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3. Der Gral.

Der heilige Gral ist die Schüssel, daraus Christus bei der Stiftung des Abendmahls mit seinen Jüngern gespeist hat. Er besteht aus einem Jaspis, dem edeln Steine, von dessen Kraft der Phönix aus der Asche sich verjüngt. Ein Kranker, der den Gral ansieht, kann in der Woche hernach nicht sterben. Zweihundertjährige Jugend gibt der öftere Anblick dieses Steins. In demselben Gefäße hat Joseph von Arimathia das Blut aus den Wunden des Erlösers aufgefangen. Engel haben ihn vor alter Zeit zur Erde gebracht, und in den Sternen ward gelesen, daß einst ein gesegnetes Geschlecht zu seiner Pflege werde berufen werden.

Dieses erwächst in dem Königsstamme Senabors aus Kappadocien. Drei seiner Söhne folgen dem Kaiser Vespasian nach der Eroberung Jerusalems in römische Lande. Dem einen, Berillus, vermählt der Kaiser seine Tochter und gibt ihm Frankreich, den andern verleiht er Anjou und Cornwallis. Alle sind eifrige Verbreiter des Christentums. Berillus bekämpft die Heiden von Galicien und Saragossa; kräftiger noch sein Nachfolger Titurison, mit Elizabel von Aragon vermählt. Einen Erben von Gott zu erflehen, wallfahrten diese zum heiligen Grab und opfern ein Bild von Gold. Ihr Gebet wird erhört; sie weihen in ihrer Freude das Kind dem Himmel. Da verkündet ein Engel, es werd' in keuscher Jugend ein Streiter des Glaubens und einst selbst Genosse der Engel sein.

Titurel.

Wie dem Wächter nach langer, kalter Nacht der aufglänzende Morgenstern, wie allem Lebenden der wonnereiche Mai, wie nach kaltem Reif die Sonne, wie in Mittagsglut ein Brunnen und einer duftigen Linde breiter Schatten, wie dem Bedrängten der milde Freund, wie dem Beraubten, der Gericht begehrt, des Königs Gruß, wie dem Blinden, wenn er es wiederfände, das Augenlicht, wie dem Durstigen der süße, klare Wein, dem müden Gaste die Herberge, wie dem Liebenden das Geliebte, über all dieses herzerfreuend ist der Anblick des schönen Jünglings Titurel. Vielfach wird ihm der Frauen holder Gruß geboten, ein Klausner hätte sich daran entzündet. Doch Titurel ist eingedenk der Verkündigung des Engels bei seiner Geburt. Im Kampfe für das Christentum will er von Gott verdienen, daß ihm einst ein Kuß von rotem Munde werde. Mit dem Vater zieht er auf Heerfahrt gegen die Sarazenen von Auvergne und Navarra. Zween Falken gleich, schweifen die beiden in rauschendem Flug umher, bis in allen Abendlanden der Heiden wenig sind. So wirbt er, in unverblühter Jugend, bis zum fünfzigsten Jahre; da bringt der Engel die Botschaft, daß Titurel um seiner Jugend willen zum Gral erwählt sei. Er scheidet von den Eltern, die in Tränen Gott loben. Vom Gesang der Engel geleitet, kommt er zu einem pfadlosen Walde, der nach allen Seiten sechzig Meilen sich erstreckt. Cypresse, Zeder, Ebenbaum, Gehölz aller Art ist hier wild verwachsen, fremde Vögel singen in den Zweigen. Mitten im Walde ragt ein Berg, den niemand finden kann, als wen die Engel führen, der bewahrte, behaltene Berg, Montsalvatsch. Mit vielen Gezelten liegt auf diesem Berge Titurels künftige Schar. Ueber ihr schwebt, in reichem Gehäuse, der Gral, von unsichtbaren Engeln gehalten; denn noch lange soll nicht geboren sein, wer ihn berühren darf. Was sie bedürfen, gibt der Gral, welch Gefäß man darunter hält, es ist der besten Labung voll. Reich an Gold und edeln Steinen ist das Land, Salvaterre, denen bekannt, die in Galicien fahren. Hier waltet Titurel, herrlich vor allen Königen. Er baut auf Montsalvatsch eine weite Burg, von ihr aus dient er Gott mit Speer und Schwert gegen die Heiden, die sich in der Wildnis ansiedeln wollen. Noch immer bleibt der Gral schwebend, da beschließt Titurel, ihm einen Tempel zu stiften, dessen Pracht niemand überbieten könne, ganz aus edlem Gestein, aus lautrem Gold und, wo man Holz zu dem Gestühle braucht, aus Aloe. Was man zum Werke bedarf, findet man von dem Grale bereit.

