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2. Die Toten von Lustnau.

I.

Ritterliche Dienstmannen der Tübinger Pfalzgrafen saßen im nahen Lustnau, gleichen Stammes mit denen von Wildenau, einem abgegangenen Weiler bei Rübgarten im Schönbuch. Beide werden in Urkunden häufig zusammen genannt und hatten ein gemeinsames Wappen, den weißen Hirschkopf, Sinnbild der alten Waldheimat, bevor ein Teil des Geschlechts von der wilden in die lustsame Aue am Neckar herabgezogen war Ahd. findet man noch Flexionen eines Adjektivs luste (Graff 2, 287): das urkundliche Lustenowe ergibt sich damit als Dativform: zer lusten ouwe (ahd. lustun ouwo), wie Wildenowe: zer wilden ouwe. Im sechzehnten Jahrh. sagte man: lustige awe, Deutsches Wörterbuch 1, 602.. Dort oben betrieb man die Hirschjagd, hier unten, an den Altwassern des Flusses, war Spielraum für die Reiherbeize; daß die Ritter von Lustnau sich darauf verstanden, zeigt die Abgabe von zwei Habichten, die sie von alters her ihren jagdfreudigen Herren zu entrichten hatten Steinhofer, Wirtenbergische Chronik, 3. Teil, Stuttgart 1752, S. 134: »In disem Jahr (1466) schickte der Abt des Klosters Vittenbeüren (Ottenbeuren), Wilhelm von Lustnow, eines guten und alten adelichen Geschlechts aus dem Land Wirtenberg, dessen Vater Ostertag von Lustnow vor Jahren Pfeffingen an der Ammer ob Tübingen besessen, Graf Ulrichen von Wirtenberg zween Habicht zu und meldete in seinem Schreiben, daß seine Voreltern der Herrschaft Wirtenberg uß irem Forst und Wildbann solches zu tun bisher schuldig gewesen.« Die Grafen von Wirtenberg waren an die Stelle der alten Dienstherren, der Pfalzgrafen von Tübingen, getreten. Ein Bestellungsbrief des Abts Wilhelm vom Jahr 1474 für den Forstmeister über die Ottenbeurer Stiftswaldungen legt diesem besonders auf, das Federspiel wohl zu besorgen. (Feyerabend, Jahrbücher des Reichsst. Ottenbeuren, 2. Band, Ottenbeuren 1814, S. 703 f.).

Auch dieser Dienstadel fällt in den Bereich der Sagenkunde, und zwar mittelst eines Beinamens. Nach Crusius ward ein Edler von Lustnau für tot hinausgetragen und beigesetzt, kam aber in der Nacht lebendig zurück, mit umgeschlagenem Leichentuch; seine Frau zögerte, ihn aufzunehmen, sie zeugten aber nachher noch fünf Kinder und diese nannte man »die Toten von Lustnow« Lustnauer und Wildenauer waren im nahen Kloster Bebenhausen bestattet, Crusius, Annal. T. 3, B. 8, S. 360. Klunzinger, Bebenhausen 18, 23. Vgl. Uhland, Die Schlacht bei Reutlingen. B. 1, S. 243.. Anders und viel wunderbarer lautet eine ältere Meldung in Luthers Tischreden:

»Doctor M. Luther sagte, daß er selbst von H. Johans Friderich, Churfürsten zu Sachsen, ein Historien gehört hett, daß ein Geschlecht vom Adel im Teutschland gewesen, dieselbigen weren geboren von einem Succubo, denn so nennt mans, wie denn die Melusina zu Lützelburg auch ein solcher Succubus oder Teuffel gewesen. Es were aber also zugangen. Ein Edelmann hat ein schön jung Weib gehabt, die war ihm gestorben und auch begraben worden. Nicht lang darnach, da ligt der Herr und Knecht in einer Kammer beieinander, da kompt des nachts die erstorbene Frauw und lehnet sich über des Herrn Bette, gleich als redete sie mit ihm. Da nun der Knecht sahe, daß solches zwier nach einander geschahe, fragt er den Junkern, was es doch sei und ob er's auch wisse, daß alle nacht ein Weibsbild in weißen Kleidern für sein Bett komme. Da sagt er nein, er schlafe die ganze Nacht aus und sehe nichts. Als es nun wider Nacht ward, gibt der Junker auch acht drauf und wachet im Bette, da kompt die Frauw wider für das Bett. Der Junker fraget, wer sie sei und was sie wölle. Sie antwort, sie sei seine Hausfrauw. Er spricht: Bistu doch gestorben und begraben! Da antwortet sie, ja, sie hab seines Fluchens halben und umb seiner Sünde willen sterben müssen, wöll er sie aber wider zu sich haben, so wolt sie wider sein Hausfrauw werden. Er spricht: Ja, wenn's nur sein künt. Aber sie bedinget aus und vermanet ihn, er müste nicht fluchen, wie er denn einen sonderlichen Fluch an ihm gehabt hatte, denn sonst würde sie bald wider sterben. Dieses sagte ir der Mann zu, da blieb die verstorbene Frauw bei ihm, regirete im Hause, schlief bei ihm, isset und trinket mit ihm und zeuget Kinder. Nun begibt sich's, daß einmal der Edelmann Geste krieget und nach gehaltner Mahlzeit, auf den Abend, das Weib einen Pfefferkuchen, zum Obst, aus einem Kasten holen solte, und bleibt lang außen, da wird der Mann schellig und fluchet den gewöhnlichen Fluch, da verschwindet die Frauw von stundan und war mit ir aus. Da sie nun nicht wider kam, gehen sie hinauf in die Kammer, zu sehen, wo die Frauw bleibe. Da ligt ir Rock, den sie angehabt, halb mit den Ermeln im Kasten, das ander Teil aber heraußen, wie sich das Weib hat in Kasten gebückt, und war das Weib verschwunden und sidder der Zeit nicht gesehen worden« Colloquia oder Tischreden Doctor Martini Lutheri usw. Durch Johannem Aurifabern. Frankfurt a. M. 1574, Bl. 213. (Vgl. Brüder Grimm, Deutsche Sagen 1, 153 f.).

Am Rande der alten Drucke steht: »Die Todten von Loschenaw« Diese Randbemerkung ist bei Kirchoff, der die Erzählung wiederholt (Ausgabe von H. Oesterley 3, S. 515. 516. Man vergleiche dazu 5, S. 138), so in den Text aufgenommen: daß ein Geschlecht vom Adel in Teutschland, die Todten von Lostenaw (ist mir recht) genennet gewesen usw. Abgekürzt steht die Geistergeschichte in Francisci, Schaubühne S. 975 f., doch mit dem Eingang: Von einem Bayerischen Edelmann findt man in unterschiedlichen Buechern usw.. Es ist kein Grund, zu bezweifeln, daß, wie Crusius sich ausdrückt, einige (S. 202, Anm. 2: eorum quidam), also wohl eine Linie des Lustnauer Adels, die Toten genannt wurden, wenn auch diese Nachricht nur auf mündlicher Ueberlieferung beruht, nicht auf Urkunden, die sonst unfehlbar angegeben wären. Ein zahlreiches Geschlecht teilte sich erst in die von Wildenau und von Lustenau, diese aber waren wieder durch Beinamen unter sich oder auch von andern in Lustnau ansäßigen Geschlechtern unterschieden: solche den Taufnamen angehängte Beinamen sind urkundlich schon bald nach der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts Specht und Elsenbaum, beide noch an den Schönbuch mahnend Auch bei den Wildenauern findet sich ein Zuname: der Vol ( pullus), Urkunde von 1305 (Schmid, Urk. B. 243): Herre Cunrat von Wildenowe. 1339 (ebd. 218): Cunraten, dien voln, von Wildenowe. 1347 (ebd. 168): Conrat, der Vol, von Wildenowe. 1440 (Reyscher, Stat.-Rechte 192): Ich wildnow, vol, von Wildnow usw.. Den Anlaß des bedeutsamern »die Toten« sucht die Sage zu erklären, denn für solche muß auch der anscheinend tatsächliche Hergang bei Crusius im Zusammenhang mit dem Wunder der Tischreden gelten.

