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Zweites Capitel.
Godfrey

Der »Brisbane« durchschnitt die Meerenge von Basse. Im August dauert der Tag in jenen Breitegraden nur bis fünf Uhr und der Mond, der hinter den Wolken verschwand, verhinderte jeden Ausblick auf die Küsten des Continentes.

Am 23. August befand sich der »Brisbane« am Eingange der Bai von Port-Philipp, in deren Mitte die Schiffe nichts mehr von den Stürmen zu fürchten haben; aber sie müssen vorsichtig einfahren, besonders wenn die Richtung gegen die lange sandige Spitze von Nepean eingeschlagen wird. Die Bai selbst zerfällt in mehrere Häfen, wo die Schiffe ausgezeichnete Ankerplätze finden, so zu Goelong, Sandrige, Williamstown. Die beiden letzteren bilden den Hafen von Melbourne. Die Küste gewährt hier einen traurigen, monotonen Anblick, da nirgends ein grüner Platz das Auge ergötzt. Der »Brisbane« legte an einem der Quais von Williamstown an, um einen Theil seiner Passagiere auszusetzen. Da man hier einen Aufenthalt von sechsunddreißig Stunden nahm, so beschloß Mrs. Branican, diese Zeit in Melbourne zuzubringen, obwohl sie erst in Adelaïde die Expedition vorbereiten wollte und in dieser Stadt nichts zu thun hatte. Warum verließ sie den »Brisbane«? Fürchtete sie, durch zu viele Besuche belästigt zu werden? Dem hätte sie einfach dadurch ausweichen können, daß sie sich in ihre Cabine zurückzog. Wenn sie in irgend einem Hôtel abstieg, würde sie doch sicher auch sofort erkannt und von Besuchern belästigt worden sein.

Zach Fren wußte sich diesen Entschluß nicht zu erklären. Ueberhaupt konnte er an ihr ein verändertes Wesen wahrnehmen, das sich besonders durch eine gewisse Zurückhaltung kundgab. Sollte sie die Anwesenheit Godfreys zu sehr an ihr Kind erinnert haben? Ja, und Zach Fren täuschte sich nicht. Der Anblick dieses jungen Mannes hatte sie so tief bewegt, daß sie sich nach der Einsamkeit sehnte. Wollte sie ihn fragen? Vielleicht, weil sie dies nicht am vorhergehenden Abende that, obwohl sie es gewünscht hatte. Aber wenn sie jetzt in Melbourne für diese paar Stunden aussteigen wollte, so that sie es nur, um diesen vierzehnjährigen Knaben zu fliehen, zu dem sie eine unerklärliche Macht hinzog. Warum zögerte sie, mit ihm zu sprechen, sich bei ihm nach Allem zu erkundigen, was sie interessirte, nämlich nach der Nationalität, seiner Herkunft, seiner Familie? Fürchtete sie – und das war sehr wahrscheinlich – daß seine Antworten alle die Hoffnungen zerstörten, die sie hegte und denen sie sich so hingab, daß ihre Aufregung Zach Fren auffiel?

Mrs. Branican schiffte sich mit Zach Fren aus; sobald sie die Schiffsbrücke betrat, wendete sie sich um. Godfrey stand bei der Brüstung, sah ihr so traurig nach und machte eine so ausdrucksvolle Geberde, als wollte er sie zurückhalten; Dolly bemerkte es und wollte schon sagen: »Mein liebes Kind ... ich komme wieder.«

Aber sie bemeisterte sich doch und gab Zach Fren ein Zeichen, ihr zu folgen; dann begaben sie sich nach dem Bahnhof, der den Verkehr mit der Stadt vermittelt. Melbourne liegt ungefähr zwei Kilometer am linken Ufer des Yarra-Yarra entfernt, eine Strecke, welche die Eisenbahnzüge in einigen Minuten zurücklegen. Hier erhebt sich nun die Stadt mit ihren dreihunderttausend Einwohnern, die Hauptstadt der Colonie Victoria, die ungefähr eine Million Bewohner hat, und auf die seit dem Jahre 1851 der Alexanderberg im wahren Sinne des Wortes sein ganzes Gold ausgeschüttet hat.

