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8. Kapitel. Eine lebendige Puppe.

Es war am Sedantag, dem großen Tage, der einst Deutschlands Ruhm begründet. In den Schulen hatten allenthalben Feiern am Vormittag stattgefunden. Das Schubertsche Mädchengymnasium hatte dieselbe gemeinsam mit den Schülerinnen der Volksschule abgehalten. Arm und reich saßen da untereinander in dem großen, hellgetünchten Schulsaal. Aber keine von den »höheren Töchtern« hatte irgendeine hochmütige Empfindung dabei, keins von den Kindern aus dem Volke irgendeine neidische auf die schöner geputzten Mädchen. Alle einte der gleiche, erhebende Gedanke: Ruhm und Sieg, wie sie der heutige Tag einst besiegelt, möge auch die Zukunft dem teuren Vaterlande bringen!

Berlin prangte heute wieder im bunten Flaggenkleid. Annemarie wollte gern mit Klaus an dem schulfreien Nachmittag Unter die Linden gehen. Die schöne Straße Berlins, die vom Brandenburger Tor zum alten Kaiserschlosse führt; dort zog an patriotischen Gedenktagen das Militär mit Musik entlang, dort zeigten sich auch öfters die kleinen Prinzen, jubelnd von der Menge begrüßt, am Fenster oder auf dem Balkon.

Klaus hatte sich mit zwei Freunden verabredet, und Annemarie wollte für ihr Leben gern mit.

Aber Großmama war ängstlich, Nesthäkchen gerade heute, wo die Menschen sich sicherlich Unter den Linden drängten, dem wilden Jungen anzuvertrauen. Fräulein war für den Nachmittag und Abend zum Geburtstag einer Bekannten beurlaubt, und Großmama selbst hatte einen wichtigen Weg vor. Sie wollte aufs holländische Konsulat und sich dort erkundigen, wie ein Brief über das neutrale Holland am sichersten ihre Tochter in England erreichen würde. Denn die Zeitungen hatten Berichte über Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten der Londoner Bevölkerung gegen dort wohnende Deutsche gebracht. Die Polizei hatte die Deutschen zu deren eigener Sicherheit festnehmen müssen.

Diese Zeitungsnachrichten waren natürlich dazu angetan, die große Sorge der alten Dame um ihre Tochter, von der sie immer noch nichts hörte, zu vermehren. Es war ihr gelungen, das Zeitungsblatt vor den Kindern zu verbergen. Was sollten die sich auch noch um ihre Mutti ängstigen! Nur der große Hans trug gemeinsam mit Großmama die Sorge. Man hatte ihm beim Roten Kreuz den Rat gegeben, über Holland zu schreiben, und nun wollte die Großmama keinen Tag mehr damit zögern.

Nesthäkchen sollte sie begleiten. Aber das wollte nicht. Nee, wenn es nicht Unter die Linden durfte, blieb es überhaupt zu Hause.

So saß Annemarie an diesem goldenen Sedantage allein auf dem Balkon oder vielmehr »Vorbau« und strickte eine Leibbinde für den Vater, der jetzt zwischen Reims und Verdun viel Arbeit hatte.

Aber die Kleine war gar nicht vergnügt bei ihrem Werk. Eigentlich hätte sie ihrem Vatchen, der es jetzt so schwer hatte, lauter frohe Gedanken mithineinstricken müssen, denn Nesthäkchen war doch sein Sonnenschein.

Das fand auch die liebe Sonne droben am Himmel. Sie sandte ihre lustigsten, übermütigsten Strahlen zu der kleinen Strickerin herab, aber das hübsche Kindergesicht wollte sich trotzdem nicht erhellen.

Annemarie war aber auch zu ärgerlich. Und wenn sie ehrlich war – und das war sie eigentlich immer – am meisten auf sich selbst. Warum war sie auch in ihrem Eigensinn nicht mit Großmama mitgegangen! Nun mußte sie an dem schönen Sedantage allein hier zu Hause hocken. Freundin Margot, auf deren Gesellschaft sie heimlich gehofft, schien auch ausgegangen zu sein. Wenigstens ließ sich auf das verabredete Freundschaftszeichen, dreimaliges Klopfen an der Balkonwand, kein Echo vernehmen.

Wie dumm, daß Hans selbst heute Dienst hatte. Dem großen Bruder hätte Großmama sie sicherlich anvertraut.

Schloß es da nicht an der Eingangstür? Das konnte nur Hans sein.

Au fein – gerade heute kam er früh, vielleicht ging er noch ein bißchen mit ihr Unter die Linden.

»Ist denn kein einziges Frauenzimmer hier im Hause?« – Hans ging suchend durch alle Zimmer.

»Ja, hier ist eins«, meldete sich Nesthäkchens Stimme vom Balkon.

»Ach, du«, machte der Bruder, der in großer Eile zu sein schien, wegwerfend. »Wo ist die Großmama oder Fräulein?«

Annemarie antwortete nicht. Fiel ihr ja nicht im Traum ein, wenn der Hans so zu ihr war.