Der Fels des Berges ist ein Onyx; eine Schichte desselben, mehr denn hundert Klafter im Umfang, säubert Titurel von Gras und Kräutern; er läßt sie schleifen, daß sie wie der Mond erglänzt. Auf ihr findet er eines Morgens den Grundriß des Werkes eingezeichnet. Rund, mit zweiundsiebenzig Chören, jeder von acht Ecken, erhebt sich der Bau. Innerhalb und außen glänzt aus rotem Golde jeder Edelstein nach seiner Farbe. Je auf zwei Chören ruht ein hohes Glockenhaus, allum zu einem Kranze stehen die Türme, achteckig, mit vielen Fenstern; inmitten hebt sich einer, zweimal so groß als die andern. Die Turmknöpfe brennende Rubine, darauf kristallene Kreuze, auf jedem Kreuz ein Aar, von Gold funkelnd; von fern scheint er im Fluge zu schweben; das Kreuz, darauf er ruht, verschwindet dem Auge. Des mitteln Turmes Knopf ein Karfunkel, der den Rittern des Grals, wenn sie im Walde sich verspätet, durch die Nacht zur Heimat leuchtet. Zwo Glocken mit goldnen Klöpfeln rufen zum Tempel und zum Konvent, zum Tisch und zum Streite. An den Außenwänden des Tempels ist ergraben und ergossen, wie seine Diener täglich gewappnet zum Schutze des Grales kämpfen. Drei sind der Pforten, von Mittag, Abend und Mitternacht, jede mit reichen Vorlauben geziert. Nach Morgen sind die meisten Chöre gerichtet; gen Mittag führt ein Kreuzgang zu der Wohnung der Brüderschaft. Im Innern des Tempels ist das Gewölb ein blauer Himmel von Saphiren, mit Karfunkeln gestirnt, die selbst in dunkler Nacht erglänzen. Dazwischen ziehen, durch verborgene Kunst, die goldene Sonne und der silberne Mond, die sieben Tageszeiten zum Gesang anzeigend. Der Estrich ein kristallnes Meer; wie unter dünnem Eise, sieht man Fische und Meerwunder sich bekämpfen. Die Mauern von Smaragd, darauf goldne Bäume, mit Vögeln besetzt. Die Bogen mit Reben durchflochten, die über das Gestühl herabhängen. Dichtbelaubt, aus Gold, sind diese Reben, Rosen und Lilien dazwischen. Erhebt sich ein Wind, so erklingen die Blätter, als ob tausend Falken mit goldnen Glöcklein sich aufschwängen. Engelgestalten wiegen sich auf den Reben. An Wänden und Pfeilern Bilder der Evangelisten und Zwölfboten, der Propheten und der Heiligen. Nirgends spannenbreit im Tempel ungeschmückt. Die Fenster, statt Glases, Berylle; auf ihnen, daß nicht der Glanz das Auge verletze, Bilder aus farbigem Gestein, nach welchem die Sonnenstrahlen sich färben. Entbehrlich ist zwar der Fenster Helle, Ueberfluß an Licht geben die edeln Steine, deren Glanz das lichte Gold entzündet. Goldne Kronen mit leuchtenden Kerzen hängen herab, darob je speereshoch ein Engel, als wollt' er die Krone in die Lüfte führen. Auch auf Kanzeln und Mauern tragen viel Engel Kerzen. Engel, mittelst verhohlner Bälge, geben zum Gesang der Priester süß Getöne. Welche Stimme im Tempel ertönt, durch die edle Art der Steine, die Weite und Höhe des Raums, wird der Widerhall in hellem Tone verlängert, wie wenn im Walde Orgelklang ertönte. Der größern Chöre einer ist dem heiligen Geiste geweiht, der Patron über all den Tempel ist; der nächste dabei der reinen Mutter Gottes, der dritte dem Johannes, die folgenden den übrigen Zwölfboten. Vor jedem Chore zwo goldne Gittertüren, innen herrlich gezierte Altäre, darauf Balsamfeuer brennt. In der Mitte des Tempels aber steht ein überreiches Werk, diesen im kleinen darstellend, jedoch nur mit einem Altar; hier soll der Gral bewahrt werden, wenn er sich niederlassen wird. In dreißig Jahren ist der Bau vollbracht. Ein Bischof weiht Tempel und Altäre; da führt der Engel den Gral in die köstliche Zelle, die ihm bereitet ist. An jedem Charfreitag schwingt sich fortan eine glänzend weiße Taube vom Himmel und legt auf den Gral eine kleine, weiße Oblate, davon der Stein seine Wunderkraft empfängt.

Als Titurel das Werk vollendet, hat er vierhundert Jahre Gott gedient und ist nach der Gestalt, als wär' er noch nicht gegen vierzig. Jetzt ist am Gral die Schrift zu lesen: Titureln sei ein Weib erlaubt, Richoude, die reine Königstochter aus Spanien. Aus großer Demut ist er bis daher nicht Ritter worden, jetzt, an seiner Hochzeit, läßt der Jüngling, der vierhundertjährig Haupt trägt, sich zum Schwerte segnen. Er wählt sich aus Richoudens Gefolge zweihundert Schildgefährten, mit denen er ferner dem Gral gegen Feinde dienen will. Ein engelgleiches Geschlecht entsprießt aus dieser Ehe. Die Söhne der Könige werben, einen Ast des edeln Stammes zu gewinnen. Am Gral findet man stets die Namen derjenigen geschrieben, die er aus allen Landen zu seinem Dienste wählt, Mägdlein und Knaben. Arme und Reiche freuen sich, wenn ihr Kind dorthin gefordert wird, wo reines, seliges Leben und himmlischer Lohn seiner wartet. Die Jünglinge erwachsen dort zu der ritterlichen Brüderschaft der Templeisen. Mit dem Wappen des Grals, der weißen Taube, bezeichnet, reiten sie aus und bekämpfen jeden, der die heilige Wildnis zu betreten wagt. Die Jungfrauen aber treten in das Gefolge der reinen Urepanse, Titurels Enkelin, die zuerst und allein gewürdigt ist, den Gral zu berühren. Die goldne Krone im gelockten Haar, leuchtend wie der aufgehende Tag, tritt sie im Geleit ihrer Jungfrauen daher und trägt den heiligen Stein zum Königssaale, wo er die Fülle irdischer Gaben spendet.

Amfortas.

Mitten in solcher Herrlichkeit kommt schwerer Jammer über die Genossenschaft des Grals. Schon hat Titurel, als ihm vor großem Alter der Speer entsank, die Krone seinem Sohne Frimutel übertragen. Als dieser einem Lanzenstoß erlegen, folgt sein Erstgeborener, Amfortas. Jedesmal ist am Grale zu lesen, wer als König walten soll. Gepriesen an Schönheit und ritterlicher Kraft sind Amfortas und sein Bruder, der schnelle Trevrezent, der das Wild im Sprung ereilt. Aber beide wenden sich weltlichen Dingen zu. Wer dem Grale dient, soll auf Weibes Minne verzichten. Der König allein darf sich vermählen, wie des Grals Inschrift ihn anweist; die andern nur dann, wenn der Gral sie als Gebieter herrenloser Länder aussendet. Die Brüder kehren sich nicht an dieses Gebot. Verstohlen zieht Trevrezent auf Ritterschaft, sein Bruder selbst gibt ihm die Mittel, sich mit Knappen und andrer Ausrüstung zu versehen. In den drei Teilen der Erde fährt er umher, turniert und kämpft mit Christen und Heiden, im Dienst einer schönen Frau. Auch Amfortas, der König, dient der Minne eifriger als dem Grale. Er glüht für Orgelusen von Logrois, Gemahlin des Herzogs Zidegast, von so leuchtender Schönheit, daß bei ihr, auch ohne Kerzen, nimmer Nacht wäre. Ist gleich seine Liebe hoffnungslos, doch läßt er nimmer ab, in ihrem Dienst Speere zu brechen und Schilde zu durchbohren. Indes wird der Herzog, Orgelusens Gemahl, mit dreien seiner Ritter, von dem stolzen König Gramoflanz erschlagen, der nie anders als mit mehreren kämpft. Vergeblich bietet der Mörder ihr Krone und Land. Fortan läßt sie ihre Schönheit nur leuchten, um dem Erschlagenen einen Rächer zu erwecken. In einem Gehölze bei Logrois, wo Oelbäume und Reben, Feigen und Granaten üppig erwachsen, am Rand einer Quelle, die aus dem Felsen schießt, erwartet sie den Kämpen, der durch blutige Rache ihre Hand und ihr Herzogtum gewinnen will. Manchen sendet sie so in den Tod. Amfortas aber, ihr eifrigster Diener, erscheint nicht; schon hat ihn die Strafe seiner Versündigung am Gral erreicht. Eines Heiden vergifteter Speer hat ihn getroffen. Bleich und kraftlos, das Speereisen im Leibe, kommt er heim. Ein Arzt holt es aus der Wunde, aber vom Gift eitert diese fort und fort. Sie tragen den König vor den Gral; das ist sein größtes Leiden, daß sie ihn nicht sterben lassen. Was man der Heilbücher liest, von Mitteln gegen Schlangengift, nirgends ist Hilfe zu finden. Wasser aus den vier Paradiesesströmen, Blut des treuen Pelikans, das Herz des Einhorns und der Karfunkel unter seinem Horne, die Wurzel, die aus Drachenblut erwächst, Nardensalbe, Theriak, Rauch von Aloeholz, nichts von allem mag frommen, wenn mit der Sterne Wiederkehr und des Mondes Wechsel die Schmerzen sich erneuen. Nur der Speer selbst, in die Wunde gelegt, gibt einige Linderung. Nicht reiten, noch gehen, nicht stehen, noch liegen kann der Kranke, er lehnt nur, ohne zu sitzen. Oft trägt man ihn, damit die Wunde sich erlufte, zum nahen See (Brumbane); das heißt er seinen Weidetag. Dort lehnt er im Schiff, als stellt' er den Fischen nach. Davon wird gesagt, er sei ein Fischer.