Obwohl Mrs. Branican in einem weniger besuchten Hôtel abstieg, so war sie doch der Gegenstand allgemeiner Neugierde. Sie zog es daher vor, in Begleitung Zach Fren's die herrliche Stadt zu besichtigen. Aber weder die Schönheit derselben, noch die prächtige Umgebung mit ihren zahlreichen Villen schien die kühne Amerikanerin zu interessiren; sie sah Alles gedankenlos an und unter dem Eindrucke einer fixen Idee, als wolle sie jeden Augenblick Zach Fren gegenüber einen Wunsch zu erkennen geben, den sie nicht auszusprechen wagte.

Beide kehrten bei Einbruch der Nacht in das Hôtel zurück. Dolly ließ in ihrem Zimmer serviren, aber sie rührte fast nichts an. Dann legte sie sich nieder und schlummerte ein, indem sie stets ihren Gatten und ihr Kind sah.

Am folgenden Tage blieb sie in ihrem Zimmer bis zwei Uhr Nachmittags. Sie schrieb in dieser Zeit einen langen Brief an Mr. William Andrew, in welchem sie ihm ihre Abreise von Sydney und ihre Ankunft in der Hauptstadt Südaustraliens mittheilte und einen guten Erfolg von der Expedition mit Bestimmtheit voraussagte. Als Mr. William Andrew diesen Brief las, da war er ebenso überrascht als beunruhigt, denn er bemerkte, daß Dolly nicht allein von der bestimmten Auffindung Johns sprach, sondern sie schrieb auch von ihrem Kinde, von ihrem kleinen Wat, in einer solchen Weise, als wäre er gar nicht todt. Der Mann mußte sich fragen, ob diese schwergeprüfte Frau nicht von neuem auf dem Punkte stehe, ihren Verstand zu verlieren.

Die Passagiere, welche nach Adelaïde fahren, hatten sich fast Alle eingeschifft, als Mrs. Branican und Zach Fren an Bord zurückkehrten. Godfrey erwartete mit Ungeduld ihre Ankunft, und als er sie erblickte, leuchtete sein Auge auf, seine Traurigkeit verschwand. Er stürzte der Schiffstreppe zu und stand dicht neben ihr, als die Frau herauf kam.

Zach Fren sah dies nicht gern und er runzelte die Stirn. Was hätte er darum gegeben, wenn dieser Knabe das Schiff verlassen hätte oder wenigstens Dolly nicht immer in den Weg gekommen wäre, da seine Anwesenheit doch die schmerzlichsten Erinnerungen wachrief!

Mrs. Branican erblickte Godfrey, blieb einen Augenblick stehen und sah ihn scharf an; dann stieg sie schweigend nach ihrer Cabine hinab.

Die übrigen Passagiere brachten ihr ein außerordentliches Interesse entgegen.

Um drei Uhr Nachmittags lichtete der »Brisbane« die Anker und schlug die Richtung gegen Adelaïde ein, indem er wenigstens drei Meilen der Küste von Victoria entlang fuhr.

Es waren ungefähr hundert Passagiere an Bord, die meisten davon Bewohner des südlichen Australiens, die in ihre Heimat zurückkehrten. Doch befanden sich auch einige Fremde unter ihnen, z. B. ein Chinese von ungefähr dreißig bis fünfunddreißig Jahren, mit schläfrigem, citronengelbem Gesicht, fett wie ein Mandarin, obwohl er nur ein einfacher Diener war, dessen Herrn wir etwas näher ins Auge fassen müssen. Dieser war ein Engländer, aber ein Engländer, wie er im Buche steht. Groß, mager, mit blondem Barte, ebenso blondem Kopfhaar, kleinen, listigen Augen, einer spitzigen Nase von nicht ungewöhnlicher Länge und mit einem Schädel, auf dem ein Phrenolog sofort den größten Eigensinn entdeckt hätte – Eigenschaften, die jeden Blick auf sich ziehen und auch dem Ernstesten ein Lächeln abnöthigen.