»Herrgott, Mädel, sei doch nicht so störrisch, du siehst doch, daß es sich um eine Sache von größter Wichtigkeit handelt. Ist denn Hanne nicht wenigstens da?«

»Nee, die ist einholen gegangen. Und Großmama und Fräulein sind auch fort«, bequemte sich Annemarie jetzt zu antworten. Denn Sachen von größter Wichtigkeit erregten die Wißbegier des kleinen Fräuleins.

»Das ist ja eine nette Geschichte«, der Bruder war in heilloser Aufregung.

»Was ist denn los, Hänschen, sag' es mir doch, ich bin doch schon elf Jahre alt«, die Kleine brannte vor Neugierde.

»Ich habe euch da was mitgebracht«, der Bruder wies auf ein ziemlich umfangreiches Paket, das er unter seiner Lodenpelerine versteckt hielt. Ein leises, leises Mauzen ward hörbar.

»Ach, ein Kätzchen – eine junge Katze – die habe ich mir schon lange gewünscht! Schenke sie mir, Hänschen, bitte, bitte, schenk' sie mir doch!« Annemarie umsprang freudestrahlend den Bruder. Vergessen war im Nu alle schlechte Laune.

»Das Kätzchen ist – ein kleines Ostpreußenkind!« Da zog der Obersekundaner endlich das Bündel hervor, das er unter der Pelerine ungeschickt im Arm hielt.

Nesthäkchen stand starr.

Ein rotgeschrienes Kahlköpfchen ward sichtbar, zwei energisch in der Luft herumfuchtelnde Händchen. So klein, so winzig klein wie von einer großen Puppe.

»Ist das süß!« Da kam wieder Leben in das erstaunte kleine Mädchen. »Das ist ja noch tausendmal niedlicher als ein Kätzchen. Schenkst du's mir, Hänschen?« Nesthäkchens Hände griffen liebevoll nach dem quakenden Bündel. »Ein richtiges Wickelkind – ach, werden mich meine Freundinnen darum beneiden!« Wie sie es einst mit ihrer großen Puppe Gerda getan, so begann Nesthäkchen das rotkarierte Bündel mütterlich hin und her zu schaukeln.

Wirklich, das Weinen hörte auf.

Zwei große, blaue Kinderaugen sahen dumm verwundert in die ebenso blauen Annemaries, die beseligt an ihnen hingen.

»Laß es bloß nicht fallen, Annemie«, der Obersekundaner wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war ja ganz schön, Pfadfinder zu sein, aber daneben noch Kindermädchen spielen zu müssen, das war denn doch ein bißchen zu anstrengend.

»Wie werd' ich denn!« Annemarie setzte sich mit ihrem quakenden Säugling der Sicherheit halber lieber hin. »Sieh mal, es kennt mich schon. Es denkt sicherlich, ich bin seine Mutter, und dich hält es gewiß für seinen Vater«, Annemarie mußte bei diesem Gedanken laut loslachen.

Aber der kleine Erdenbürger auf ihrem Arm schien nicht viel Sinn für Humor zu haben. Der hatte in seinem kurzen Leben wohl schon zu viel Ernstes erlebt. Oder hatte ihn Annemaries lautes Lachen erschreckt? Genug, das Mündchen verzog sich wieder weinerlich, und ein neues Konzert begann – diesmal unvergleichlich lauter, wenn auch nicht melodischer.

Es half nichts, Nesthäkchen mußte wieder aufstehen und den Schreihals hin und her schaukeln.

Der Obersekundaner sah dem kleinen Schwesterchen bewundernd zu. Tatsächlich, so ein Mädel verstand das doch besser, und wenn es selbst noch solch ein kleines Ding war wie Nesthäkchen. Geradezu etwas Mütterliches hatte die Art, mit der Annemarie den schreienden Säugling zu beruhigen suchte.

»Hat es keine Eltern mehr?« Da das Wickelkind gerade eine Schreipause machte, um neue Kräfte zu sammeln, regte sich die berechtigte Neugier nach dem Herkommen der ihr ins Haus geschneiten lebendigen Puppe bei Annemarie.

