Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.
Torres

Um 5 Uhr abends war Fragoso noch da. Er konnte nicht mehr und fragte sich schon, ob er nicht hier über Nacht bleiben müsse, um die Schar der Harrenden zu befriedigen.

In diesem Augenblicke betrat ein Fremder den Platz und schritt, als er diese Versammlung von Eingeborenen erblickte, an die Schenke heran.

Ein Weilchen betrachtete dieser Fremde Fragoso mit Aufmerksamkeit. Ohne Zweifel befriedigte ihn das Examen, denn er trat in die Loggia ein.

Der Mann war etwa 35 Jahre alt. Er trug ein elegantes Reisekostüm, das ihm sehr vorteilhaft stand. Aber sein starker schwarzer Bart, der sicherlich lange keine Schere gesehen hatte, und sein langes Haar bedurften dringend der Pflege eines guten Friseurs.

»Guten Tag, Freundchen, guten Tag!« sagte der Fremde, indem er Fragoso leicht auf die Schulter klopfte.

Als Fragoso diese Worte in reinem Brasilianisch hörte, drehte er sich um.

»Ein Landsmann?« fragte er, ohne in der Arbeit inne zu halten, die ihm eben der widerhaarige Kopf einer Mayoruna-Jndianerin machte.

»Ja,« antwortete der Fremde, »ein Landsmann, der Ihrer Dienste bedarf.«

»Gern! sofort!« sagte Fragoso, »sobald ich mit »Madame« hier fertig bin.«

Das war mit zwei Zügen des Brenneisens getan.

Obgleich der zuletzt Angekommene nicht das Recht auf den leeren Platz hatte, setzte er sich doch auf den Schemel, und von den Eingeborenen erhob niemand Wiederspruch.

Fragoso legte das Brenneisen weg und griff zur Schere. Gemäß der Gepflogenheit seiner Kollegen fragte er dann:

»Was wünscht der gnädige Herr?«

»Bart und Haar schneiden,« antwortete der Fremde.

»Zu dienen!« sagte Fragoso und fuhr mit dem Kamm in das dichte Haar seines Kunden.

Und sogleich begann die Schere ihre Arbeit.

»Sie kommen weither?« fragte Fragoso, der beim Arbeiten immer fleißig sprechen mußte.

»Ich komme aus der Gegend von Iquitos.«

»Sieh da, ganz wie ich!« rief Fragoso, »ich bin den Amazonenstrom von Iquitos bis Tabatinga hinuntergefahren! Darf man nach Ihrem werten Namen fragen?«

»O bitte sehr,« antwortete der Fremde, »ich heiße Torres.«

Als das Haar des Kunden nach der neuesten Mode geschnitten worden war, begann Fragoso ihm den Bart zu stutzen: aber als er ihm in diesem Augenblick genau ins Gesicht sah, stutzte er, setzte dann seine Arbeit fort und sagte endlich:

»Ei, Signor Torres, ich weiß nicht recht – ich glaube, ich kenne Sie von früher – haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen?«

»Glaub's nicht!« antwortete Torres lebhaft.

»Dann irre ich mich,« antwortete Fragoso.

Und er schickte sich an, seine Tätigkeit zu vollenden.

Ein Weilchen darauf erneuerte Torres das Gespräch, das durch Fragosos Frage unterbrochen worden war.

»Wie sind Sie von Iquitos gekommen?«

»Von Iquitos nach Tabatinga?«

»Ja.«

»An Bord eines Holzschleppzuges, auf dem mich ein würdiger Fazendero, der mit seiner ganzen Familie den Amazonas hinunterfährt, mitgenommen hat.«

»Ah, sieh da, Freundchen!« rief Torres. »Das nenn ich es gut treffen, und wenn Ihr Fazendero auch mich mitnehmen wollte –«

»Sie haben also auch die Absicht, stromabwärts zu reisen?«

»Freilich.«

»Bis Para?«

»Nein, nur bis Manaos, wo ich zu tun habe.«

»Nun, mein Wirt ist ein liebenswürdiger Mann, und ich glaube, er würde Ihnen gern diesen Dienst erweisen.«

»Glauben Sie?«

»Ich möchte sagen, ich bin davon überzeugt!«

»Und wie heißt dieser Fazendero?« fragte Torres gleichgültig.

