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6. Kapitel. Eine kleine Patriotin.

Seit dem 24. August hatte die Schule wieder begonnen. Zwar nicht in den alten Räumen, die waren bereits mit Verwundeten belegt. Eine Volksschule in der Nähe hatte sich bereit erklärt, das Schubertsche Mädchenlyzeum aufzunehmen. Freilich konnte nur Nachmittagsunterricht stattfinden, da die Klassen vormittags für den Unterricht der Volksschülerinnen gebraucht wurden. Das war sowohl für die Lehrer wie für die Schülerinnen eine große Unbequemlichkeit. In vielen Familien mußte die Tischzeit verlegt und die Hausordnung umgekrempelt werden. Denn um zwei begann der Unterricht bereits. Aber für die Verwundeten brachte man das kleine Opfer klaglos.

Höchstens Doktor Brauns Hanne schimpfte und räsonierte. Aber nicht über die vermehrte Arbeit, denn sie mußte für Annemarie täglich vorauskochen, da die Jungen erst gegen zwei aus der Schule kamen. Nein, sie war ärgerlich, daß »ihr Kind« nicht ordentlich in Ruhe ihr Mittagbrot aß. Das hätte Annemarie nun eigentlich ganz gut gekonnt, denn das Essen stand jeden Tag pünktlich auf dem Tisch. Wenn sie nur nicht solch ein aufgeregtes kleines Ding gewesen wäre. Sie hatte keine Ruhe, vor der Schule zu essen, und wenn Fräulein oder Großmama sich nicht daneben setzte, blieb sicherlich die Hälfte auf dem Teller.

Ganz anders war es jetzt in der Schule. Nicht nur die Räume, auch im Unterricht selbst war vieles verändert. Ein großer Teil der Lehrerschaft war dem Rufe zu den Waffen gefolgt. Auch der Direktor hatte sich freiwillig gemeldet. Der alte Professor Herwig hatte die Schulleitung statt seiner übernommen.

Es war nicht immer leicht, das kleine Mädchenreich jetzt zu regieren. Abgesehen von der Schwierigkeit der Stundenbesetzung, waren die Mädel durch die Kriegsereignisse und die lange Ferienzeit so ziemlich aus Rand und Band. Auch die Nachmittagsschule mußte sich erst einbürgern, vorläufig wurde sie noch gar nicht richtig ernst genommen. In den blonden und dunklen Mädchenköpfen spukten Kanonendonner und Schützengräben, Liebesgaben, Feldpostkarten und Extrablätter wild durcheinander. Da blieben wenig Gedanken für Konjunktiv und unregelmäßige Verben.

Auch die Volksschule paßte so manchem kleinen Fräulein nicht.

»Ich schäme mich tot«, hatte Ilse Hermann am ersten Tage beim Nachhauseweg zu ihren Freundinnen geäußert. »Drüben wohnt Hildegard von Meißen aus dem Mädchengymnasium. Wenn die jetzt bloß nicht denkt, daß ich in eine Gemeindeschule gehe.«

»Quatsch, du gehst doch gar nicht in die Gemeindeschule, wir sind doch nur auf Besuch da«, meinte Marianne.

»Und du hast überhaupt 'n Piepmatz, die Kinder aus der Gemeindeschule sind auch nicht schlechter als wir«, rief Marlene.

»Ja, im Schützengraben kämpft doch auch jetzt reich und arm nebeneinander«, ließ sich die verständige Margot hören.

»Unser Kaiser hat überhaupt gesagt, ›es gibt keine Parteien mehr‹, das heißt, alle Menschen sind jetzt gleich«, regte sich Marlene von neuem auf.

Und Annemarie, sonst die lebhafteste bei derartigen Unterhaltungen schwieg heute? Wurde nur rot, und tat so, als ob sie sich angelegentlich die Milchkannen und den weißen Käse in dem Milchgeschäft ansah, vor dem sie gerade standen? Trotzdem dieselben sie doch gar nicht interessierten.