»Das weiß der Himmel allein«, Hans zuckte die Achsel. »Ostpreußische Flüchtlinge haben das Wurm irgendwo bei der Flucht an der Wegböschung aufgelesen und mit nach Berlin gebracht. Ob die Eltern es bei der Eile und Hast verloren haben, ob sie überhaupt noch leben, das weiß kein Mensch. Ebensowenig wie den Namen oder den Geburtsort des Kleinen. Ich sollte ihn ins Findelhaus bringen, aber da war alles voll. Man schickte mich von einer Kleinkinderkrippe zur andern, überall wurden wir wegen Überfüllung abgewiesen. Bis ich die Sache satt bekam und das Wurm einfach mit nach Hause genommen habe. Wir haben ja genug Platz und soviel Milch, wie so'n winziges Ding braucht, fällt wohl auch noch ab.«

»Fein, daß du's mitgebracht hast, Hänschen. Ich will es an Kindes Statt aufziehen«, ließ sich Nesthäkchen wichtig vernehmen. »So'n armes Kleines kennt seine Eltern nicht mal und wird sie auch vielleicht niemals kennen lernen!« Annemarie hatte Tränen tiefen Mitleids in den Augen. Wieder ward ihr das furchtbare Elend, das ein Krieg mit sich bringt, offenbar. Und da weinte sie jeden Abend, bloß weil Vater und Mutter nicht bei ihr waren! Hatte sie nicht noch allen Grund, dem lieben Gott dankbar zu sein, wenn sie das elternlose, in der Welt herumgestoßene Würmchen hier sah?

Das mußte wohl selbst inniges Mitleid mit sich empfinden, denn es ließ wieder ein jammervolles »äääh – äääh – äääh« ertönen.

»Am Ende hat es Hunger«, Nesthäkchen war ziemlich ratlos dem brüllenden Bündel gegenüber. »Da – nimm es mal, Hänschen, ich hole ihm inzwischen was zu essen.«

»Leg' es lieber aufs Sofa«, der Obersekundaner hatte genug vom Kinderwarten.

»Nee – da könnt es runterfallen. Aber weißt du was, Hans, in meinen großen Puppenwagen, da wird es gerade reinpassen – au famos!« Der Wildfang hätte beinahe vor Freude über diesen Einfall einen Luftsprung mit dem Säugling vollführt. Aber zum Glück schrie der Kleine in diesem Augenblick so wütend los, daß Nesthäkchen erschrocken innehielt.

Hans mußte sich nun doch bequemen, Vaterpflichten zu übernehmen und mit dem Schreihals in der Stube auf und ab zu traben, während Annemarie ihre sämtlichen Puppen, Lolo, Mariannchen, Kurt, Irenchen, und wie sie alle hießen, um die sie sich jetzt eigentlich gar nicht mehr kümmerte, aus dem Wagen schleuderte.

Wirklich, der kleine Gast paßte gerade in den großen Puppenwagen hinein. Ein so schönes Lager hatte er in seinem Leben noch nicht besessen. Er war so erstaunt über die weißen, spitzenbesetzten Kissen und die hellblaue Seidensteppdecke, daß er vor Bewunderung im Schreien innehielt.

Hans fuhr ihn jetzt hin und her. Vom Wohnzimmer ins Eßzimmer, vom Eßzimmer in die Kinderstube. Das ging schon eher als das Umhertragen und Wiegen, bei dem einem ganz schwindelig wurde.

Inzwischen überlegte Nesthäkchen eifrig, was sie »ihrem Kinde« wohl zum Essen vorsetzen könnte. Die Puppen hatten ihr das früher leichter gemacht. Die bekamen einfach Grasspinat und Kieselsteinbraten. Aber daß dies nichts für die lebendige Puppe war, soviel verstand Annemarie doch schon. Auch daß die vom Mittag übrig gebliebenen Erbsen mit Sauerkraut sich nicht recht zur Säuglingsnahrung eigneten, war ihr klar. Milch trank sie selbst nicht gern, da mochte das Wickelkind sie am Ende auch nicht. Aber das gab's nicht – kleine Kinder müssen Milch trinken, sie wollte ihren Jungen schon gut erziehen.

Unter solchen Gedanken goß Nesthäkchen Milch in eine Tasse und begab sich damit schnell ins Wohnzimmer, aus dem es ihr bereits wieder »äääh – äääh« entgegenmauzte.

»So, mein kleines Kerlchen, nun trinke schön«, Annemarie hielt dem kaum sechs Wochen alten Kind die Tasse an den Mund. Das wußte natürlich nichts damit anzufangen, da es bisher nur aus der Flasche getrunken hatte. Es schlug mit den Fäustchen Annemarie fast die Tasse aus der Hand. Der Inhalt schwippte über Kind und Puppenbetten.

Da schrie das Wickelkind natürlich noch viel mehr, daß es krebsrot im Gesicht wurde. Denn es fühlte sich in dem Milchbade ungemütlich.

»Bist du aber ein kleiner Unart!« Annemarie fand die Kindererziehung doch gar nicht so einfach. Vergeblich tupfte sie mit ihrem Taschentüchlein die Milchtropfen und die Tränen von dem roten Gesichtchen. Was fing sie bloß mit der heulenden Puppe an?

»Ob ich Zucker in die Milch tue, Hans?« ratlos stand Nesthäkchen auf der einen Seite des Puppenwagens und der Obersekundaner mit nicht viel schlauerem Gesicht auf der andern.

Ja, Kinder machen Sorgen!

»Die Tasse ist wohl zu groß für seinen kleinen Mund, vielleicht gibst du es ihm mit dem Teelöffel«, überlegte der Große ganz verständig.