»Joam Garral,« antwortete Fragoso.

Dabei murmelte er bei sich:

»Dieses Gesicht habe ich sicher irgendwo gesehen.«

Torres war nicht der Mann, ein Gespräch fallen zu lassen, das ihn nicht ohne Grund zu interessieren schien.

»Sie glauben also,« fragte er weiter, »daß Joam Garral mich auch mitnehmen würde?«

»Ich wiederhole, daß ich nicht daran zweifle,« antwortete Fragoso. »Was er für einen armen Teufel wie mich getan hat, das wird er Ihnen, einem Landsmann, nicht abschlagen.«

»Ist er allein an Bord dieser Jangada?«

»Nein,« versetzte Fragoso, »ich sagte Ihnen bereits, daß er mit seiner ganzen Familie reist – lauter brave Menschen, versichre ich Ihnen – und eine Mannschaft von Indianern und Schwarzen begleitet ihn.«

»Ist der Fazendero reich?«

»Gewiß,« antwortete Fragoso, »sehr reich. »Schon das Flößholz und die Ladung machen ein Vermögen aus.«

»Also hat Joam Garral mit seiner ganzen Familie die brasilianische Grenze überschritten?« fuhr Torres fort.

»Jawohl,« entgegnete Fragoso, »mit seiner Frau, seinem Sohn, seiner Tochter, und dem Bräutigam von Fräulein Minha.«

»Ah! Eine Tochter hat er auch?« fragte Torres.

»Ein reizendes Mädchen.«

»Und sie will sich verheiraten?«

»Ja, mit einem braven jungen Menschen,« antwortete Fragoso, »einem Militärarzt in der Garnison von Belem, mit dem sie gleich nach Beendigung der Reise getraut werden soll.«

»Sehr gut,« sagte Torres lächelnd, »man könnte das also eine Brautreise nennen.«

»Eine Brautreise, eine Vergnügungsreise und eine Geschäftsreise!« antwortete Fragoso. »Signora Yaquita und ihre Tochter haben noch nie brasilianisches Gebiet betreten, und auch Joam geht zum erstenmal über die Grenze hinüber, seit er auf die Farm des alten Magalhaes gekommen ist.«

»Ich nehme auch an,« sagte Torres, »daß die Familie von mehreren Dienern begleitet ist?«

»Gewiß,« versetzte Fragoso, »da ist die alte Cybele, die schon seit 50 Jahren auf der Farm ist, dann eine muntere Mulattin, Jungfer Lina, die eher die Gefährtin als die Dienerin ihrer jungen Herrin ist. Ach! was für ein reizendes Geschöpf! Was für ein Herz und was für Augen! Und auf was für Einfälle sie manchmal kommt, besonders was die Lianen anbetrifft ...«

Fragoso hätte, einmal an diesem Punkte angelangt, sicher sobald nicht aufgehört, und Lina wäre sicherlich der Gegenstand begeisterter Lobpreisungen gewesen, wenn Torres nicht vom Schemel aufgestanden wäre und einem andern Kunden Platz gemacht hätte.

»Was bin ich schuldig?« fragte er den Barbier.

»Nichts,« versetzte Fragoso. »Unter Landsleuten, die sich an der Grenze treffen, kann davon keine Rede sein.«

»Ich möchte aber doch –« begann Torres.

»Schön, dann rechnen wir später ab, an Bord der Jangada.«

»Aber ich weiß nicht,« erwiderte Torres, »ob ich es wagen darf, Joam Garral darum zu bitten –«

»Machen Sie sich keine Kopfschmerzen!« rief Fragoso. »Ich werde mit ihm darüber sprechen, wenn Ihnen das lieber ist, und er wird sich sehr glücklich schätzen, Ihnen damit von Nutzen sein zu können.«

In diesem Augenblick erschienen Manuel und Benito, die nach dem Mittagstisch in die Stadt gegangen waren, auf dem Platz vor der Schenke. Sie wünschten Fragoso in seiner berufsmäßigen Tätigkeit zuzusehen.

