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1. Kapitel

Weshalb der alte Schreibtisch ärgerlich knarrt und Magda fast die Kaffeestunde versäumt

Draußen fiel der Schnee, leis und dicht. Er setzte den trutzigen Wehrtürmen der alten Stadt Rothenburg silbernfunkelnde Helme auf das graue Steinhaupt, daß sie so reckenhaft auf das verschneite Taubertal herabblickten wie einst vor sechshundert Jahren. Mit lichtem Hermelin schmückte er die rissigen Festungsmauern, welche die Stadt noch heute umgürten und stülpte den verschlafenen Toren riesige weiße Nachtmützen über die Ohren. Jeden mittelalterlichen Giebel, jeden Erker und jedes Gesims zeichnete er als echter Künstler mit zartfeinem Schneegriffel nach. Flocke auf Flocke glitt hernieder – still, lautlos.

Vor dem runden Mansardenfensterchen des alten Patrizierhauses wuchs das lichtweiße Schneepolster. Junge Augen blickten nachdenklich durch die bleigefaßten Butzenscheiben in das langsame, unaufhörlich sich erneuernde Herabgleiten der Silbersternchen. Wie sicher und unbeirrt ein jedes seinen Weg ging! Ohne Aufenthalt, ohne Rücksicht auf seine Gefährten, in stiller Selbstverständlichkeit seinem Ziele zu.

Den schlanken Kopf mit den schweren rötlich goldenen Flechten in die Rechte stützend, seufzte Magda tief auf. Ach, wer doch auch so selbstsicher seinen Weg verfolgen könnte wie die Schneeflocken da draußen! Wer doch nicht auf Schritt und Tritt von engen Mauern und veralteten Vorurteilen in seinem Streben gehemmt würde!

Die großen, tiefschwarzen Mädchenaugen, die seltsam zu dem Goldton des Haares stimmten, lösten sich von dem steten Flockengeriesel da draußen und wanderten wieder zu dem umfangreichen Wörterbuch, den Büchern und Heften zurück, welche die Schreibtischplatte bedeckten.

Es war ein merkwürdiger Schreibtisch, wie man ihn gewöhnlich wohl nicht in einem Mädchenzimmer zu sehen bekam. Nichts Zierliches hatte er, auf starken, geschweiften Beinen stand er breit und wuchtig in seinem alten Nußbaumkleide da, mit hohem Aufsatz und schwerer Klappe, mit vielen, vielen Fächern, Kästen und Schüben. Der geschnitzte Löwenkopf, der ihn bekrönte, hatte sicher schon dereinst auf ehrwürdige Ratsherren mit der Zopfperücke herabgeblinzelt, auf dicke Lederfolianten, Gänsekiel und Schnörkelschrift.

Viele Generationen des Patrizierhauses Toppler hatte der alte Sekretär kommen und gehen sehen. Manch kluger, ernster Mann hatte von ihm aus die Stadt Rothenburg regiert. Aber eine Frau, nein, eine Frau hatte niemals das Haupt über seine blankpolierte Platte gebeugt.

Oder doch – vor vielen Jahrhunderten ... hatte er da nicht schon mal auf solch goldflimmerndes Frauenhaar herabgeschaut? Aber das war so lange, lange her ... der alte Geselle konnte sich nicht mehr darauf besinnen, denn sein Gedächtnis hatte schon arg nachgelassen.

Was wollte der junge, liebreizende Mädchenkopf da bloß mit all der Gelehrsamkeit? Mißbilligend blickte der alte Schreibtisch auf die lateinische Ausarbeitung, auf Virgil und Mathematikaufgaben. Trotzdem es nun schon fast ein Jahr war, daß Magda ihn aus der Vergessenheit des Rumpelkammerlebens gezogen hatte, daß er seinen Platz hier in ihrem Mansardenstübchen bekommen, konnte er sich noch immer nicht mit diesem neumodischen Kram abfinden. Solch junges Ding gehörte an den Nähtisch drüben auf dem Fenstertritt. Da hatten ihre Großmütter und Urgroßmütter die fleißigen Finger geregt, wenn sie nicht im Haus und am Herd schafften. Aber der Nähtisch, der aus demselben hellen Nußbaumholz und nicht viel jünger war als er, erfreute sich lange nicht so der Zuneigung des jungen Fräuleins wie er selbst. Dabei sah er doch mit seinem weißen Häkeldeckchen und dem Rubinglas darauf mit Kiefergrün und roten Beeren einladend genug herüber.

