Else Ury
Das Rosenhäusel
Else Ury

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14. Kapitel.

Schicksalswende

Die Winterstürme tobten nicht mehr um die Teichbaude. Die dicken Eiszapfen, die vom niedrigen Dach bis zur Erde hingen, hatten sich in der warmen Märzsonne in Wasserbäche verwandelt. Drunten auf dem kleinen Bergfriedhof der Kirche Wang strebten Krokus, Schneeglöckchen und Veilchen durch bräunliche Erdschollen bereits dem Lichte entgegen. Bärbel hatte sie vom Gartenwinkel des Rosenhäusels auf des Vaters Grab verpflanzt. Droben in den Bergen donnerten die Lawinen unter der schmelzenden Sonne. Krachend gingen sie hernieder, das Echo rollte in den Bergwänden des kleinen Teiches. Um Bärbels gesunden Jugendschlaf war es geschehen. Jede Nacht fuhr sie angstvoll empor. Wenn das Haus auch an geschützter Stelle stand, der Lawinendonner weckte wieder die furchtbare Erinnerung.

Ein Jahr war vergangen, seitdem der Vater ein Opfer der Berge geworden war. Schon kehrten Ostergäste in die Bauden ein. Hier oben gab es immer noch Sportmöglichkeiten. Wenn man auch an windstillen Tagen des Mittags bei der starken Ausstrahlung der Höhensonne draußen im Schnee sitzen konnte. Der Gästeverkehr war fast ebenso lebhaft wie zu Weihnachten.

Am Ostersonntag saß der Tiroler Heini mit seiner Zither nicht am gewohnten Platz. Er lag mit hochrotem Kopf in seiner Kammer im Fieber.

»Hat nichts auf sich«, meinte ein junger Mediziner, der zufällig von der Wiesenbaude auf Schneeschuhen herübergekommen war und nach dem Kranken sah. »Starke Grippe. In einigen Tagen ist es bestimmt wieder gut.«

»Was – das soll nichts auf sich haben«, rief der Baudenwirt erschreckt, »wenn mir der Heini gerade zum Fest krank wird? Die Leute gehen mir halt weiter, wenn sie keine Musik in der Baude hören. Da heißt es gleich: ›Hier ist's ja lädern!‹ Das ganze Ostergeschäft steht mir ohne den Heini auf dem Spiel.«

»Nu reg dich nicht auf. Mann«, begütigte die Wirtin. »Wie wär's denn, wenn wir die Bärbel statt des Heini an die Zither setzten? Sie hat doch damals im Sommer recht nett gesungen. Und die Mädel müssen bei der Bedienung halt mal ohne die Bärbel fertig werden.«

»Das war amal ein gescheites Wort, Frau«, rief der Teichwirt besänftigt. »Freilich, die Bärbel muß herbei. Wenn solch a frisches junges Mädel an der Zither sitzt, das zieht am Ende noch mehr als der Heini, Bärbel – Bärbel – komm auch rasch her, Mädel. Du sollst heute statt des Heini zur Zither singen.«

»Ich habe schon so lange nicht gesungen«, wollte Bärbel sich entschuldigen, »und gerade heute zum Fest kommen arg viele Leute herauf. Da wird die Anna und die Christel gar nicht ohne mich beim Bedienen fertig.«

»Macht nichts. Du singst! Das ist mir wichtiger«, entschied der Wirt.

Bärbel mußte ihr schwarzes Kellnerinnenkleid mit dem weißen Rüschenhäubchen abtun und statt dessen ein buntgeblümtes Dirndlkleid der Wirtin überziehen. Auch ein rosenrotes Brusttuch band ihr die Frau noch um – zum Anbeißen sah das Mädel aus.

Als Bärbel des Vaters Zither aus dem roten Schnupftüchel auswickelte, gab sie einen hellen Klang. Bärbel nahm es als gutes Omen. Denn etwas bange war ihr doch zumute, vor so vielen fremden Gästen zu spielen und zu singen.

Aber als sie die Zither gestimmt hatte, war mit den ersten Tönen ihre Befangenheit überwunden. Wie eine Glocke klang die junge Stimme:

»Wo im schönen Schlesierlande
Rübezahl sein Zepter schwingt,
Wo auf schroffem Felsenrande
Freundlich manche Baude winkt,
Wo Habmichlieb und Enzian blühn,
Dahin, dahin möcht' ich ziehn.«

Mäuschenstill war es in der Baude geworden. Das Stimmengewirr verstummte. Man hörte kaum das Klappern der Messer und Gabeln.

