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14. Kapitel. Streckt eure Vorräte!

Das große Kriegsjahr 1914 war vom Zeitenrad abgeschnurrt, und das junge Jahr 1915 nicht weniger kriegerisch und waffenklirrend in die Welt hineingestürmt. Millionen von deutschen Herzen schlugen ihm hoffnungsfreudig entgegen. Es würde die großen Siege des vergangenen Jahres vollenden und den ehrenvollen Frieden bringen – so hoffte ein jeder.

Und als ob das junge Jahr wüßte, was man von ihm erwartete, so schmetterte es schon im Februar dem deutschen Volke siegesfroh entgegen: »Fahnen heraus!« Hindenburg, der Retter der östlichen Grenzländer, hatte seine gewaltige, neuntägige Winterschlacht in Masuren geschlagen, für immer waren die Kosakenhorden aus Ostpreußen vertrieben.

Da wehte und wallte es farbenfreudig von den Häusern Berlins, da wogte es und bauschte sich siegesstolz im Winde. Schwarz-weiß-rot, schwarz-gelb und der türkische Halbmond, auch von dem Braunschen Balkon flatterten diese Fahnen. Jeder der drei Kinder flaggte in einer andern Farbe. Seitdem die Türken Deutschlands Bundesgenossen geworden waren, hatte Klaus für sich die Halbmondfahne erkoren. Annemarie in ihrer Vaterlandsliebe ließ nicht von schwarz-weiß-rot, so mußte Hans zu den Farben der österreichischen Bundesgenossen greifen.

Fahnen und schulfreie Tage – wie jubelte die ohnedies begeisterte Jugend jedem neuen Siege entgegen. Die Braunschen Kinder betrachteten dieselben von ganz verschiedenen Seiten. Der Obersekundaner hatte natürlich nur die militärischen Vorteile im Auge. Klaus, der Faulpelz, überlegte hauptsächlich, ob der Sieg wohl wichtig genug wäre, den Schulunterricht ausfallen zu lassen. Nesthäkchen aber hoffte von einem jeden, daß die Engländer sich dadurch leichter bereit finden würden, ihre Mutti nach Hause reisen zu lassen.

Bisher hatte Annemarie vergeblich gewartet. Wohl trafen Karten und Briefe jetzt ziemlich regelmäßig ein, aber nicht die Heißersehnte.

Heute kam Annemarie empört aus der Schule.

»Großmama,« rief sie schon von draußen, »ich habe geglaubt, das Gemeinste, was die Engländer tun können, ist, daß sie Mutti nicht fortlassen. Aber sie sind noch viel gemeiner – denke bloß mal, unser Direktor sagt, England will die deutschen Frauen und Kinder aushungern. Bloß weil es so wütend ist über unsere Unterseebooterfolge und über unsere Zeppeline. Aber Herr Direktor meint, das wird ihnen nie und nimmer gelingen, jeder einzelne von uns muß helfen, diesen schändlichen Plan zunichte zu machen. Von nun an esse ich nie mehr als zwei Stullen abends, wenn ich auch noch so verhungert bin. Und morgens möchte ich jetzt auch keine Buttersemmel mehr, sondern Marmeladenbrot. Es ist dringend nötig, daß wir unsere Vorräte strecken, sagt der Herr Direktor, und jedes vaterlandsliebende Schulkind muß Opfer bringen.« Ganz heiße Backen hatte sich Nesthäkchen geredet.

»Ei, Herzchen, so schlimm wird's ja nicht gleich werden«, Großmama lächelte über Annemaries Eifer. »Ich glaube, du kannst dich noch ganz ruhig satt essen. Wir haben viel Getreide in Deutschland.«

»Wir kriegen im nächsten Monat Brotkarten, da kann es doch nicht so reichlich mit dem Brot sein«, fiel Klaus ein. »Unser Lehrer hat uns auch ans Herz gelegt, sparsam mit dem Getreideverbrauch umzugehen und unsern Gurt in der Magengegend etwas fester zu schnallen.«

»Ja, Hanne, dann wird wohl bei uns Schmalhans Küchenmeister werden«, meinte Großmama scherzend zu der Köchin. »Es wäre doch wohl gut, wenn wir uns beizeiten noch etwas verproviantieren. Vielleicht kaufen wir noch einen größeren Posten Hülsenfrüchte und Mehl«, überlegte die erfahrene Frau.