Unzufrieden knarrte der alte Schreibtisch in allen seinen Fugen. Aber das machte auf Magda Toppler nicht den geringsten Eindruck. Emsig eilte ihre Feder über die weißen Blätter, nur hin und wieder eine kleine Pause zum Nachschlagen im Lexikon oder zum Stirnkrausziehen lassend.

So vertieft war das junge Mädchen in seine Arbeit, daß es nicht merkte, daß die alte Pendeluhr unter der Glasglocke, die den Platz auf der schön geschnitzten Kommode inne hatte, vier dünne Schläge mit altersschwacher Stimme durch das Stübchen schwingen ließ. Es hörte nicht das Tappeln von kleinen Kinderfüßen draußen auf der Holzstiege. Erst als die Tür ohne Umstände aufgerissen und ein blondes Dingelchen, gefolgt von einem genau so großen schwarzen Pudel, ins Zimmer stürmte, fuhr Magda erschreckt aus ihrer Versunkenheit empor.

»Tante Brigitte läßt fragen, wo du denn steckst, und Vater, was du wieder treibst, daß du nicht zum Kaffee herunterkommst. Werner ist auch noch nicht zu Haus, trotzdem die Schule schon um drei aus ist. Und Tante Brigitte will mich nicht mit meinem neuen roten Weihnachtsschlitten in den Schnee hinauslassen, sie sagt, ich hole mir bestimmt den Tod. Ach, liebstes, aller-aller-allerbestes Magdachen, sag' ihr doch, daß ich mir den Tod nicht holen werde!« Zärtliche kleine Arme schlangen sich um den Hals der großen Schwester, schwarze Hundepfoten legten sich auf ihren blauen Blusenrock. Das Tintenfaß geriet bei dem unvorhergesehenen Ansturm bedenklich ins Wanken.

»Ich komme schon, Trautchen – da hab' ich doch tatsächlich die Uhr überhört.« Magda schlug das Lexikon eiligst zu. Denn in bezug auf Pünktlichkeit verstand der Vater keinen Spaß.

»Was arbeitest du denn bloß immer – du bist doch schon groß!« Fragend sahen die strahlendblauen Kinderaugen auf die beschriebenen Blätter. Auch Peter, Tante Brigittes Pudel, schnupperte neugierig.

Hastig, wie auf einer verbotenen Tat ertappt, schloß Magda Hefte und Bücher in den alten Sekretär, trotzdem das Kleinchen noch gar nicht lesen konnte. Klapp – machte der und ließ dröhnend seine schwere gewölbte Holzklappe herunterrasseln.

Trautchen jauchzte, als geschehe dies eigens zu ihrem Privatvergnügen. Sie vergaß darüber, daß die Schwester ihre Frage überhaupt nicht beantwortet hatte. Nachdem die Kleine noch ganz geschwind das bunte Fensterglasbild, durch das die Schneeflocken draußen so schön blau, rot und grün aussahen, bewundert hatte, nachdem Magda nun schon zum drittenmal »komm, Liebling!« gerufen, trennte sie sich endlich von dem Stübchen der großen Schwester, in dem Trautchen nur gar zu gern weilte.

Um die Wette ging es zwei- und vierbeinig die gewundene, schwereichene Treppe mit den schöngeschnitzten Holzpuppen herab. Über die Diele, in der die großen Nürnberger Schränke die dunklen Nischen füllten, zum Eßzimmer. Dasselbe war ein großer, ziemlich niedriger Raum, holzgetäfelt, mit klosterartiger Deckenwölbung. Zinnteller und Humpen blitzten aus den Wandbrettern im Schein der elektrischen Glühbirnen, die wie aus einer anderen Welt die altererbten Familienmöbel des Patrizierhauses bestrahlten. Elektrisches Licht – das war das einzige Zugeständnis, das der mit allen Fasern am Hergebrachten hängende Ratsherr der modernen Zeit gemacht hatte.

Er hob den schmalen, scharfgeschnittenen Charakterkopf, der fast allen Topplers eigen, beim Eintritt seiner beiden Töchter nicht von der Zeitung. Nur an dem Runzeln der blondbuschigen Augenbrauen erkannte Magda, daß der Vater ärgerlich war.

Auf dem grünen Ripssofa mit weißgehäkelten Schonern saß Tante Brigitte. Ihre zierlichen Finger warfen das Elfenbeinschiffchen hin und her zu kunstvoller Frivolitätenarbeit. Das war aber wohl auch das einzige, was die alte Tante jemals in ihrem Leben mit diesem Worte zu tun gehabt hatte. Denn ihr gütiges Herz konnte keiner Fliege ein Leid antun. Auch jetzt blickte sie unter der schwarzen Spitzenbarbe, die sie über dem grauen Scheitel trug, ängstlich von der unpünktlichen Großnichte zu dem Ratsherrn, ehe sie behutsam den Kaffeewärmer mit Perlstickerei von der bauchigen Kanne hob.