Doktors Nesthäkchen fühlte sich gleichfalls durch die Worte der Freundinnen getroffen. Es war Annemarie insgeheim auch höchst peinlich gewesen, in die Volksschule zu gehen. Unweit an der Ecke war das Gymnasium von Klaus. Wenn dessen Freunde sie nun für eine Gemeindeschülerin hielten!

Aber Marlenes Worte hatten ihr gezeigt, wie dumm und hochmütig sie gewesen. Von nun an wollte sie sich nie wieder mehr dünken als ärmere Kinder!

In der Pause vor der französischen Stunde hatte Doktors Nesthäkchen am nächsten Tage dafür aber wieder den größten Mund.

»Nein, ich nehme bestimmt nicht mehr Französisch mit! Wozu sollen wir uns denn mit den unregelmäßigen Verben herumquälen. Dazu bin ich überhaupt viel zu vaterlandsliebend!« rief Annemarie Braun lebhaft.

»Aber Annemie, Französisch ist doch im Stundenplan festgesetzt, also mußt du es doch lernen«, versuchte Margot sie zu überreden.

»Ist mir ganz piepe, ich lasse mich einfach dispensieren«, trumpfte der Blondkopf auf.

»Wir wollen auch keine französische Stunde mehr haben – wir sind ebenso vaterlandsliebend wie du!« rief Marlene.

»Ja – ja – deutsche Mädchen lernen nicht mehr Französisch«, fiel die Klasse in wildem Tumult ein.

»Nanu, was ist denn hier für ein ungehöriger Lärm!« Professor Möbus, der französische Lehrer, betrat stirnrunzelnd die Klasse. Tiefes Schweigen. Keine von den Schülerinnen wagte sich jetzt hervor. Jede verbarg das Gesicht möglichst tief in der verpönten französischen Grammatik.

Nur Annemarie Braun kuschte nicht. Nein, ein deutsches Mädel war nicht feige. Mit freiem Blick trat sie vor.

»Herr Doktor, ich bitte Sie, mich von der französischen Stunde dispensieren zu wollen«, bat sie laut.

Donnerschock – die Mitschülerinnen blickten voll Bewunderung auf das kecke Mädel. Der durch das Stirnrunzeln des Lehrers geschwundene Mut wagte sich auch bei den andern wieder hervor.

Professor Möbus blickte seine Schülerin an, als ob sie nicht ganz richtig im Kopf sei.

»Bist du krank?«

»Nein, aber ich bin ein deutsches Mädchen, und die Sprache unserer Feinde will ich nicht mehr lernen!« temperamentvoll warf Annemarie den Kopf mit den kurzen Blondzöpfen zurück.

»Wir auch nicht – wir wollen auch nicht mehr französische Stunde haben!« Hier und da erschallte es von einer besonders Mutigen.

Marlene und Ilse traten sogar vor und stellten sich Annemarie zur Seite.

In dem eben noch so ernsten Gesicht des Lehrers begann es belustigt zu zucken. Er blickte auf die rebellische Mädchenschar und freute sich heimlich über ihre begeisterte Vaterlandsliebe, die sie zu diesem, wenn auch kindischen Wunsche getrieben.

»Also ihr wollt keine französische Stunde mehr haben – schön – glaubt ihr, daß Deutschland Frankreich dadurch eine Stunde früher besiegen wird?« fragte er ruhig.

Die Kinder schwiegen.

»Nützt ihr unserem Vaterlande oder unseren tapferen Truppen damit, wenn ihr die feindliche Sprache nicht lernt?« fragte der Lehrer weiter.

Bestürzt sahen sich die Schülerinnen an – nein, sie nützten damit keinem einzigen; höchstens sich selbst, daß sie sich nicht mit den unregelmäßigen Verben abzuquälen brauchten.