Dieser Engländer war auch ganz nach der Sitte seines Landes gekleidet:

Er trug den bekannten Hut Albions, die Weste bis zum Kinn zugeknöpft, im Rocke große Taschen, die Hose carrirt; an den Füßen Gamaschen und nägelbeschlagene Schuhe.

Wer war dieses Original? Man kannte ihn nicht, und auf den englischen Postdampfern kümmert sich Niemand um die Passagiere. Sie sind Reisende und als solche reisen sie eben. Der Kellner konnte nur sagen, daß dieser Engländer eine Cabine unter dem Namen Joshua Meritt – abgekürzt Jos Meritt – aus Liverpool – Diener Gîn-Ghi aus Hong-Kong (Himmlisches Reich) – bestellt habe.

Jos Meritt saß immer auf dem Hinterdeck und verließ dasselbe erst zum Lunch, wenn die Glocke vier Uhr schlug. Um halb fünf kam er wieder, ging um sieben Uhr zum Diner, erschien um acht Uhr und stieg um zehn Uhr in wohl abgemessenen Schritten, den Kopf weder rechts noch links drehend, steif nach der Cabine hinab.

Mrs. Branican begab sich eines Abends um neun Uhr auf das Verdeck, obwohl es ziemlich kühl war. Wollte sie dem Knaben begegnen, mit ihm sprechen, ihn fragen, von ihm erfahren ... was erfahren? Da Godfrey aber bis zehn Uhr Dienst hatte und er die Wache erst um zwei Uhr Morgens wieder beziehen sollte, mußte Dolly enttäuscht und abgespannt ihre Cajüte wieder aufsuchen.

Um Mitternacht fuhr der »Brisbane« um das Cap Otway, den äußersten Punkt des Districtes Polwarth. Von hier aus schlug er eine nordwestliche Richtung bis zur Höhe der Bucht von Discovery am 141. Längengrade ein, jener Linie, die Victoria und Neu-Südwales von den Ländern Südaustraliens trennt.

Am folgenden Morgen saß der Engländer wieder steif auf seinem gewohnten Platze; der Chinese schnarchte in einer Ecke. Zach Fren mußte wohl an die Gepflogenheiten dieser Leute gewöhnt sein, aber doch konnte er nicht ohne gewisses Erstaunen diesen so gelungenen Typus einer mechanischen Figur betrachten.

Wie groß war seine Ueberraschung, als er an diesem unbeweglichen Gentleman vorüberging und seinen Namen hörte!

»Hochbootsmann Zach Fren, nicht wahr?

– Ja! erwiderte Zach Fren.

– Der Begleiter der Mrs. Branican?

– Ganz richtig ... Ich sehe, Sie wissen ...

– Ich weiß ... auf Suche nach ihrem Gatten ... seit vierzehn Jahren verschollen ... Gut! ... O! ... Sehr gut!

– Wie ... sehr gut?

– Ja ... Mrs. Branican ... Sehr gut! ... Ich auch ... ich suche auch ...

– Ihre Frau?

– O ... nicht verheiratet! ... Wenn ich meine Frau verloren hätte, so würde ich sie nicht suchen.

– Also warum?

– Um einen ... Hut zu finden!

– Einen Hut ... Sie haben Ihren Hut verlegt?

– Meinen Hut? ... Nein! ... Den Hut ... Ich weiß schon! ... Meine Empfehlung an Mrs. Branican ... Gut! ... O! ... Sehr gut!«

Die Lippen Jos Meritt's schlossen sich und ließen keine Silbe mehr heraus.

»Das ist ein reiner Narr,« sagte Zach Fren für sich und ging weiter.