Als Trevrezent des Bruders Leiden sieht, da wirft er sich nieder und gelobt Gott, nicht mehr Ritterschaft zu üben. Er verschwört Fleisch, Wein und Brot. Fortan lebt er als Einsiedler in einer Felshöhle, von Wurzeln und Kräutern sich nährend.

Wehklage ertönt in der Burg des Grals; hilflos der König, kein Schirmer des Heiligtums, seit auch Trevrezent vom Schwerte geschieden. Manch Gebet wird vor dem Gral verrichtet, an dem eines Tages geschrieben steht, ein Ritter werde kommen, frage dieser vor der ersten Nacht unaufgefordert nach dem Grunde dessen, was er sehe, so soll Amfortas genesen und der Ritter König sein.

Sigune.

Zwei Maultiere tragen durch unwegsamen Wald eine Bahre, darauf die Leiche eines Jünglings liegt, durch köstlichen Balsam frisch und blühend erhalten. Ein Ritter, mit dem Wappen des Grals, treibt die Maultiere. Hinter der Bahre geht eine schöne Jungfrau, traurig und bleich, nur der Mund noch leuchtet in voller Röte. Es ist Sigune, vom königlichen Stamme des Grals. Ihre Mutter, Schoisiane, die älteste Schwester von Amfortas und Trevrezent, mit Kyot, dem Herzog von Katelangen (Katalonien), vermählt, ist an der Geburt des Töchterleins gestorben, und im Schmerz darüber hat Kyot der Welt entsagt. Das verwaiste Mägdlein ist bei ihrer Muhme, der Fürstin von Waleis, erzogen worden, zugleich mit Schionatulander, dem Erben von Graswaldan (Graisivaudan in der Dauphiné). Frühe zarte Minne ist zwischen diesen Zöglingen erblüht, und als Sigune den Jüngling gemahnt, unter Schildesdache müss' er sie verdienen, da ist sein Leben fortan eine siegreiche Ritterfahrt in Morgen- und Abendlanden, bis er im Zweikampf mit Orilus von Lalander vom Sperre des Gegners tödlich getroffen wird. Hier zieht nun Sigune mit dem Leichnam des Geliebten.

Unfern der Burg des Grals breitet sich in der Wildnis eine Linde. Auf dieser will Sigune wohnen, das Haupt des Toten im Schoße haltend. Die Turteltaube kieset sich den dürren Zweig, wenn sie ihr Lieb verloren; Sigune setzt sich auf belaubten Aesten, damit die Sonne nicht das klare Antlitz und den Rosenmund des Teuern fälbe. Lichtgrün, dem Laube der Linde gleich, ist er gekleidet. Endlos ertönt nun Sigunens Klage durch die Wildnis: »O Pelikan, könnt' ich, wie du, das Leben aus meiner Brust verblutend, den Toten neu beleben! Hätt' ich den süßen Ton der Nachtigall, die mit Sang ihre Eier zu Leben bringt, entzwei gesungen würde mein Haupt. Hätt' ich des Löwen Stimme, der seine totgeborenen Kinder ins Leben ruft, jungfräulich zarte Stimme ließ ich gerne, dich, Liebster, zu erwecken. Hätt' ich des Straußes Art, der mit den Augen brütet, nimmer würden meine Augen von dir gewendet, bis der Deinen Blick lebendig mir entgegenleuchtete.« So jammert sie den Abend und den Morgen; sie wirft sich vor, daß sie ihm nicht ohne so strengen Dienst ihre Minne gegeben, jetzt minnet sie den Toten. Man sagt: »Die Frauen haben langes Haar und kurzen Mut«; wie lang Sigunens braune Haare wallen, doch ewig treu ist ihr Gemüt.

Jeden Samstag wird Sigunen Speise vom Gral gebracht; doch ist Wehklage ihre halbe Kost, ihr Wachen und ihr Schlaf. Einst wird sie von ihrem Vater Kyot und andern ihren Verwandten besucht. Die Klage hat ihr die Augen geschwächt, so daß sie die Freunde nicht gleich erkennt. Sie bietet dem Vater alle Ehre, doch steigt sie nicht von der Linde, denn nimmer läßt sie des Toten Haupt von ihrem Schoße. Die Freunde stimmen ein in ihre Klage; die sie trösten wollten, muß ihnen Trost sagen. Drei alte Helden und eine blühende Jungfrau, des Kummers noch ungewohnt, sitzen die Nacht hindurch, in Klage wetteifernd, mit Sigunen auf den Aesten der Linde. Die Vögel erheben ihren fröhlichen Morgengesang, aber wenig achten jene darauf. Am dritten Morgen scheiden die traurigen Gäste.

Fünf Jahre schon hat Sigune auf der Linde gewohnt; da bedenkt sie, daß Schionatulander, noch sterbend, ihr Gebet, statt Klage, angeraten. Sie läßt sich im Wald eine Klause bauen, über einem klaren Quell, der dadurch hinfließt. Hier läßt sie sich vermauern. Wer an das Fenster tritt, kann sehen, wie die bleiche Jungfrau, im grauen Kleide, den Psalter in der Hand, über dem Sarge des Geliebten kniet. Ein kleiner Edelstein an ihrem Finger, das Brautkleinod ihrer unvergänglichen Minne, schimmert durch diese Dämmerung. So findet man sie eines Abends im Gebete verschieden. Sie wird zu ihrem Freunde besargt. Da sieht man recht die Treue dieser beiden, aus dem Sarge winden sich zwo Reben, die ihnen aus dem Munde wachsen und hoch oben, nie vergrünend, sich verflechten.

Parcival.