»Nee, Großmama, das darfst du nicht«, rief Annemarie wieder aufgeregt. »Wer die Vorräte aufkauft und hamstert, versündigt sich am Vaterland, hat Fräulein Drehmann gesagt.«

Großmama war ebenso praktisch wie vaterlandsliebend. Ihr Sprichwort war von jeher: Sorge in der Zeit, dann hast du in der Not. Sie konnte durchaus kein Unrecht darin sehen, wenn sie von jedem Ausgang ein Pfündchen Mehl, Reis oder Grütze heimbrachte. Was an ihr lag, sollten ihre Enkelkinder nicht Hunger leiden.

Die Jugend jedoch setzte plötzlich ihren vaterländischen Stolz darein, sich Entbehrungen aufzuerlegen. Hans kratzte sich abends die Butter, die Großmutterliebe ihm fett gestrichen, vom Brot und erklärte: »Fette sollen knapp werden, man braucht nicht so dick geschmiert zu essen!« Klaus und Annemarie aber baten nur um zwei Butterbrote.

»Junge, du mußt doch noch Hunger haben, du wirst ja sonst manches Mal mit fünf Stullen noch nicht satt«, meinte Fräulein, die von dem vorangegangenen Gespräch nichts wußte, ganz erstaunt.

»Natürlich habe ich Hunger, dollen sogar, aber ich esse keine Stulle mehr. Besser, ich habe ein Loch im Magen, als wenn England Deutschland zu einem schmachvollen Frieden durch Aushungerung zwingt!« rief der Tertianer großartig, während seine Augen begehrlich an Schinken und Wurst hingen.

»Na, dann iß wenigstens noch eine Schinkensemmel, wenn du keine Stulle mehr magst«, schlug ihm Großmama mit seinem Lächeln vor.

In den braunen Jungenaugen blitzte es freudig auf. Aber »nee, nee – Semmel ist noch mehr Getreideverbrauch«, wehrte er ängstlich ab.

»Weißt du, Klaus, man muß den Bogen nicht gleich zu straff spannen. Ich würde allmählich mit der Entbehrungskur beginnen«, es ist schwer für eine Großmutter, mit anzusehen, daß ihre Enkel nicht satt werden. »Heute ißt du statt der sonstigen fünf Stullen nur vier, und morgen bloß noch drei. Dafür kocht uns die Hanne Kartoffeln«, damit reichte Großmama dem armen, hungrigen Klaus Brot und Aufschnitt hinüber.

Großmama hatte wie immer recht. Klaus kaute mit vollen Backen. Nesthäkchen jedoch blieb allem Zureden ungeachtet fest, trotzdem es auch ganz gern noch etwas gegessen hätte.

Aber Annemarie hatte mit ihren Freundinnen gewettet, wer von ihnen es fertig brächte, sich mit zwei Butterbroten des Abends zu begnügen; da mochte sie sich nicht ausstechen lassen.

Als Fräulein spät in das Kinderzimmer trat, regte es sich noch in dem Bett unter dem Wittdüner Strandbild.

»Nanu, Annemie, schläfst du noch nicht?« wunderte sich Fräulein.

»Nee«, das klang ganz mattherzig.

»Ist dir was, Annemie?« forschte Fräulein besorgt.

»Ja, ich habe Magenschmerzen«, kam aus Nesthäkchens Bett betrübt die Antwort.

»Magenschmerzen – du hast gewiß Hunger, Annemie!« lachte Fräulein. »Das kommt davon, wenn man sich abends nicht satt ißt.«

»Aber der Herr Direktor hat doch gesagt, daß Deutschland ausgehungert werden soll – – –«

»Und da probierst du schon immer im voraus, wie das wohl ist.« Fräulein lachte noch mehr. »So hat das euer Direktor sicher nicht gemeint, Kind. Er hat vor unnötigem Getreideverbrauch gewarnt, daß nichts vergeudet und nicht unmäßig gegessen wird. Deine drei Stüllchen kannst du dir ruhig noch schmecken lassen, Annemie.«

»Meinst du wirklich, Fräulein?« Nesthäkchen war immer noch zweifelnd. Aber es griff doch tüchtig in die Keksbüchse hinein, die Fräulein herbeiholte. »Sonst bist du morgen früh am Ende verhungert, wenn ich dich wecke, Annemiechen.«

»Ach, liebstes, goldenes Fräulein, ich hatte ja solche Angst, daß ich am Ende verhungert bin, ehe Mutti zurückkommt. Aber jetzt ist mir schon viel besser, und die Magenschmerzen sind auch weg«, das gesättigte Nesthäkchen schlief nun endlich ein.