Als Dolly auf das Verdeck kam, ging Zach Fren auf sie zu und beide setzten sich dem Engländer gegenüber. Dieser rührte sich nicht mehr. Da er Zach Fren beauftragt hatte, Mrs. Branican seine Empfehlung darzubringen, hielt er es ohne Zweifel nicht mehr für nöthig, es noch selbst zu thun.

Uebrigens bemerkte Dolly gar nicht diesen sonderbaren Passagier, denn sie hatte mit Zach Fren eine wichtige Unterredung über alle Vorbereitungen zu der Expedition, die sofort nach der Ankunft in Adelaïde in Angriff genommen werden sollte, um keinen Tag, keine Stunde zu verlieren. Es war nothwendig, daß die Expedition die Länder von Central-Australien wenn möglich schon durchzogen habe, bevor dieselben unter der ungeheuren Hitze der tropischen Zone trockengelegt waren.

Sie sprach von John und seiner unüberwindlichen Energie, spielte aber gar nicht auf Godfrey an, so daß Zach Fren schon glaubte, daß sie anderen Sinnes geworden sei, als sie plötzlich sagte:

»Ich habe heute den jungen Matrosen noch nicht gesehen ... Haben Sie ihn gesehen, Zach?

– Nein, erwiderte dieser enttäuscht.

– Vielleicht könnte ich etwas für dieses Kind thun?«

Sie wollte von dem Knaben in gleichgiltigem Tone sprechen, aber Zach durchblickte sie.

»Für diesen Knaben? antwortete er. O, er hat eine ganz hübsche Stellung ... In einigen Jahren wird er Hochbootsmann sein ...

– Da liegt nichts daran! Er interessirt mich ... in einem Punkte ... Aber auch die Aehnlichkeit, ja! ... Diese auffallende Aehnlichkeit zwischen John und ihm ... Und dann würde Wat ... jetzt gerade so alt sein!«

Bei diesen Worten wurde Dolly bleich; ihre Stimme erzitterte und ihr Blick ruhte so fragend auf Zach Fren, daß dieser die Augen niederschlug.

Dann fuhr sie fort:

»Sie werden mir ihn am Nachmittag vorstellen, Zach ... Vergessen Sie es nicht ... Ich will mit ihm sprechen ... Wir schiffen uns morgen aus ... Wir werden ihn nie mehr sehen ... und bevor ich den ›Brisbane‹ verlasse ... will ich wissen ... ja, ich will wissen ...«

Zach Fren mußte Dolly versprechen, ihr Godfrey vorzustellen; dann zog sie sich in ihre Cabine zurück.

Der Hochbootsmann ging beunruhigt auf dem Verdeck hin und her, bis der Kellner zum zweiten Frühstück läutete. Er wäre beinahe an den Engländer gestoßen, der auf das Glockenzeichen in rhythmischen Schritten der Treppe zuging.

»Gut! ... O! ... Sehr gut! sagte Jos Meritt. Sie haben ... auf meine Bitte ... meine Huldigungen ... Ihr Gatte verschwunden ... Sehr gut! ... Gut! ... O! ... Sehr gut!«

Dann ging er fort und nahm seinen gewöhnlichen Platz im Dining Room ein ... versteht sich, den besten und den nächsten der Küche, um sich die besten und schönsten Stücke nehmen zu können.

Gegen drei Uhr fuhr der »Brisbane« am Cap Nelson vorüber und nahm dann die Richtung gegen Norden, indem er sich ziemlich nahe der Küste von Südaustralien hielt. In dieser Zeit setzte Zach Fren Godfrey in Kenntniß, daß Mrs. Branican mit ihm zu sprechen wünsche.

»Mit mir zu sprechen?« rief der Schiffsjunge.

Er gerieth darüber so in Aufregung, daß er sich an die Brüstung anklammern mußte, um nicht zu fallen. Godfrey wurde nun von Zach Fren in die Cabine der Mrs. Branican geführt.