»Nee, lieber aus meinem Puppentäßchen, aus dem schönen rosa mit goldenen Blümchen. Daraus wird er sicher gern trinken.«

Annemarie holte das Täßchen herbei, goß Milch hinein und tat zum Überfluß auch noch Zucker zu. Wenn der Junge aber jetzt wieder so ungezogen war, dann mußte sie es mit Strenge versuchen.

Ob das Sechswochenkind die Absichten seiner kleinen Pflegemutter ahnte, oder ob es wirklich das schöne rosa Täßchen mit den Goldblümchen vorzog – es begann jetzt eifrig zu schlucken und zu schlecken.

Nein, war das niedlich! Annemarie strahlte vor Mutterstolz, und auch Hans atmete erleichtert auf. Denn schließlich hatte er doch die Verantwortung für das Wurm.

Nachdem die winzige Puppentasse fünfmal geleert war, fand Nesthäkchen sorglich, daß dies für ein so kleines Kindchen genug sei. »Sonst verdirbst du dir am Ende den Magen, mein Kleiner.«

Das Wickelkind war entgegengesetzter Ansicht. Es war jetzt erst auf den Geschmack gekommen. Und ausgehungert war es obendrein. Da es seine Meinung nicht anders äußern konnte, begann es wieder nachdrücklich zu schreien.

Nun war seine kleine Pflegemutter so klug wie zuvor. Ob sie es mit einem Klaps versuchte? Bei Eigensinn half der am besten, das wußte Nesthäkchen noch von sich selber her. Aber sie mußte sich die Liebe ihres Kindes doch erst erringen, zu große Strenge war da sicherlich nicht am Platz.

Unter diesen Überlegungen zog sich Annemarie ihren Kinderstuhl an den Puppenwagen, nahm ihr Strickzeug wieder zur Hand und ließ ihren Jungen in aller Gemütsruhe schreien.

»Wie heißt es denn, Hans?«

»Weiß ich doch nicht. Die Leute, die es gefunden haben, kannten es gar nicht.«

»Dann muß ich es taufen.« Angestrengt dachte Annemarie über einen besonders schönen Namen für ihr Wickelkind nach. »Wie findest du Brutus – oder auch Odysseus – nein, halt – ich hab's – wir nennen ihn Hindenburg.«

Hans wollte zwar einwenden, daß dies kein Vorname sei, aber der kleine Hindenburg überschrie ihn mit Feldherrnstimme.

Da erschien in der Tür, angelockt von den merkwürdigen Tönen, die vom Einholen zurückkehrende Köchin.

»Um Himmels willen – was ist denn das für 'ne Bescherung?«

»Ein süßes Kind – wir haben ein Kind gekriegt, Hanne – es heißt Hindenburg!« Das kleine Mädchen blickte erwartungsvoll in Hannes derbes, rotes Gesicht. Was würde die bloß zu ihrem Jungen sagen?

Die sagte aber gar nichts. Sie tippte nur nicht mißzuverstehend gegen ihre Stirn. War denn die ganze Welt durch den Krieg verrückt geworden?

»Ich hab' Angst, daß die Russen zu uns kommen, und nun kommt statt dessen so'n kleenes, vermiekertes Wurm – und Hindenburg – nee, wie können Eltern ihr Kind bloß so varrickt nennen – – –« ließ sich Hanne endlich mit dem schlauesten Gesicht der Welt vernehmen.

Hans und Annemarie mußten lachen.

»Ich hab' es doch so genannt, weil es keine Eltern hat, und weil es jetzt mein Kind ist«, so laut Annemarie auch schrie, Hindenburg junior überschrie sie.

»Dein Kind – na, laß man die jnädije Jroßmama nach Hause kommen!«

»Großmama wird sich sehr freuen mit meinem Jungen und Fräulein auch, gerade so wie ich. Aber Sie haben gar kein Herz, Hanne, für so'n armes, verlorengegangenes Ostpreußenkind. Bsch – bsch – sei ruhig, Hindenburg!« Was so'n winziges Ding doch schon für eine Kraft in der Kehle hatte. Annemarie klopfte und schaukelte den Wagen, aber Hindenburg brüllte wütend weiter.

»Na, komm mal her, Kleener«, die Köchin griff nach dem Schreihals. Den Vorwurf der Herzlosigkeit wollte die gute Hanne doch nicht auf sich sitzen lassen. »Det Wurm hat Hunger,« entschied sie dann sachverständig, »es saugt ja an de Fingerkens.«

»Nee, das ist gar nicht möglich, es hat schon so viel Milch getrunken«, behauptete seine kleine Mutter. Nach Fug und Recht konnte Hindenburg doch ruhig sein. Das fiel ihm aber gar nicht ein. Er begann mit ungeschwächten Lungen von neuem zu trompeten. Dabei steckte er die Finger in den Mund, daß er beinahe erstickte.