Am andern Tage in der Schule aber stellte Annemarie stolz fest, daß sie die einzige von ihren Freundinnen gewesen, die ihre Vornahme, sich mit zwei Butterbroten fürs Vaterland zu begnügen, durchgeführt hatte. Denn Keks war doch kein Getreideverbrauch.

»Wer belegte Stullen zur Schule mitnimmt, ist unpatriotisch«, sagte Annemarie laut in der Zwischenpause mit einem deutlichen Seitenblick auf die allein in der Ecke stehende Vera.

Die ließ ihr Wurstbrot, in das sie gerade einbeißen wollte, erschreckt sinken. Zu Hause aber bat sie die Tante himmelhoch, ihr doch bloß nicht mehr »belegt« zum Frühstück mitzugeben. Wie verächtlich Annemarie Braun sie wieder deshalb angesehen hatte.

Die mitleidige Regung, die Annemarie am Weihnachtsabend gegen Vera verspürt hatte, war längst verflogen. Es ist nicht leicht, ein rollendes Rad zum Halten zu bringen. Besonders, wenn man selbst den Anstoß dazu gegeben hat, wie Annemarie mit der allgemeinen Ausschließung Veras. Sollte sie jetzt plötzlich gerade das Gegenteil davon tun, was sie den andern geraten, und Vera nicht mehr aus ihrem Kreise ausstoßen? Nein, das hieß ja eingestehen, daß sie damit unrecht gehabt hatte. Sich solche Blöße vor der ganzen Klasse geben – das ließ ihr Stolz nicht zu. Aber es war ein falscher Stolz, der Doktors Nesthäkchen zurückhielt, der guten Regung ihres Herzens zu folgen.

Annemarie fühlte das selbst, denn ihr Gewissen machte sich öfters bemerkbar, wenn sie Veras traurigen Augen begegnete. Wenn sie dieselbe in den Pausen, wo alles fröhlich durcheinander schwatzte und tollte, so verlassen und gemieden sah. Aber Nesthäkchen beruhigte die lästige Stimme, die ihr zuflüsterte: »Siehst du, das ist dein Werk«, mit einem trotzigen: »Und sie ist doch eine Spionin!«

Die Brotkarten waren eingeführt worden. Bei Brauns wog Hans jetzt mit peinlichster Genauigkeit jede Schnitte auf der Briefwage ab, daß nur keiner mehr Gramm Brot verzehrte, als ihm zukam.

»Hanne, Ihre Stullen sind viel zu dick, Sie essen ja allein hundertfünfzig Gramm abends, wie wollen Sie denn da den ganzen Tag mit Ihrem Brotanteil ausreichen«, stellte er der Köchin vor.

Aber da kam er bei Hanne an die richtige.

»Ich will Ihn' mal was sagen, junger Herr, ich esse keene Gramms nich, ich esse meine Stullen und schere mich den Deibel drum, wieviel die wiegen. Und wer mich deshalb für 'ne schlechte Patriotin hält, dem jeb' ich zur Antwort: Meine paar Ersparnisse hab' ich jern fürs Vaterland und für unsere Kriejer jeopfert, aber von wejen meine Stullen, was jehen mir denn die Engländers an!«

»Aber Hanne, doch nicht wegen der Engländer, um unserer deutschen Frauen und Kinder willen sollen wir sparsam sein und unsere Vorräte strecken«, jeden Tag hielt der Obersekundaner der Küchenfee einen derartigen Vortrag, wenn sie zuviel Fett an die Speisen tat. Aber stets mit dem gleichen Erfolge, daß Hanne ihm ungeduldig den breiten Rücken kehrte.

Klaus aber, der Frechdachs, foppte sie obendrein: »Wenn ein noch größeres Geschütz als unsere Zweiundvierziger Mörser erfunden wird, dann heißt es nicht mehr die ›dicke Berta‹, sondern Ihnen zu Ehren sicher die ›dicke Hanne‹!«

Auch Großmama war den Brotkarten nicht sehr hold. Das Alter gewöhnt sich ja schwerer an Neues, als die Jugend. Sie hatte immer einen reichlichen Haushalt geführt, und nun konnte sie nicht mal soviel trocken Brot kaufen, wie sie wollte! Ja, es wurde sogar knapp im Haus, denn Kläuschens Magen vergaß allmählich seinen Patriotismus und stieg wieder zu fünf Stullen abends empor. Großmama entzog es sich lieber selbst als den Kindern. Aber es ward ihr ganz ängstlich, so bei jedem Stück Brot, jedem Viertel Mehl überlegen zu müssen. Und Hans machte sie mit seinem Abwiegen und Berechnen von Grammen vollends wüst im Kopf.

