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Buchschmuck

Erstes Kapitel.
Ein Buschhauptmann

» Hstbjuookhihyujjchvggxelepcsuhruczcvyqfifuiu otsgyqiifuqlnnudvluhihrhuppuxhfjtnsqxtjvfhifojiqpf dkxvbbflyqfexdrckltwiqlfoxeuchiwdhjsixrggwuvifjx azeqbnhlwwpndkxmqfngenqxudyqijshgkvevpxrfjwhv xtyflpwutogiupndkhhtjmhrggafuadnyvqkvdjbpxhfjtg mdofowihbnsnwlembophksehvkkjspmwfjnzektjoqepg sahmfjsfwsuvjhd.«

Der Mann, der das Schriftstück in der Hand hielt, dessen letzten Absatz diese bizarre Buchstabenzusammenstellung bildete, hielt nachdenklich inne, nachdem er nochmals aufmerksam gelesen hatte.

Das Schriftstück enthielt etwa hundert solcher nicht einmal in Worte eingeteilten Zeilen und schien schon vor vielen Jahren geschrieben worden zu sein, denn das dicke Papier, das diese Hieroglyphen bedeckten, war schon verschrumpft und vergilbt.

Aber nach welchem Grundsatze waren diese Buchstaben zusammengestellt worden? Dieser Mann allein hätte es sagen können. In der Tat sind diese chiffrierten Schriften mit den Schlössern der modernen eisernen Schränke zu vergleichen. Sie sind in derselben Weise gesichert. Die Kombinationen, die sie darstellen, zählen nach Milliarden, und das Leben eines Rechenmeisters würde nicht hinreichen, sie alle aufzuzeichnen. Man muß das »Wort« haben, um den sichern Verschluß öffnen zu können, und um ein Kryptogramm dieser Art lesen zu können, muß man die »Chiffer« haben. Dieses Kryptogramm aber sollte, wie sich zeigen wird, allen noch so sinnreichen Versuchen einer Lösung, und zwar unter den kritischsten Verhältnissen Widerstand leisten.

Der Mann, der dieses Schriftstück gelesen hatte, war ein einfacher Buschhauptmann.

In Brasilien versteht man unter der Bezeichnung »Capitães do mato« die Beamten, denen die Verfolgung flüchtiger Neger obliegt. Diese Einrichtung datiert vom Jahre 1722. Zu dieser Zeit war der Gedanke an die Abschaffung der Sklaverei erst in den Köpfen einiger Philanthropen erwacht. Noch sollte über ein Jahrhundert verfließen, ehe die zivilisierten Völker diesen Gedanken annahmen und ausführten. Es scheint jedoch ein Recht und zwar das erste der natürlichen Rechte zu sein, daß der Mensch frei sei und sich selber gehöre, und doch waren tausend Jahre verflossen, ehe einigen Nationen der edle Gedanke kam, dieses Recht zu proklamieren.

Im Jahre 1852 – in diesem Jahre spielt die folgende Geschichte – gab es noch Sklaven in Brasilien und demzufolge auch Buschkapitäne, die auf sie Jagd machten. Gewisse staatsökonomische Gründe hatten die Stunde der allgemeinen Emanzipation verzögert; aber schon hatte der Schwarze das Recht, sich loszukaufen, und schon waren dann seine Kinder auch frei. Also war der Tag nicht mehr fern, an welchem dieses herrliche Land, das drei Vierteile von ganz Europa in sich aufnehmen könnte, unter seinen 10 Millionen Einwohnern nicht einen Sklaven mehr zählen sollte.

In Wahrheit stand das Amt der Buschkapitäne schon auf dem Aussterbe-Etat, und die Verhaftung der Flüchtlinge brachte zu dieser Zeit erheblich weniger ein als ehedem. Wenn nun während der langen Zeit, in welcher dieses Gewerbe ziemlich ertragreich war, die Buschkapitäne eine Schar von Abenteurern bildeten, die sich im großen und ganzen nur aus nicht sonderlich geachteten und gut beleumdeten Freigelassenen und Deserteuren zusammensetzte, so versteht es sich von selbst, daß zu unserer Zeit diese Sklavenjäger dem Abschaum der Gesellschaft angehörten, und wahrscheinlich war der Mann mit dem Schriftstück ein würdiger Vertreter aus den heruntergekommenen Reihen der »Capitães do mato«.