»Hindenburgchen – sei doch artig – morgen fahre ich dich auch spazieren«, aber selbst dieses Versprechen Annemaries fruchtete nichts. Sie holte einen kleinen Ball herbei und hielt ihn dem Wickelkind hin, aber das war noch zu dumm, um danach zu greifen. Auch die Kuhglocke, die als Tischklingel benutzt wurde, und die Annemarie geräuschvoll in Bewegung setzte, um den Kleinen zu erheitern, hatte nur den einen Erfolg, daß Hindenburg sie aus Leibeskräften zu übertönen trachtete.

Da kam gerade die Großmama nach Haus. Schon auf dem Treppenflur vernahm sie das ohrenbetäubende Duett – Himmel, kam das aus ihrer Wohnung?

»Hanne, was ist denn bei uns los?«

»Na, jehen jnädije Frau man rein, drin jibt's 'ne Überraschung«, Hanne lachte in sich hinein.

Ja, das gab freilich eine Überraschung für die Großmama. Ob aber eine sehr freudige, soll dahingestellt bleiben!

In dem fürchterlichen Radau und in dem Bestreben, den Kleinen zu beruhigen, überhörte Annemarie den Eintritt der Großmama. Die blieb entsetzt mitten im Zimmer stehen. Sie traute ihren Augen nicht.

Da schrie und meckerte aus Nesthäkchens Puppenwagen, in dem die Puppen sich sonst ganz geräuschlos zu benehmen pflegten, ein lebendiges Etwas. Und Nesthäkchen selbst machte mit ihrer Klingel einen noch lauteren Spektakel. Hans aber stand auf der anderen Seite des Puppenwagens und ließ seine Taschenuhr hin und her schwingen, ohne daß dies irgendwelchen Eindruck auf den kleinen Schreihals machte.

»Ja, Kinder, was bedeutet denn das – wollt ihr mir das nicht gefälligst erklären?« Es dauerte eine ganze Weile, bis Großmama sich Gehör verschaffen konnte.

Annemarie hielt sofort im Läuten inne; Hindenburg aber nicht im Brüllen.

»Liebstes, einziges Großmuttchen, du hast ein Urenkelchen gekriegt!« Nesthäkchen flog auf die Großmama zu und zog sie selig zu dem Puppenwagen.

»Wa–s?« mehr brachte Großmama nicht heraus.

»Ist es nicht süß – wenn es man bloß nicht so schreien wollte!«

Diesen lebhaften Wunsch hegte auch die Großmama. Sie war in den fünf Minuten, in denen sie wieder zu Hause war, schon ganz wüst im Kopf geworden von dem Radau. Und »süß« konnte sie den krebsroten, kleinen Kahlkopf auch beim besten Willen nicht finden. Wie kam denn der überhaupt hierher?

Großmama wandte sich mit fragenden Augen an Hans. Da kam sie gerade an die richtige Adresse.

»Ich hab' ihn mitgebracht, Großmama,« gab Hans ein wenig zaghaft Auskunft, »weil der arme, kleine Kerl kein Unterkommen fand.« Es war ihm nun doch zweifelhaft, wie Großmama sich zu dem kleinen Lärmmacher stellen würde.

»Und ich hab' ihn von Hänschen geschenkt bekommen, weil er doch keine Eltern mehr hat, ich will ihn aufziehen! Na, lach' die Urgroßmama doch mal an, Hindenburg!«

»Was – wie heißt er?«

»Hindenburg – so habe ich ihn dem General von Hindenburg zu Ehren genannt«, erklärte das kleine Mädchen stolz.

Da lachte aber die »Urgroßmama« statt seiner, lachte – lachte – sie konnte sich gar nicht beruhigen.

»Und der kleine Hindenburg soll bei uns bleiben?«

»Wenigstens so lange, bis man anderswo Platz für ihn findet, oder bis die Eltern sich melden«, räumte der Obersekundaner zögernd ein.

»Nee, bis er groß ist – ich geb' ihn nicht fort. Großmuttchen, du hast doch immer solch Mitleid mit den armen Ostpreußen. Mein kleiner Hindenburg ist auch ein ostpreußischer Flüchtling. Er kennt nicht mal seine Eltern – nicht wahr, er darf doch bei uns bleiben?« so bettelte Nesthäkchen, während Hindenburg plötzlich seine Kommandostimme dämpfte. Als ob er ahnte, daß jetzt über sein Schicksal entschieden würde.

Großmama ließ sich auf den erstbesten Stuhl fallen. Sie war einfach erschlagen von den Aussichten, die sich vor ihr eröffneten. Da hatte sie noch gar nicht genug mit der Beaufsichtigung des wilden Klaus und des übermütigen Nesthäkchens. Ein schreiendes Wickelkind – das fehlte ihr nur noch gerade.

Währenddessen berichtete Hans ihr die Lebensgeschichte des kleinen Eindringlings, wenigstens so weit sie ihm selbst bekannt war.

