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Erikas Weihnachtspuppe

»Hurra, Weihnachtszensuren!«

Damit stürmten Eberhards drei in das trauliche warme Eßzimmer. Die Pelzmütze saß schief auf den Blondköpfen, kleine Schneeteiche tauten in der Wärme von den derben Lederstiefeln, aber was schadete das? Die Wangen der drei glühten, und die Augen blitzten und strahlten. Morgen war ja Weihnachten.

In glückseligem Stolz blickte die am Nähtisch sitzende Mutter auf ihr blühendes Kleeblatt.

»Na, hoffentlich sind es auch echte, rechte Weihnachtszensuren, an denen Vater und ich unsere Freude haben werden,« meinte sie lächelnd. »Aber eure Füße hättet ihr euch trotz aller Aufregung draußen auf der Strohmatte abtreten können, Kinder, nun muß Auguste erst wieder hinterherwischen.«

»Nicht schelten, Mütterchen!« Zwei Arme schlangen sich von rückwärts um den Nacken der Mutter, und eine Stimme, der man den inneren Jubel anhörte, verkündete: »Ich bin Erste gekommen!«

»Der Tausend!« Mutter lächelte erfreut der zwölfjährigen Hilde zu und durchflog das ihr strahlend dargereichte Zeugnis. »Das lasse ich mir gefallen, mein Mädel, da muß der Weihnachtsmann morgen wohl noch etwas Extraschönes bringen, was?«

»Vernickelte Schlittschuhe, Mütterchen, und die weiße Sportmütze ja nicht vergessen!« Ein schneller Blick flog von der blondzöpfigen kleinen Eitelkeit zum Spiegel hinüber, wie letztere ihr wohl stehen mochte.

»Nun du, Fritz – auch Erster gekommen, hm?« Mutter wandte sich dem hoffnungsvollen Quartaner zu.

»Ach wo, Mutter,« Fritz war beinahe beleidigt, »lauter ›sehr gut‹ wie bei den Mädchenzensuren,« es klang ungeheuer verächtlich, »das gibt es doch bei uns Jungs gar nicht, und Erster – – –«

»Das gibt es doch bei uns Jungs gar nicht,« neckend waren die Schwestern eingefallen, und jetzt umtanzten sie den Jungen lachend.

»Gibt es auch nicht.« behauptete Fritz mit der Beharrlichkeit des künftigen Mannes. »Erster – pah – Primus heißt es bei uns im Gymnasium.«

»Schön, also Primus, der hättest du doch werden können, mein Zunge, aber ich lese hier ja ›Fünfter unter 40 Schülern‹?« neckte jetzt auch die Mutter.

»Herr Doktor Richter hat gesagt, er wäre recht zufrieden mit meiner Zensur,« meinte Fritz nun doch ein bißchen kleinlaut.

»Na, denn muß ich's wohl auch sein,« beruhigte die Mutter ihren Jungen.

»Ja, und Primus zu sein, ist überhaupt langweilig, da kann man ja gar nicht mehr raufkommen, nur immer runter!« Fritz gewann jedem Ding im Leben die beste Seite ab.

Erika, das Nesthäkchen, wurde ungeduldig. Sie hatte noch nicht viel Zensuren nach Haus gebracht, da sie erst das zweite Jahr in die Schule ging.

»Nun komme ich dran, ich bin Dritte, Muttchen – etsch, Fritz, zwei Plätze über dir!« frohlockte die Kleine.

Bruder Fritz reckte seine kräftigen Arme bereits zum Boxen. Er machte nicht viel Federlesen, wenn man seine Jungsehre angriff.

Aber Mutters ernstes Wort ließ ihn innehalten.

»Erika, was lese ich denn hier! Aufmerksamkeit: Zuletzt nicht immer zur Zufriedenheit. Ja, was soll denn das heißen, Kind?«

Die siebenjährige Erika schob die Unterlippe vor. Das war das sicherste Zeichen für eine baldige Tränenüberschwemmung.

»Ich – ich – morgen ist doch Weihnachten, Muttchen – –«

»Jawohl, da haben alle Kinder die Verpflichtung, sich ganz besonders zusammenzunehmen, in der Schule sowohl als auch zu Hause, sonst bringt ihnen Knecht Ruprecht eine Rute statt der Weihnachtsgaben, das weißt du doch, Erika!« Mutter nickte ernsthaft mit dem Kopf.