Dieser Torres nun – so nannte er sich – war kein Mestize und kein Indianer und auch kein Schwarzer, wie die Mehrzahl seiner Kameraden, sondern ein Weißer von brasilianischer Herkunft, der ein wenig mehr Bildung empfangen hatte, als für seine derzeitige Stellung erforderlich war. In der Tat dürfte man in ihm nur einen jener Ausgestoßenen erblicken, denen man in den fernen Gegenden der neuen Welt so oft begegnet, und wenn zu einer Zeit, wo das brasilische Gesetz noch von gewissen Aemtern die Mulatten und auch andere Mischlinge ausschloß, dieses Gesetz auf ihn angewendet worden war, so konnte der Grund hierzu nicht in seiner Abkunft, sondern nur in seinem persönlichen Unwert liegen.

In diesem Augenblick war Torres übrigens nicht mehr in Brasilien. Er hatte vor kurzem die Grenze überschritten und streifte seit einigen Tagen in den Wäldern von Peru umher, durch deren Mitte der obere Amazonas seinen Lauf nimmt.

Torres war ein Mann von etwa 30 Jahren und von guter Statur, auf die, dank außergewöhnlichem Temperament und eiserner Gesundheit, die Strapazen einer problematischen Existenz anscheinend ohne Einwirkung geblieben waren.

Er war von mittlerem Wuchs und breitschultrig, hatte regelmäßige Züge und einen festen Gang. Sein von der brennenden Tropenluft gebräuntes Gesicht war von einem dichten schwarzen Bart umrahmt. Die Brauen standen dicht zusammen, und die darunter versteckten Augen hatten den lebhaften, doch harten und trocknen Blick eines schamlosen, unverfrorenen Menschen. Schon zur Zeit, wo das Klima ihn noch nicht bronzen gefärbt, hatte er das Erröten nicht gekannt, und nur unterm Einfluß böser Leidenschaften hatte sein Gesicht sich verzogen.

Torres war nach der ziemlich urwüchsigen Art der Buschklepper gekleidet. Seinem Anzug sah man es an, daß er ihn schon ziemlich lange trug. Auf dem Kopf hatte er einen breitkrempigen ledernen Hut, eine Hose aus grober Wolle verlor sich in den Schäften derber Stiefel, die den solidesten Bestandteil dieses Kostüms bildeten; über dem allen trug er einen verschossenen gelblichen Puncho, der weder von seiner Weste noch von der Jacke über der Brust etwas sehen ließ.

Wenn Torres auch ein Buschkapitän war, so schien er doch wenigstens gegenwärtig dieses Amtes nicht mehr zu walten. Dies war daraus zu schließen, daß er völlig unzureichend mit Verteidigungs- oder Angriffswaffen versehen war, um die Schwarzen zu verfolgen. Keine Feuerwaffe, weder Büchse noch Revolver, hatte er. Nur im Gürtel hatte er eine jener Waffen, die mehr einem Säbel, als einem Jagdmesser gleichen und die man » manchetta« nennt. Außerdem hatte Torres noch eine » enchada«, eine Art Axt, die besonders auf der Jagd auf Gürteltiere und Agutis verwendet wird – welche Tiere in den Wäldern des obern Amazonas, wo eigentlich wilde Tiere wenig zu befürchten sind, in großer Zahl vorkommen.

Jedesfalls war an diesem Tage, dem 4. Mai 1852, dieser Abenteurer auffallend vertieft in das Schriftstück, auf das seine Augen geheftet waren, oder er war schon zu sehr daran gewöhnt, diese Wälder Südamerikas zu durchstreifen, als daß die Pracht der Natur noch Reiz für ihn hätte haben sollen. Nichts konnte ihn von seiner Beschäftigung ablenken: weder der langgezogene Ruf der Brüllaffen, den Saint Hilaire Geoffroy Saint-Hilaire, französischer Naturforscher (1772-1844). Seine reichhaltigen Sammlungen waren berühmt und gaben seinerzeit Anlaß zu Streitigkeiten zwischen Frankreich und Portugal. A. d. Ü. sehr richtig mit dem Dröhnen der Art des Holzfällers vergleicht; – noch das trockene Klirren der Ringe einer Klapperschlange, die allerdings kaum je den Menschen angreift, aber doch außerordentlich giftig ist; – noch die kreischende Stimme der gehörnten Kröte, die in der Klasse der Reptilien den Preis der Häßlichkeit davonträgt; – noch auch das sonore Gequak des Ochsenfrosches, der zwar an Größe nicht an das Rind heranreicht, es aber an Kraft der Stimme noch übertrifft.