Der Sagenzug geht aber noch in fernere Gegenden und frühere Zeiten. Aus den Tagen Rudolfs von Habsburg berichtet der Abt Johannes von Victring, damals sei am Hofe des Königs ein Ritter aus dem Gebiete von Chur berühmt gewesen, der Sohn eines tapferen Ritters, welch letzterer »der Tote« geheißen war; nachdem nämlich dessen Mutter im Wochenbette gestorben und begraben worden, habe man sie, vor dem dreißigsten Tage seit ihrem Hinscheiden, häufig eintreten und dem Kinde die Brust reichen gesehen; dies habe die Amme dem trauernden Herrn hinterbracht, worauf derselbe die Erscheinende geraubt und festgehalten, dann während zweijährigen Zusammenseins zwei Söhne mit ihr gezeugt habe, deren einer, der vorgenannte, vielen zum Erstaunen, dazumal am Leben gewesen sei.

Gegen die Neige des zwölften Jahrhunderts bespricht Walter Map in demselben Buche, das zum Jagdmärchen des Pfalzgrafen von Tübingen ein Seitenstück geboten hat (oben S. 160 f.), zweimal einen Ritter aus der Bretagne, der sich den Toten von Lustnau angleicht. Jener Ritter hatte seine verstorbene, begrabene und langbeweinte Frau zur Nachtzeit im einsamen Tal, im Reigen einer großen Frauenschar, wiederlebend ( redivivam) gefunden; er raubte sie aus diesem Kreise und lebte mit ihr noch viele Jahre. Es erwuchsen aus dieser Ehe zahlreiche Söhne und Enkel, die hiernach alle, noch in der Zeit des Erzählers, Söhne der Toten ( filii mortuae) genannt wurden. Zuvor schon gibt das Buch ausführliche Kunde, wie, unter Wilhelm Bastard (dem Eroberer), Edric Wilde, Herr von Nord-Ledbury (bei Hereford), auf nächtlicher Rückkehr von der Jagd, irre ging, am Waldrande zu einem großen Gasthause ( ghildhus) kam und dort einen sehr großen Reigentanz schöner Edelfrauen sah, nur in Leinwand gekleidet, aber schmuck und von höherem Wuchs als gewöhnliche Frauen. Die ausgezeichnetste unter ihnen raubte der heftig Entbrannte mit Hilfe seines Knappen ( ipsam rapit, a qua rapitur) im Kampfe mit den sie tapfer verteidigenden Gespielen. Sie ergab sich ihm schweigend, und erst am vierten Tage sprach sie, er werde glücklich sein, solange er nicht ihr die Schwestern vorwerfe, denen sie weggeraubt worden ( donec improperaveris mihi aut sorores, a quibus rapta sum), oder Haus noch Wald, von wo es geschehen ( aut locum aut lucum unde). Edric versicherte sie seiner unwandelbaren Treue, berief Edelleute von nah und fern und schloß vor versammelter Menge den feierlichen Ehebund. Der neue König von England, Wilhelm, vernahm dieses Wunder und wollte dessen Wahrheit öffentlich erproben. Er rief die beiden Eheleute nach London, und es kamen mit ihnen viele Zeugen, auch die Zeugnisse vieler, die nicht erscheinen konnten. Der stärkste Beweis war aber die früher nie gesehene und unerhörte Gestalt der Frau. Unter allgemeinem Erstaunen wurden sie nach Hause entlassen. Nach Ablauf vieler Jahre fand Edric, bei der Heimkehr von der Jagd, um die dritte Nachtstunde, seine Gattin nicht vor, rief nach ihr und ließ rufen, als sie aber langsam herbeikam, sprach er zornig blickend: »Bist du von deinen Schwestern solange festgehalten worden?« Noch andre Zankreden tat er in die Luft, denn sobald jene von ihren Schwestern gehört, verschwand sie. Vergeblich ging er an den Ort, wo er einst den Raub getan ( unde raptum fecerat), und rief nach ihr klagevoll Tag und Nacht, bis der unablässige Schmerz dort sein Leben aufzehrte. Sie hinterließen einen Sohn, den frommen und weisen Alnod, der nochmals, zum Danke für die Heilung von schweren Körperleiden, sein ganzes Erbgut der Kirche des heiligen Ethelbert zu Hereford schenkte. Erst in einer nachfolgenden Stelle, welche kürzer von diesen Begebnissen handelt, wird ausdrücklich gesagt, die Mutter Alnods sei darum in die Lüfte verschwunden, weil sie unwillig den Vorwurf ihres Mannes aufgenommen, daß er sie von den Toten geraubt habe.

Langobardische Rechtsquellen aus dem siebenten und achten Jahrhundert, Gesetzstellen und Urkunden, bieten einen hierbei einschlagenden bildlichen Ausdruck, der gewiß schon viel älterer Anwendung entnommen ist: wenn jemand seine Leibeigene ehelichen wolle, sei ihm das gestattet, aber er solle sie frei, das sei wiedergeboren, und echt machen, entweder durch förmliche Erteilung der Freiheit oder durch Morgengabe, dann soll sie für eine Freie und für eine echte Ehefrau angesehen und die von ihr gebornen Söhne sollen zu echten Erben werden; gleicherweise wer eine fremde oder seine Aldia (Halbfreie) zur Ehe nehmen wolle, soll auch sie zur Wiedergebornen machen. Diese Wiedergebornen entsprechen, in frühester Bezeichnung, den bisher aufgezählten Toten, Gestorbenen (nach dem ursprünglich partizipialen Gebrauche des Wortes, Schmeller 1, 426 f.), und, im Gesetze selbst erklärt, geben sie den Schlüssel auch zum Verständnis des nachher üblichen Totennamens. Es ist eine rechtliche Sinnbildsprache, welche späterhin, nicht mehr verstanden, sich in Sagen und Märchen ausgerankt hat Uebergänge in das Gebiet der Wasserfrauen und Drachen: Nugae curialium S. 77 bis 7g (Wastinus); S. 168 bis 170 (Henno). Vgl. Liebrecht, Germania 5, 51. 60 f..