Herzeloide, des Königs Amfortas zweite Schwester, mit Gamuret von Anjou vermählt, wird einst, als sie um Mittag entschlummert, von angstvollen Träumen gequält. Unter Donnerstrahlen und Feuerregen schwebt sie in den Lüften; dann säugt sie einen Drachen, der ihr das Herz aus dem Leibe bricht und davonfliegt. Laut ruft und jammert sie im Schlafe; ihre Jungfrauen springen herbei und wecken sie. Da kommt ein Knappe auf den Hof geritten; aus fernem Morgenlande bringt er den blutigen Speer, davon Gamuret den Tod erlitten. Aus ihrem Lande zieht die Witwe, mitten in wüstem Walde läßt sie reuten und bauen. Nicht der Blumen und Kränze wegen hat sie den Wald erwählt. Ihren jungen Sohn, Parcival, dessen sie im Jammer genesen, will sie in der Einöde vor Ritterschaft behüten, die dem Vater verderblich war. Nichts darf vor ihm von Rittern je verlauten.

Schon aber schneidet der Knabe sich Bogen und Bolze, womit er Vögel schießt. Hat er einen getroffen, der zuvor mit lautem Schalle sang, da weint er und rauft sich die Haare. Wenn er sich morgens am Strome wäscht und über ihm der Vögel Sang ertönt, da dehnet ihm der süße Laut die junge Brust. Zur Mutter läuft er weinend, doch er kann nicht sagen, wie ihm geschehen. Sie geht der Sache nach, bis sie ihn nach dem Schalle der Vögel lauschen sieht. Da wird sie inne, daß von dieser Stimme ihres Kindes Brust erschwillt. Sie ahnt die Regung, die zu kühnen Taten treibt. Da heißt sie die Vögel fangen und würgen, doch Parcival erbittet ihnen Frieden.

Die Mutter lehrt den Sohn, das Lichte von dem Finstern unterscheiden. Lichter denn der Tag ist Gott. Als nun Parcival, der mit dem Wurfspieß Hirsche jagt, einst im Walde mehrere Ritter in glänzender Rüstung dahersprengen sieht, hält er jeden für einen Gott und fällt auf die Kniee nieder. Von ihnen erfährt er, daß sie Ritter seien und daß der König Artus Ritters Orden erteile. Oft heischt er nun von der Mutter ein Pferd, um zu Artus zu reiten. Sie kann nicht versagen, schneidet ihm aber Kleider zu, wie närrische Leute sie tragen, damit er, durch üble Behandlung geschreckt, bald umkehre. So beginnt der wunderschöne Jüngling in schmählicher Tracht seine Fahrt. Die Mutter aber, als sie ihn nicht mehr sieht, fällt zur Erde nieder und stirbt vor Jammer.

Mancherlei Abenteuer hat Parcival, indem er die Lehren der Mutter allzu wörtlich anwendet. Doch gelangt er bis nahe vor die Stadt Nantes, wo König Artus Hof hält. Hier begegnet ihm ein Ritter von blanker Hautfarbe und roten Haaren. Rot ist auch sein Roß, rot sein Harnisch, sein Wappenkleid, seine Roßdecke, feuerrot Schild, Schwert und Speer. Es ist der kühne Ither, der rote Ritter genannt, einst Trevrezents Knappe. Auf der Hand trägt er einen goldnen Becher, den er keck von Artus' Tafelrunde weggerafft, so daß der Wein in der Königin Schoß vergossen ward. Keiner von den Rittern der Tafelrunde hat es gewehrt; hier erwartet er, ob sie mit Kampfe den Becher ihres dürstenden Königs zurückholen. Dieses heißt er Parcivaln am Hofe melden. Der Jüngling reitet in die Stadt, tritt vor den König, meldet die Botschaft und bittet, daß Artus ihn zum Ritter mache. Der König verspricht es und will ihn köstlich dazu ausstatten. Parcival aber verlangt keine Gabe als die Rüstung des roten Ritters, die er sich selbst holen will. Zögernd gewährt der König, und Parcival reitet wieder hinaus. Als er an der Laube vorbeikommt, worauf die Königin mit ihren Frauen sitzt, da lacht die schöne Cunneware, die niemals lachen wollte, bis sie den gesehen, dem der höchste Ruhm beschieden sei, da spricht der schweigsame Antanor, der nimmer reden wollte, bevor Cunneware gelacht. Beide werden von Key, des Königs mürrischem Seneschall, geschlagen, der darüber zürnt, daß dem Knaben geboten werde, was so manchem ehrenwerten Ritter versagt blieb. Bei Ithern angelangt, fordert Parcival des Ritters Roß und Harnisch, greift ihm rasch nach dem Zaume, und als Ither mit dem Schaft ihn blutig schlägt, schleudert er den Wurfspieß nach des Gegners Haupte. Ither fällt tot zur Erde, sein Blut rötet die Blumen. Parcival reitet auf dem Roß und in der Rüstung Ithers, die er über die Torenkleider anlegt, von dannen und heißt hinfort selbst der rote Ritter. Den Goldbecher sendet er dem König.

Schwer gewappnet reitet Parcival den Tag entlang, so weit das treffliche Roß rennen mag. Gegen Abend erblickt er eine Turmspitze, und als noch mehr Türme erscheinen, meint er, sie wachsen hervor, von Artus gesät. Gurnemanz von Graharz, der fürstliche Wirt dieser Burg, sitzt vor derselben im Schatten einer breiten Linde. Der Jüngling, dem die Mutter empfohlen, dem Rate grauer Männer zu folgen, verlangt sogleich den Rat des graugelockten Fürsten. Dieser wirft von seiner Hand einen Sperber empor, der sich, mit goldner Schelle klingend, ein schneller Bote, in die Burg schwingt. Alsbald kommen Junkherren, die den Gast in die Burg führen. Kaum ist er vom Rosse zu bringen, ein König hieß ihn ja Ritter sein. Die Junkherren entwappnen ihn. Der Wirt selbst verbindet ihm die Wunden, die er von Ither empfangen. Väterlich pflegt der Greis des Jünglings, gibt dem Ratbedürftigen weise Ratschläge, lehrt ihn Sitte und ritterliche Kunst. Nach vierzehn Tagen zieht Parceval weiter, der Torenkleider und der kindischen Torheit ledig.

Er kommt in die Stadt Pelrapeire, die durch Belagerung ausgehungert ist. Gebieterin des Landes ist die Königstochter Condwiramurs, deren Minne der König von Brandigan mit Gewalt erwerben will. Sie blüht wie die junge Rose, die im Morgentau, weiß und rot, aus der Knospe hervorglänzt.

In stiller Nacht tritt sie in Parcivals kerzenhelles Gemach und klagt ihm mit Tränen ihre Not. Der junge Held besiegt im Zweikampf die Führer der feindlichen Heere, befreit dadurch die Stadt und gewinnt die Hand der jungen Königin. Unschuldige Minne führt diese beiden zusammen; Condwiramurs geht am Morgen als Jungfrau hervor, obgleich sie nach Frauensitte ihr Haupt bindet.