Von all dem Gelärm, das sozusagen die Gesamtstimme der Wälder der neuen Welt bildet, vernahm Torres nichts.

Eine sehr interessante Schilderung der Tierstimmen im Urwalde giebt Alexander von Humboldt:

»Die Nacht war still und heiter, und der Mond schien herrlich. Die Krokodile lagen am Ufer; sie hatten sich so gelegt, das; sie das Feuer sehen konnten. Wir glauben bemerkt zu haben, daß der Glanz desselben sie herlockt, wie die Fische, die Krebse und andere Wassertiere. Die Indianer zeigten uns im Sand die Fährten dreier Tiger, darunter zweier ganz jungen. Ohne Zweifel hatte hier ein Weibchen seine Jungen zum Trinken an den Fluß geführt. Da wir am Ufer keinen Baum fanden, steckten wir die Ruder in den Boden und befestigten unsere Hängematten daran. Alles blieb ziemlich ruhig bis um elf Uhr nachts; da aber erhob sich im benachbarten Wald ein so furchtbarer Lärm, daß man beinahe kein Auge schließen konnte. Unter den vielen Stimmen wilder Tiere, die zusammen schrien, erkannten unsere Indianer nur diejenigen, die sich auch einzeln hören ließen, namentlich die leisen Flötentöne der Sapajous, die Seufzer der Alouatos, das Brüllen des Tigers und des Kuguars, oder amerikanischen Löwen ohne Mähne, das Geschrei des Bisamschweins, des Faultiers, des Hocco, des Parraqua und einiger andern hühnerartigen Vögel. Wenn die Jaguars dem Waldrande sich näherten, so fing unser Hund, der bis dahin fortwährend gebellt hatte, an zu heulen und suchte Schutz unter den Hängematten. Zuweilen, nachdem es lange geschwiegen, erscholl das Brüllen der Tiger von den Bäumen herunter, und dann folgte darauf das anhaltende schrille Pfeifen der Affen, die sich wohl bei der drohenden Gefahr auf und davon machten.«

Aus »Alexander von Humboldts Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents.«

Befragt man die Indianer, warum die Tiere des Waldes zu gewissen Stunden einen so furchtbaren Lärm erheben, so geben sie die lustige Antwort: »Sie feiern den Vollmond.« Ich glaube, die Unruhe rührt meist daher, daß im innern Walde sich irgendwo ein Kampf entsponnen hat. Die Jaguars zum Beispiel machen Jagd auf die Bisamschweine und Tapirs, die nur Schutz finden, wenn sie beisammenbleiben, und in gedrängten Nudeln fliehend das Gebüsch, das ihnen in den Weg kommt, niederreißen. Die Affen, scheu und furchtsam, erschrecken ob dieser Jagd und beantworten von den Bäumen herab das Geschrei der großen Tiere. Sie wecken die gesellig lebenden Vögel auf, und nicht lange, so ist die ganze Menagerie in Aufruhr. Am Fuße eines prächtigen Baumes saß er, und er bewunderte nicht einmal das hohe Gezweig dieses » pão terro« oder Eisenbaumes – einer dunkelrindigen Baumart, deren metallhartes Holz bei den Waffen oder dem Werkzeug des wilden Indianers das Eisen ersetzt. Nein! ganz in Gedanken vertieft, wendete der Buschhauptmann das seltsame Schriftstück zwischen den Fingern hin und her. Mit der Chiffer, deren Geheimnis er besaß, setzte er für jeden Buchstaben den richtigen Wert, las und kontrollierte den Sinn dieser Zeilen, die für jeden andern unverständlich waren, und ein böses Lächeln glitt über sein Gesicht.

Dann murmelte er halblaut ein paar Worte, die an diesem verlassenen Fleck des peruanischen Urwaldes niemand hören konnte und die außerdem auch niemand hätte verstehen können.

»Ja,« sagte er, »hundert Zeilen sind das, gut geschrieben, die für einen, den ich kenne, eine Bedeutung haben, die er nicht ahnen kann! Dieser eine ist reich! Für ihn ist's eine Frage des Lebens oder des Todes, und so was wird teuer bezahlt!«

Mit gierigem Blick betrachtete er das Schriftstück.