Wiedergeburt in das irdische Dasein ist eine altertümliche Form, unter der sich germanische Völker die Erneuung des menschlichen Lebens dachten Ein schwäbischer Minnesinger, Meinlo von Sevelingen (Söflingen), versichert: »stürbe ich nach ir minne unt würde ich danne lebende, so würde ich aber umbe daz wip« (MS. 1, 220, 9).. So war es denn auch eine schöne, einfach und deutlich redende Rechtssymbolik, wenn man die Unfreiheit für einen Tod ansah, die gewonnene volle Freiheit, bei den Langobarden, als eine Wiedergeburt bezeichnet. Jahrhunderte später folgten, bei Walter Map, die Beispiele aus Groß- und Kleinbritannien von Söhnen und Enkeln den Toten entrissener, wiederlebender Frauen. Gleichwohl hat das ältere derselben noch entschieden rechtsgeschichtliches Gepräge. Edric beruft nah- und fernwohnenden Adel, um sich vor versammelter Menge mit der aus dem Totenkreise geraubten Frau feierlich zu verehlichen, und begibt sich dann mit ihr und zahlreichen Zeugen, auch mit den Zeugnissen vieler, die nicht selbst anwesend sein konnten, an den Hof des Königs Wilhelm, der sie sofort der Reichsversammlung zu London vorführen läßt ( eam in concilio Londoniensi deduci fecit in medium); da jedoch die Zeit dieses Königs hundert Jahre vor derjenigen des Erzählers liegt, so hat sich bei letzterem die sinnbildliche Zugehör schon zu reicherer Fabel ausgestaltet. In beiden Fällen, wovon Map berichtet, wird die Frau aus einem großen Reigen, den sie mit andern verstorbenen Frauen hält, nächtlich hinweggeraubt. An diesem ältesten Totentänze beteiligten sich nur Frauen, während, bei demselben Schriftsteller, die gespenstischen Männer als wildes Heer kriegerisch oder jagdmäßig umfahren ( Nugae curialium, S. 17. 180; oben S. 160 f.). Der aus dem Kreise toter Gespielen ins Leben Geholten darf nicht jene frühere Genossenschaft vorgeworfen werden. Einen andern Ueberrest alten Volksglaubens hat der rechtssymbolische Zuname in die Ueberlieferung aus dem Hofhalt Rudolfs von Habsburg herbeigezogen. Nach diesem in Sagen und Liedern mannigfach ausgeprägtem Glauben steigt die Mutter aus dem Grabe, um ihre weinenden, von der Stiefmutter verabsäumten Kinder zu pflegen, oder um den verlassenen Säugling zu stillen I. W. Wolf, Hessische Sagen S. 103, Nr. 153. Ebd. Niederländische Sagen S. 273 f., Nr. 175. S. 403 f., Nr. 326. Brüder Grimm, Kindermärchen (7. Auflage) 1, 62 ff. 75. Die nordischen und andre hierher einschlagende Lieder verzeichnet Grundtvig, Danmarks gamle Volkev. 2, 470 ff.; wenn daher im Albtal des oberen Schwarzwaldes eine Wöchnerin stirbt, so werden ihr gutbesohlte Schuhe angelegt, damit sie sechs Wochen lang bei nächtlicher Wiederkehr, um ihr verwaistes Kind zu säugen, sich derselben bedienen könne, ein Gebrauch, der sich auch in das Elsaß erstreckt H. Schreiber, Taschenbuch für Geschichte und Altertum in Süddeutschland. Freiburg 1839, S. 326. A. Stöber, Sagen des Elsaßes. St. Gallen 1852, S. 99 f. (W. Hertz, Deutsche Sage im Elsaß. Stuttgart 1872. S. 28. 194.). Ahnfrauen ansehnlicher Geschlechter erscheinen mit derselben Mutterpflege an der Wiege von Kindern und Enkeln Melusine: Mélusine, poeme, (14. siècle usw. pupl. par Fr. Michel, Niort, 1854, S. 199. 299. Mélusine par Jehan d'Arras, nouv. edition, conforme à celle de 1478 usw. par M. Ch. Brunet, Paris 1854, S. 361. Simrock, Deutsche Volksbücher 6, 80. Berchta (weiße Frau): Francisci, Schaubühne 82 f. Deutsche Sagen 1, 357 f. Mythologie 257.. Wenn nun gleich mit solchen Vorstellungen von fortwährendem Verkehr zwischen Hingeschiedenen und Lebendigen ein fremdartiger Bestandteil in die Sage vom rätischen Ritter eingetreten ist und den rechtssymbolischen Sinn derselben getrübt hat, so läßt doch dieser, mittelst der älteren Beispiele, sich noch hinreichend erkennen. Der Ritter selbst wird zwar hier »der Tote« genannt, aber nicht er, sondern die Mutter war gestorben und begraben, so daß die frühere Bezeichnung »Sohn der Toten« die richtige bleibt; auf die gestorbene Mutter bezüglich wiederholt sich der alte Ausdruck, daß der trauernde Gemahl sie »geraubt« habe ( eam rapuit), und es ist doch wohl nur durch die Vermengung von zweierlei Sagen herbeigeführt, daß die Mutter des toten Ritters an der Geburt eines Kindes stirbt und dann erst während zweijährigen Wiederlebens zwei Söhne gebiert, deren einer eben der tote Ritter heißt. Auch im Geschlechte von Lustnau, das zwar zu den pfalzgräflichen Dienstleuten, aber zugleich zum Ritterstand und deshalb nicht mehr zu den gemeinen Unfreien zählte (Walter, Deutsche Rechtsgeschichte 1, 255), sind die Totensöhne zu Toten geworden, obgleich es doch nach der älteren Fassung, in den Tischreden, die Mutter ist, die vom Tode wiederkehrt; der Fluch aber, den sie vom Manne nicht ertragen kann, vertritt hier sichtlich den verbotenen Vorwurf der Herkunft in der Sage von Edric (vgl. Rechtsaltertümer 643 c. Graff 5, 88: diu. 6, 483: schalhin). Die letzte Namendeutung, bei Crusius, welche, rein verständig, den Edeln von Lustnau selbst vom Scheintod erstehen läßt, würde sich, sagenmäßiger angesehen, dem weitreichenden Kreise der Helgilieder zuneigen (Säm. 94 b bis 96 b, vgl. Grundtvig 2, 492 ff.), allein sämtliche vorhergehende Ueberlieferungen, die ältere aus Lustnau mitbegriffen, wissen nur vom Wiederaufleben der Frau. Wenn es aber nicht völlig übereinstimmt, daß diese nicht an ihr einstiges Verweilen im Totenreiche gemahnt werden soll und doch sie oder ihre Kinder als Totgewesene zugenannt werden, so bereinigt sich auch das in der ältesten Quelle, dem langobardischen Rechte, wo sie als Wiedergeborene begrüßt wird.

II.

Nun gibt es auch Sagen, in welchen die Frau nicht von den Toten wiederkehrt, sondern aus einem tiefen zauberhaften Schlafe geweckt wird. Am frühesten erscheint diese Fabel in dem 1528 bis 1532 erstmals gedruckten französischen Ritterroman Perceforest weitschichtig verwoben, und daraus sollen hier die Züge hervorgehoben werden, welche, mitten unter fremdartigen Anschauungen und Zusätzen, namentlich aus klassischer Mythologie, auf älteren und echteren Bestand hinweisen Das folgende mittelst eines Auszugs der hierher bezüglichen Kapitel 46 und 55, den mir Karl Bartsch nach dem alten Drucke des [unleserlich] Band 3, Paris 1532, gefälligst zugehen ließ.:

Als die Tochter des Fürsten von Seeland Er selbst heißt, wie auch sein Sohn, Zellandin, doch gewöhnlicher Zelland, die Tochter Zellandine. zur Welt kam, hatten sich die drei Göttinnen eingefunden, welche bei Geburten gegenwärtig zu sein pflegten (Lucina, Themis und Venus). Die erste (die Geburtsgöttin) verlieh dem Ankömmlinge gesunde Glieder und gedeihliches Wachstum, die zweite (Schicksalsgöttin), der man beim Mahle kein Messer aufgelegt, beschied dem Kinde, daß ihm von dem ersten Leinfaden, den es aus seinem Spinnrocken ziehe, eine Agen in den Finger gehen solle, wovon es sogleich einschlafe und nicht wieder aufwache, bis sie herausgesogen sei, was sofort die dritte (die Liebesgöttin) zu bewirken verheißt. Nachdem die Fürstentochter in größter Schönheit aufgeblüht, saß sie einmal mit zwei jungen Muhmen zusammen, aus den Händen der einen nahm sie einen Flachsrocken und fing an zu spinnen; noch hatte sie aber nicht den ersten Faden fertig gebracht, als sie in solchen Schlaf versank, daß sie nicht zu erwecken war, nicht trank noch aß und doch nicht von Fülle und Farbe kam. Der Vater läßt sie auf eines von zwei nachbarlichen Schlössern, das Zwillingsschloß ( castel jumel), bringen, in dessen Turm ihr ein reichgeschmücktes Lager bereitet ist. Der hohe Turm hat nur ein Fenster, nach Osten; alle andern Zugänge, außer einem unterirdischen, sind vermauert. Troilus, ein Ritter, der dieser Schönen seine Liebe zugewandt, erhält jenseits des Meeres Kunde von ihrem Geschick. Unter mannigfachen Abenteuern gelangt er vor das Schloß, dessen Zugbrücke aufgehoben ist. Da kommt ein großer Vogel (Zephir, Bote der Göttin Venus) und trägt ihn an das Fenster. Die umständliche Schilderung dieses Besuchs bei der Schlafenden eignet sich wenig in ein Buch, das ein Spiegel edler Rittersitte sein soll. Zum Abschiede steckt Troilus an den Finger der Freundin einen Ring, den er früher von ihr erhalten hat. Sie schläft weiter wie bisher, und nach neun Monaten genest sie eines schönen Knaben. Das Kind zeigt kein Verlangen nach der Mutterbrust, sondern ergreift ihren kleinen Finger und saugt daran, bis es hustet. Die Agen ist herausgesogen, und nun erwacht die Mutter. Durch das Fenster herein fliegt ein Vogel von wunderbarer Gestalt, von der Brust aufwärts ein Weib, nimmt das Kind in die Arme, schlägt die Flügel und fliegt aus dem Fenster mit den Worten: »Seid unbesorgt um dieses Kind!« Ihr Vater veranstaltet ein achttägiges Fest Damit schließt der mir zugekommene Auszug..

Hundert Jahre nach dem Perceforest taucht das Märchen, rein vom gelehrt mythologischen Prunke, wieder auf im Pentamerone des Basile, einer Märchensammlung von 1637 in neapolitanischer Mundart. Dasselbe hat hier die Ueberschrift: »Sonne, Mond und Talia,« der Inhalt ist in der Hauptsache folgender Benützt wurde hierzu die Ausgabe des Pentamerone, Napoli 1674, S. 583-590. Liebrechts Uebertragung 2, 195 ff. Brüder Grimm, Hausmärchen, 2. Aufl, 3, 362 ff., Aufl. 3, 290.):

Der Tochter eines hohen Herrn war bei der Geburt geweissagt, daß ihr durch eine Flachsfaser große Gefahr drohe, weshalb ihr Vater ein strenges Gebot erließ, daß weder Flachs noch Hanf jemals in sein Schloß gebracht werden sollte. Als jedoch Talia herangewachsen war und eines Tages am Fenster stand, sah sie eine alte Frau vorübergehen, welche spann, ließ neugierig dieselbe heraufkommen, nahm den Rocken in die Hand und fing an, den Faden zu drehen, stach sich aber dabei eine Hanffaser unter den Nagel eines Fingers und fiel sogleich leblos zur Erde. Der trauernde Vater ließ die totvermeinte Tochter in dem Schlosse, wo sie auf einen kostbaren Sessel gesetzt war, schloß alle Türen zu und verließ den Ort des Unglücks für immer. Als nun einstmals ein König auf die Jagd ging und sein Falke, der ihm von der Faust entkam, in ein Fenster jenes Schlosses flog, hieß er, nach vergeblichem Klopfen am Tor, eine Winzerleiter herbeiholen, um selbst hineinzusteigen und sich umzusehen. Nachdem er das Schloß ganz durchwandert hatte, ohne eine lebende Seele zu finden, gelangte er endlich zu der bezauberten Jungfrau und rief sie an, indem er glaubte, daß sie schlafe; als sie nicht zu erwecken war, trug er, von ihrer Schönheit entzündet, sie in seinen Armen auf ein Lager. Hernach kehrte er in sein Königreich zurück, woselbst er lange Zeit nicht mehr an den Vorfall dachte. Talia aber gebar nach neun Monaten ein Zwillingspaar, einen Knaben und ein Mädchen, die von zwei Feen an die Brust der Mutter gelegt und sonst auch sorgfältig gepflegt wurden. Als nun einmal die Säuglinge sich verirrten und einen Finger der Mutter erfaßten, sogen sie daran so lange, bis die Agen herausgezogen war, worauf Talia wie aus tiefem Schlaf erwachte. Endlich kam auch der König, sich erinnernd, wieder in das Schloß und war hocherfreut, Talia erwacht und mit zwei wunderschönen Kindern zu finden, denen er die Namen Sonne und Mond gab. Er sagte ihr, wer er sei, nahm Abschied mit dem Versprechen, sie abzuholen, und gedachte daheim allzeit nur an sie und die Kinder. Darüber faßte seine Gemahlin Verdacht, ließ das Geheimnis erspähen, sandte im Namen des Königs nach den Kindern und befahl dem Koch, sie zu schlachten und daraus Gerichte zu bereiten, die sie dem König vorsetzen wollte. Der Koch aber hatte Mitleid und richtete zwei Zicklein zu, die der König sehr wohlschmeckend fand. Dann ließ sie auch Talia herbeiholen und im Hof ein großes Feuer anzünden, in das dieselbe geworfen werden sollte. Talia bat um so viel Aufschub, bis sie ihre Kleider abgelegt hätte, und bei jedem Stücke, daß sie ablegte, stieß sie einen lauten Schrei aus, beim letzten aber eilte der König herzu, erfuhr was vorging, und befahl sofort, die Königin selbst in das Feuer zu werfen. Auch Sonne und Mond wurden herbeigebracht, der König heiratete Talia, und diese führte nun mit ihrem Gemahl und ihren Kindern ein glückliches Leben.

Bekannt sind noch die französische Fassung des Märchens bei Perrault um 1697 ( la belle au bois dormant, Hausmärchen, 3. Auflage 3, 301) und die deutsche im »Dornröschen« (Hausmärchen, 7. Auflage 1, 251 ff., hierzu das Bruchstück 3. Auflage 3, 269. Deutsches Wörterbuch 2, 1299).

