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Vierzehntes Kapitel.
Weiter stromab

Am folgenden Morgen, dem 27. Juni, wurden mit Tagesanbruch die Taue gelöst, und die Jangada setzte ihre Fahrt stromab fort.

Nun eine Persönlichkeit mehr an Bord.

Wo kam dieser Torres eigentlich her? Man wußte es nicht. Und wohin wollte er? Nach Manaos, hatte er gesagt.

Torres hatte sich übrigens gehütet, weder von seiner Vergangenheit etwas ahnen zu lassen, noch von dem Gewerbe, dem er noch vor wenigen Monaten nachgegangen war, und niemand konnte ahnen, daß die Jangada einem ehemaligen Buschhauptmann Unterkunft gewährt hatte.

Joam Garral wollte nicht durch aufdringliche Fragen dem Manne, dem er eben einen Dienst erwiesen hatte, zu nahe treten.

Indem er ihn an Bord nahm, hatte der Fazendero einem Drang der Menschlichkeit nachgegeben.

Besonders zu dieser Zeit, wo noch keine Dampfer auf dem Strom verkehrten, war es sehr schwer, in diesen Amazonenwüsten sichere und schnelle Beförderungsmittel zu finden.

Fahrzeuge fuhren noch nicht regelmäßig und größtenteils war der Reisende gezwungen, zu Fuß durch die Wälder zu ziehen.

So hätte auch Torres seinen Weg zurücklegen müssen, und es war ein unverhoffter Glücksumstand, daß er an Bord der Jangada gekommen war.

Seit Benito erzählt hatte, unter welchen Umständen er Torres getroffen hatte, war der Fremdling eingeführt und konnte sich nun wie der Passagier eines transatlantischen Dampfers an dem gemeinsamen Leben beteiligen, wenn es ihm paßte, oder für sich bleiben, wenn er nicht für Geselligkeit schwärmte.

An den ersten Tagen wenigstens hatte es den Anschein, als wolle Torres keine intime Stellung zur Familie Garral einnehmen. Er hielt sich sehr zurück, antwortete, wenn er nach etwas gefragt oder angesprochen wurde, stellte aber selber nie Fragen und begann auch nie selber ein Gespräch.

Wenn er irgendwem gegenüber mehr aus sich heraus ging, so tat er es gegenüber Fragoso.

Verdankte er nicht diesem lustigen Gefährten den Einfall, auf der Jangada mitzufahren? Bisweilen fragte er ihn über die Verhältnisse der Familie Garral in Iquitos aus oder erkundigte sich, wie Braut und Bräutigam zueinander stünden, und auch dies tat er stets mit größter Vorsicht.

Größtenteils war er, wenn er nicht allein vorn auf der Jangada auf und abging, in seiner Kabine.

Die Mahlzeiten nahm er mit Joam Garral und den Seinen ein, aber an der Unterhaltung nahm er nur geringen Anteil, und gleich nach beendeter Mahlzeit zog er sich zurück.

Während des Vormittags fuhr die Jangada durch die malerische Inselgruppe, die in dem riesigen Aestuarium des Yavary liegt. Dieser wichtige Nebenfluß des Amazonenstroms verfolgt in scharf südwestlicher Richtung einen Lauf, der vom Quell bis zur Mündung von keinem Inselchen und keiner Stromschnelle unterbrochen wird. Diese Mündung ist etwa 3000 Fuß breit und liegt wenige Meilen oberhalb der Stelle, wo ehemals die Stadt gleichen Namens sich befand, um deren Eigentum sich Spanier und Portugiesen lange Zeit gestritten haben.

Bis zum 30. Juni morgens trug sich auf der Reise nichts Bemerkenswertes zu. Bisweilen begegnete man einigen Fahrzeugen, die am Ufer entlang glitten, eins ans andere gehängt, so daß ein Eingeborner allein sie alle vorwärts bewegen konnte.

» Navigar de bubina« bezeichnen die Eingeborenen diese Art zu fahren, das heißt zu deutsch »Fahrt des Vertrauens«.

Bald war man an der Insel Araria, dem Archipel der Calderon-Inseln, der Insel Eapiatu und vielen andern vorbei, deren Namen noch nicht zur Kenntnis der Geographen gelangt sind.

Am 30. Juni bezeichnete der Lotse am rechten Ufer die kleine Stadt Jurupari-Tapera, wo ein paar Stunden Halt gemacht wurde.

Manuel und Benito gingen in der Umgebung auf Jagd und brachten etwas Geflügel mit, das in der Küche freudig in Empfang genommen wurde.

Gleichzeitig war es den jungen Leuten gelungen, ein Tier zu fangen, das ein Naturforscher mit mehr Interesse betrachtet hätte, als es die Köchin der Jangada tat.

Dies war ein Vierfüßler von dunkler Farbe, der einem großen Neufundländer ähnelte.

»Ein großer Ameisenfresser!« rief Benito, indem er ihn auf die Jangada warf.