»Wo umkränzt von grünen Wäldern
Aus dem Tal uns Hirschberg grüßt,
Wo umsäumt von Saatenfeldern
Murmelnd leis der Bober fließt,
Wo Habmichlieb und Enzian blühn,
Dahin, dahin möcht' ich ziehn.«

Einen Vers nach dem andern. Die Bärbel wußte nicht mehr, daß sie in der Teichbaude vor fremden Gästen sang. Ihr war's, als säße sie wieder im Rosenhäusel neben ihrem Vatel und sang mit ihm zur Zither. Wie eine Lerche, so schmetterte sie.

»Donnertausend – das ist eine Stimme«, sagte ein Tourist in der Veranda, als das Lied beendigt war. »Das Mädel hat ja Gold in der Kehle.«

Lautes Beifallklatschen erschallte rings von den Tischen. Aber auch der klingende Lohn blieb nicht aus. Der Teller neben der Zither füllte sich mit Zehnpfennigstücken, ja, sogar Fünfziger waren darunter.

Bärbel begann jetzt des Vaters Lieblingslied, das Riesengebirgslied, zu singen:

»Blaue Berge, grüne Täler,
Mitten drin ein Häuschen klein,
Herrlich ist dies Stückchen Erde,
Und ich bin ja dort daheim.«

Ihre ganze große Liebe zur Heimat offenbarte sich in Bärbels jubelnder Stimme:

»O mein liebes Riesengebirge,
Wo die Elbe so heimlich rinnt,
Wo der Rübezahl mit seinen Zwergen
Heut' noch Sagen und Märchen spinnt.
Riesengebirge, deutsches Gebirge,
Meine liebe Heimat du!«

Traumverloren blickte Bärbel nach dem letzten Vers vor sich auf des Vaters Zither. Früher, als sie das Lied mit ihrem Vatel gesungen, da hatte sie noch an die Wunder des Rübezahls geglaubt. Heute wußte sie, daß – – lautes Klirren auf dem Geldteller schreckte Bärbel aus ihrer Versunkenheit empor. Da lag ein blankes Dreimarkstück zwischen all dem Kleingeld.

Das Mädchen griff danach. »Der Herr hat sich geirrt«, damit wollte sie dem Vorihrstehenden das große Geldstück zurückgeben. Es war ein älterer Herr, glatt rasiertes Gesicht – wo hatte sie das nur schon mal gesehen?

»Behalten Sie nur, liebes Kind, das haben Sie mit Ihrem schönen Lied verdient. So wag hört man nicht alle Tage. Sie haben ja eine fabelhafte Stimme. Hätten Sie nicht Lust, dieselbe auszubilden?«

»Lust schon, aber weder Geld noch Zeit«, lachte Bärbel. »Dann danke ich dem Herrn auch halt recht schön für das viele Geld und – – –« plötzlich durchzuckte es die Bärbel: Das war ja der Herr Direktor, der sie beim Freilichttheater zur Schokolade eingeladen hatte, der Opernschuldirektor Velden aus Breslau, dessen Karte sie noch oben verwahrte. Daher war er ihr so bekannt vorgekommen. Aber auch der Gast hatte das bildhübsche Mädel mit den tiefblauen Augen, die einen seltsamen Gegensatz zu dem schwarzen Haar bildeten, nachdenklich betrachtet.

»Haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen?«

»Freilich, vor einigen Jahren, als ich die Gretel beim Freilichttheater drunten an der Talsperre gespielt habe«, rief Bärbel erfreut, daß auch sie wiedererkannt wurde.

»Richtig, Sie sind ja die kleine Gretel vom Freilichttheater. Alle Wetter, ein blitzsauberes Mädel sind Sie geworden. Und nun singen Sie hier oben in der Baude? Weiter geht Ihr Ehrgeiz nicht bei solch einem Stimmaterial?«

»Ich singe heute nur ausnahmsweise, weil der Heini krank ist. Sonst bin ich halt Kellnerin hier oben – –.«

»Nein, Kind, das ist eine Sünde gegen die Kunst. Das kann ich nicht zulassen. Wen die Natur mit solch einer Stimme begnadet hat, der hat auch die Pflicht, sie zur Freude seiner Mitmenschen zu brauchen. Zum zweitenmal lasse ich Sie nicht wieder entwischen. Die Stimme muß ich ausbilden. Ich nehme Sie mit nach Breslau in meine Opernschule.« So rief der Herr mit fast jugendlicher Lebhaftigkeit.