Als mythischer Grund der märchenhaften Erzählungen wird die in altmodischen Liedern und Sagen überlieferte Kunde von dem durch Sigurd gebrochenen Zauberschlafe der Walküre Brünhild angenommen und neben der Ähnlichkeit in der Anlage wird hierbei diejenige in Einzelzügen geltend gemacht Hausmärchen, 3. Aufl. 3, 85 (2. Aufl. 3, 87): »Die Jungfrau, die in dem von einem Dornenwall umgebenen Schloß schläft, bis sie der rechte Königssohn erlöst, vor dem die Dornen weichen, ist die schlafende Brunhild nach der altnordischen Sage, die ein Flammenwall umgibt, den auch nur Sigurd allein durchdringen kann, der sie aufweckt. Die Spindel, woran sie sich sticht und wovon sie entschläft, ist der Schlafdorn, womit Othin die Brunhild sticht; vgl. Edda Sämundar 2, 186. Im Pentamerone (5, 5) ist es ein Flachsagen.« Heldensage 384. Mythologie 390: »Dornröschen stach sich den Finger an der Spindel und fiel in Todesschlaf wie Brunhild vom Wunschdorn: die Spindel ist ein wesentliches Kennzeichen aller weisen Frauen des Altertums bei Deutschen, Kelten und Griechen.« J. Grimms Vorrede zu Liebrechts Pentamerone 1, XII: »Wir wollen die deutsche Erzählung zum Grund legen, weil der Name Dornrose (Schlafrose, Schlafkunz) zunächst unmittelbar auf den Schlafdorn leitet, mit welchem Odin die Valkyrie Brynhild gestochen und in tiefen Schlaf versenkt hatte (vgl. Deutsche Myth. S. 390. 1155); in Panzer und Helm geschlossen schläft sie auf einem flammenumgebenen unnahbaren Saal des Hindarfiall (Bergs der Hindin, wie es noch in Westfalen eine Hinnenburg, Hindinburg gibt). Dem Sigurd war es vorbehalten, ihre Bande zu sprengen, d. h. den Schlafdorn auszuziehen, worauf er sich mit ihr verlobt und vermählt (Sämundar Edda 191. 192. 193). »Wenn sie hörgefu, lini datrix, heißt, so könnte das hier vielleicht für Spinnerin genommen werden, da alle Valkyrien und Nornen spinnen.« XV f.: » Luna und Sole stimmen deutlich zu Aurore und Jour, Talia aber ist Italia. Das merkwürdigste jedoch scheint mir der fliegende Falke, weil geradeso in Völsungasaga Kap. 24, als Sigurd sich Brynhilden nähert, sein Habicht in ihren Turm fliegt und sich ins Fenster setzt, worauf Sigurd nachfolgt und die (schlafende) Valkyrie findet: darin sind beide Sagen, soviel sonst anders ist, überraschend gleich. Auch die Eifersucht der ihm vermählten Frau auf Talia zeigt ein Verhältnis, wie zwischen Gudrun und Brunhild, und selbst das Schlafen im Turm kann der im Turm hausenden Valkyrie eigentümlich verglichen werden. Schön ist der Zug, daß die säugenden Kinder die Agen aus dem Finger ziehen; die vom Tag und Gestirnen hergenommenen Namen der Kinder scheinen uns Göttergestalten des Heidentums zu verraten,« Vgl. W. Müller, Nibelungensage 81 f.. Gleichwohl läßt sich nicht mißkennen, daß, wenn die schlafende Jungfrau der Märchen ursprünglich eins ist mit Brünhild, die alte Sage von dieser ihren Sinn völlig eingebüßt hat, da in den Märchen von dem kriegerischen Wesen der Walküre und von dem Heldentum ihres Erweckers, als solchen, keine Spur übrig geblieben ist. Der bildliche Gebrauch des Schlafens, Wachens und Weckens war in älterer Sprache und Dichtung ein sehr mannigfacher. Himmel und Erden dusen, wenn überall Stille herrscht; der Wind auf dem Altkönig schläft am ersten Tage des Jahres, und ein Holzhauer, der ihn wecken wollte, fand den Tod Ph. Dieffenbach, im Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde Bd. 4, Darmstadt 1843, S. 274.; »wir wollen hinter die Hecken und wollen den Sommer wecken«, sagt der alte Kinderreim Deutsche Mythologie 735.; die Rosen, die am Zweig erblühen, sind geweckt Volkslieder 116: Wolt gott, ich solt ir wünschen | zwo rosen auf einem zweig! ] ach gott, solt ich sie wecken usw. Wecken des Zaunsteckens in einem Zaubersegen: Mones Anzeiger 3, 278, Nr. 6. Myth, 988: vekjä tröll; Feldfrüchte weckt man durch Gebet Angelsächsischer Ackersegen, Myth. 1186: aveccan pas västmas usw.; Feindeswaffen, durch Beschwörung stumpf gemacht, schlafen Segen aus einer Handschrift des dreizehnten Jahrh. in Hoffmanns Fundgruben 1, 343.; schneidende Waffen wecken Blut; Kriegszeichen, brennendes Notfeuer, wachen; brandende Wellen sind zauberhaft erweckt, und ebenso hinwieder wird das weite Meer eingeschläfert. Auch abgezognere Begriffe werden mittelst dieser Ausdrucksweise zu allegorischer Persönlichkeit, selbst zu mythischer Gestaltung und Handlung berufen: Sälde, Heil, Glück, Sorge, Zorn, Milde, Ehre, Schande u. dgl. wacht, ist entschlafen, wird geweckt Zahlreiche Beispiele, eines für »thiu Salida« schon bei Otfried, die andern aus mhd. Dichtern, Deutsche Mythologie 822 f.; einiges auch in der Zeitschrift für deutsches Altertum 2, 536, Anm. u. hierzu: Heinrich von München (Maßmann, Kaiserchronik 3, 961 b): Dietriches zorn begunde wachen, MS. 3, 102 b f.: ob ich noch rehte milte müge erwekken? Usw. diu nu släfet mit den argen, | tiubel, die welke dort din gluendiu zange! Fornald S. 6, 371: vekja öfter für das Anmahnen zur Entrichtung des Wehrgelds.. Von hohem Altertum ist nun allerdings in nordischer Dichtung und Sage das Wecken des Kampfes, der Schlacht, persönlicher der dämonischen Kriegsjungfrau, der Hilde, mag dieselbe allgemeiner als Walküre in Odins Gefolg oder als die besondre des einzelnen Helden, Brünhild Sigurds, gemeint sein. Diese, nach Harnisch, Kampf und Sieg benannt ( Brynhildr Sigrdrîfa), ist von Odin, dem Kriegsgotte selbst, mit dem Schlafdorne gestochen; sie schläft, vollständig gerüstet, in einer von waberndem Feuer umgebenden Schildburg, auf der ein Heerzeichen weht; die Brüne, die ihr wie ans Fleisch gewachsen ist, durchschneidet Sigurd mit seinem Schwerte, nur er, der Held, der von keiner Furcht weiß, kann die Walküre wecken. Von all diesen Zügen des Kampflebens enthalten aber, wie schon erwähnt, die Märchen nicht das mindeste. Selbst wenn die deutsche Benennung Dornröschen auf den nordischen Schlafdorn wiese (vgl. S. 182 f., Anm. 1), so ist gerade dieser Ausdruck, das Stechen mit dem Dorne, nicht ein solcher, der eigens mit Odin, dem Kriegs- und Siegesgotte, zusammenhängt; vielmehr findet er sich allgemeiner für das Versenken in tiefen Schlaf gebraucht Auf Odin und die Walküre bezüglich Säm. 112, 43., dagegen bedienen sich die Märchen eines andern eigentümlichen Sinnbildes, das in den zwei älteren Aufzeichnungen, in Perceforest und bei Basile, noch als Flachsfaser erhalten, in den späteren, bei Perrault und im deutschen Dornröschen selbst, zur Spindel geworden ist. Davon muß hier eingehender die Rede sein.