»Und zwar ein prächtiges Exemplar,« setzte Manuel hinzu, »das jedem Museum zur Zierde gereichen würde!«

»Hat es Euch Mühe gemacht, dieses seltsame Tier zu erlegen?« fragte Minha.

»Ei freilich, Schwesterchen,« antwortete Benito, »und du warst auch nicht da, um Gnade für ihn zu bitten. Ah, dieses Viehzeug hat ein zähes Leben, und es waren drei Kugeln nötig, den hier zur Strecke zu bringen.«

Dieser Ameisenfresser war prächtig mit seinem langen graugesprenkelten Schwanz, der spitzen Schnauze, die er in die Ameisenhaufen steckt: seinen langen magern Pfoten, die scharfe, 5 Zoll lange Krallen haben, welche sich wie die Finger einer Hand zusammenballen können. Aber was für eine Hand ist so eine Ameisenfresserpfote! Wenn sie etwas festhält, muß man sie abhacken, ehe sie es losläßt. Mit Recht hat der Reisende Emile Correy sagen können, »die Umklammerung dieser Krallen könne selbst einen Tiger töten«.

Nachdem die Jangada durch zahlreiche Inseln gefahren war, die zu allen Jahreszeiten in herrlichem Grün stehen und von prächtigen Bäumen beschattet sind und unter denen die Inseln Jurupari, Rita, Maracanatena und Cururu-Sapo die bedeutendsten sind, langte man am 2. Juli am Fuße von San-Pablo d'Olivenca an.

An den Mündungen mehrerer Iguarapes oder kleiner Zuflüsse mit schwarzem Wasser war man bis hierher vorbeigekommen.

Die Färbung dieses Wassers ist eine eigentümliche Naturerscheinung und einer Anzahl von Nebenflüssen, teils mehr, teils minder bedeutender, zu eigen.

Manuel machte darauf aufmerksam, wie satt der Ton dieser Farbe sei, da man sie deutlich auf der Oberfläche des weißlichen Wassers des Stromes sehen könne.

»Man hat diese Färbung auf verschiedene Weise zu erklären versucht,« sagte er, »ich glaube aber nicht, daß selbst die größten Gelehrten bis jetzt eine zufriedenstellende Erklärung gesunden haben.«

»Tiefes Wasser ist tatsächlich schwarz mit einem wunderbaren Goldschimmer,« sagte das junge Mädchen, indem sie auf eine leichte braunrote Welle zeigte, die sich an der Jangada brach.

»Ja,« erklärte Manuel, »und schon Humboldt ist ganz wie uns dieser sonderbare Schimmer aufgefallen. Aber wenn man genauer hinsieht, erkennt man, daß in dieser Färbung vor allem die Farbe des Tintenfisches vorherrscht.«

»Schön!« rief Benito, »also schon wieder ein Phänomen, über das die Gelehrten sich nicht einig sind.«

»Vielleicht könnte man da um Rat fragen bei den Kaimans, Delphinen und Lamantinen,« bemerkte Fragoso, »denn diese treiben sich mit Vorliebe in dem schwarzen Gewässer herum.«

»Das steht fest, daß diese Tiere sich besonders dorthin ziehen,« antwortete Manuel. »Aber warum? Das läßt sich nicht leicht sagen. Rührt diese Färbung nun daher, daß dieses Wasser eine Lösung von Kohlenwasserstoff enthält; oder auch daher, daß es über Torfboden und Kohlen- und Anthrazit-Lager fließt; oder sollte man nicht die Ursache in der riesigen Menge an mikroskopischen Pflanzen, die diese Gewässer mit sich führen, zu suchen haben? vergl. Alexander von Humboldts Mitteilungen.Darüber ist nichts Gewisses bekannt. Jedenfalls ist das Wasser ausgezeichnet zu trinken, von angenehmer Frische in diesem Klima, ohne Nachgeschmack, und nicht im geringsten schädlich. Nimm ein wenig und trinke davon, meine liebe Minha, du kannst es ohne Schaden tun.«

Das Wasser war wirklich klar und frisch. Es hätte die so viel begehrten Tafelwasser in Europa ersetzen können. Ein paar Eimer wurden für den Gebrauch in der Küche geschöpft.

Wie gesagt, war am 2. Juli morgens die Jangada in San Pablo d'Olivenca angelangt, wo Rosenkränze zu Tausenden hergestellt werden, deren Perlen aus den Schalen des » loco de piassaba« gemacht werden. Hiermit wird ein schwunghafter Handel getrieben.

Vielleicht erscheint es sonderbar, das; die ehemaligen Beherrscher dieses Landes, die Tupinambas, die Tupiniquis, dahin gelangt sind, die Fabrikation dieser Gegenstände des katholischen Kultus zu ihrer Hauptbeschäftigung zu machen. Aber diese Indianer sind eben nicht mehr die Indianer von ehedem.

Anstatt das Nationalkostüm zu tragen mit dem Stirnschmuck von Arasfedern, Bogen und Sarbacanen, haben sie die amerikanische Kleidung angenommen, die weiße Hose und den baumwollnen Puncho, den ihre in dieser Arbeit sehr gewandten Frauen weben.

