiederholte Jane. Er ... das zweite Kind Johns und Dollys.«

Eine kurze Erklärung wird genügen, um uns mit dem bekannt zu machen, was vor Jahren im Prospect-House vorgefallen war.

Einen Monat nach der Uebersiedlung in das Haus zu San-Diego bemerkten Mr. und Mrs. Burker, daß die geisteskranke Dolly zum zweitenmale Mutter werden sollte. Geschickt von der Mulattin Nô bewacht, wurde Dolly, trotz der flehentlichen Bitten Janes, vor allen Freunden und Bekannten verborgen gehalten, indem man ihre Krankheit zum Vorwande nahm. Sieben Monate später brachte die unglückliche Frau ein zweites Kind zur Welt, ohne daß eine Spur davon in ihrer Erinnerung haften geblieben wäre. Da um diese Zeit der Tod des Capitän John schon allgemein angenommen wurde, so durchkreuzte dieses Kind auf einmal die Hoffnungen Len Burker's auf die Erbschaft Dollys. Aus diesem Grunde wurde nun das ganze Dienstpersonal im Prospect-House entlassen, und Dolly von allen Besuchern ferngehalten, ohne daß Jane sich diesen verbrecherischen Vorgängen ihres Mannes hätte widersetzen können. Das Kind wurde einige Stunden nach seiner Geburt von Nô in einer Straße von San-Diego ausgesetzt, glücklicherweise von einem Vorübergehenden gefunden und in das Findelhaus gebracht. Acht Jahre nach der Gründung von Wat-House ging der Knabe zur See. Jetzt erklärt sich die große Aehnlichkeit Godfreys mit dem Capitän John, seinem Vater, und jetzt sind uns die Gefühle verständlich, welche Dolly, die noch immer Mutter war, ohne es zu wissen, zu diesem Kinde hinzogen.

»Ja, Len, rief Jane, er ist es! Es ist ihr Sohn! ... Wir müssen Alles gestehen.«

Aber dies hätte von neuem seine Pläne durchkreuzt. Er fluchte, drohte und schwor; dann faßte er Jane bei der Hand, sah ihr fest in die Augen und sagte:

»Im Interesse Dollys ... wie in dem Godfreys ... rathe ich Dir, zu schweigen.«


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