»Für jedes Wort des letzten Satzes ein Konto Reïs, das gäbe schon eine Summe! 1000 Reïs (ein Milreïs = 2 deutsche Mark 29 Pfg.) sind etwa 3 Franks französischer Münze und ein Konto-Reïs sind 3000 Franks. Dieser Satz hat Wert. Er faßt das ganze Schriftstück in sich! Er gibt den wahren Personen ihren wahren Namen! Aber ehe man versuchen könnte, ihn zu verstehen, müßte man damit anfangen, die Zahl der Worte, die er enthält, festzustellen, und selbst wenn das erreicht ist, bleibt der wahre Sinn noch immer ein Rätsel!«

Nach diesen Worten begann Torres bei sich zu rechnen.

»Hier sind 58 Worte! das ergäbe 58 Kontos! 174 000 Franks. damit könnte man leben in Brasilien, in Amerika, wo man wollte, und brauchte nicht einmal was zu arbeiten dabei. Und wenn mir gar für alle Worte dieses Schriftstücks ein solcher Preis gezahlt würde! Dann müßte ich nach Hunderten von Kontos rechnen! Ach, tausend Teufel! Hier muß ich ein Vermögen herausschlagen, oder ich bin der dümmste Tölpel auf der Welt!«

Während Torres die riesigen Summen berechnete, schienen sich seine Hände schon über Rollen Goldes zusammenzuballen.

Plötzlich nahmen seine Gedanken eine andere Richtung.

»Endlich,« rief er, »nähere ich mich dem Ziele! und die Strapazen dieser Reise von der Küste des Atlantischen Ozeans bis zum Oberlauf des Amazonas sollen mir nicht leid tun! Es wäre möglich gewesen, daß dieser Mann Amerika verlassen hätte und jenseits des Meeres weilte, wie hätte ich ihn dann erreichen sollen? Aber nein! Er ist da, und wenn ich in den Wipfel eines dieser Bäume steige, kann ich das Dach des Hauses sehen, wo er mit seiner ganzen Familie wohnt.«

Dann ergriff er das Papier und schwenkte es mit nervöser Gebärde:

»Ehe die Sonne noch einmal untergeht,« sagte er, »werde ich bei ihm sein! Ehe der morgige Tag anbricht, wird er wissen, daß seine Ehre, sein Leben in diesen Zeilen liegt! Und wenn er die Chiffer erfahren will, durch die er die Worte lesen kann, gut, dann wird er diese Chiffer bezahlen! Er wird sie, wenn ich will, mit seinem gesamten Vermögen bezahlen, wie er sie mit seinem Blute bezahlen würde! Ah, tausend Teufel! Der würdige Kamerad von der Miliz, der mir dieses kostbare Schriftstück gegeben hat, der mir das Geheimnis anvertraut hat, der mir gesagt hat, wo ich seinen ehemaligen Kollegen finde und unter welchem Namen er sich seit Jahren verborgen hält, dieser würdige Kamerad ahnte nicht, daß er damit mein Glück machte!«

Torres betrachtete noch einmal das vergilbte Papier, und nachdem er es sorgfältig zusammengelegt hatte, steckte er es in ein festes Kupferetui, das ihm gleichzeitig als Portemonnaie diente.

Wenn in der Tat das ganze Vermögen des Mannes in diesem Etui von der Größe einer Zigarrentasche enthalten war, dann hätte er in keinem Lande der Welt für reich gelten können. Er hatte darin ein wenig von allen Münzen der umliegenden Staaten: zwei Doppelkondors der vereinigten Staaten von Columbia, deren jedes etwa 100 Francs wert war, ferner zwei venezuelische Bolivars von etwa dem gleichen Wert, peruanische Sols von etwa dem doppelten Wert, einige chilenische Escudos von höchstens 50 Francs Wert, und ein paar andere kleine Geldstücke. Aber dies alles ergab nicht einmal die runde Summe von 500 Francs, und obendrein wäre Torres ziemlich in Verlegenheit geraten, wenn er hätte sagen sollen, wo und auf welche Weise er zu dem Gelde gekommen war.

Das eine stand fest, daß Torres seit einiger Zeit das Handwerk des Buschhauptmanns aufgegeben hatte, dem er in der Provinz Para nachgegangen war – und daß er seit ein paar Monaten den Amazonas stromauf gewandert, die Grenze überschritten und peruanisches Gebiet betreten hatte.