San Pablo d'Olivenca, eine ziemlich bedeutende Stadt, zählt gegen 2000 Einwohner, die aus allen Nachbarstämmen zusammengewürfelt sind.

Jetzt die Hauptstadt des obern Amazonas, war sie im Anfang nur eine einfache Mission, die von portugiesischen Karmelitern gegen 1692 gegründet und dann von Jesuitenmissionaren weiter ausgebaut wurde.

Ursprünglich war hier das Land der Omaguas, deren Name »Plattköpfe« bedeutet. Diesen Namen verdankten sie der barbarischen Sitte der eingebornen Mütter, den Kopf ihrer Neugebornen zwischen zwei Brettchen zu pressen, damit sie einen länglichen Schädel bekämen, was sehr Mode war.

Aber wie all diese Gebräuche hat sich auch dieser verloren; die Köpfe haben wieder ihre natürliche Form und von der ehemaligen Mißbildung findet man an den Schädeln dieser Rosenkranz-Fabrikanten keine Spur mehr.

Die ganze Familie mit Ausnahme Joam Garrals ging an Land. Auch Torres zog es vor, an Bord zu bleiben, und bekundete nicht das mindeste Verlangen, San Pablo d'Olivenca anzusehen, das er doch auch nicht zu kennen schien.

Wenn dieser Abenteurer auch schweigsam war, so mußte man jedesfalls doch zugeben, daß er nicht neugierig war.

Benito konnte leicht Tauschgeschäfte machen und so die Ladung der Jangada vervollständigen. Seine Familie und er wurden sehr zuvorkommend aufgenommen von den höhern Beamten der Stadt, dem Platzkommandanten und dem Zollhauptmann, die bei ihren amtlichen Obliegenheiten es nicht verschmähten, Handel zu treiben.

Sie vertrauten dem jungen Kaufmann sogar verschiedene Landesprodukte an, die in Manaos oder Belem auf ihre Rechnung verkauft werden sollten.

Die Stadt bestand aus etwa 60 Häusern auf einem Plateau, das an dieser Stelle das Stromufer überragte.

Einige dieser Hütten waren mit Ziegeln gedeckt – eine große Seltenheit in diesen Gegenden; dafür aber war die bescheidene Kirche, die Sankt Peter und Sankt Paulus geweiht war, nur durch Strohdach geschützt, das eher für den Stall von Bethlehem gepaßt hätte als für ein Gotteshaus in einem der katholischsten Länder der Welt.

Der Kommandant, sein Leutnant und der Polizeichef nahmen die Einladung, auf der Jangada zu speisen, an, und wurden von Joam Garral mit der Achtung empfangen, die ihrem Range gebührte.

Während dieser Mahlzeit zeigte sich Torres gesprächiger als sonst. Er erzählte von einem seiner Ausflüge ins Innre Brasiliens wie einer, der das Land ganz genau kennt.

Aber während Torres von seinen Reisen sprach, vergab er nicht, den Kommandanten zu fragen, ob er Manaos kenne, ob sein Kollege jetzt dort zugegen sei, ob der Landrichter und der oberste Verwalter der Provinz zur heißen Jahreszeit zu verreisen pflegten.

Es schien, als ob Torres von unten her Joam Garral beobachtete, während er diese Fragen stellte.

Dies fiel sogar Benito auf, der sich darüber wunderte. Auch bemerkte er, daß sein Vater ganz besonders auf die Fragen hörte, die Torres stellte.

Der Kommandant von San Pablo d'Olivenca versicherte dem Abenteurer, daß die Beamten zur Zeit nicht von Manaos abwesend seien, und trug sogar Joam Garral auf, ihnen seine Empfehlungen auszurichten.

Aller Wahrscheinlichkeit traf die Jangada spätestens in 7 Wochen zwischen dem 20. und 25. August in dieser Stadt ein.

Gegen Abend nahmen die Gäste des Fazendero Abschied von der Familie, und am folgenden Tag, dem 3. Juli, setzte die Jangada ihre Fahrt fort.

Mittags blieb zur Linken die Mündung des Yacurupa liegen. Dieser Nebenfluß ist eigentlich ein richtiger Kanal, da er sein Wasser in den Ica ergießt, der selber ein linker Nebenfluß des Amazonenstromes ist. Es ist eine eigentümliche Erscheinung, daß stellenweise der Strom seine eignen Zuflüsse speist.

Gegen drei Uhr passierte die Jangada die Mündung des Yandiatuba, der von Südwesten her sein prächtiges schwarzes Wasser bringt und in einer Mündung von 400 Metern in den Strom ergießt, nachdem er das Gebiet der Culinos-Indianer bewässert hat.

An vielen Inseln kam man vorbei: Pimaticaïra, Caturia, Chico, Motachina, teils bewohnt, teils verlassen, alle aber mit prächtiger Vegetation, die gleichsam eine ununterbrochene Guirlande von Grün den ganzen Amazonenstrom entlang bildet.


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