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4. Amleth.

Saxo B. III, S. 68. B. IV, S. 87. Müller, Sagnhist. 42 bis 44.

Rorik, König von Dänemark, übertrug nach dem Tode Gervendills dessen Söhnen, Horvendill und Fengo, die Nachfolge in der Statthalterschaft über Jütland. Horvendill vollführte als Seeheld so gewaltige Taten und ließ davon dem König so reiche Beute zukommen, daß er dessen Tochter Geruth zur Gemahlin erhielt, mit der er einen Sohn, Amleth, erzeugte. Solch hohes Glück seines Bruders entzündete Neid und Haß in Fengos Brust. Er sann auf Nachstellungen, und als sich Gelegenheit ergab, vollbrachte er mit blutiger Hand den Brudermord. Zu dieser Gewalttat gesellte er noch die ehebrecherische Verbindung mit der Witwe des Getöteten. Den Mord beschönigte er damit, daß derselbe zur Rettung Geruths vor dem Haß und Jähzorn ihres Gemahls geschehen sei. Amleth, des Ermordeten Sohn, der diesem Treiben zusah und seinem Oheim verdächtig zu werden fürchtete, suchte sich durch den Schein des Blödsinns zu sichern. Schmutzig und entstellt ging er umher; was er sprach und tat, hatte das Gepräge des Aberwitzes. Manchmal saß er am Herde, kehrte die Kohlen mit den Händen zusammen und schnitzte krumme Stäbchen von Holz, die er dann am Feuer härtete und mit Widerhaken versah; diese Stäbchen sammelte und verwahrte er sorgfältig. Wenn man ihn fragte, was er damit wolle, gab er zur Antwort, er sorge für scharfe Geschosse zur Vaterrache. Soviel darüber gelacht wurde, so erregte doch die Geschicklichkeit, die er bei dieser Handarbeit zeigte, den Verdacht der klügern Beobachter. Diese glaubten nun, die entscheidenste Probe werde die sein, wenn sie ihn an einsamer Stelle mit einem Mädchen von ausgezeichneter Schönheit zusammenführten; dem Feuer der Liebe werde die Verstellung weichen. Zu diesem Zwecke sollten einige vom Hofe mit dem Jüngling abwegs in den Wald reiten. Unter den Begleitern war aber zufällig ein Milchbruder ( collacteus) Amleths, der ihn warnte. Amleth wußte selbst schon, woran er war. Gleich als man ihn zu Pferde steigen hieß, setzte er sich verkehrt auf dasselbe und zäumte es beim Schweif auf. Bei diesem sonderbaren Ritte stießen sie im Gesträuch auf einen Wolf; als die Begleiter diesen für ein Füllen ausgaben, bemerkte Amleth, allzu wenig solche laufen ( militare, ohne Zweifel das doppelsinnige herjn, Heerfahrten und verheeren) in Fengos Herde, womit er versteckt genug den Besitztümern seines Oheims Uebles anwünschte. Sie kamen am Meeresufer vorbei, wo das Steuerruder eines gestrandeten Schiffes lag; Amleths Gefährten versicherten, sie hätten ein Messer von ausnehmender Größe gefunden. »Man muß auch einen großen Schinken damit schneiden,« bemerkte Amleth, worunter er das Meer verstand. Als sie nachher auf Dünen trafen und man ihm das Sand als Mehl zeigte, gab er zur Antwort, die Stürme des Meeres haben es weiß gemahlen. Die Begleiter lobten seine Antwort, und er versicherte, daß sie mit Verstand gegeben sei. Nicht minder schlau und behutsam benahm sich Amleth in der Zusammenkunft mit dem Mädchen, in dem er eine Pflegschwester wiederfand.