Entschuldige, Vater,« wandte sich Magda zu dem Zeitunglesenden. »Ich war so vertieft, daß ich das Schlagen der Uhr überhört habe.«

»Vertieft – worin, Magda? Welche wichtige Beschäftigung kann dich derart in Anspruch genommen haben, daß du die Pünktlichkeit, die stets alle Topplers ausgezeichnet, und auf die ich daher ganz besonderen Wert lege, außer Acht lassen konntest?«

Magda schwieg verlegen.

Klein-Trautchen aber rief lachend: »Schularbeiten hat sie gemacht, die große Magda – hahaha – Schularbeiten wie der Werner!«

Das zarte Mädchengesicht übergoß dunkle Röte. Es versuchte möglichst hinter der großen Blümchentasse, die Tante Brigitte sorglich mit duftendem Kaffee gefüllt, zu verschwinden.

»Hör' mal, mein Kind,« der Vater blickte ernsthaft auf die verlegene Tochter. »Es ist ja ganz gut und schön, daß du das in der Schule Gelernte noch fleißig wiederholst und vertiefst. Aber du bist nun fast siebzehn Jahre alt, da gibt es doch weiß Gott für dich wichtigeres hierzu schaffen, als die Nase in Schulbücher zu stecken. Sorge lieber dafür, daß der Werner das tut, anstatt sich in dem Schneewetter herumzutreiben und die Kaffeestunde zu versäumen. Gehe Tante Brigitte mehr zur Hand, sie ist nicht die Kräftigste und den Anforderungen des großen Haushaltes kaum noch gewachsen. Wenn die Siebzig nicht mehr so recht wollen, müssen die Siebzehn einspringen, was, Tante?« Ratsherr Toppler griff dankbar nach der Hand der alten Dame, die ihn selbst, den früh Verwaisten, den rechten Weg geleitet und sich später auch seiner mutterlosen Kinder angenommen.

»Es geht schon noch, Heinrich, es geht schon noch,« nickte Tante Brigitte mit verschämtem Lächeln und zupfte ihre weiße Spitzenmanschette, welche die derbe Männerhand etwas zerdrückt, wieder tadellos. »Laß nur das Magdachen bei ihren Büchern, wenn es ihr Freude macht. Ich schaffs schon noch ein Weilchen allein. Nur die schwarzen zerlöcherten Kinderstrümpfe – ja, da wollen die alten Augen abends nicht mehr ihre Schuldigkeit tun.« Sorgenvoll ruhte Tante Brigittes Blick auf einem altmodischen mit bunter Rosenflickerei verzierten Korbständer, in dem sich ein ansehnlicher Berg Strümpfe türmte.

»Ja, wozu ist denn die Magda da, wenn sie nicht im Haushalt hier ihre Pflicht tun sollte! Nimm dir den Strumpfkorb vor, Kind, der ist mir lieber für meine Tochter als Blaustrümpfigkeit. Die gehört nicht in die Topplersche Familie. Was, Tante – die Frauen aus unserem Hause waren alle ehrsame, tugendsame Hausfrauen, wie sie nicht so bald wieder in ganz Rothenburg zu finden gewesen sind!« Stolz glitt des Ratsherrn Auge die stattliche Bilderreihe über dem grünen Ripssofa entlang. Es waren die Ahnenbilder, alte Ölgemälde. Schmale, scharf geschnittene Männergesichter, wie es auch Magdas Vater aufwies, und blonde Frauen in reicher Patrizierkleidung, blauäugig, sanft und milde.

»Ja, ja – so ist's l« Tante Brigittes Schiffchen, das unaufhörlich zwischen den weißen Fäden hin- und herflog, durfte ein wenig verschnaufen. »Die Topplerschen Männer haben Rothenburg einst groß und berühmt gemacht, und die Frauen inzwischen daheim in stiller Arbeit durch sparsames Walten den Wohlstand gemehrt.«

»Auch jene, Tante?« Magda, in deren offenem jungen Gesicht das Blut kam und ging, als kämpfe sie mit einem aufregenden Entschluß, wies mit dem ausdrucksvollen Kinn, das sie vom Vater geerbt, zu einem kleinen ovalen Frauenbildchen an der Wand. Es war stark nachgedunkelt, aber trotzdem erkannte man noch ein liebreizendes, junges Gesicht mit großen, schwarzen Augen, die im Gegensatz zu allen den andern sanften Frauenaugen feurig den Beschauer anblitzten. Rotgoldenes Haar lockte sich um die weiße Stirn.