Was war das jetzt für eine Zeit, manchmal fand sich Großmama überhaupt nicht mehr darin zurecht.

Fast in jeder Woche kamen die Enkel mit einem andern Anliegen aus der Schule heim.

»Großmuttchen, hast du noch Gold?« erkundigte sich Nesthäkchen eines Tages.

»Leider schmilzt es bei den Kriegspreisen jetzt sehr zusammen«, scherzte Großmama.

»Du darfst aber gar kein Gold mehr haben, Großmuttchen, wir müssen alles Gold, was wir zu Hause auftreiben können, zur Schule mitbringen und Papiergeld dafür in Empfang nehmen.«

»I, fällt mir ja nicht im Traume ein«, wies Großmama die Kleine energisch ab.

Als vorsorgende und ängstliche Frau hatte sie sich soviel Geld wie möglich in Gold zurückgelegt. Gold behielt immer seinen Wert, selbst wenn Papiergeld wertlos war. Und das sollte sie jetzt fortgeben? Das wäre doch mehr als leichtsinnig!

Aber Großmama rechnete nicht mit der Ausdauer und Beredsamkeit ihrer drei Enkel. Da kam der Klaus und trompetete durchs Haus: »Wer sein Gold nicht an die Reichsbank abliefert, versündigt sich am Vaterland!« Da hielt der Hans täglich ellenlange Vorträge, weshalb und warum es notwendig sei, alles Gold in den Staatsdienst zu stellen, daß Großmama allmählich mürbe wurde. Den Rest aber gab ihr Nesthäkchen mit seinen zärtlichen Bitten, Streicheln und Küssen. Das Schmeichelkätzchen setzte es zuerst durch, daß Großmama ihr fünf Goldstücke zur Ablieferung an die Schule einhändigte oder vielmehr dem Fräulein. Denn der huschligen Annemarie mochte Großmama nicht hundert Mark anvertrauen.

Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Natürlich wollten nun auch die Jungen Gold für die Schulsammlung. Und den Rest – den brachte die Großmama dann eigenhändig zur Reichsbank. Nie hätte sie gedacht, daß sie das gehütete Gold aus freien Stücken abliefern würde. Aber die kluge und vaterlandsliebende Frau hatte inzwischen erkannt, daß es notwendig war, das Wohl des einzelnen dem Wohl der Gesamtheit hintenan zu setzen. »Ja, ja, die Welt ist jetzt umgekehrt, die Alten lernen von den Jungen«, sagte sie halb im Ernst, halb im Scherz zu Tante Albertinchen, die sie oft besuchte.

Aber als die drei Kinder eines Tages gar einen Sturmangriff auf ihren Haushalt unternahmen, ging ihr das denn doch über den Spaß. Auf ihre Kupferkessel, ihre schönen, großen, in deren Glanz sie sich jeden Sonnabend, wenn sie geputzt waren, spiegelte, hatten sie es abgesehen. Die sollte die arme Großmama herausrücken.

»Wir kriegen einen eisernen Ring mit Inschrift dafür, nicht wahr, du gibst mir ein paar von den ollen Kesseln, liebstes, einziges Großmuttchen?« Annemaries Augen bettelten mit ihrem Mund und ihren streichelnden Händen um die Wette.

Es war nicht leicht, Nesthäkchens flehentlichen blauen Sternenaugen etwas abzuschlagen. Aber die Zumutung erschien Großmama doch etwas stark. Die Kessel waren noch ein Erbstück von ihrer eigenen Mutter, der Stolz der Hausfrau. Nein, diesmal blieb Großmama fest.

Aber als Annemarie am nächsten Tage weinend aus der Schule kam, sogar Vera, die Polnische, habe einen Kupferkessel mitgebracht und dafür einen Gedenkring erhalten, bloß sie nicht – da ward Großmamas Herz von den Tränen ihres Lieblings doch erweicht.