Die Tränenflut aus Erikas Blauaugen ergoß sich.

»An den – an Knecht Ruprecht habe ich ja gerade immer denken müssen, ob er auch ganz bestimmt meinen Brief bekommen hat,« schluchzte sie, »deshalb habe ich bloß manchmal nicht aufgepaßt.«

»Einen Brief! Du hast Knecht Ruprecht einen Brief geschrieben?« lachte Schwester Hilde.

»Ist die noch dämlich!« Fritz sagte es so recht von der Höhe seines stolzen Quartanertums herab, das nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubt.

»Pst!« Mutter legte den Finger auf den Mund, »das ist unser Geheimnis, was, Erika? Na, dann wollen wir es diesmal mit der Aufmerksamkeit nicht so genau nehmen, sonst ist die Zensur ja gut.«

»Glaubst du, daß mir Knecht Ruprecht trotzdem meinen größten Wunsch erfüllen wird, Muttchen?« Nesthäkchen fragte es immer noch ein wenig ängstlich.

»Deinen größten Wunsch?« Mutter mußte sich erst besinnen. »Ach so, ja, ich denke doch, daß er es ganz sicher tun wird.« Sie lächelte unmerklich.

»Was hast du dir denn gewünscht?« Selbst Quartaner können manchmal neugierig sein.

»Weißt du denn überhaupt, wo er wohnt?« Auch Hilde hätte das Geheimnis des Schwesterchens gern herausbekommen.

»Jawohl! Wolkenland. Milchstraße, Stern vierzehn.« kam die Adresse prompt aus der Kleinen Mund.

Hellauf lachten die beiden Großen.

»Laßt mir meine Erika in Ruhe und zieht euch endlich aus, sonst kommt Weihnachten heran, und ihr steht noch hier,« mahnte die Mutter.

Ja, wenn Weihnachten nur so schnell herangekommen wäre! Nie schleicht die Zeit langsamer als einen Tag vor dem heiligen Abend, wenn sehnsüchtige Kinderherzen die Stunden beflügeln möchten. Aber endlich bricht der wichtigste Tag im Jahre doch an. Überall ist man im Wege, überall findet man verschlossene Türen, und zum mindesten festverschnürte Pakete und Schachteln. Jedes Gesicht ist ein großes Geheimnis.

Im Eberhardschen Hause roch es herrlich nach Weihnachtsbaum und frischgebackener Stolle. Hilde stichelte mit feuerroten Backen, sie legte die letzte Hand an Mutters Kreuzstichdecke. Fritz hatte seine Schnitzeleien zu Weihnachten in der Schule im Handfertigkeitsunterricht fabriziert, er hatte heute nichts mehr zu tun. Höchstens hier und da durch ein Schlüsselloch zu lugen, wenn es gar zu geheimnisvoll im Nebenzimmer knisterte.

Um so mehr aber hatte die Jüngste unseres Kleeblattes zu schaffen. Nicht etwa an den Weihnachtsarbeiten; Mutters Waschlappen und Vaters Uhrständer waren längst fertig. Nein, Erika hielt in ihrem Puppenwinkel Großreinemachen. Denn – ja, das war eben das Geheimnis.

Eine große Lockenpuppe, eine lebendige, die richtig sprechen und laufen konnte, hatte sie sich bei Knecht Ruprecht zu Weihnachten bestellt. Und wenn er ihren Brief bekommen hatte – sie hatte ihn der Sicherheit halber der Mutter übergeben, und diese hatte versprochen, ihn gut zu besorgen –, und wenn er nicht gar zu böse über ihre zuletzt nicht immer zufriedenstellende Aufmerksamkeit in der Schule war, dann würde heute abend die lebendige Puppe hier ihren Einzug halten. Das Schlimme war nur, daß die Puppe, wenn sie sprechen konnte, ganz sicher sagen würde: »Pfui, Erika, was ist das hier für eine greuliche Unordnung in deinem Puppenwinkel.« Und wenn sie laufen konnte, würde sie am Ende wieder davonlaufen, weil ihr die neue Puppenmutter zu liederlich war. Darum mußte Erika noch ganz schnell Ordnung schaffen.

Draußen kam leise und still der Heiligabend über die festlich weiße Wintererde geschritten. Auf weichen, silbrigen Schneesohlen kam er, Hand in Hand mit der Dämmerung. Er blickte durch die Eisblumen am Fenster in jedes Haus, in jedes Hüttlein und lächelte seinen Friedensgruß hinein.