Tante Brigitte ließ den milden Blick zwischen dem alten Bild und dem jungen Großnichtchen langsam hin- und herwandern. Und was sie schon oft empfunden, drängte sich ihr wiederum in diesem Moment auf – die unverkennbare Ähnlichkeit, die Magda mit jenem Bilde hatte.

»Ja, die – die war anders, als die Topplerschen Frauen es zu sein pflegten. Die hatte welsches Blut von ihrer Mutter her in den Adern – das ließ sie die Grenzen der Weiblichkeit überschreiten und – – –«

»Und hat die Stadt, den Rat, ja ganz Rothenburg durch ihre sogenannte Unweiblichkeit errettet,« rief Magda, und ihre schwarzen Augen flammten zum Bilde der Urahne hin. »Du selbst, Tante Brigitte, hast mir oft genug die Heldentat der schönen Magdalena Hirsching, nach der ich heiße, erzählt. Oh, ich wünschte, ich wäre wie sie!«

»Da decken sich unsere Wünsche nicht, mein Kind. Ich möchte, daß meine Tochter sich weiblichere Vorbilder unter den Topplerschen Frauen sucht. Vor allem deine Mutter, die leider zu früh von uns gegangen.« Der Ratsherr fuhr mit der Hand über die Augen.

Magda löste den Blick von dem Bilde der Urahne und wandte ihn dem feinen Pastellbilde zu, das in der Mitte den Ehrenplatz unter all den Porträts innehatte. Grüner Efeu schlang sich um den schmalen Goldrahmen.

Nein, sie bekam es jetzt nicht fertig, dem Vater das zu sagen, was ihr das Herz und die Zunge abdrückte, und was sie schon monatelang kämpfend mit sich herumtrug. Vorhin, als von der mutigen Heldentat der Magdalena Hirsching die Rede gewesen, ja, da hatte sie die Kraft in sich gespürt, es mit den Vorurteilen, die hier in allen Winkeln und Ecken des alten Hauses nisteten, aufzunehmen. Da hätte sie es herausrufen mögen: »Vater, laß mich studieren, schicke mich aufs Gymnasium, ich bin anders als die Topplerschen Frauen waren, ich bin ein Kind der neuen Zeit!«

Aber jetzt, wo der Vater ihr von der frühverstorbenen Mutter gesprochen, da sein Blick, der sonst stahlhart sein konnte, voll ungewöhnlicher Weichheit die verlorene Vergangenheit zu suchen schien, nein, da brachte sie es nicht über sich, ihn derart zu betrüben und zu erzürnen. Denn zornig würde der Vater unbedingt werden, wenn er erfuhr, daß sie, seitdem sie die Schule verlassen, heimlich Latein und Mathematik in ihrem Mansardenstübchen trieb. Daß Heinz, der um ein Jahr ältere Bruder, der in dem nahen Würzburg vor dem Abiturium stand, jedesmal bei seinen Sonntagsbesuchen ihr Aufgaben stellte, die sie in der kommenden Woche dann zu lösen hatte. Unter seiner Anleitung, mit seinen Büchern hatte sie das Schwere unternommen, sich heimlich allein bis zur Prima oder wenigstens Obersekunda eines Mädchengymnasiums vorzubereiten. Aber wann würde der Tag kommen, wo sie es wagte, dem Vater mutig ihre Wünsche zu offenbaren? Sie ersehnte ihn und fürchtete ihn zugleich, diesen Tag.

Das junge Mädchen, das weltverloren in die leere Kaffeetasse gestarrt, fühlte plötzlich ein leises Zupfen an dem weißen Stickereischürzchen. Wie sie es haßte, dieses Schürzchen, das so gar nicht zu mathematischen Formeln und lateinischem Ablativ paßte. Und doch mußte sie es tragen; nicht nur Tante Brigitte hielt darauf, auch der Vater pflegte zu sagen: »Ein Mädchen ohne Schürze, das ist wie ein Topf ohne Boden – nutzlos. Unsere Topplerschen Frauen trugen stets stolz ihr Schlüsselbund am Schürzengurt!«

Das Zupfen wurde stärker, ein bettelndes Stimmchen flüsterte: »Du wolltest es ihr doch sagen, Magda, daß ich mir nicht den Tod holen werde – bitte, bitte, Magdachen, ehe es dunkel wird.«

Da schob die große Schwester zugleich mit der Kaffeetasse die quälenden Gedanken von sich. Zärtlich blickte sie in das runde bittende Kindergesicht.