»Na, meinetwegen,« seufzte sie schließlich ergebungsvoll, »aber nur zwei kleine – mehr keinesfalls!«

»Ach, das ist ja genug, dafür kriege ich sicher einen Ring«, jubelte Annemarie, die gute Großmama in ihrer Dankbarkeit fast erdrückend. Nesthäkchen schien zu glauben, die Kupfersammlung sei lediglich zu dem Zweck veranstaltet, um Schulkinder durch Gedenkringe zu erfreuen.

Aber Bruder Hans belehrte sie eines Besseren.

»Gedenkringe sind ja ganz schön, aber schließlich doch nur Nebensache. Die Hauptsache bleibt, daß wir genug Kupfer zur Herstellung unserer Munition zusammenkriegen.« Und nun ließ er seinen schönsten Vortrag vom Stapel. Nur schade, daß seine Hörerschaft das Ende desselben nicht abwartete. Annemarie ging schon nach den ersten Sätzen auf und davon, um Klaus ein bißchen zu ärgern, daß sie zwei Kessel bekam und er keinen. Großmama hatte in der Wirtschaft zu tun, so sah sich der beredte Hans plötzlich mit Puck allein im Zimmer, der als einziger seinen Vortrag richtig zu würdigen schien.

In der Jungenstube gab es inzwischen eine lebhafte Auseinandersetzung zwischen den beiden Jüngeren. »Natürlich gibst du mir einen Kessel ab, du dummes Ding, einer kommt mir überhaupt zu«, rief Klaus energisch.

»Is ja nicht wahr, Großmama hat sie mir geschenkt! Und für einen kleinen Kessel bekomme ich am Ende gar keinen Ring!« War es ein Wunder, wenn fast ganz Europa gegeneinander losging, daß auch bei Doktor Braun ein Krieg im kleinen stattfand? Zum erstenmal seit langer Zeit keilten sich die Geschwister wieder kunstgerecht.

»Aber Klaus – Annemie, schämst du dich denn gar nicht!« von beiden Seiten eilten Großmama und Fräulein friedenstiftend hinzu.

»Der Klaus will mir meinen Kessel fortnehmen, Großmama«, begann Annemarie sich weinend zu verteidigen.

»Einer gehört mir – – –«

»Nein, mein Sohn, du irrst dich. Sie gehören alle beide mir, und ich habe sie für Annemie bestimmt.« Großmamas Ruhe stach seltsam von der lauten Empörung der kriegführenden Parteien ab.

»Dann lasse ich mir eben einen Kessel von der Hanne geben«, mit einem letzten Knuff verließ Klaus das Zimmer. Natürlich wollte Nesthäkchen hinter ihm her, um nun ihrerseits wieder die »Offensive« zu ergreifen. Jedoch Fräulein hielt es zurück. Großmama sagte ernst: »Ich sorge mit Freuden für euch, Kinder, und nehme die kleinen Unbequemlichkeiten und die Unruhe eines größeren Haushaltes gern in Kauf. Aber Zank und Streit kann ich nicht vertragen, dazu bin ich schon zu alt und zu sehr an Ruhe gewöhnt. Wollt ihr, daß ich bei euch bleibe, dann müßt ihr Rücksicht auf mich nehmen und euch vertragen!«

Blutrot wurde Annemarie bei Großmamas eindringlichen Worten. Muttis erster Brief wurde plötzlich wieder in ihr lebendig. Hatte sie nicht damals die feste Vornahme gehabt, rücksichtsvoll gegen Großmama zu sein und für sie zu sorgen? Längst hatte sie das vergessen, wie sie auch manches andere vergaß.

»Verzeih mir, Großmuttchen,« bat sie beschämt, »ich will jetzt wirklich immer daran denken, daß du schon alt bist und keinen Krach mehr vertragen kannst.«

Und als ein Weilchen später Klaus mit bitterbösem Gesicht wieder erschien, weil Hanne sich durchaus nicht auf irgendwelche Verhandlungen einlassen wollte, und ihre Kessel verteidigte, wie eine Löwin ihre Junge, da sagte Nesthäkchen aus freien Stücken: »Ich gebe dir einen Kessel ab, Klaus.«

»Na also,« sagte der erfreut, »da hätten wir uns die Keilerei ja sparen können.«

Am nächsten Tage marschierten Doktors Sprößlinge einträchtig, jeder mit einem Kupferkessel, in die Schule und kamen freudestrahlend mit ihrem Gedenkring wieder heim.

Großmama sah lächelnd das gute Einvernehmen der beiden und dachte: »Ich wünschte, da draußen in der Welt wäre so schnell Frieden wie bei meiner kriegerischen, kleinen Gesellschaft.«


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