Da auch dieser Versuch der Ausforschung fehlgeschlagen war, so riet einer der Freunde Fengos ein anderes Mittel an; Fengo solle sich unter dem Vorwand eines dringenden Geschäfts entfernen, Amleth aber unterdessen allein mit seiner Mutter in ein Gemach eingeschlossen werden, nachdem man zuvor für einen Mann gesorgt, der ohne beider Wissen an einer verborgenen Stelle das Gespräch derselben belausche. Dem Ohre der Mutter werde der Sohn, wenn er etwas zu sagen habe, dieses unbedenklich eröffnen, ihrer Treue sich ungescheut anvertrauen. Der Ratgeber selbst erbot sich zum Dienste des Horchers. Fengo gab dem Vorschlage seinen Beifall und entfernte sich unter dem Vorgeben einer weiten Reise. Der aber, der den Rat erteilt, hatte sich in dem Gemache, worin Amleth mit seiner Mutter verschlossen wurde, unter Stroh ( stramento) versteckt. Amleth wußte sich auch gegen diese Nachstellung zu helfen. Einen Lauscher argwöhnend, lief er zuerst nach seiner angenommenen, törichten Weise umher, krähte wie ein Hahn, schlug die Arme wie Flügel auf und nieder und schwang sich in wiederholten Sprüngen auf dem Stroh, um zu erforschen, ob jemand darunter verborgen sei. Als er nun etwas unter seinen Füßen spürte, stach er mit dem Schwert hinein und durchbohrte so den Horcher. Den Leichnam brachte er hinaus, zerhieb ihn in Stücke und warf ihn so den Schweinen vor. Dann kehrte er in das Gemach zurück. Als nun die Mutter den Wahnwitz des Sohnes heftig zu bejammern begann, hub er an, ihr strenge Vorwürfe darüber zu machen, daß sie mit dem Mörder ihres Gemahls in schamloser Verbindung lebe, sagte ihr, daß er nicht ohne Grund den Schein der Torheit angenommen, ja derjenige, der seinen Bruder gemordet, unzweifelhaft auch gegen seine Verwandten wüten würde, daß er den Entschluß der Vaterrache unverrückt in der Seele trage und nur den gelegenen Zeitpunkt erwarte; gegen ein finstres und hartes Gemüt bedürfe es tieferer Anschläge. Ihr aber sei es überflüssig, des Sohnes Unverstand zu beklagen, da sie mit mehr Recht ihre eigene Schande beweinen sollte; übrigens werde sie zu schweigen wissen. Durch den Stachel solcher Reden erweckte er in der Mutter das Gefühl der Pflicht und das Andenken der früheren Liebe.

Fengo konnte bei seiner Zurückkunft nichts über seinen Kundschafter erfragen, denn die Auskunft, welche Amleth gab, daß er von den Schweinen verzehrt worden sei, wurde nur belacht. Da er gleichwohl seinen Stiefsohn immer mehr des Truges verdächtig hielt, aber aus Scheu vor dem Großvater des Jünglings, dem König Rorik, und vor der Mutter ihn nicht selbst aus dem Wege zu räumen wagte, beschloß er, sich zu diesem Zwecke des Königs von Britannien zu bedienen. Amleth wurde dahin gesandt; vor seiner Abreise aber gab er seiner Mutter auf, die Halle mit einem netzartigen Gewebe zu bekleiden ( textilibus aulam nodis instruat) und nach Jahresfrist scheinbar sein Begängnis zu feiern; auf dieselbe Zeit werd' er zurückkommen. Mit ihm reisten zwei vom Hofgesinde Fengos, die auf Holz geschnittene Runen mit sich führten, wodurch dem König der Briten die Ermordung des ihm zugeschickten Jünglings aufgetragen wurde. Diese Runen las Amleth, als seine Begleiter schliefen, schabte sie ab und setzte an ihre Stelle andre, worin der Auftrag der Tötung gegen die beiden Gefährten umgewandt und der König zugleich ersucht wurde, seine Tochter dem klugen Jünglinge, der ihm gesandt werde, zur Ehe zu geben.