Großmamas weiches Herz konnte sich dem traurigen Schicksal dieses unschuldigen Würmchens, das der Krieg aus der Eltern Obhut gerissen, nicht verschließen. Sie nahm es hoch und ließ es nach Großmütterart tanzen. Da verzog Hindenburg das Gesicht zu einem schmerzlichen Lächeln.

Nesthäkchen aber glaubte, jetzt gewonnenes Spiel zu haben, da Großmama so nett mit »ihrem« Kleinen tat.

»Nicht wahr, Großmuttchen, wir behalten ihn? Ich werde Windeln für ihn nähen und Hemdchen – – –«

»Und wer soll die Windeln waschen, Herzchen?«

»Das tut Hanne sicher gern – nicht wahr, Hanne?« wandte sich das kleine Mädchen bittend an die den Abendbrottisch deckende Köchin.

»Ih – fällt mir ja nicht im Traume ein! Die wasch dir nur jefälligst selbst, wenn du dir ein Wickelkind ins Haus nimmst«, lachte Hanne. Aber Nesthäkchen merkte, daß sie nur Spaß machte.

Großmama hatte nun genug Zärtlichkeit an den neuen »Urenkel« verschwendet. Sie legte ihn wieder in den Wagen zurück.

Das aber nahm Hindenburg gewaltig krumm. Er schrie wie am Spieß und lutschte dabei an allen Fingern zu gleicher Zeit.

»Das Kind hat ja schrecklichen Hunger«, nicht umsonst hatte Großmama drei Kinder und sechs Enkelkinder gehabt. Sie wußte sofort, was dem Kleinen fehlte.

»Aber der hat ja schon fünf ganze Puppentassen Milch getrunken«, ließ sich die kleine Pflegemutter vernehmen.

»Fünf ganze Puppentassen – na, dann hat das Baby recht, wenn es schreit«, lachte Großmama.

»Bitte schön, Baby ist ein englisches Wort, wir Deutsche sagen Wickelkind«, nun mußte Großmama doch tatsächlich wegen ihres neuen Urenkels fünf Pfennige in die Fremdwortkasse zahlen.

»Springe doch mal in das Glasgeschäft nebenan, dort gibt's Saugflaschen, und bringe auch gleich einen Gummipfropfen mit, Annemie«, ordnete Großmama an.

Nesthäkchen lief, was es konnte.

Als es zurückkehrte, traf es die vom Spaziergang heimkehrende Freundin Margot.

»Sieh mal, was ich hier habe, Margot«, Annemarie schwenkte übermütig ihr Fläschchen.

»Nanu, trinkst du noch aus der Flasche?« lachte Margot.

»Nee, aber ich hab' ein Wickelkind geschenkt bekommen, einen niedlichen kleinen Jungen, Hindenburg heißt er – –«

»Na ja, eine Puppe – – –«

»Nee, eine lebendige Puppe – eine ganz lebendige – –«

»Jawoll, Schwindel!« machte Margot ungläubig, und das konnte man ihr schließlich nicht verdenken.

»Bitte sehr, komm mit rein und sieh dir meinen kleinen Hindenburg an!« Annemarie zog die Freundin mit sich.

Schon draußen vernahm Margot die melodische Stimme von Annemaries Wickelkind. Wahr- und wahrhaftig, da lag im Puppenwagen eine lebendige Puppe.

»Ist das wirklich deins oder ist es bloß zu Besuch da?« Margot wurde nicht klug aus der Sache.

»Nee, Hänschen hat es mir geschenkt, weil es seine Eltern verloren hat, nun werde ich es erziehen«, sagte Nesthäkchen großartig.

Margot verabschiedete sich in sprachloser Bewunderung.

Inzwischen hatte Hanne etwas Milch angewärmt und brachte das Fläschchen.

»Ich will es ihm geben, ja, Großmama, bitte, laß mich, sonst weiß es ja gar nicht, daß ich seine Pflegemutter bin«, bat Annemarie.

Großmama nickte lächelnd und gab Annemarie das Kind richtig in den Arm. Erwartungsvoll setzte sie Hindenburg das Fläschchen an den Mund, den dieser noch viel erwartungsvoller aufsperrte.

Der verhungerte Säugling begann auch sogleich zu ziehen – einmal – noch einmal – dann stieß er das Fläschchen wütend fort und schrie zur Abwechslung wieder. Soviel Mühe Nesthäkchen sich auch gab, ihm den Gummipfropfen wieder in den Mund zu stopfen, Hindenburg wehrte sich energisch.

»Großmuttchen – ach, liebes Großmuttchen, komm doch bloß mal schnell«, rief die kleine Mutter angstvoll in das Nebenzimmer. »Das Kind ist bestimmt krank, es will nicht trinken – wenn Vater doch bloß nicht im Felde wäre!«

Großmama versuchte jetzt selbst ihr Heil, aber mit ebenso wenig Erfolg. Während sie sich mit dem Kleinen abmühte, daß ihr die Schweißtropfen auf die Stirn traten, kam Klaus nebst Puck nach Hause.