Kunkel und Spindel sind in der Sprache des deutschen Rechts Wahrzeichen des weiblichen Geschlechts und Stammes, insbesondere der Hausfrau, während durch Speer und Schwert Mann und Mannsstamm dargestellt ist Rechtsaltertümer 163. 171. W. Wackernagel in der Zeitschrift für deutsches Altertum 9, 533 f.. Der Spinnrocken der Göttermutter Frigg hatte der Norden unter die Sterne versetzt Rechtsaltertümer 163. 171. W. Wackernagel in der Zeitschrift für deutsches Altertum 9, 533 f.. Spindel oder Spinnstuhl hoher und frommer Frauen des Mittelalters bewahrte man als verehrtes Andenken Lex. myth. 104 b, vgl. 89 a. Mythologie 248. 279. 689., aber doch wohl so gemeint, daß diese Geräte von einem auch in erhabener Stellung einfach und demütig verbliebenen Sinne zeugen sollten. Schon im Rigsmal ist nur noch die Stammmutter der Karle, der Gemeinfreien, nicht mehr die der Jarle, der Edeln, am Rocken beschäftigt Rechtsaltertümer 171. v. d. Hagen, Briefe in die Heimat 1, 210. Weinhold, Die deutschen Frauen 114. Simrock, Bertha die Spinnerin 128 f. (Ebd. die geschichtlichen deutschen Sagen 129 f. 522, 42: St. Lufthildis.) und von den Heldenliedern der Edda an erscheint das Wirken und Nähen in kostbaren Stoffen als Auszeichnung vornehmer Frauen, während die kunstlose Bereitung des Flachses, selbst das Spinnen, immer mehr den Armen und Dienenden verblieb und, als gezwungene Arbeit, den Stand der Unfreiheit anzeigte. So läßt Wernhers Mariengedicht die jungen Mädchen im Tempel losen, welche den Purpur und die Seide zu kunstreichem Bildwerk erhalten, oder welche den Flachs spinnen sollten; sie fürchten den rauhen Flachs und als die bunte Seide Marien zufällt, heißen die andern sie spottweise ihre Königin Wernhers Maria, in Hoffmanns Fundgruben 2, 176:
do wart ein strit vil groz; die frowen wurfen ir loz,
wa der purper unt di siden von rehte schölten beliben,
welhe under in gezäme, daz sie das beste näme,
den ruhen hare sie vorhten: daz sie daran iht worhten,
des wolt ieglich magedin vil gerne uberk worden sin.
Do geviel daz loz an daz kint, dannen diu guten wip sint
gesäliget unt gesegenot, daz die siden grune unt rot
in ir handen beliben, also wolte sie gesigen.
daz die andern nämen den hare, diu vil wenigiu schare
diu enlie daz niht ane nit. daz wart ouh in verwizen sit,
daz sie durh unminne hiezen sie ir kuniginne usw.
177: die chleinen siden sie span, die sie anme loze gewan,
do dis anderen den hare musen spinnen furware.
. Im Gudrunliede müssen die geraubten Fürstentöchter, die gewohnt waren, Gold und Edelgestein in die Seide zu legen, nunmehr Garn winden, spinnen und den Flachs bürsten, edle Geburt und Verwandtschaft schützt sie davor nicht Gudrun (Vollmer) 1005, 3 f.:
die mit grozen eren herzoginne wären,
die mussten garn winden, si sazen sit in ungevüegen swären.
1006: Sumliche muosten spinnen und bürsten ir den har.
die von hohen dingen wären komen dar
und die wol legen kunden golt in die siden,
mit edelem gesteine, die muosten arbeite liden.
1007, 4: ja mohte si ir adeles niht geniezen
1010, 4: si mohte ir edelen Mage da ze Ormanie niht geniezen.
1011: Werc diu vit smähen usw.
1011, 4: dannoch dienten da die armen weisen.
1021, 3: siben jar bevollen leit si in vremedem riche die grozen arbeite, man hetes und küneges kint niht geliche.
. Auch im Jwein unterscheidet die Beschreibung des Werkgadens, worin ein gewaltiger Riese gefangene Jungfrauen zur Handarbeit anhält, zwischen solchen, deren Geschäft kein beschämendes ist, die nämlich in Seide und Gold, oder an Rahmen arbeiten, und den andern, welche, dessen nicht kundig, mit Geringerem, namentlich dem Dechsen (Brechen) und Hecheln des Flachses und dem Spinnen zu schaffen haben Jwein 6186 ff.: Nu saher inrehalp dem tor
Ein witez wercgadem stan. | Daz was gestalt unt getan
Als armer liute gemach; | Dar in er durch ein venstsr sach
Würken wol driu hundert wip. | Den waren cleider unt ter lip
Vil armecliche gestalt; | Jrn was iedoch dehetniu alt.
Die armen heten auch den sin, | Daz gnuoge worhten ander in
Swaz iemen würken solde | Von siden und von golde.
Gnuoge worhten an der rame, | Der werc was aber ane schame.
Unt die des niene kunden, | die lasen, dise wunden,
Disiu blou, disiu dahs, | Disiu hachelte vlahs,
Dise spunnen, diese naten usw.
Vgl. Helmbrecht (Zeitschrift für deutsches Altertum 4, 366) 1358 ff.:
so dich nu ein gebuwer
nimt ze siner rehten e, | so geschach nie wibe als we.
bi dem muost du niuwen | dehsen, swingen, bliuwen
und dar zuo die ruoben graben.
. Endlich Gottfried von Reifen, der so unermüdlich vom roten Munde seiner Geliebten singt, kennzeichnet diese mehrfach als eine Dienende und zwar besonders damit, daß sie das Dechsen und Schwingen verstehe, ohne doch ihren roten Mund bestäubt werden zu lassen Die Lieder Gottfrieds von Reifen, herausgegeben von M. Haupt (Leipzig 1851).. War nun der rauhe, gefürchtete Flachs Merkmal der Dienstbarkeit oder sonst der niedrigen Stellung, so erscheint es nur als ausgeführtere Bildersprache, daß die an Recht und Standesehre schlafend gedachte Frau von der Agen gestochen ist. Die Spindel hat denselben Sinn, doch bezeichnet die Agen deutlicher und gewährt allein die volle Beziehung zu den Kindern. Durch diese wird die Mutter aus dem tiefen Schlafe geweckt, um ihretwillen sie selbst zu Freiheit und Recht erhoben. Zwar gilt die Echtwerdung der Kinder durch spätere rechtmäßige Ehe der Eltern für eine, unter dem Einfluß der Kirche, in germanische Gesetzgebungen eingedrungene Wirkung des römischen Rechts; aber die langobardischen Gesetze und Formeln über die Wiedergeburt unterscheiden wenigstens nicht ausdrücklich zwischen Kindern, welche vor oder nach Freigebung der Mutter geboren sind, und für die ersteren zeugt eben der Gebrauch, den die Sinnbildsprache des Märchens als gangbar voraussetzt. Zu dieser gehört es noch, daß, wie im Perceforest über der schlafenden Mutter ein nach Osten gerichtetes Fenster offen bleibt, so in andern Fassungen die Namen der Kinder das aufgehende Licht verkünden, bei Basile Sonne und Mond, bei Perrault noch treffender Morgenröte und Tag; selbst das mag zu bemerken sein, daß einige Handschriften des Gesetzes von König Rotharis Freilassung und Morgengabe zusammenstellen.