Bärbel wurde es schwindlig vor den Augen. Das bartlose Gesicht des Fremden hatte ganz und gar keine Ähnlichkeit mit dem Aussehen des langbärtigen Rübezahl, und dennoch – der Wunderglaube der Riesengebirgskinder kam dem großen Mädchen plötzlich wieder – Rübezahl, der mächtige Berggeist, half – er tat Wunder.

Bärbel fuhr sich mit der Hand über die Augen. Da war die Wirklichkeit wieder da. Sie saß vor ihrer Zither, um den Tisch drängten sich die Gäste, die durch das Gespräch aufmerksam geworden waren.

»Also, wie ist es, Kind? Ich bleibe noch einige Tage im Gebirge. Wollen Sie dann mit mir nach Breslau kommen? Ich garantiere, wenn Sie fleißig studieren, sind Sie in drei bis vier Jahren eine glänzende Bühnensängerin.«

Zum Theater sollte sie – o Gott, wie herrlich! Zu schön, um Wahrheit zu werden. Mit Gewalt drängte Bärbel alle ihre mit einem Male wieder geweckten Wünsche und Hoffnungen zurück.

»Ich steh' hier in Lohn und Brot beim Teichwirt. Ich kann ihm jetzt, wo die Fremdensaison bald wieder beginnt, nicht auf und davon gehen«, wandte sie zögernd ein.

»Aber Menschenskind« – der Herr fuhr sich durch den grauen Haarschopf –, »Kellnerinnen gibt's genug, aber keine gottbegnadeten Sängerinnen. Mit dem Wirt werde ich sprechen. Das lassen Sie meine Sorge sein. Hätten Sie denn überhaupt Lust dazu?«

»Lust zum Singen?« Wie ein Jubellaut klang es. »Aber ich muß halt Geld verdienen. Der Vater ist im vergangenen Jahr drüben an der Seifengrube verunglückt. Die Mutter schafft's nicht allein für die Kleinen, wenn auch der Karl jetzt schon in die Lehre kommt.«

»Ich werde die Mutter aufsuchen, sobald ich heute abend nach Krummhübel hinunterkomme. Sie können ja tausendmal mehr für Ihre Familie tun, Kind, wenn Sie mit Ihrer selten schönen Stimme sich mal Reichtümer ersingen. Hätten Sie denn jemand in Breslau, bei dem Sie Unterschlupf fänden? Bei mir geht's schlecht. Ich wohne mit meiner Familie ziemlich beschränkt.«

»Freilich, beim Studienrat König, die täten mich gewiß aufnehmen. Aber – aber das Studium kostet doch Geld und – und außer meinem ausgewachsenen Einsegnungskleid habe ich halt nichts weiter anzuziehen«, stieß Bärbel errötend hervor. So verlockend auch die Aufforderung klang – nein, nein, es ging ja nicht.

»Ausbilden würde ich Sie umsonst in meiner Opernschule. Die Reklame, wenn ich eine erste Kraft herausbringe, ist mir mehr wert. Und für Kleidung muß meine Frau sorgen. Von meinem Mädel wird sich vielleicht auch noch manches finden. Also abgemacht! Sie kommen mit mir nach Breslau – wie heißen Sie denn überhaupt, Kind?«

»Barbara Kleinert, gerufen werde ich Bärbel. Aber ich kann doch nicht zusagen, ehe ich mit dem Wirt und der Muttel gesprochen habe. Und ob Königs mich aufnehmen würden, muß ich doch auch erst anfragen«, wandte Bärbel schüchtern ein. Die schnelle, entschlossene Art des Fremden legte sich ihr wie eine schwere Last auf das Herz. Wie konnte man so rasch solche schwerwiegenden Entschlüsse treffen.

»Hier ist meine Karte, Bärbel, damit Sie auch wissen, wer ich bin. Ich wohne jetzt unten in Krummhübel im Preußischen Hof.«

Heinrich Velden
Musikdirektor
Breslau.
Schweidnitzer Str. 17

stand auf der Karte. Es war die gleiche, die Bärbel bereits aufbewahrte.

»Bärbel – Bärbel – ja, Mädel, warum singst du denn nicht? Zum Räden sitzt du doch nicht da an der Zither«, ließ sich die Stimme des Baudenwirtes ärgerlich dazwischen vernehmen.

Bärbel griff erschreckt einen Akkord. Er klang unrein in der Aufregung.