Die beiden machten die dämlichsten Gesichter von der Welt.

»Was ist denn das für ein gräßliches Jör?« fragte Klaus, sich die Ohren zuhaltend.

»Du bist gräßlich, aber nicht mein süßes Kind!« rief die beleidigte kleine Mutter empört.

»Was will denn der eklige Schreihals überhaupt hier?« Klaus vermochte die Sache noch nicht zu durchschauen.

»Das ist dein neuer Neffe Hindenburg – – –«

»Das ist ein armes, verlorengegangenes Ostpreußenkind –« zu gleicher Zeit gaben die Geschwister die Erklärung.

»Was – und das soll etwa hier bleiben?« Klaus hegte durchaus keine zärtlichen Onkelgefühle gegen seinen neuen Neffen. »Wer soll denn den Mordsradau bloß aushalten!« Der Bruder hielt sich beide Ohren zu.

»Na, erlaube mal, du machst manchmal noch viel größeren Radau«, rief Nesthäkchen in gekränktem Mutterstolz dazwischen. Während Hans den mit Hindenburgs Geschrei um die Wette blaffenden Puck aus dem Zimmer beförderte. Denn der Lärm war wirklich nicht mehr zu ertragen.

»Ich hab's – jetzt hab' ich's endlich raus, woran es gelegen hat,« rief Großmama, die schon ganz schwach war, dazwischen. »Die Hanne hat ja kein Loch in den Gummipfropfen gestochen, da kann der Kleine beim besten Willen nicht trinken.«

Das Unglück wurde schnell gutgemacht, und das Wickelkind trank jetzt sein Fläschchen, daß es eine Freude war. Andächtig sah Nesthäkchen ihm zu. Dann lag Hindenburg vergnügt strampelnd, satt und zufrieden in seinem Puppenwagen – eine wohltuende Ruhe herrschte plötzlich wieder.

Die Gefühle aller Familienmitglieder gegen ihn wurden dadurch freundlichere.

Nur Puck konnte sich augenscheinlich nicht mit dem kleinen Fremdling befreunden. Leise knurrend umstrich er den Puppenwagen. Auch Großmama schüttelte unzufrieden den Kopf, weil Annemarie alle paar Minuten beim Abendbrot aufsprang, um einen Blick hinter die weißen Mullgardinen zu werfen, hinter denen Hindenburg jetzt sanft schlummerte.

Als Nesthäkchen selbst schlafen ging, mußte der Wagen mit dem Kleinen dicht neben ihrem Bette stehen, wie früher ihre Lieblingspuppe Gerda. An Fräulein, die über den Abend fortblieb, schrieb Annemarie einen Brief, als Erklärung für den merkwürdigen kleinen Schlafburschen. Sie legte das Schreiben auf den Kinderstubentisch, dort würde Fräulein es sicher finden.

Fräulein kam spät von ihrer Geburtstagsfeier nach Hause. Alles schlief schon. Um Annemarie nicht zu wecken, zog sich Fräulein ohne Licht aus. Im Dunkeln sah sie Nesthäkchens Zettel nicht und ahnte daher nicht, wer das Kinderzimmer mit ihnen teilte.

Es war mitten in der Nacht. Da ließ sich ein leises meckerndes »Aäh ääh« vernehmen. Weder Fräulein noch Annemarie achteten darauf, beide schliefen tief und fest.

Das »Ääh« wurde lauter, anspruchsvoller.

Fräulein träumte, daß eine Herde Ziegen an ihr vorbeizog und brachte das meckernde »Ääh«, das sie in Wirklichkeit hörte, damit in Zusammenhang.

Plötzlich ging das immerhin noch bescheidene Meckern in anmaßendes Schreien über.

Fräulein fuhr empor – »Annemiechen, Kind – ist dir was, oder hast du bloß aus dem Schlaf geschrien?«

»Nee – ach wo,« klang es ganz verschlafen aus Nesthäkchens Bett zurück, »das ist ja bloß Hindenburg.«

»Wer?« Fräulein glaubte, Annemarie spräche im Fieber. Erschreckt knipste sie das elektrische Licht.

Aus müde blinzelnden Augen sah Annemarie sie ganz ruhig an, während das Schreien weiter ertönte. Barmherziger – kam das nicht aus dem Puppenwagen?

Fräulein war im allgemeinen eine beherzte Person, aber jetzt sträubte sich ihr doch das Haar vor Entsetzen. Alles, was sie jemals von mitternächtigen Spukgeschichten gehört, erwachte in ihr. Entgeistert wies sie mit ausgestrecktem Zeigefinger nach dem weißen Wagen, aus dem die merkwürdigen Töne kamen. War der etwa verhext?