»Ich gehe jetzt zur Ursel Mergentheimer, das Trautchen darf mich doch mit ihrem Schlitten begleiten, nicht wahr, Tante Brigitte?« wandte sie sich aufstehend zu der alten Dame.

»Kinder, bei dem Wetter – wo man keinen Hund vom warmen Ofen jagen möchte,« zusammenfröstelnd hüllte sich Tante Brigitte trotz der behaglichen Zimmertemperatur in ihren gehäkelten wolligen Seelenwärmer, während Peter, ihr großer schwarzer Pudel, beifällig knurrte.

»Es ist ja wundervoll draußen, am liebsten machte ich jetzt eine Schlittenfahrt ins Taubertal hinein,« rief Magda, in das dichte Schneegestöber hinausschauend.

.

Vergnügte Schlittenfahrt

»Ja, wundervoll ist es!« Trautchen, die schon gewonnenes Spiel zu haben glaubte, klatschte glückselig in die Händchen.

»Und der Strumpfkorb da drüben, mein Fräulein?« mischte sich jetzt der Vater in die Debatte.

Trautchens Gesicht ward ängstlich.

»Der läuft nicht davon, bis ich wiederkomme, Vater. Aber die Ursel läuft davon, die will heute mit der Änne nach Würzburg ins Theater. Und ich – ach, wie gern möchte ich – – –«

»Ins Theater ...?« Der Ratsherr schüttelte den Kopf.

»Ich möchte ihnen gern noch ganz geschwind etwas für unsern Heinz mitgeben,« vollendete Magda schnell den Satz. Sie hatte den Freundinnen ja gleich gesagt, daß sie nie und nimmer mit durfte.

»Auch wieder solche neumodischen Sachen, daß die jungen Mädchen ins Theater fahren müssen! Wer hätte früher hier jemals daran gedacht? Bis nach Würzburg, das bedeutete eine Reise. Jedes Jahr, wenn zur Messe einmal die Komödianten nach Rothenburg kamen, ging man früher ins Theater – und das war reichlich genug. Ja, ja, die Zeiten haben sich geändert, was, Tante Brigitte? Aber besser sind sie nicht geworden. Anspruchsvoll und vergnügungssüchtig haben sie unsere heutigen Mädchen gemacht.«

Tante Brigitte nickte mit ihrem schwarzen Spitzenhäubchen wehmütig den vergangenen besseren Zeiten nach. Die junge Magda aber rief blitzenden Auges: »Nein, Vater, das kannst du wirklich nicht sagen. Weder ich noch meine Freundinnen sind anspruchsvoll und vergnügungssüchtig. Wann bin ich überhaupt schon aus unsern engen alten Mauern herausgekommen? Und Ursel, die den ganzen Tag so fleißig in der Apotheke arbeitet, und die Änne, die ebenso eifrig ihre Malstudien treibt, denen ist doch eine kleine Abwechslung mal zu gönnen. Ich wünschte, ich dürfte mit ihnen mit!« Voll Sehnsucht klang es.

»Ei ei, Magda, mir scheint's, die Freundinnen mit ihren verdrehten modernen Ansichten von Selbständigkeit und Frauenberufen haben schon ansteckend gewirkt. Aber solange du unter meiner Botmäßigkeit stehst, wird nichts aus solchem vergnügungssüchtigen in die Welt Hineinfahren. Eine Haustochter gehört ins Haus – so haben wir Toppler es allezeit gehalten.« Der Ratsherr begab sich schweren Tritts in sein Arbeitszimmer.

Magda, welche derartige Auseinandersetzungen des Vaters bereits kannte, seufzte hörbar.

Die alte Tante auf dem grünen Ripssofa deutete den Seufzer anders. Sie lächelte ihr gütigstes Lächeln: »Na, lauft nur Kinder, lauft nur! Für den Strumpfkorb findet sich heute abend wohl noch ein Stündchen. Aber die Pelzgummischuhe anziehen, Trautchen, und das Käppchen aufsetzen, daß du dir nicht die Ohren erfrierst, mein Seelchen. Und vergiß bloß nicht, Magda, dem Heinz die wollene Unterwäsche mitzuschicken, der arme Junge kann sie bei dem Wetter brauchen!«

Wenige Minuten später trat Magda Toppler, das dunkle Pelzbarett fest auf das Goldhaar gestülpt, Klein-Trautchen an der Hand, durch das schöngeschwungene Rundbogenportal, das mit seiner kunstvollen Schmiedearbeit jedem Vorübergehenden schon sagte, daß es ein vornehmes Patrizierhaus bewache.


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