»Ich habe mit Ihnen etwas zu besprechen«, wandte sich der Fremde an den Wirt. Und während Bärbel mit gepreßter Stimme das Abschiedslied vom Winter zu singen begann, wurde drüben an dem Ecktisch über ihr Schicksal verhandelt.

»Noch deckt der Schnee die weite Heid',
Doch ist er fleckig worden,
Das weiße, sonnenglatte Kleid
Zeigt Risse allerorten.«

Wo würde sie sein, wenn die ersten Frühlingsknospen sich wieder herauswagten?

»Die Tanne muß im lauen West
Sich ihrer Pracht entkleiden,
Ein weißes Häubchen ist der Rest
Von all den Herrlichkeiten.«

Himmel – mit ihrem Häubchen konnte sie doch nicht in die Stadt zur Musikschule! Einen Hut mußte sie unbedingt haben.

»Ade, mein trautes Schneeschuhpaar,
Das Flügel mir gegeben,
Auf Wiedersehn im nächsten Jahr,
Wenn wir es noch erleben.«

Ach, es hieß noch von mehr Abschied nehmen als nur von ihren Schneeschuhen. Würde sie sich in der fremden, großen Stadt nicht heimbangen nach ihren lieben Bergen?

Wieder füllte sich der Geldteller nach Beendigung des Liedes, trotzdem Bärbel das Gefühl hatte, durchaus nicht gut gesungen zu haben. Beklommen schielte sie zum Ecktisch hinüber. Der Wirt schien recht aufgeregt, am Ende gab er sie gar nicht frei. Sollte sie es wünschen oder nicht? Bärbel wußte es selbst nicht.

»Nun ade, du mein lieb Heimatland,
Lieb Heimatland, ade« – stimmte sie an.

Wie war sie nur gerade auf dieses Lied gekommen? All ihr Fürchten und Hoffen strömte sie in Tönen aus. Als sie geendet, klopfte ihr der Musikdirektor auf die Schulter. »Die Bärbel nimmt schon Abschied von ihrem Heimatland. Aber eine Woche müssen Sie sich schon noch gedulden, Kind. Vor nächstem Sonntag geht's nicht zurück nach Breslau. Die Osterferien müssen wir erst noch hier in den Bergen auskosten.«

»Ja, soll ich denn wirklich mit?« Die Bärbel sah fragend von dem Herrn zum Wirt. Der kraute sich seinen Schädel.

»Eine vertrackte Geschichte, aber wenn du in der Stadt viel Geld verdienen kannst, Bärbel, da will ich deinem Glücke halt auch nicht im Wege sein. Der Herr hier tut sprechen, eine Sängerin sollst du werden, eine ganz berühmte. Und unsere Teichbaude kriegt dann auch amal den Ruhm, dich zuerst entdeckt zu haben.«

»Bliebe also nur noch Ihre Mutter zu verständigen, Bärbel. Wie ist ihre Adresse?« Der Musikdirektor schrieb sie in sein Notizbuch ein. »Also bis nächsten Sonnabend bleiben Sie noch hier oben in der Teichbaude. Ich will jetzt weiter auf den Kamm. Auf Wiedersehen, Bärbel, Sie hören bald wieder von mir.« Herr Velden ließ sich seine Schneeschuhe aus der Ablage geben und fuhr davon. Bald hatte das schneeige Weiß der Berge ihn verschluckt.

Bärbel sang weiter ihre Lieder, spielte auf der Zither zum Tanz auf und glaubte, daß ein Traum sie genarrt habe. Oder war es etwa Rübezahl wirklich gewesen, der die Gestalt des Breslauer Musikdirektors angenommen hatte, um sie zu foppen? All die Rübezahlsagen, welche die Großmuttel den Kindern erzählt hatte, wachten wieder auf.

Aber da lag die Karte des Herrn Musikdirektors, und da kam die Wirtin in heller Aufregung: »Bärbel, du willst fort von uns? Mädele, wie wirst du uns fählen!«

»Ich weiß ja noch gar nicht, ob's die Mutter zugeben wird«, meinte Bärbel. Aber jetzt war sie doch schon soweit, daß sie von Herzen hoffte, die mütterliche Einwilligung zu erhalten. Das Neue lockte, die große Stadt, das Musikstudium und die Aussicht, mal eine berühmte Opernsängerin zu werden. Bärbel verstand nicht mehr, daß sie überhaupt hatte zögern können. Sie schrieb abends an Königs, daß der Musikdirektor Velden in Breslau sie in Gesang ausbilden wolle und ob sie wohl bei ihnen Unterkunft finden könnte, falls die Mutter einverstanden wäre.