Sie sah ihn einige Zeit an. Er stand vor ihr, die Mütze in der Hand. Zach Fren lehnte sich an die Thüre und betrachtete beide ängstlich, denn er wußte zwar, was Dolly fragen werde, es war ihm aber unbekannt, was der Bursche antworten würde.

»Mein Kind, sagte Mrs. Branican, ich möchte gern wissen ... aus welcher Familie Sie stammen ... Wenn ich danach frage ... so geschieht es aus Interesse für Ihre Lage ... Wollen Sie mir antworten?

– Sehr gern, Mistreß, erwiderte Godfrey mit zitternder Stimme.

– Wie alt sind Sie? fragte Dolly.

– Ich weiß es nicht genau, aber so zwischen vierzehn und fünfzehn Jahren.

– So ... zwischen vierzehn und fünfzehn ... und seit wann sind Sie auf dem Meere?

– Ich bin mit ungefähr acht Jahren als Schiffsjunge eingetreten, und seit zwei Jahren bin ich Matrose.

– Haben Sie große Reisen gemacht?

– Ja, Mistreß. Auf dem Stillen Ocean bis nach Asien ... und auf dem Atlantischen Ocean bis nach Europa.

– Sind Sie ein Engländer?

– Nein, ich bin Amerikaner.

– Wie kommen Sie da auf ein englisches Dampfboot?

– Das Schiff, auf dem ich war, wurde nach Sydney verkauft. Da ich nun ohne Stellung war, so ging ich auf dieses Schiff, indem ich auf eine Gelegenheit warte, wieder in die Dienste eines amerikanischen treten zu können.

– Gut, mein Kind, sagte Mrs. Branican, indem sie ihm ein Zeichen gab, näher zu treten. Godfrey gehorchte.

– Nun möchte ich wissen, wo Sie geboren sind.

– Zu San-Diego, Mistreß.

– Ja, zu San-Diego,« wiederholte Dolly, ohne überrascht zu sein, als wenn sie diese Antwort schon geahnt hätte.

Zach Fren konnte kaum erwarten, was er jetzt hören werde.

»Ja, zu San-Diego, wiederholte Godfrey. O, ich kenne Sie sehr gut ... Ja, ich kenne Sie ... Als ich erfuhr, daß Sie nach Sydney kämen, da freute ich mich ... Wenn Sie wüßten, wie ich mich für den Capitän John Branican interessire!«

Dolly nahm den jungen Matrosen bei der Hand und schwieg. Dann fragte sie, woraus man deutlich ihre Zerstreuung ersehen konnte:

»Wie heißen Sie?

– Godfrey.

– Godfrey ist Ihr Taufname ... Doch wie lautet Ihr Zuname?

– Ich habe keinen anderen Namen.

– Ihre Eltern?

– Ich habe keine Eltern.

– Keine Eltern, wiederholte sie. Sie sind erzogen worden ...?

– Im Wat-House, erwiderte Godfrey. Ja, Mistreß, und unter Ihrer Leitung. O, ich habe Sie oft gesehen, wenn Sie Ihre Kinder im Hospiz besuchten. Sie sahen mich nicht unter den vielen Kleinen, aber ich sah Sie ... Ich hätte Sie küssen mögen ... Da ich zur See gehen wollte, so trat ich, als ich alt genug war, als Schiffsjunge ein ... Auch andere Waisenkinder aus dem Wat-House sind zur See gegangen ... Und wir werden nie vergessen, was wir der Mrs. Branican ... unserer Mutter, schulden! ...

– Ihrer Mutter,« rief Dolly zitternd aus, wie wenn dieses Wort ihr ins Innerste gedrungen wäre.

Sie zog Godfrey an sich ... sie bedeckte ihn mit Küssen ... er küßte sie wieder ... er weinte ... Zwischen ihr und ihm war ein neues Band geknüpft worden.

Um Mitternacht fuhr der »Brisbane« um das Cap Otway.