Die verschiedenen Aufzeichnungen des Märchens ergänzen und berichtigen sich wechselseitig in einzelnen Zügen, am weitesten jedoch greift die Ungleichheit, daß im Perceforest, also der ältesten Quelle, wie solche hier zugänglich war, das in der nächstalten, dem Pentamerone, abschließende Stück mangelt, wie nämlich die vom Schlaf erstandene Mutter mit ihren Kindern den Verfolgungen der bisherigen Königin entgeht und an deren Stelle tritt. Mag dieser Abschluß ursprünglich zum Ganzen gehört haben oder nicht, jedenfalls bestätigt der ausdrückliche Gegensatz der echten und der erst echtwerdenden Frau den angegebenen Sinn des märchenhaften Schlafens und Erwachens. Für dieselbe Auffassung spricht endlich noch ein Umstand, der, wie der Frauenzwist, den Bezug auf Brünhild stützen sollte: der Jäger mit dem Falken. Im Pentameron ist dem jungen König auf der Jagd sein Falke davongeflogen und hat ihn zu der Schlafenden geführt, bei Perrault heißt sie die Schöne, »die im Walde schläft« ( la belle au bois dormant), und der jagende Königssohn kommt zu ihr in das Schloß, das von Bäumen und Gesträuche dicht überwachsen ist; im deutschen Dornröschen ist es eine hohe Dornenhecke, selbst im Perceforest, zwar der frühesten Niederschrift, in der aber gelehrte Mythologie den Wald am meisten verdrängt hat, flattert doch der Falke noch als Zephir, geflügelter Bote der Venus. Auch der Raub der toten Frau, bei Walter Map, erfolgt durch Edric Wilde ( quod est silvestris), auf mitternächtiger Rückkehr von der Jagd, aus einem großen Hause am Rande des Waldes ( venatu sero rediens ... mediam usque noctem viarum dubius erravit, ... ad domum in ora nemoris magnam delatus est, Nugae curialium 79), sodann durch den Ritter aus Kleinbritannien, zwar ohne daß der Jagd besonders erwähnt ist, doch gleichfalls zur Nachtzeit in einem weithin einsamen Tale ( de nocte ... in convalle solitudinis amplissimae, ebd. 168). Solch wiederkehrender Bezug auf Jagd und Wildnis ergibt abermals einen Gegensatz zwischen echter und wilder Ehe, jener im Hause, dieser im Walde; altn. hrîsûngr, schwed. rishofde (vgl. Rechtsaltertümer 734, ags. vearges heáfod), Walddohn, Waldhaupt, hießen Kinder der Waldehe verschiedener Art (Rechtsaltertümer 462, die bedeutsame Anm. **), während die gesetzlichen dem Hausherrn und der Hausfrau (Säm. 64, 25: hûsgumi, hûskona. 131,10: hûsguma, hûsfreyju Fornald. S. 1, 243) angehören. Der Wald ist die Zufluchtsstätte aller, die außerhalb der Rechtsgemeinschaft leben; der Verwiesene hieß Waldmann, ags. vealdgenga, altn. skôgarmadr (Rechtsaltertümer 733, vgl. Mythologie 1014). Auch Edric Wilde hatte wohl ebendaher den Beinamen, weil er zu denjenigen Angelsachsen zählte, welche am längsten wider Wilhelm den Eroberer ausgehalten hatten Im Domesday Book: Edric salvage, in Jahrbüchern: Edricus cognomento Silvaticus (Ellis, Introd. to Domesd. BN. 2, 87 s. Wright, zu Nugæ curialium S. 79). Die Erklärung dieses Beinamens bei Gualterus Mapes, sic dicus a corporis agilitate et jocunditate verborum, ist nicht genau zu nehmen: derselbe bezeichnet eher, was bezüglich auf einen andern Edric gemeldet wird: Postea udlagavit Edricus (Ellis S. 88). Von Edric Wilde bedingt sich die Heimgeführte, daß er ihr die Herkunft aus dem Walde nicht vorwerfe (oben S. 176: lucum unde).. Freilich stimmt das Waldabenteuer des Märchens auffallend mit der Erzählung in Vösungasaga, wie Sigurd, als er einen Falken verfolgt, der ihm bei der Heimkunft von der Jagd auf einen hohen Turm entflog und sich an ein Fenster gesetzt, die bei ihrem Pflegvater Heimir weilende Walküre Brünhild am Rahmen sitzen sieht, sie begrüßt, ihr einen Goldring gibt und sich eidlich nochmals mit ihr verlobt ( Fornald. S. 1, 175 ff.). Allein es ist das unbestritten eine spätere Einschiebung; die Saga selbst bemerkt, daß hier ein wiederholtes Verlöbnis beschworen werde. Ueberall sonst wird die Begegnung und Verlobung Sigurds mit Brünhild auf das Gebirg verlegt und einmal ist ausdrücklich gesagt, das Aslaug auf dem Gebirg erzeugt sei, die Trauung auf dem Turm aber geschieht an des Pflegvaters Heimir großem Wohnorte ( Fornald. S. 1, 174: at einum miklum bae, vgl. 184 u.). Sichtlich diente dieses Beiwerk dem Zwecke, die Sage von den Wölsungen in diejenige von Ragnar Lodbrok und seinen Söhnen überzuleiten. Mehrfach sind die Anknüpfungen zwischen beiderlei Sagenwerken. Ragnar ist der Sohn eines gefeierten Sigurds, mit dem Zunamen Hring, des Dänenkönigs, der in der berühmtesten Schlacht des Nordens den Sieg davontrug; die erste Tat des jugendlichen Helden aber ist, ähnlich derjenigen des Wölsungs Sigurd, die Tötung eines Lindwurms, wodurch Ragnar sich die Jarlstochter Thora samt dem vom Wurme gehegten Gold erwirbt. Nach dem Hingang dieser ersten Gemahlin trifft Ragnar, bei einer Anfahrt an die norwegische Küste, die vermeintliche Tochter armer Bauersleute, Kraka (Krähe) genannt, deren Schönheit, Verständigkeit und Sitte ihn bestimmt, sie gleichwohl anzutrauen, und aus dieser Verbindung erwachsen, wie aus der vorigen, kriegerische Söhne. Als er aber nachmals bei dem gewaltigen König Eystein in Upsala sich zu Gaste befindet, dringt seine Gefolgschaft in ihn, die Tochter dieses Königs zu frein und nicht länger eine Bauerntochter ( karlsdôttur) zu behalten, und es wird sogleich die spätere Einholung der neuen Braut verabredet. Kraka sagt jedoch dem heimgekommenen Gemahl, daß ihr drei Vögel sein Vorhaben verkündet haben und daß auch sie eines Königs, nicht eines Bauern Tochter sei ( at ek em konungs dôttir, en eigi karls), ihr Name sei Aslaug, ihr Vater Sigurd der Fafnistöter, ihre Mutter Brünhild, Budlis Tochter. Diese Aussage bewährt sich dadurch, daß dem Knaben, dessen sie bald darauf genest, eine Schlange um den Augapfel zu liegen scheint ( sem ormr liggi um auga sveininum), wonach er auch Sigurd Schlangenauge ( ormr î auga) geheißen wird. Die Heimführung der schwedischen Königstochter unterbleibt nun, worüber blutiger Streit ausbricht.

Seine Laufbahn schließt Ragnar bei einem Einfall auf die englische Küste; dort hat er zum Kampfe den Speer in der Hand, mit dem er einst den Wurm erlegt. Nach dem Falle seiner ganzen Mannschaft wird er, mit Schilden zugedeckt, ergriffen und in einen Schlangenhof ( ormgard) geworfen, wo er mit dem bekannten Todessange ( Krâkumâl) lachend verscheidet (ebd. 280 ff. 300 ff.), wieder einem Nachklange der Eddalieder von Gunnars Harfenschlag und Tod im Wurmgarten (Säm. 133 b. 143 f. 28 bis 32. 148, 31. 155, 55. 156, 62. 162, 17. Sn. 1, 364. Fornald. S. 1, 219 f.). Sigurd Schlangenauge hat durch seine Tochter, die wieder Aslaug heißt, einen Enkel Sigurd Hirsch ( hiörtr), angeblich den Vater von Ragnhild, der Mutter Haralds, des ersten Einherrschers über ganz Norwegen ( Fornald. S. 1, 293; anders Heimskringla 1, 67; vgl. Munch 2, 174). Die norwegische Königsreihe sollte durch die Herkunft von Ragnar Lodbrok, dieser selbst und sein Haus durch die Verwandtschaft mit den Wölsungen erhoben werden. Zu diesem Zweck arbeitet sich Ragnars Saga in jene der Wölsunge hinauf und wird Aslaug, seine zweite Gemahlin, als eine Tochter Sigurds von Brünhild, in der Harfe bis nach den Nordlanden hinübergetragen, wo von ihr große Geschlechter ausgehen. Freilich aber ist, wie die Begegnung auf dem Turme, so überhaupt auch jene Elternschaft Sigurds und der Walküre anerkannt eine Zudichtung zur Wölsungensage (Sagabibliothek 2, 94. 97. 476 bis 478. Heldensage 346. 350). Dagegen hat das anfängliche Niederhalten der schönen Aslaug in Tracht und Aufzug, als ob sie, zwar nicht unfreien Leuten, aber doch armen bäurischen Eltern ( karl und kellîng, Fornald. S. 1, 233 f. fâtaeka karls, î slîku fâtaeki, ebd. 257) angehörte, den gleichartigen Sinn wie anderwärts die Geburt von einer schlafenden Mutter, die nachmals geweckt wird, was eben die nur in diesem vielfältigen Sinnbild verwandte Brünhildensage heranzog; in der Sage von Aslaug konnte dasselbe nun nicht auch wiederholt werden.