Bald verläßt Parcival seine Frau und sein neues Land. Die Sorge um seine Mutter und der Drang nach Abenteuern läßt ihn nicht rasten. Am ersten Tage schon reitet er so weit, daß ein Vogel es mit Müh' erflogen hätte. Abends kommt er an einen See, wo Weidleute geankert haben. Einer lehnt traurig im Schiffe, der so reiches Gewand trägt, als dienten ihm alle Lande. Ihn befragt Parcival um Herberge. Auf dreißig Meilen, ist die Antwort, sei kein Haus zu finden, als eines dort um den Fels. Parcival reitet, wie ihn der Mann gewiesen. Er kommt zu einer festen Burg, mit vielen Türmen, wo er auf sein Versichern, daß ihn der Fischer sende, wohl empfangen und bewirtet wird; die Traurigen sind mit ihm froh. Er wird in einen herrlichen Saal geführt; hundert Kronen hängen hier, mit Kerzen besteckt. Holz von Aloe brennt auf drei marmornen Feuerstätten. An der mitteln ruht auf einem Spannbette der kranke Wirt des Hauses, in kostbare Pelze gehüllt, auf dem Haupt eine Zobelmütze, deren Knopf ein leichter Rubin. Der Kranke heißt den Gast sich zu ihm setzen; viele Ritter sitzen umher. Ein Knappe springt zur Tür herein, einen Speer tragend, an dessen Schafte Blut herabläuft. Laute Wehklage erhebt sich. Als der Speer all umgetragen ist, verläßt der Knappe den Saal. Wieder öffnet sich eine Tür, eine lange Reihe schöner Jungfrauen, in Scharlach und Samt gekleidet, Blumenkränze in den Haaren, zieht herein; sie tragen kostbares Gerät: goldne Leuchter mit brennenden Kerzen, zween Stollen von Elfenbein, eine Tafel von durchsichtigem Steine, die vor dem König auf die Stollen niedergesetzt wird, zwei silberne Messer, schärfer denn Stahl, die sie auf den Tisch legen. Zuletzt eine Jungfrau mit goldner Krone; ihr Antlitz leuchtet, man glaubt, es wolle tagen. Auf grüner Seide trägt sie die unschätzbare Himmelsgabe, den Gral. Vor ihm werden sechs Gläser mit brennendem Balsam getragen. Sie setzt den Gral vor den König und stellt sich in die Mitte ihrer Gespielen. An hundert gedeckten Tafeln sitzen die Ritter, vier an jeder. Auf kleinen Wagen wird goldnes Geschirr herbeigeführt. Hundert Knappen dienen vor dem Gral, jeder versieht eine Tafel; nach was sie die Hand bieten, von Speise oder Getränk, das spendet der Gral in Schüssel und Napf. Am Schlusse des Mahls beschenkt der Wirt den Gast mit einem herrlichen Schwerte, das er selbst in gesunden Tagen geführt. Als die Jungfrauen wieder mit dem Gral hinausgehen, sieht Parcival durch die Tür auf einem Ruhebette den schönsten alten Mann, den er je gesehen; weißer denn Duft ist der Greis (Titurel). Wohl hat Parcival das Wunder alles beachtet, doch fragt er nicht; sein Lehrer Gurnemanz hat ihn vor unbescheidener Frage gewarnt; noch glaubt er ohne Frage alles zu erfahren. Als er aber morgens, nach schweren Träumen, erwacht, findet er niemand zu seinem Dienste bereit. Auf dem Fußteppich liegt seine Rüstung, die er selbst anlegt. An der Treppe steht sein Roß angebunden, Schild und Speer dabei. Nirgends ist jemand zu sehen, noch zu hören. Zerstampft ist das Gras auf dem Burghof. Durch das offene Tor reitet Parcival hinaus, schnell wird die Brücke hinter ihm aufgezogen, und ein Knappe ruft ihm Scheltworte nach. Er verfolgt die Spur der Hufschläge, doch sie teilt sich, und bald verliert er sie ganz. Da hört er die klagende Stimme einer Frau; es ist Sigune auf der Linde. Sie erklärt ihm, was er gesehen und was er versäumt.

Zweierlei Sorge erfüllt Parcivals Seele, der Wunsch, den Gral wiederzufinden, und die Sehnsucht nach Condwiramurs. Eines Morgens, als er durch den Wald reitet, ist frischer Schnee gefallen. Ein Falke jagt vor ihm eine Schar wilder Gänse auf. Eine ist im Fluge getroffen und aus ihrer Wunde fallen drei Blutstropfen auf den Schnee. Wie das Blut den Schnee rötet, wie der Schnee das Blut mit Weiße mischt, das mahnt den Ritter an die blühende Farbe der Geliebten. »Condwiramurs, hier liegt dein Schein,« ruft Parcival aus; unverrückt hinschauend, versenkt er sich in Gedanken. Mit aufgerichtetem Speere hält er, wie schlafend, zu Rosse. Unfern diesem Ort ist König Artus mit den Helden der Tafelrunde gelagert. Ihnen wird gemeldet, daß im Wald ein Ritter kampfbereit halte. Zween der Ungestümsten, Segremors und Key, der Seneschall, reiten nacheinander hinaus, ihren Speer an ihm zu brechen. Drohworte, selbst Schläge mit dem Schaft wecken ihn nicht, bis eine Wendung seines Rosses, ein Stoß des Gegners ihm die Blutstropfen aus dem Blicke bringen; so zur Besinnung kommend, fällt er beide. Der Seneschall bricht vom Sturz einen Arm und ein Bein, zur Vergeltung, daß er einst Cunnewaren geschlagen. Der dritte, der geritten kommt, ist der freundliche Gawan; auch er ruft den Träumenden vergeblich an. Doch er kennt selbst die Kraft der Minne, er merkt, wohin Parcivals Augen stehen, und wirft ein seidenes Tuch über die Blutmale. Da verschwindet Condwiramurs, und Parcival reitet mit Gawan zu den Gezelten. Längst ist die Tapferkeit des roten Ritters kundbar geworden; er wird in die Gesellschaft der Tafelrunde aufgenommen, und Gawan ist hinfort sein treuester Freund.