Eberhards drei sahen ihn nicht kommen, trotzdem sie am Fenster hockten und Gucklöcher in die zugefrorenen Scheiben hauchten. Die hatten viel zu viel von den bevorstehenden Herrlichkeiten zu schwatzen, um die leisen, mahnenden Schritte des Heiligabends zu vernehmen. Wenigstens die beiden Großen. Klein-Erika spähte herzklopfender Aufregung durch ihr Guckloch, ob denn der Wolkenschlitten Knecht Ruprechts noch immer nicht kommen wollte.

»Was hast du dir denn bloß gewünscht?« Immer wieder versuchten die beiden Großen hinter das Geheimnis der kleinen Schwester zu kommen. Aber die machte nur ein vielsagendes Gesicht und schwieg. Au – Hilde und Fritz, die würden einmal die Augen ausreißen, wenn die lebendige Puppe ihr nachher entgegengelaufen kam.

Horch – Glockengeläut. »Knecht Ruprechts Schlitten!« rief Erika.

»Quatsch! Vaters Klingel!« ließ sich der unhöfliche Fritz vernehmen.

Und dann standen alle drei geblendet. Strahlender Glanz flimmerte in die Dunkelheit hinein, die Pforten zur Kinderseligkeit taten sich auf.

Aber nur einen Augenblick blieben die Eberhardschen Sprößlinge in dem Bann der plötzlich über sie hereinbrechenden Lichtfülle des Tannenbaumes. Dann eilten sie in das Weihnachtszimmer, sie überpurzelten sich fast.

Die Kleinste war trotz ihrer kürzesten Beinchen die erste drin. Einen Blick die lange Weihnachtstafel herab – hurra – da war sie, die große Lockenpuppe, Knecht Ruprecht hatte ihren Brief erhalten.

Ein Weilchen mußten die Kinder noch ihre Ungeduld und Erwartung zügeln. Vorläufig saß der Vater erst am Klavier, und die feierlichen Klänge des Weihnachtsliedes durchzogen das Zimmer. Aus jugendlich hellen Kehlen erschallte es: »Stille Nacht, heilige Nacht,« und wenn auch mancher Blick inzwischen zu der reich besetzten Weihnachtstafel hinüberirrte, das nimmt der liebe Herrgott an diesem Abend keinem Kinderauge übel.

Mutter hatte Mitleid mit ihren erwartungsvollen dreien. »Ich denke, wir bescheren zuerst, und hören uns dann noch her die Weihnachtsgedichte an, vorher habt ihr doch keine Ruhe und Andacht dazu,« meinte sie lächelnd.

Lauter Jubel war der Dank für diese Worte. Ein jedes eilte zu seinem Gabentisch, den es mit bewunderungswürdigem Scharfsinn gleich herausgefunden hatte. Hilde hatte bereits die weiße Sportmütze auf den blonden Schopf gedrückt und schnallte sich jetzt die blanken Nickelschlittschuhe an die Füße. Fritz schwenkte in der einen Hand den »Robinson«, in der anderen den Laubfrosch, der zu seinem Aquarium gehörte.

Und Erika? Die stand steif und stumm vor ihrem Platze, während große Tränen der Enttäuschung über ihre Bäckchen kullerten. Die neue große Lockenpuppe kam ihr nicht entgegengesprungen, wie sie es gehofft, steif und stumm, ganz wie ihre kleine Puppenmama, blieb sie auf ihrem Platz.

Hilde und Fritz hingen dankbar am Halse des Vaters und der Mutter, Nesthäkchen rührte sich nicht von der Stelle.

»Nun, Erika,« die Mutter trat zu der stillen Kleinen, »freust du dich denn gar nicht über deine schönen Weihnachtsgeschenke? Sieh doch, eine Kochmaschine, auf der man richtig mit Spiritus kochen kann, das neue Puppenservice, hier das schöne Märchenbuch, und dann die große Lockenpuppe – nun hat Knecht Ruprecht doch deinen Wunsch erfüllt, was?«

»Nein – gar nicht –,« es kam höchst weinerlich heraus, »die olle Puppe kann ja nicht sprechen und nicht laufen, ich wollte eine richtige lebendige Puppe haben, die hier mag ich nicht.«

»Aber Erika, schämst du dich denn gar nicht, so undankbar zu sein, und noch dazu am lieben Weihnachtsfest? Hast du denn dein neues Kind überhaupt schon liebgehabt?« Die Mutter ergriff die große Lockenpuppe, legte sie der Kleinen in den Arm und drückte sie ein wenig auf den Bauch.