Bestürzt sah Zach Fren auf diese Scene und murmelte:

»Die arme Frau! ... Die arme Frau! ... Wohin soll das führen?«

Mrs. Branican erhob sich und sagte:

»Gehen Sie, Godfrey! ... Gehen Sie, mein Kind! ... Ich werde Sie wiedersehen ... Ich muß jetzt allein sein.«

Sie sah ihn noch einmal an, dann ging der Matrose fort.

Zach Fren wollte ihm folgen, als Dolly ihn durch eine Handbewegung zurückhielt.

»Hochbootsmann Zach Fren, nicht wahr?

»Zach, sagte sie in abgebrochenen Worten, die von ihrer großen Aufregung zeugten, dieses Kind wurde mit den Findelkindern im Wat-House erzogen ... Es wurde in San-Diego geboren ... Es ist vierzehn bis fünfzehn Jahre alt ... Zug für Zug gehören John. Seine entschlossene Haltung, seine freie Miene ... seine Vorliebe für das Meer ... das ist der Sohn eines Seemannes ... das ist der Sohn Johns ... das ist mein Sohn ...! Man glaubte, daß der Golf von San-Diego das arme kleine Wesen für immer verschlungen hätte ... Aber er war nicht todt ... man rettete ihn ... seine Retter kannten seine Mutter nicht ... und seine Mutter war ich ... ich, damals wahnsinnig ... dieses Kind heißt nicht Godfrey ... es heißt Wat ... es ist mein Sohn! ... Gott wollte mir ihn wiedergeben, bevor ich seinen Vater finde.«

Zach Fren hatte Mrs. Branican zugehört, ohne zu wagen, sie zu unterbrechen, denn er sah ein, daß die unglückliche Frau dem Scheine nach nicht anders sprechen konnte. Der brave Seemann glaubte, sein Herz müßte brechen, denn er hielt es für seine Pflicht, diese Illusionen zu zerstören, Dolly von jenem Abgrunde zurückzuhalten, der sich von neuem vor ihr öffnete. Dies that er auch ohne Zögern – fast grausam.

»Mrs. Branican, sagte er, Sie täuschen sich ... Ich will nicht, ich kann es nicht zulassen, daß Sie so etwas glauben ... Jene Aehnlichkeit ist nur zufällig ... Ihr kleiner Wat ist todt ... ja, todt ... Er ist bei jenem Unfalle ertrunken, und Godfrey ist nicht Ihr Sohn ...

– Wat ist todt, rief Mrs. Branican. Wer kann das behaupten?

– Ich, Mistreß.

– Sie?

– Eine Woche nach der Katastrophe wurde in dem Golfe eine Kindesleiche an den Strand der Lomaspitze geworfen ... Ich habe sie selbst gefunden ... Ich habe Mr. William Andrew benachrichtigt ... Der kleine Wat wurde von ihm erkannt und auf dem Friedhofe von San-Diego begraben.

– Wat! ... mein kleiner Wat ... dort ... auf dem Friedhof? ... Und man sagte mir nie etwas davon?

– Nein, Mistreß, nein! erwiderte Zach Fren. Sie waren damals wahnsinnig, und als Sie nach vier Jahren wieder gesund wurden, fürchtete man ... Mr. William Andrew befürchtete ... wenn er Ihnen von neuem Schmerz bereitete ... und er schwieg! ... Aber Ihr Kind ist todt, und Godfrey kann nicht Ihr Sohn sein ... er ist es nicht.«

Dolly sank auf das Sopha, ihre Augen schlossen sich, sie sah nichts mehr um sich als Finsterniß. Sie gab Zach Fren ein Zeichen, sie allein zu lassen.

Am Morgen des 26. August, als Mrs. Branican ihre Cabine noch nicht verlassen hatte, fuhr der »Brisbane« in den Golf von Saint-Vincent ein und warf im Hafen von Adelaïde Anker.


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