Bald wußten sie's alle in der Teichbaude: »Die Kleinert Bärbel macht halt furte in a Stadt.« Selbst die Hunde, Cäsar und Diana, schienen Wind bekommen zu haben von Bärbels Absicht. Sie folgten dem Mädchen wie ihr Schatten.

Niemals war der Bärbel eine Woche so lang geworden wie diese Woche nach Ostern, bis die Antwort von Studienrats eintraf, Bärbel sei willkommen.

Nach zwei Tagen erschien auch Herr Velden wieder droben.

»Na, leicht war's gerade nicht, Ihre Mutter zu bestimmen, Sie mit nach Breslau zu lassen«, meinte er. »Aber ich habe ihr für den Ausfall, den sie dadurch hat, daß Sie vorläufig nichts verdienen, zweihundert Mark bewilligt. Sie werden es mir von Ihrer ersten Gage zurückerstatten, Bärbel.«

»Um des Himmels willen, wie soll ich denn jemals so viel Geld zusammensparen, um die Schulden abzuzahlen«, erschrak Bärbel.

»Sie werden mehr verdienen, wenn Sie fleißig sind, Kind. Also nur mit frischem Mut an Ihre Arbeit!«

Oh, den hatte die Bärbel. Den ganzen, hoffnungsfrohen Mut, wie ihn nur die Jugend kennt. Da gab es keine Schwierigkeiten, keine Klippen, an denen man Schiffbruch erleiden konnte. Da gab es nur ein Ziel, das erreicht werden mußte.

Als Bärbel der Teichbaude und ihren lieben Bewohnern Lebewohl sagte, kam es ihr erst zum Bewußtsein, wie glücklich sie hier oben in den Bergen gewesen war. Schwer wurde ihr der Abschied. Der Abschied vom Bergwald, von dem stillen Hügel an der Kirche Wang. Wenn ihr Vatel das doch erlebt hätte, daß seine Bärbel Musik studieren durfte!

Dann kam das Lebewohl von den Lieben in Wolfshau. Die Mutter schien das viele Geld des Musikdirektors mit Bärbels neuer Laufbahn ausgesöhnt zu haben. Sie hatte gleich davon ein neues Hemd und feste Schuhe für die Tochter gekauft. Denn gar so ärmlich sollte die Bärbel doch nicht in die Stadt. Auch dicke, selbstgestrickte Strümpfe stopfte sie ihr in den Rucksack.

»Nu bleib ooch brav, Mädel, nu vergiß uns ooch nä in deinem Glicke, herrschte? Und kumm ooch wieder, Bärbele.« Die Mutterzärtlichkeit, die sich niemals den großen Kindern gegenüber gezeigt hatte, brach jetzt bei der einfachen Frau durch.

Mit zittrigen Fingern streichelte die Großmuttel das blühende Gesicht der Enkelin. »Hob ich dir'sch nä gesagt, Bärbele, der Herr Riebezahl kann noch Wunder tun«, flüsterte sie heiser.

Karl, der zu Ostern eingesegnet worden war und bei einem Stubenmaler in der Lehre, meinte großartig: »Wenn und du singst erscht im Breslauer Theater, komm ich dich besuchen. Ich spar' halt drauf.«

Die Friedel und den Fritzel am Arm, so blieb Bärbel noch einmal am Zaun des jetzt verödeten Rosenhäusels stehen. »Sobald ich als Sängerin genug Geld verdiene, kaufe ich unser Rosenhäusel!« Wie ein Gelübde klang es.

Die Weiden am Bach hatten schon Kätzchen angesetzt. Frühlingssonne lag über der Heimatsflur.

Dann stand die Bärbel im ausgewachsenen Einsegnungskleid neben Herrn Velden am Fenster des »Zügels« nach Hirschberg hinunter, nahm von der Frau Opitz das Vorratskistel für den Hermann in Empfang, tröstete die weinende Schwester: »Wein' auch nicht, Friedel, zu den Ferien komm ich euch ja wieder besuchen.« Dabei sah sie selbst durch schwimmende Tränen kaum, wie der Zug sich in Bewegung setzte, wie Fritzel hurraschreiend mit Mohrle hinterherjagte, wie die Schneekoppe ihr den letzten Abschiedsgruß zunickte.



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