»Mama! Papa!« sagte sie da ganz deutlich.

Das war eigentlich fein. Aber Erika war doch noch zu sehr enttäuscht, um schon eine reine Freude daran zu haben.

»Einen Papa, den gibt es gar nicht bei mir, und eine Mutter drückt ihr Kind überhaupt nicht auf den Bauch,« sagte sie noch immer ungnädig.

»Ei, Erika, wenn du die Puppe nicht magst, so werden wir sie einem armen Kinde schenken, das freut sich sicher damit,« mischte sich jetzt der Vater ziemlich ernsthaft hinein.

Erika hatte inzwischen aber gesehen, wie schön die neue Puppe war. Sie hatte Schlafaugen, Wimpern aus richtigen Haaren und winzige Zähnchen. Ein allerliebstes weißes Spitzenkleid trug sie mit einer mattrosa Seidenschärpe. Und das Stickereihütchen mit dem Tausendschönchen war einfach süß. Als Erika die Puppe so in ihren Armen hielt, da fühlte sie doch schon Liebe zu ihrem neuen Kinde.

»Ich möchte sie doch gern behalten, wenn sie auch nicht laufen und sprechen kann,« meinte sie und gab ihr einen Kuß als Willkomm. Den nächsten Kuß aber erhielten Vater und Mutter zum Dank für die schönen Geschenke.

»Vielleicht lernt sie noch laufen und sprechen,« neckte der Vater.

»Oder Knecht Ruprecht hat sich geirrt und die lebendige Puppe irgendwo anders abgegeben, am Ende tauscht er sie noch um,« scherzte auch die Mutter.

»Eine lebendige Puppe – ha, ha, ha! – ist die Erika noch dämlich!« Bruder Fritz lachte das Schwesterchen weidlich aus.

Wenn es nicht Heiligabend gewesen wäre, hätte es ganz sicher eine Schlacht gegeben, aber der Weihnachtsabend lächelt selbst in die rauflustigsten Kinderherzen seinen Frieden hinein.

Man hatte auch heute wirklich anderes zu tun. Hilde probierte so lange den Holländerbogen auf ihren neuen Schlittschuhen, bis sie auf der Nase lag und Mutter wegen der blessierten Nase und des blessierten Teppichs Einspruch erhob. Fritz, die Leseratte, hatte sich beide Zeigefinger in die Ohren gestopft und ein großes Stück Marzipan in den Mund; so las er in seinen neuen Büchern. Erika aber überlegte. Es war eine sehr schwierige Überlegung, nämlich die, wie ihr neues Kind heißen sollte. Kein Name schien ihr schön genug.

Nun waren auch die Weihnachtsgedichte hergesagt, die Handarbeiten für die Eltern überreicht und die Christbaumlichte heruntergebrannt.

Voll Hausfrauenstolz trug Erika ihr neues Kind in den schön aufgeräumten Puppenwinkel. Und dann lag sie müde von aller Aufregung in ihrem Bette. Aber sie konnte trotzdem nicht schlafen. Der Name ihrer Puppe machte ihr große Sorge und Kopfzerbrechen. Als sie endlich einschlief, hieß das neue Kind »Maria«, und als sie am andern Morgen aufwachte, war eine »Magdalena« daraus geworden.

Und dabei blieb's.

Am ersten Feiertag ward Puppe Magdalenchen getauft. Zu Ehren der Taufe wurden die neue Kochmaschine und das neue Service eingeweiht. Mutter half auch, denn allein war ihr die Spiritusmaschine doch ein wenig zu gefährlich. Die große Hilde verschmähte es durchaus nicht, mitzuspielen – sie machte unter Mutters Aufsicht Eierkuchen, während Erika Apfelsuppe und Nußpudding fabrizierte. Sogar der Herr Quartaner geruhte, sich zu beteiligen, freilich nur am Vertilgen des leckeren Taufessens. Es war ein wunderschöner Feiertag, und herrliche Ferientage folgten.