Es ist aber auch ein Umstand auszuheben, der die Ragnarssaga, nach ihrem ältesten Bestande, von den Wölsungen wieder abzulösen sich eignet. Rigsmal, das Eddalied vom Ursprung der verschiedenen Stände, gibt dem jungen Jarl das Wahrzeichen, daß seine Augen stechend sind, wie die eines Schlängleins (Säm. 65, 31: Jarl lêtu heita usw. ötul vâru augu, sem yrmlingi), und in einem der Helgilieder, wo der Königssohn als Mühlmagd verkleidet ist, verraten die scharfen Augen, daß nicht Karls, gemeinen Mannes, Art an der Handmühle steht (Säm. 89, 2. Vielfach in Lied und Sage dient der scharfe, stechende Blick als Zeugnis höherer Abkunft, so eben auch für den Wölsung Helgi und dann für Sigurde selbst Sigurds Augen Fornad. S. 1, 200. Seiner Tochter Svanhild Blick ebd. 228. Aber auch anderwärts solcher Augenglanz, als Abzeichen höheren Ursprungs: Regner, des Schwedenkönigs Sohn, bei Saxo S, 70, Olo, dänischer Königssohn, ebd. 388, 370 bis 37t. 392 bis 393. (Bezüglich auf Starkather ebd. S. 298 u.)); wenn aber in Ragnarssaga und ihren Versen noch der altertümliche, durch Rigsmal erklärte Ausdruck »Schlangimauge« gangbar ist (oben S. 189), so läßt sich vermuten, daß damit vornherein noch einfach und ohne Bezug auf den Drachentöter Sigurd die edle Abstammung der Ragnarssöhne auch von seiten der Mutter Aslaug, die aus ungewisser Ferne kam, bekundet werden sollte. Wie die Frage um Ebenbürtigkeit der Ehen in der Geschichte germanischer Königshäuser sich vielfältig und lebhaft bewegt (Rechtsaltertümer 438 bis 440. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte 2, 125 bis 128. Weinhold, Deutsche Frauen 284 bis 290), so konnte die Behandlung desselben Gegenstands auch im Gedichte nicht ausbleiben. Hat ein heldenhafter König von seinen Ausfahrten eine Gemahlin herrlicher Gestalt heimgebracht, wohl beschaffen zur Ahnfrau eines mächtigen Geschlechts, so muß dieselbe aus zeitweiliger Verdunklung, aus dem Herumirren im Wald und am Seestrande, sagenmäßig oder sinnbildlich, in den angebornen Glanz und Ehrenstand mit ihren Kindern wiederhergestellt werden Anderseits läßt ein Stück der Saga von Hervör und Heidrek den Sohn einer hunnischen Königstochter, welche der Reidgotenkönig Heidrek kriegsgefangen als Kebse ( frilla) weggeführt und im nächsten Jahre zurückgeschickt hat, in eigener Kraft und Schönheit sich erheben. Hlöd ist mit Waffen und Roß, mit ringumwobenem Helme ( hialmi hringreifdum,) im Heiligen Walde geboren ( borinn ... a mörk hinni helgu, ebd. 491; die vorangeschickte Deutung des Sagenschreibers erscheint nicht ausreichend). So hält er sich befugt, nach dem Tode Heidreks von dessen echtem Sohne gleiches Erbteil zu verlangen, ein alter Held am reidgotischen Hofe findet aber schon das Dritteil zu reichlich, das der Bruder dem Sohn einer Magd ( byar barni, nachher ambatter son), geboten, möchte dieser auch ein geborener König sein ( ok pott se borinn konungr), eben die Geburt mit Ringgelm und Roß); der Kebssohn saß auf dem Hügel (d. h. außer dem Hause, wie die Hirten, Säm. 4, 34. 59, 4; vgl. Lex poet. 304 a), als der Edling erbteilte ( pa hornungr a haugi sat, er odlinar arfi skippti, dies wohl sprichwörtlich, ebd. 495, vgl. Rechtsaltertümer 475 f.). Die Verse im Fornydalag, über den eigentlichen Erbhandel gemahnen in manchem altertümlicher, als was über die große Brüderschlacht nachfolgt, in welcher Hlöd erschlagen wird. Gefangene Königstochter, bedroht zur briute, lebese, herabgewürdigt zu werden: Gudrun (Vollmers Ausgabe) 1029 f. Aehnliches wie im Norden mit Ragnar und Aslaug begibt sich bei den Angelsachsen, von denen auch noch die Edrissage stammt, mit dem ersten Offa und seiner Heimgeführten. Derselbe verirrt auf der Jagd und trifft lm dichten Walde die verstoßene, den wilden Tieren ausgefetzte Tochter des Königs von York, die er zu einem Einsiedler und von da zu den Seinigen bringt, nachher aber, vor allen andern königlichen Stammes, zur Gemahlin wählt. Nochmals wird sie, jetzt mit mehreren Kindern, mittelst Fälschung eines Briefs, den Offa aus dem Feld erläßt, in den Wald verwiesen und dort mörderisch der Kinder beraubt, die jedoch der hilfreiche Einsiedler durch Kreuzeszeichen und Gebet aus dem Tod ins Leben ruft. Von neuem auf der Jagd findet König Offa die schwer Vermißten wieder und der Einsiedler läßt sich die Stiftung eines Klosters angeloben Vita Offæ primi (hinter Matth. Paris, Hist. maj., herausgegeben von Wats, London 1684) S. 965.. Die eine Heimholung aus der Wildnis ist hier verzweifacht und die rechtssymbolische Wiederbelebung zum frommen Wunder geworden.

In der Gesetzgebung und in Geschlechtsnamen, im Mythenlied und in der Saga, in der Legende und im Märchen zeigten sich die Sinnbilder des Todes und Wiederauflebens, des Schlafes und Erwachens auf den Abgang und die Erlangung, den Verlust und die Herstellung des freien oder höheren Standes angewandt. Die Behandlung und der Ausdruck ist sehr verschieden, deutlich aber wortkarg, umständlich aber getrübt und zerflossen. Bringt man jedoch diese mannigfachen Erzeugnisse in Zusammenhang und Vergleichung, so dienen sie einander gegenseitig, Mangelndes zu ersetzen und Ungehöriges abzustoßen. Auch die Toten von Lustnau hatten Anspruch, aus solchem Gesamtkreise zu besserem Verständnisse gebracht zu werden, indes sie selbst wieder nach andern Seiten aufhellten. Die sprechendsten Beweismittel aber sind für den Sinn des Erstehens vom Tode die langobardische Rechtsformel, für die Bedeutung des Erweckens vom Schlafe die Flachsfaser (Man vergleiche auch Felix Liebrecht, Zur Volkskunde S. 54 ff.).

26. Februar 1882.


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