Als nun in aller Freude Ritter und Frauen bei Tische sitzen, kommt auf einem hohen, fahlen Maultier, mit kostbarem Reitzeug, eine Jungfrau daher getrabt, um deren Minne noch wenig Speere gebrochen worden. Ihre Augen gelb, wie Topase, der Mund weit hinein blau, gleich einer Viole, eine Hundsnase, zween spannenlange Eberzähne, Ohren wie eines Bären, Nägel wie Löwenklauen. Sie trägt einen Mantel, blauer denn Lasur; ein Pfauenhut hängt ihr am Rücken, doch hätt', auch ohne Hut, ihrer Affenhaut die Sonne nicht geschadet; über den Hut schwingt sich ein schwarzer Zopf, lind, wie Schweinshaare, bis auf das Maultier herab. In der Hand führt sie eine Geisel mit seidnen Schlingen, der Stiel von Rubin. Es ist Cundrie, die Dienerin des Grals, von der Mohrenkönigin Secundille dem Amfortas geschenkt. So häßlich sie ist, so getreu und weise. Sie bringt Sigunen Speise vom Gral; sie ist aller Sprachen kundig und des Laufs der Sterne. Diese nun kommt in den Kreis geritten und hält vor dem König Artus. »Tafelrunde ist entehrt,« ruft sie, »ein Schlechter sitzt daran.« Dann reitet sie vor Parcivaln: »Schmach deinem lichten Schein und deinem mannlichen Wuchs! Ich dünke dir mißgestalt und bin lieblicher doch denn du. Sage mir, als der traurige Fischer, trostlos, vor dir saß, warum hast du ihn nicht von Seufzen erlöst? Ungetreuer Gast, hat deines Wirtes Not dich nicht erbarmt? Er gab dir ein Schwert, das du nie verdient, du sahest den Gral vor dich tragen, sahest schneidend Silber und blutigen Speer und hast keine Frage getan. Daß die Zunge dir aus dem Munde fiele! Eine Frage hätte dir mehr gewonnen denn alles Erdengut. Siech bist du nun an Ehre, kein Arzt mag dich heilen. O weh, daß Herzeloidens Sohn an Preise so gesunken! O Montsalvatsch, Ziel des Jammers, weh, daß dich niemand trösten will!« Bestürzung und Trauer herrschen im Kreise; Cundrie, selbst weinend und händeringend, reitet hinweg. Parcival aber, der Welt zum Spotte geworden, sagt sich von der Tafelrunde los und zieht von dannen, an Gott verzweifelnd.

Manches Land hat der junge Held bestrichen, zu Roß und zu Schiff, manchen Ritter im Lanzenbrechen gefällt, manch heiße Schlacht rühmlich mitgekämpft. In Kirchen oder Münstern, wo man Gottes Preis verkündet, wird er nie gesehen, nur Kampf und Streit sucht er. Einst liegt morgens ein dünner Schnee, als Parcival in einem großen Walde reitet. Eine fromme Schar zieht daher, barfuß in grauen, rauhen Röcken. Voran ein alter Ritter mit grauem Bart, schönem und lichtem Antlitz, mit ihm seine Frau, dann seine Töchter, zwo liebliche Jungfrauen: ihr Mund, trotz des Frostes rot und heiß, stimmt wenig zum Ernste des Tages; nebenher laufen zierliche Frauenhündlein; Ritter und Knappen, demütigen Gangs, folgen nach. Parcival, dessen Ritterschmuck dem Gewande der Waller gar ungleich steht, lenkt sein Roß aus dem Pfade. Der graue Ritter beklagt ihn, daß er an so heiligen Tagen in vollem Harnisch umher reiten müsse. »Was kümmern mich,« erwidert Parcival, »des Jahres Anfang, der Wochen Zahl, der Tage Namen? einst dient' ich Einem, der heißt Gott; seine Hilfe ward mir gepriesen, Schmach, für Hilfe, hat er über mich verhängt.« Da mahnt der Greis den Zweifler, daß heute der Tag sei, des alle Welt mit Seufzen sich freuen möge, der Tag, an dem Gottes große Treue so hilfreich sich erzeigt, daß er für unsre Schuld am Kreuze gestorben. Er rät Parcivaln, auf der Spur, die er getreten finde, nach der nahen Wohnung eines heiligen Mannes zu reiten, zu dem er selbst heute, wie jeden Charfreitag, eine Gottesfahrt getan. Die Töchter meinen, den jungen Ritter müsse im eisernen Harnisch frieren, besser würd' er zu den Zelten ihres Vaters gewiesen. Parcival aber scheidet von ihnen, sein Herz ist bewegt, er denkt wieder an seinen allmächtigen Schöpfer; dem Rosse läßt er die Zügel hängen: ist heute Gottes Hilfetag, so helf' er und weise den rechten Weg! Das Roß geht wirklich der Höhle zu, wo Trevrezent sich zum Himmel bereitet. Am Feuer des Einsiedlers erwarmt Parcival. Er lernt in Trevrezent seinen Oheim kennen, erfährt von ihm die Wunder des Grals und die Geschichten von Titurels Geschlecht; auch den Tod seiner Mutter vernimmt er, und wie er selbst der Drache war, den sie gesäugt. Fünfzehn Tage verweilt er und empfängt des Oheims heilige Lehren. Kräuter und Wurzeln, aus dem Schnee gegraben, sind ihre magere Speise, und doch ward Parcival nie so köstlich bewirtet; an der Seele genesen, mit neuem Vertrauen auf Gott, verläßt er die Höhle.

Fünf Jahre schon ist Parcival nach dem Gral umhergestreift. Wieder sitzt er am Tische des Königs Artus und abermals kommt Cundrie angeritten, in schwarzem Mantel, mit goldnen Tauben, dem Wappen des Grals. Noch unerkannt, fällt sie zu Parcivals Füßen und fleht weinend um seine Huld. Dann wirft sie ihr Hauptgebände von sich und verkündet die freudige Botschaft, daß Parcival durch die Schrift am Grale zum Herrn desselben berufen sei. Segensreich preist sie den Stand der Gestirne. Freudentränen fließen aus Parcivals Augen; er macht sich mit Cundrien auf den Weg nach Montsalvatsch. Eine Schar von Templern, die ihnen im Walde begegnet, springt von den Rossen und empfängt mit abgebundenen Helmen den neuen König. Ein Segen deucht ihnen sein Gruß. Es ist eben die Zeit, da des Amfortas Schmerzen sich erneuen. Duftende Würzen sind umhergestreut; das Aloefeuer brennt; mit den edelsten Steinen, von heilender Kraft, ist das Bett besät, doch nichts lindert die Qual. Da erscheint Parcival; ihn fleht Amfortas um das eine, daß der Gral sieben Nächte und acht Tage aus seinen Augen gerückt bleibe. Parcival aber wirft sich dreimal vor dem Grale nieder und betet, daß die Not des armen Mannes ende. Plötzlich kommt ein herrlicher Glanz über den Kranken; in blühender Schönheit erhebt er sich vom Siechenbett. Ritterlich bricht er wieder manchen Speer im Dienste des Grals, nicht um Frauengunst.

Von Cundrien hat Parcival auch das vernommen, daß Condwiramurs ihm Zwillingssöhne geboren habe. Schon ist nach ihr gesendet und Parcival reitet ihr entgegen. Am frühen Morgen kommt er zu der Aue, wo sie gelagert ist. Als er in ihr Gezelt tritt, schläft sie noch, neben ihr die beiden Kinder. Freudig springt sie auf und empfängt den Gemahl. Zürnen sollte sie, aber sie kann nicht. Es ist dieselbe Stelle, wo einst Blut und Schnee ihm den Sinn entrückt. Hier ist wieder beides, doch nicht der leere Schein.