Mit klingendem Frost nahm das alte Jahr seinen Abschied. Jeden Tag wurden die neuen Schlittschuhe auf den mit eisfunkelnder Kristalldecke überzogenen Wiesen angeschnallt. Von Tag zu Tag fiel Hilde bei ihren Holländerbogen weniger auf die Nase, und von Tag zu Tag wuchs Erika ihr neues Kind Magdalenchen mehr ans Herz. Es ging ihr damit, wie es auch mancher Mutter geht, man hat sein Kind trotz aller Schwächen lieb.

Und allmählich machten sich auch die guten Eigenschaften Magdalenchens bemerkbar. In dem Puppenwinkel blieb es nicht so ordentlich. Im Gegenteil, es sah manchmal recht wüst dort aus. Und da war es doch ganz gut, daß Magdalenchen nicht imstande war, ihrer Meinung über ihre Puppenmutter Ausdruck zu geben. Denn der schuldige Respekt wäre dabei sicher in die Brüche gegangen. Auch das Davonlaufen mußte sie sich versagen. Die beste Charaktereigenschaft Magdalenchens aber bestand darin, daß sie keine Spur gefräßig war. Jeder Pfefferkuchen, ja auch das schönste Weihnachtskonfekt, das ihr Erika bot, verschmähte sie, und das Puppenmütterchen ließ es sich, recht wenig mütterlich, allein gut schmecken. Das wäre bei einer lebendigen Puppe vielleicht kritischer gewesen.

»Wir dürfen heute zu Silvester bis 12 Uhr aufbleiben, wir dürfen Bleigießen und kriegen Pfannkuchen mit Punsch!« Jubelnd klang es im Trio durch das Eberhardsche Haus.

»Du darfst auch aufbleiben, Magdalenchen!« Nesthäkchen, das eben selbst erst die Erlaubnis durch tausend Schmeicheleien von den Eltern erbettelt hatte, sagte es voll Großmut.

Der Weihnachtsbaum wurde noch einmal angesteckt.

»Am Ende kommt Knecht Ruprecht heute, wenn die Weihnachtslichter brennen, noch einmal wieder, um deine Puppe gegen die bestellte lebendige umzutauschen,« sagte lächelnd die Mutter.

»I wo, heute gebe ich mein Magdalenchen aber nicht mehr her!« rief Erika eifrig und küßte ihr Kind auf die Glasaugen.

Es dauert schrecklich lange, bis das alte Jahr Abschied nimmt und das neue unter brausendem Glockenton seinen Einzug in die Welt hält. Trotzdem der Vater lustige Gesellschaftsspiele mit den Kindern arrangierte, lief alle Augenblick eins zur großen Standuhr, ob es denn noch immer nicht zwölf sei.

Die Großen gähnten verstohlen, Klein-Erika fielen die Augen fast zu, Puppe Magdalenchen auf ihrem Schoß war die Verständigste von allen, die hatte längst ihre Lider zugeklappt.

»Kinder, geht doch schlafen, ihr seid ja so müde, das neue Jahr kommt auch ohne euch!« meinte die Mutter.

Aber davon wollte keines was hören.

»Ich werde doch schon dreizehn, Muttchen,« sagte Hilde und reckte sich auf die Zehen.

»Quartaner sind nie müde!« Fritz kämpfte ganz entsetzlich gegen das verräterische Gähnen.

»Ich bin auch noch ganz munter,« versicherte Erika und riß ihre Blauaugen kugelrund auf.

Drei Minuten vor zwölf – nun zwei – jetzt nur noch eine – und »unsere Uhr geht nach!« rief eins der Kinder in die erwartungsvolle Stille hinein, denn draußen auf der Straße erschallten bereits die ersten Prost-Neujahr-Rufe.

Nun ging es auch bei Eberhards mit dem Prost-Neujahr-Schreien los. Plötzlich waren sie alle wieder munter, selbst Magdalenchen, und als Auguste erst den dampfenden Punsch und die Pfannkuchen brachte, da war ihnen alles Gähnen vergangen.

Dann zogen sie in die Küche, dort wurde Blei gegossen. Hilde verbrannte sich zwar tüchtig dabei, goß aber ein wunderschönes Schiff.

»Das soll heißen, daß du dieses Jahr in ein Seebad reist,« deutete Auguste, denn sie verstand sich darauf.

Fritz hatte einen Vogel gegossen, man sah deutlich den spitzen Schnabel.

»Ob das wohl bedeutet, daß ich zu meinem Geburtstag einen Kanarienvogel kriege?« fragte er zweifelnd.