»Im Gegenteil, ihr schadet eurem Vaterlande dadurch, und auch euch selbst schadet ihr«, sagte da der Lehrer ernst. »Jawohl, wenn ihr mich auch so ungläubig anseht, Kinder. Deutschland verlangt eine gebildete Jugend, in dieser großen Zeit darf keine Kraft brach gelegt werden. Der Krieg wird hoffentlich nicht lange währen, im Frieden knüpfen sich wieder geistige und Handelsbeziehungen zwischen den verschiedenen Völkern an. Denkt nur mal, was für Folgen sich daraus ergeben würden, wenn die deutschen Mädchen nicht mehr Französisch und Englisch lernen würden. Keine von euch könnte später ihr Lehrerinnenexamen machen oder studieren. Keine könnte einen kaufmännischen Beruf ergreifen, denn französische und englische Korrespondenz ist ein wichtiges Fach desselben. Alle diese Kräfte würden dem Vaterlande entzogen. Aber auch abgesehen vom Beruf, ihr würdet ungebildet bleiben, denn Sprachkenntnisse gehören zur Bildung. Ihr kämt um den Genuß, die fremden Länder kennen zu lernen, da ihr euch dort nicht verständigen könnt. Wer sein Vaterland lieb hat, der zeige es in dieser großen Zeit durch doppelten Fleiß und Eifer.« So sprach der kluge Lehrer und schlug die französische Grammatik auf.

Und die aufrührerischen Mädel sahen ihre Torheit ein und gaben sich grenzenlose Mühe, ihre Vaterlandsliebe durch Fleiß und Aufmerksamkeit zu beweisen.

Selbst Annemarie Braun befreundete sich wieder mit den »ekligen« unregelmäßigen Verben. Aber beim Nachhauseweg konnte sie es sich doch nicht versagen, vor den Freundinnen ihrer Meinung Ausdruck zu geben: »Wenn unsere Feldgrauen ganz Frankreich erobern, dann wird da überhaupt bloß noch deutsch gesprochen, und wir haben umsonst Französisch gelernt!« Aber diesmal fand sie weniger lebhafte Zustimmung. Die eindringlichen Worte des Herrn Professors hallten noch in den Mädchenherzen nach.

Um so eifriger nahm man Ilses Vorschlag an, eine Fremdwortkasse in der Klasse einzurichten. Für jedes Fremdwort außerhalb der Sprachstunden war fünf Pfennige zu entrichten. Das Geld wollte man später zu Weihnachtsgaben für das in ihrer ehemaligen Schule eingerichtete Lazarett verwenden.

Auch zu Hause sollte eine jede Schülerin solch eine Fremdwortkasse einführen und das Geld zu Liebesgaben verwenden.

»Au fein, Großmama sagt immer ›adieu‹, da muß sie jedesmal fünf Pfennige bezahlen. Und Tante Albertinchen braucht überhaupt so viele Fremdworte, das haben alte Leute, glaube ich, so an sich. Wenn Tante Albertinchen doch recht bald käme!« rief Annemarie hoffnungsvoll.

Von nun war keiner im Hause mehr vor Nesthäkchen sicher. Wie ein Polizeihund paßte es auf, daß kein unerlaubtes Fremdwort entschlüpfte.

Dabei füllte sich ihre Kasse, die einen niedlichen feldgrauen Landwehrmann darstellte. Ein einziges Mittagbrot hatte allein schon fünfzig Pfennige eingebracht.

»Hanne, lassen Sie die übrig gebliebene Suppe in der Terrine«, sagte die Großmama.

»Hurra – fünf Pfennige!« brüllte Nesthäkchen zu Großmamas Schreck dazwischen, »es heißt Suppenschüssel.«

Hanne brachte den Braten.

»Die Sahnensoße zu das Roastbeef ist heut' pikfein jeraten«, die alte Köchin durfte sich schon ein Wort gestatten.

»Hanne einen Groschen – einen Sechser für ›Soße‹, denn ein guter Deutscher sagt ›Tunke‹, und den zweiten für ›Roastbeef‹, Rinderbraten heißt's«, schrie Annemarie und hielt auch schon ihren Feldgrauen hin.

»Was –« Hanne stemmte empört die roten Hände in die breiten Hüften. »Was – so'n Kiekindiewelt will mich sagen, daß dies hier kein Roastbeef is? An die zwanzig Jahr koch' ich nu schon, da werd' ich doch woll 'n Roastbeef von'n Rinderbraten unterscheiden können. Und ›Tunke‹ nennt sie meine pikfeine Sahnensoße!« Hanne konnte sich lange nicht beruhigen. Sie dachte gar nicht daran, dem Feldgrauen das Strafgeld zu entrichten.