»Er wird wieder Hunger haben – aber jetzt in der Nacht ist doch keine Zeit dazu!« meinte Annemarie mit herzbrechendem Gähnen. Sie war so müde, daß all ihre Mutterliebe dagegen nicht aufkam.

»Wer – von wem sprichst du denn, Annemiechen – von deinem Puppenjungen?«

»Nee – von Hindenburg«, Nesthäkchen versuchte die Bettzipfel in die Ohren zu stopfen.

Hindenburg – – – die Russen an den Masurischen Sümpfen konnten nicht mehr Angst vor ihm gehabt haben, als das arme Fräulein jetzt. Hatte denn Annemarie den Verstand verloren – oder – ach, du lieber Himmel, hätte sie selbst am Ende zu viel von der Geburtstagsbowle getrunken, lag es am Ende bloß an ihr?

Zum Glück für Fräulein erschienen jetzt zu gleicher Zeit Großmama im lila Schlafrock und Hanne in der rosa Barchentnachtjacke in der Tür. Während Großmama vor sich hin seufzte: »Das muß anders werden – das kann nicht so bleiben«, wagte sich die Köchin zu Fräuleins heimlichem Staunen an den verhexten Puppenwagen. Aber als sie daraus gar ein lebendiges Wickelkind herausholte, wuchs Fräuleins Staunen ins Ungeheure.

Großmama gab ihr die notwendige Erklärung für das plötzliche Auftauchen des Säuglings. Da beruhigte sich Fräulein ein wenig.

Nicht so Hindenburg. Der schrie bis zum Morgengrauen. Ein ganzes Heer setzte er in Bewegung: Großmama, Hanne, Fräulein, Annemarie und Hans. Alle versuchten sie es, durch Klopfen, durch Wiegen, Fahren, Summen, Schnalzen und Singen die Kraftanstrengungen des kleinen Hindenburgs zu brechen. Es nützte nichts, sie waren die Schwächeren. Erst als Großmama in ihrer Verzweiflung gegen Morgen ihm sein Fläschchen brachte, ward er friedlicher und gab auf kurze Zeit Waffenstillstand.

Nur Klaus und Puck schliefen in dieser Nacht.

Am andern Morgen wurde ganz zerschlagen Kriegsrat über Hindenburg abgehalten.

»Keinen Tag behalte ich ihn länger im Hause«, sagte Großmama bestimmt. »Ich, alte Frau, kann schließlich den Schlaf entbehren, aber wenn ihr, jungen Kinder, um eure notwendige Nachtruhe kommt, das kann ich unbedingt nicht zugeben.«

»Er wird sich bessern, ich werde ihn schon erziehen«, nahm Nesthäkchen, das aus müden, umschatteten Augen blickte, die Partei ihres Kindes. Aber es klang lange nicht so lebhaft und überzeugungsvoll wie gestern. Das Nachtkonzert hatte selbst Annemaries Gefühle abgekühlt.

»Das ist ein Schreikind – das ändert sich nicht!« ließ sich Fräulein überzeugungsvoll vernehmen.

»Es ist ein armes, kleines, in der Welt herumgestoßenes Ostpreußenkind, wo soll es denn bleiben?« Hans, der die ganze Suppe eingebrockt hatte, wagte trotz der Gewissensbisse, die ihn die ganze lebhafte Nacht hindurch gequält, noch einmal einen Vorstoß.

»Für ein Unterkommen laß mich nur sorgen«, die sonst so herzensgute Großmama war allen Verhandlungen gegenüber unzugänglich.

»Trag's doch dahin zurück, wo du's hergeholt hast«, meinte Klaus großmäulig.

»Du hast überhaupt still zu sein, du hast ja die ganze Nacht geschlafen.« Fast wäre es über den kleinen Hindenburg zum Streit zwischen den beiden Brüdern gekommen, wenn nicht grade in diesem Augenblick Hanne gesagt hätte: »Was unsere Portierfrau is, wird das Kleine jewiß janz jerne nehmen. Der is doch im vorigten Frühjahr ihr kleenes Mäxeken jestorben. Der Mann ist nu auch im Feld, und die Jroßen sind schon aus'm Hause.«

»Ja, das ist ein guter Gedanke, Hanne«, meinte Großmama erfreut. »Ich werde mit der Portierfrau reden. Sie ist eine ordentliche, zuverlässige Frau, und man kann dort ein Auge auf den Kleinen behalten.

Großmama versprach der Frau jeden Monat ein Pflegegeld für den Kleinen, und diese nahm ihn mit Freuden.

So ward das Lebensschifflein des kleinen Ostpreußenflüchtlings in ein anderes Fahrwasser gelenkt.

Er zog aus Nesthäkchens Puppenwagen in die Portierwohnung hinab, und aus dem kleinen Hindenburg wurde ein »Mäxeken.«

Nesthäkchen selbst aber war ganz im geheimen mit dem Gang der Ereignisse durchaus zufrieden. Es war doch nicht so einfach, solche lebendige Puppe zu bemuttern.


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