»Ach wo, das bedeutet einfach, daß du einen Vogel hast!« schrie Erika, die Kleinste, aber auch die Frechdachsigste, und tippte zum Überfluß noch gegen die Stirn.

Fritz drohte ihr nur. Denn zum Hauen war es doch wohl heute ein bißchen zu spät und dann – man mag sich doch nicht gleich in das neue Jahr hineinprügeln.

Das Merkwürdigste hatte Erika gegossen, kein Mensch wurde daraus klug, selbst Auguste nicht. Sie hielt es von allen Seiten gegen die Wand, um die Form im Schatten zu erkennen, aber es wollte sich nicht erraten lassen.

»Herrgott, das ist ja Knecht Ruprecht mit dem Sack auf dem Buckel!« rief die Küchenfee plötzlich. »Seht nur, der lange Bart und hinten der Schatten, das ist sein Sack!«

»Ja, und darin hat er deine lebendige Puppe, Erika!« uzte Fritz, der Bösewicht, aus Revanche für den Vogel das Schwesterchen.

Wirklich, Erikas gegossenes Blei zeigte eine entfernte Ähnlichkeit mit Knecht Ruprecht. Jeder mußte es bewundern, sie nahm es sogar mit ins Bett.

Und da träumte sie denn, Knecht Ruprecht sei gekommen, habe ihr die bestellte lebendige Puppe gebracht und dafür das Magdalenchen fortgeholt.

»Nein – nein!« schrie sie laut aus dem Schlaf, daran war aber nicht Knecht Ruprecht schuld, sondern die Pfannkuchen, die sie gegessen hatte.

Aber was man in der Silvesternacht träumt, geht in Erfüllung, sagte Auguste.

Am Neujahrstage waren die Kinder stets bei Großmama zu Mittag geladen. Auch heute zogen sie, nachdem sie sich gründlich ausgeschlafen, seelenvergnügt ab. Denn bei Großmama war es fein. Da gab es eine herrliche Neujahrstorte, und wunderschöne Märchen wußte Großmama zu erzählen.

Als sie am Abend wieder heimkamen, öffnete ihnen der Vater selbst die Tür. Er machte ein ganz merkwürdiges Gesicht und legte überdies den Finger auf den Mund.

»Pst – leise – Knecht Ruprecht war hier, er hat sich geirrt und geglaubt, du hättest die lebendige Puppe erst zu Neujahr bestellt, Erika, er hat sie drin bei Mutter abgegeben.«

»Jawoll!« sagten die beiden Großen wie aus einem Munde.

»Hat er mir etwa mein Magdalenchen wieder mitgenommen?« Das war der Schrei einer Mutter, der man ihr Kind entreißen will. Erika stürzte zum Puppenwinkel. Nein – gottlob – da saß Magdalenchen und blickte stumm und dumm vor sich hin.

»Nun kommt, daß ich euch die lebendige Puppe zeige,« sagte der Vater lachend. Auch die Großen gingen mit, trotzdem sie fest davon überzeugt waren, daß Vater nur Scherz machte.

Aber was war das? Drin im Schlafzimmer neben Mutters Bett stand ein gardinenverhangenes Körbchen, daraus quakte ein winziges Stimmchen.

Vater schlug die weiße Mullgardine zurück, alle drei schauten sie begierig hinein. Da lag wirklich eine lebendige Puppe in den Kissen mit winzigen roten Fäustchen und klaren blauen Augen.

»Mir gehört sie!« sagte Erika energisch und machte Miene, Hand anzulegen.

»Halt – halt –« rief der Vater, und die Mutter setzte glückselig hinzu: »Es gehört euch allen dreien – es ist euer Brüderchen!«

»Was – ein Junge?« Erika machte ein langes Gesicht. »Ich habe mir bei Knecht Ruprecht ein Mädel bestellt mit langen Locken und keinen Jungen mit einem Kahlkopf! Und sprechen und laufen kann er ja auch noch nicht mal, nein, da ist mir mein Magdalenchen doch tausendmal lieber! Den Jungen wollen wir umtauschen, den behalte ich nicht!«

»Na, da werden wir ihn wohl selbst behalten müssen, was, Mutter?« lachte der Vater.

Mutter nickte voll Freude: »Nun ist aus unserem Kleeblatt ein vierblättriges geworden – ein Glücksklee!«


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