Ferafis.

Bevor noch Gamuret von Anjou Herzeloiden, Parcivals Mutter, gefunden, wirft ihn auf Ritterfahrten ein Sturm vor die Burg der Mohrenkönigin Belacane, die von Feinden hart bedrängt wird. Er befreit sie, und ihre Minne lohnt ihm. Wohl gleicht sie nicht dem lichten Tage noch der tauigen Rose, dennoch tut es seinen Augen wohl, wenn durch die Krone von Rubin ihr dunkles Haupt erscheint. Ihre Schwärze deucht ihm schöner denn das Licht der Sonne. Doch lange kann er nirgends weilen, in der Nacht einst schifft er von dannen. Die trauernde Belacane genest eines Sohnes, der zweier Farben ist, weiß und schwarz, der Elster gleich. Immer küßt sie ihn an die weißen Male, Gamurets gedenkend. Ferafis artet dem Vater nach; er wird ein kühner Streiter im Dienste der Frauen. Viel Könige hat er bezwungen; ererbt und erstritten, dienen ihm zwanzig Lande, die reichsten der Welt; keines der zwanzig Völker versteht die Sprache des andern. Wie ein Gott wird Ferafis angebetet. Mit großem Heere fährt er aus, seinen tapfern Vater zu suchen. Einst als seine Schiffe, um Wasser zu fassen, geankert, reitet er allein in einen Wald, wo Parcival, sein Bruder, ihm begegnet. Diesem steht ein Kampf bevor, wogegen alle früheren Kinderspiel waren. Herrlich gerüstet ist Ferafis. Sein glänzendweißer Wappenrock ist von Salamandern im heißen Feuer gewirkt; die edelsten Steine, dunkel und licht, Kraft und Mut verleihend, liegen darauf. Auf dem Helme trägt er das Tierlein Ecidämon, dessen Geruch alle giftigen Würme tötet. Mit dem teuersten Seidenzeug ist sein Roß gedeckt. Sein Schild, gleichfalls reich besteint, ist von dem Holz Aspinde, das weder fault, noch brennt. In solchen Waffen blieb er unverletzt, als er im fernen Osten mit einem feurigen Ritter stach. All sein Schmuck ist Geschenk schöner Frauen. So halten, unerkannt, sich gegenüber die beiden, die an Sittigkeit Lämmer, an Kühnheit Löwen sind. Den Löwen gebiert seine Mutter tot, von seines Vaters Brüllen wird er lebendig: Gamurets Söhne sind aus Speereskrachen erboren. Ist die Erde nicht breit genug, daß die sich feindlich treffen müssen, die ein Leib und Blut sind? Keiner kann in diesem Kampfe gewinnen. Die Speere sind zersplittert, sie springen von den Rossen und lassen die Schwerter klingen. Feuer sprüht von den Helmen; von des Heiden Schilde fliegen Späne, mancher hundert Marke wert. Da bricht Parcivals Klinge. Ferafis, der von dem Schlag aufs Knie gesunken, springt auf, doch läßt er vom Kampfe, weil der Gegner das Schwert verloren. Sie setzen sich, um auszuruhen, auf das Gras. Ferafis wirft sein Schwert weithin in den Wald, damit gleiches Spiel sei. Im Gespräch erkennen sie sich und küssen sich als Brüder. »Gepriesen sei des Planeten Schein,« ruft Ferafis, »darin meine Reise getan ward; gepriesen Luft und Tau, der heute morgen auf mich fiel!« Ferafis hört, daß sein Vater nicht mehr lebe, er hat dafür den Bruder gefunden. Bald hernach wird Parcival zum Grale gerufen, er darf sich einen Gefährten wählen und er nimmt dazu den Bruder. Lohengrin, Parcivals Knabe, fürchtet sich, als er den halbschwarzen Oheim küssen soll. Beim Mahle wird der Gral vorgetragen, doch der Heide kann das Heiligtum nicht sehen, er sieht nur die grüne Seide, darauf es getragen wird. Aber in das Herz geht ihm der Anblick der schönen Urepanse, die den Gral trägt; bleich wird er an seinem weißen Teile. Am nächsten Morgen läßt er sich im Tempel des Grals taufen. Er glaubt, was man ihn glauben heißt; der Gott, an den Urepanse glaubt, ist ihm der rechte. Dem Getauften wird die Jungfrau anvermählt; er führt sie mit sich nach Indien, wo er das Christentum ausbreiten hilft.

Lohengrin.

In brünstigem Gebete kniet jeden Tag die schöne Else, des Herzogs von Brabant und Limburg verwaiste Tochter. Friedrich von Telramund, ein Dienstmann ihres Vaters, behauptet, sie hab' ihm die Ehe gelobt. Ein Kampf vor Gericht soll entscheiden. Kein Streiter wagt sich für Elsen, so gefürchtet ist Friedrichs Arm. Wenn sie nun weinend vor dem Altare liegt, dann läutet sie, zum Zeichen ihrer Not, ein goldnes Glöcklein, das sie einst einem beschädigten Falken abgelöst. Der Klang dringt fernhin durch die Wolken, wie Donner erschallt es unablässig auf der Burg des Grals. Auf diesen Ruf um Hilfe wird Lohengrin, Parcivals Sohn, ausgesendet. Schon setzt er den Fuß in den Stegreif, als ein Schwan daherschwimmt, der ein kleines Schiff zieht. Lohengrin läßt das Roß und tritt in das Fahrzeug. Ein schneller Strom trägt ihn auf das Meer; die Wogen werfen ihn hoch empor. Fünf Tage schon fastet er, da fängt der Schwan ein Fischlein und teilt seine Speise mit dem Ritter. Auf dem Schilde schlafend, kommt Lohengrin zu Antwerpen an das Gestad, eben zu rechter Zeit, um den Kampf zu bestehen. Der Schwan fährt mit dem Schifflein zurück. Lohengrin aber siegt im Zweikampf und gewinnt die Hand der Fürstin. Das bedingt er, daß sie ihn nie um seine Herkunft frage, wenn sie ihn nicht verlieren wolle. Seit Parcival zu fragen vergessen, ist dem Gral Frage zuwider und die Männer werden nur heimlich weggegeben. Lohengrin lebt lange Zeit glücklich mit Elsen, auch dient er dem Kaiser, von dem er mit den Landen belehnt wird, gegen Hunnen und Heiden. Einst fällt er im Ritterspiel den Herzog von Cleve, wobei dieser den Arm zerbricht. Seine Gemahlin, deshalb erbittert, spricht vor den Frauen zweideutig von Lohengrins dunkler Herkunft. In der Nacht weint Else über diese Reden; ebenso in der zweiten Nacht, in der dritten aber bittet sie den Gemahl um ihrer Kinder willen, ihr zu sagen, von wannen er geboren sei, obgleich das Herz ihr sage, er sei reich an Adel. Lohengrin nennt sein Geschlecht; dann heißt er seine zween Knaben bringen, küßt sie zum Abschied und befiehlt, Horn und Schwert, so er mitgebracht, ihnen aufzubehalten; der Herzogin läßt er den Ring, den ihm seine Mutter gegeben. Sein Freund, der Schwan, kommt wieder mit dem Schifflein, und Lohengrin fährt Wasser und Wege hin, bis wieder zum Gral. Die Herzogin fällt in Unmacht, und ihr Lebenlang klagt sie um den verlorenen Gemahl.