Dieser Abenteurer brauchte übrigens wenig zum Leben. Was für Ausgaben hätte er sich machen sollen? Obdach und Kleidung kosteten ihm nichts. Der Wald versorgte ihn mit Nahrung, die er sich nach Art der Waldläufer kostenlos zubereitete. Für Tabak, den er sich in den Missionen oder in Dörfern kaufte, ebenso für Branntwein in die Korbflasche genügten ein paar Reïs. Mit Wenigem konnte er weit kommen.

Als das Schriftstück in das Etui gesteckt war, dessen Deckel hermetisch schloß, schob es Torres nicht in die Tasche des Kittels, den sein Poncho verdeckte, sondern glaubte aus übergroßer Vorsicht besser zu tun, indem er es dicht neben sich in die Wurzelhöhlung des Baumes legte, zu dessen Füßen er sich ausgestreckt hatte.

Das war eine Unklugheit, die ihn bald teuer zu stehen gekommen wäre!

Es war sehr heiß. Das Wetter war schwül. Wenn die Kirche des nächsten Weilers eine Uhr gehabt hätte, so hätte diese Uhr jetzt zwei Uhr nachmittags schlagen müssen, und da der Wind in dieser Richtung wehte, hätte Torres sie hören müssen, denn die Entfernung betrug nicht über zwei Meilen.

Aber jedesfalls war die Zeit ihm gleichgiltig. Gewöhnt, sich nach der bald genau, bald ungenau berechneten Höhe der Sonne überm Horizont zu richten, kann der Abenteurer seine verschiedenen Verrichtungen nicht mit militärischer Pünktlichkeit erledigen. Er frühstückt oder ißt zu Mittag, wann es ihm gefällt. Er schläft, wo und wann ihn Schlaf überkommt. Wenn der Tisch nicht immer gedeckt ist, das Bett ist immer gemacht, am Fuße eines Baumes, im Dickicht eines Gebüsches, mitten im Walde.

Im Punkte der Behaglichkeit war Torres nicht sehr penibel. Wenn er am Vormittag schon weit gegangen war, dann aß er ein wenig, und das Bedürfnis zu schlafen machte sich fühlbar. Nach zwei bis drei Stunden Ruhe war er wieder marschfähig. Er legte sich also so bequem als möglich ins Gras und erwartete den Schlaf.

Indessen gehörte Torres nicht zu den Leuten, die einschlafen, ohne sich vorher auf gewisse Weise darauf vorbereitet zu haben. Er hatte die Gewohnheit, zuerst ein paar Schluck starken Schnaps zu trinken und dann eine Pfeife zu rauchen. Der Branntwein erregt das Gehirn, und der Rauch des Tabaks mischt sich so schön in das Gewebe der Träume. Wenigstens war dies seine Meinung.

Torres setzte also zuvörderst eine Korbflasche, die er bei sich trug, an die Lippen. Sie enthielt jenen Schnaps, der in Peru allgemein unter dem Namen »Chica« und am obern Amazonas im besondern unter dem Namen »Caysuma« bekannt ist. Dieser Schnaps ist das Produkt einer leichten Destillation der süßen Maniokwurzel, die der Gärung ausgesetzt wird. Der Buschhauptmann, der eine etwas ausgepichte Kehle hatte, hatte dem Schnaps eine gute Menge Taffia Rum. beigemischt.

Als Torres ein paar Schluck von diesem Schnaps getrunken hatte, schüttelte er die Flasche und stellte mit Bedauern fest, daß sie fast leer war.

»Wird wieder gefüllt!« sagte er einfach.

Dann zog er eine kurze Wurzelpfeife hervor, füllte sie mit scharfem, grobem Brasiltabak, dessen Blätter zu dem von Nicot nach Frankreich gebrachten alten »Petunia« gehörten.

Dieser Tabak hatte nichts gemein mit dem Scaserlati feinster Auslese, den die französischen Händler produzieren – aber Torres war in diesem Punkte ebenso wenig heikel wie in andern. Er schlug Funken, entzündete ein wenig von dem klebrigen Stoff, der, unter dem Namen »Ameisenschwamm« bekannt, von gewissen Hautflüglern abgesondert wird, und steckte seine Pfeife in Brand.

Beim zehnten Zuge schlossen sich seine Augen, die Pfeife entfiel seinen Händen, und er schlief ein, oder vielmehr er versank in eine Art Betäubung, die eigentlich kein richtiger Schlaf war.


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