Torres hatte sich nach ihnen umgedreht und rief plötzlich:

»Ah, da kommen zwei Männer, die ich kenne oder vielmehr wiedererkenne.«

»Sie haben die beiden schon gesehen?« fragte Fragoso erstaunt.

»Ganz gewiß!! Sie haben mir einmal im Walde von Iquitos aus großer Verlegenheit geholfen.«

»Aber das ist ja gerade Benito Garral und Manuel Valdez.«-

»Ich weiß. Sie haben sich mir vorgestellt, aber ich hatte nicht erwartet, sie hier wieder zu treffen.«

Torres trat jetzt auf die jungen Männer zu, die ihn ansahen, ohne ihn wiederzuerkennen.

»Sie erinnern sich meiner nicht, meine Herren?« fragte er sie.

»Warten Sie,« antwortete Benito. »Herr Torres, wo mir recht ist. Sie waren der Herr, der im Walde von Iquitos einige Schwierigkeiten hatte mit einem Guariba?«

»Ganz recht, meine Herren,« erwiderte Torres. »Seit sechs Wochen wandere ich den Amazonenstrom hinab und bin zur selben Zeit wie Sie über die Grenze gekommen.«

»Freut mich sehr. Sie wiederzusehen,« sagte Benito, »aber Sie haben doch wohl nicht vergessen, daß ich Sie auf die Fazenda meines Vaters eingeladen habe?«

»Keineswegs,« antwortete Torres.

»Und Sie hätten ruhig meine Einladung annehmen können, mein Herr! Dann hätten Sie bis zu unserer Abreise warten und sich die Strapazen eines so langen Marsches sparen können. Denn wir hätten Sie bis zur Grenze mitgenommen.«

»Allerdings,« sagte Torres.

»Unser Landsmann will noch weiter,« mischte sich Fragoso ein, »er will bis Manaos.«

»Nun, wenn Sie mit an Bord der Jangada kommen wollen,« sagte Benito, »so werden Sie gern aufgenommen werden, und ich bin überzeugt, daß mein Vater es als seine Pflicht ansehen wird, Sie mitzunehmen.«

»Sehr gern!« antwortete Torres, »und Sie erlauben mir wohl, Ihnen schon im voraus zu danken?«

Manuel hatte an der Unterhaltung nicht teilgenommen. Er ließ den liebenswürdigen Benito sein Anerbieten stellen und beobachtete aufmerksam Torres, dessen Gesicht ihm gar nicht gefiel. Den Augen dieses Mannes fehlte es in der Tat völlig an Offenheit, sein Blick wich beständig aus, als scheue er sich, einen festen Punkt zu nehmen. Aber Manuel behielt diesen Eindruck für sich, da er einem Landsmann, dem eine Gefälligkeit erwiesen werden sollte, nicht schaden wollte.

»Meine Herren,« sagte Torres, »wenn es Ihnen recht ist, bin ich bereit, Ihnen zu folgen.«

»Kommen Sie!« sagte Benito.

Eine Viertelstunde später war Torres an Bord der Jangada. Benito stellte ihn Joam Garral vor, indem er ihm erzählte, unter welchen Umständen er ihn schon einmal gesehen hätte, und fragte, ob Torres bis Manaos mitfahren könne.

»Ich schätze mich glücklich, Ihnen diesen Dienst erweisen zu können,« antwortete Joam Garral.

»Ich danke Ihnen,« sagte Torres.

Schon wollte er dem Fazendero die Hand hinstrecken, aber unwillkürlich hielt er inne.

»Morgen bei Tagesanbruch fahren wir ab,« setzte Joam Garral hinzu, »Sie haben also Zeit, sich an Bord einzurichten.«

»O, das wird bald geschehen sein!« erwiderte Torres. »Wie ich gehe und stehe – das ist alles.«

»Sie sind hier zu Hause,« sagte Joam Garral.

Noch am selben Abend bezog Torres eine Kabine neben derjenigen des Barbiers.

Erst um 8 Uhr kehrte dieser zur Jangada zurück und stattete der jungen Mulattin Bericht darüber ab, wieviel er eingenommen habe. Nicht ohne einigen Stolz teilte er ihr mit, das? der Ruf des berühmten Fragoso im Becken des obern Amazonas noch zu voller Blüte gedeihen werde.


 << zurück weiter >>