Auch die andern mußten ihren Beitrag liefern. Trotzdem Fräulein behauptete: »Na, mich fängst du nicht, Annemiechen!«

Klaus erzählte strahlend, daß er bloß zwei Fehler im Mathematikextemporal habe. Da mußte er seinen außergewöhnlichen Fleiß mit einem Sechser bezahlen. Er behauptete zwar, das verstehe kein Mädchen, im Gymnasium heiße es eben Extemporal. Aber Hans war auf Seiten der Schwester. Auch im Gymnasium konnte man genau so gut »Klassenarbeit« schreiben.

»Also ziehe nur dein Portemonnaie und berappe, mein Söhnchen«, lachte der Große.

»Du auch – du auch, Hänschen«, Annemarie klatschte jubelnd in die Hände. »Wir sagen jetzt ›Geldtasche‹ und nicht Portemonnaie.« In ihrer Ausgelassenheit sprang sie noch ehe Gesegnete Mahlzeit gewünscht war, vom Tisch.

»Annemarie, leg' erst deine Serviette zusammen«, rief Fräulein hinter dem Wildfang her.

»Nee, Fräulein, meine Serviette lege ich bestimmt nicht zusammen – aber – mein Mundtuch«, setzte Nesthäkchen schnell lachend hinzu, als es Fräuleins unzufriedene Miene sah. »Siehst du, geliebtes Fräulein, nun habe ich dich gefangen!«

Den Hauptbeitrag zur Fremdwortkasse aber hatte die arme Großmama zuzusteuern.

Was – auf ihre alten Tage sollte sie noch umlernen? Das konnte kein Mensch von ihr verlangen. Sie ordnete die Blumen in eine Vase, wie sie das ihr Leben lang getan und nicht in ein Blumengefäß, wie ihr patriotisches Enkelchen es verlangte. Sie ließ die Jalousie über dem sonnigen Balkon herunter, wenn der Grünschnabel auch behauptete, man müsse jetzt das Zeltdach über den Vorbau herablassen. Und die Chaiselongue, auf der Großmama nach Tisch ihr Schläfchen zu machen pflegte, die wurde im Leben kein Liegestuhl trotz Nesthäkchens eifrigsten Bemühungen.

Als Tante Albertinchen mit den grauen Ringellöckchen nachmittags erschien, bekam Großmama wenigstens eine Leidensgefährtin.

»Ich habe eben den Klaus mit der Botanisiertrommel getroffen, er macht wohl eine Landpartie?« fragte die Tante nach der ersten Begrüßung.

»Haach – Tante Albertinchen, du mußt einen Groschen in meine Fremdwortkasse zahlen. Landpartie – pfui – Ausflug heißt es jetzt und Pflanzentrommel!« Damit umsprang Nesthäkchen die alte Tante patriotisch.

Die gute Tante Albertinchen wußte gar nicht, was los sei, sie machte ganz entsetzte Augen.

»Das Kind quält mich heute bereits den ganzen Tag mit ihrer Fremdwortantipathie, ich bin schon ganz mürbe«, lachte Großmama.

Auch Nesthäkchen lachte mit dem schelmischsten Gesicht von der Welt.

»Antipathie, Großmuttchen? Na, laß nur, du brauchst heute nichts mehr zu bezahlen, du hast schon so schrecklich viel blechen müssen«, setzte das Enkeltöchterchen mitleidig hinzu.

Aber Großmama wollte keinen »Pardon« und – mußte nun sogar zehn Pfennige bezahlen.