Trauriger noch wird Lohengrins Schicksal so erzählt: Er kommt in das Herzogtum Lyzaborie (Luxenburg?) und gewinnt die Erbin des Landes, die schöne Belaye. Sie hütet sich vor Frage, aber sie fürchtet seinen Wankelmut. Sie liebt ihn so heftig, daß sie ohne Besinnung hinfällt, wenn sie ihn nicht sieht. Niemals will sie ihn von sich lassen. Lohengrin, der nicht gern so träges Leben führt, reitet oft zu jagen aus. Dann liegt sie ohne Kraft und Sprache da. Vergeblich werden Aerzte und Sternkundige befragt, ob Zauberei im Spiele sei. Ihre Verwandten werden ihm darüber gram. Ein Kammerweib aber rät ihr, wie sie des Geliebten sich versichern könne; wenn er müde von der Jagd entschlafen sei, soll sie ein Stück von seinem Leibe schneiden lassen und essen. Belaye zürnt über den Ratschlag; lieber will sie sterben, als schuldig sein, daß ihm ein Finger schwäre. Die Ratgeberin, aus Belayens Huld verwiesen, wendet sich an die Verwandten und beredet sie, des Frevels sich zu verwegen. Als Lohengrin einst auf der Jagd ausruht, bedünkt ihn im Schlaf, als wären tausend Schwerter über ihm gezückt. Auffahrend sieht er die Schwerter der Verräter. Männlich setzt er sich zur Wehr, sie erschrecken, ihrer Schuld bewußt. Viele streckt er nieder, doch die Menge siegt. Er empfängt in den linken Arm eine Wunde, wo kein Arzt sie heilen kann. Da fallen sie alle ihm zu Füßen, seine Tugend geht ihnen zu Herzen. Als Belaye seinen Tod erfährt, stirbt sie vor Herzeleid. Ein Kloster wird gebaut, darin man sie zusammen besargt. Noch werden dort ihre gebalsamten Leichname gezeigt. Das Land, sonst Lyzaborie genannt, heißt nach ihm fortan Lothringen.

Des Grals Zug nach Indien.

In Salvaterre, weit um den Gral, mehren sich ruchlose Nachbarn, die seinem Volk ein Greuel sind. Sünden, die wir jetzt gering wägen, deuchten damals ungeheuer. Vergeblich sucht man auf Montsalvatsch mit Gebet, Fasten und Kreuzgang den Fall der sündigen Seelen abzuwenden. Der Gral will nicht länger bleiben, er begehrt dahin, von wo das Licht der wonnebringenden Sonne kommt. Sie ziehen aus Salvaterre, auf zwo Rasten darf ihrer Fahrt niemand nahen, der ihnen schaden wollte. Die Christen, die mit Ehrfurcht entgegenkommen, werden vom Grale gespeiset. Klöster, Krankenhäuser, arme Leute werden beschenkt. In der Habe von Marsilie schiffen sie sich ein. Stets segeln sie mit günstigem Winde. An dem Schiffe des Grals verliert der Magnetberg seine Kraft. Heiden, die dort festsitzen, werden gerettet und lassen sich taufen. Das Lebermeer, darin sonst die Kiele stehen und starren, zerfließt wie Eis am Feuer. An brennenden Bergen vorbei, oft unterirdisch durch Gebirge, fahren sie dahin. Sie sehen den Kampf der Ungeheuer zu Land und Meer. Dem Gral weit entgegen reitet Ferafis, der seine Lande zum Christentum bekehrt. Mit feierlichen Umgängen wird das Heiligtum empfangen. Ferafis selbst hat seine Reiche dem heiligen Priester Johann zu Dienste gegeben, dem die drei Indien dienen. Drei Vierteile der Welt gehorchen seinem Winke. Nahe dem Paradiese wohnt er, von dem heilkräftige Wasser niederströmen, Edelsteine mit sich führend. Alles ist Wunder in jenen Gegenden. Reich an Schätzen sind die Bewohner, reicher noch an Tugenden. Wer ihnen von Meineid, Diebstahl, Raub, Geiz, Unglauben, Verrat spräche, sie wüßten nicht, was er meinte. Glänzend sind des priesterlichen Herrschers Paläste, wo Bischöfe und Patriarchen, die zugleich Könige sind, der Hofämter walten; gewaltig sein Aufzug, wenn er gegen Feinde fährt; viele kostbare Kreuze werden dann vorangetragen. Wer den Sonnenstaub zählt, der überzählt dieses Königs Herrschaft. Dorthin erheben sich die Templer, und Priester Johann zieht ihnen festlich entgegen. Sie sehen all die Herrlichkeit und wünschen, daß hier der Tempel des Grals wäre. Manch Gebet wird darum vor dem Gral verrichtet. Und sieh! als die Sonne den Tag bringt, erhebt sich in ihrem Strahle der Tempel mit der Burg Montsalvatsch. Nicht sollt' er dem argen Volke in Salvaterre gelassen werden. Nie ward so viel nach Rom gewallt, als nun die Straße gen Indien zum Tempel des Grals betreten wird. Fürder wird niemand mehr vom Grale gespeist, seit dieser in ein Land gekommen, wo nirgends Mangel ist. »Nun erst ist er behalten vor aller Wandelung,« spricht Titurel; »ein halb Jahrtausend hab' ich sein Kunde, er ist nun heimgekommen, auch meine Seele will jetzt heim zum Paradiese fahren.« Der Greis begehrt, daß man ihm den Gral nicht mehr vor Augen bringe; so geht er am neunten Tage zur Ruhe. Priester Johann überträgt seine Herrschaft auf Parcivaln, wegen Heiligkeit des Grals und weil die Lande eines tapfern Schwertes gegen die Heidenschaft bedürfen. Parcival weigert sich aus Demut, aber am Gral steht geschrieben, zehn Jahre soll er König sein und Priester Johann heißen; länger nicht, weil seine Mutter vor Kummer um ihn gestorben. Ihm folgt ein Sohn von Ferafis. Die sonnengleichen Kinder der beiden Brüder wachsen an Ehren vor andrem Geschlecht, wie Lilien über Ostergloien (Sternblumen). Wer Priester Johann werden soll, stehe heute noch jedesmal am Grale mit Gold geschrieben.


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