Tante Albertinchen lachte so herzlich, daß es aussah, als ob alle ihre grauen Löckchen mitlachten. »Ei, da hole mir mal meinen Pompadour, mein Liebling, er liegt neben meiner Mantille, damit ich meine Strafe abbüßen kann.«

»Pompadour – Beutel!« Die zarte Tante Albertinchen fuhr ordentlich vor Schreck zusammen, so trompetete Nesthäkchen. »Und Mantille ist auch bestimmt ein Fremdwort, man kann ebensogut Umhang sagen.«

»Wollen mal sehen, ob der Kondukteur mir noch so viel Kleingeld gelassen hat.« Wieder mußte die arme Tante Albertinchen zusammenzucken, denn den »Kondukteur« ließ Nesthäkchen trotz der Tafel Schokolade, welche die gute, alte Tante aus ihrem »Beutel« hervorzog, nicht durchgehen.

»Weißt du, Herzchen, du kannst etwas von Lemke holen, Fräulein weiß schon Bescheid«, Großmama machte eine verabschiedende Bewegung zu dem kleinen Mädchen. So lieb sie Nesthäkchen auch hatte, heute fiel es ihr wirklich auf die Nerven.

Da Lemke der nebenan wohnende Konditor oder vielmehr Zuckerbäcker war, nahm Annemarie die Verabschiedung nicht weiter übel.

»Also sechs Eisbaisers, Annemiechen«, Fräulein gab der Kleinen Geld.

»Jawoll, Eisbaisers, gib nur gleich noch einen Sechser für meine Kasse, Fräulein, ›Eisküsse‹ hole ich« – und fort war der Wildfang.

Wirklich, zu des dicken Konditors namenlosem Staunen verlangte die Kleine »sechs Eisküsse«.

»Eisküsse«, der Konditor Lemke kratzte sich seine kahle Platte. »Ach, du meinst wohl Negerküsse?« er holte ein Schokoladengebäck herbei.

»Nee – nee – Eisküsse«, aber da Annemarie sah, daß der Mann sie ganz und gar nicht verstand, setzte sie mit Überwindung hinzu: »Ich meine die ehemaligen Eisbaisers.«

»Die heißen noch immer so«, verwunderte sich der dicke Konditor und gab ihr endlich das Gewünschte.

Als Annemarie mit ihren Eisküssen aus dem Laden trat, hörte sie an der Ecke Extrablätter ausrufen.

Hallo – gab es da etwa einen neuen Sieg? Die Vaterlandsliebe sowohl wie die Aussicht auf einen schulfreien Tag beflügelten Nesthäkchens Beine.

»Großer Sieg Hindenburgs bei Tannenberg, über 30 000 Russen gefangen!« An der Ecke hielt ein Auto und daraus flatterten die Siegesnachrichten unter die jubelnd danach greifende Menge.

Auch Annemarie ergatterte ein Blatt, und nun ging es im Galopp zurück. Sie wollte die erste sein, welche die Freudenbotschaft daheim meldete, sie wollte vor den Brüdern ihre Fahne heraushängen.

Trotz des eiligen Laufes mußte sie die telegraphische Nachricht aber noch studieren. War es da ein Wunder, daß sie nicht daran dachte, ihre »Eisküsse« gerade zu halten, und daß die Soße, ach nein, die Tunke von dem Himbeereis ganz gemütlich auf ihr hellblaues Leinenkleid herunterkleckerte?

Aber was schadete das, einem so herrlichen Sieg gegenüber, der sich bald als noch viel bedeutender herausstellte, als die erste Nachricht kund tat? Die russische Narewarmee war von Hindenburg in die Masurischen Sümpfe gejagt worden – was wog dagegen Tante Albertinchens Todesschreck, als Nesthäkchen mit Indianergeheul auf den Balkon herausgestürzt kam: »Extrablatt – Extrablatt – großer Sieg bei Tannenberg!«

Und was wollte schließlich dagegen besagen, daß sie nun selbst die ersten fünf Pfennige ihrem kleinen Feldgrauen zu zahlen hatte, da man doch jetzt »Sonderblatt« sagen mußte und nicht Extrablatt! Die gab die kleine Patriotin gern. War ihre Fahne doch die erste in der ganzen Straße, welche den großen Sieg anzeigte. Bald aber kam eine nach der andern, farbenfreudig im Winde wehend, heraus. Und die Glocken Berlins verkündeten mit ehernem Munde den gewaltigen Sieg Hindenburgs.


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