In Britannien angekommen, überreichten die Gesandten ihre Runenbotschaft. Der König ließ sich nichts merken und nahm sie gastfreundlich auf. Beim Mahle verschmähte Amleth, zum Erstaunen aller, Trank und Speise des königlichen Tisches. Um die Ursache davon zu erkunden, ließ der König in der Nacht die Gespräche der Gäste belauschen. Auf Befragen seiner Begleiter äußerte Amleth, das Brot habe nach Blut geschmeckt und das Getränk nach Eisen. Er fügte hinzu, der König habe knechtische Augen, und die Königin habe in ihrem Benehmen einiges von den Sitten einer Magd gezeigt. Der König, dem dieses hinterbracht wurde, stellte Nachforschung an, und es fand sich, daß das Getreide zu dem Brot auf einem Schlachtfeld gewachsen, das mit Gerste ( farre) vermischte Wasser aber aus einer Quelle geschöpft war, in der verrostete Schwerter ausgegraben wurden. Nach der Erzählung andrer ( alii referunt) soll das Getränk, der Met, einen Totengeruch gehabt haben, weil die Bienen vom Fett eines Leichnams genossen hatten. Weiter erfuhr der König durch das Geständnis seiner Mutter, daß er der Sohn eines Leibeigenen sei, sowie sich auch ergab, daß seine Gemahlin von einer Gefangenen geboren war. Indem er nun in den scharfsinnigen Beobachtungen Amleths (vgl. die Sagen von Merlin) einen übermenschlichen Geist verehrte, nahm er keinen Anstand mehr, seine Tochter ihm zur Ehe zu geben. Die beiden Begleiter aber ließ er, nach dem vermeintlichen Begehren seines Freundes, am folgenden Tage aufknüpfen. Amleth, der sich hierdurch beleidigt anstellte, erhielt noch vom König Gold zur Sühne, welches er nachher schmelzen und in hohle Stöcke gießen ließ.

Nachdem er ein Jahr dort geblieben, nahm er Urlaub zur Rückkehr in sein Vaterland; von allem Reichtum des königlichen Schatzes aber führte er nichts mit sich, als die mit Gold gefüllten Stäbe. Sowie er Jütland erreichte, nahm er wieder die alte lächerliche Weise an. Mit Schmutz bedeckt, trat er in das Haus, wo eben seine Leichenfeier gehalten wurde, zum größten Erstaunen aller, indem sich das Gerücht von seinem Tode verbreitet hatte. Zuletzt löste sich der Schrecken in Gelächter auf. Als man ihn nun auch nach seinen Begleitern fragte, wies er seine Stäbe vor und sagte: »Hier ist der eine und hier der andere.« Statt der Getöteten zeigte er die für sie empfangene Buße. Hierauf gesellte er sich, um die Heiterkeit der Gäste zu vermehren, den Schenken zu und verrichtete sein Amt mit vielem Eifer. Damit sein weites Gewand ihn nicht im Gehen hindern mochte, umgürtete er die Hüfte mit einem Schwerte, das er absichtlich öfters entblößte und sich damit die Fingerspitzen verwundete. Die Umstehenden ließen deshalb durch Schwert und Scheide einen eisernen Nagel schlagen. Nachdem er nun den edeln Gästen so lange mit Trinken zugesetzt, bis sie alle schlafend in der Halle umherlagen, schien ihm die Zeit zur Ausführung seines Vorhabens gekommen zu sein. Die von seiner Mutter gewobene, netzartige Wandbedeckung ließ er herabfallen, schlug sie über die Schlafenden her und schürzte sie mittelst der krummen Stäbchen, die er einst gefertigt, so unauflöslich zusammen, daß keiner von denen, die darunter lagen, mit aller Anstrengung wieder aufzustehen vermochte. Dann warf er Feuer in das Haus, die Flamme griff weit um und verzehrte die Königshalle mit allen, die darin noch im tiefen Schlafe lagen oder vergeblich sich zu erheben strebten. Hierauf ging er in das Schlafgemach, wohin Fengo früher gebracht worden war und vertauschte das Schwert, das an dessen Lager hing, mit dem seinigen. Nun weckte er den Oheim mit dem Rufe, seine Hofleute gehen im Feuer unter, Amleth sei hier, mit seinen Krummstäbchen bewaffnet und begierig, für den Tod seines Vaters die Strafe zu vollziehen. Fengo sprang auf; indem er aber vergeblich das vernagelte Schwert zu ziehen sich abmühte, fiel er unter Amleths Streichen.

Auch hier ist Saxo voll vom Lobe des Rächers (S. 78):

Fortem virum æternoque nomine dignum, qui stultitiæ commento prudenter instructus, augustiorem mortali ingenio sapientiam admirabili ineptiarum simolatione suppressit, nec solum proprisæ salutis obtentum ab astutia mutuatus, ad paternæ quoque ultionis copiam eadem ductum præbente pervenit Itaque et se solerter tutatus, et parentem strenue ultus, fortior an sapientior existimari debeat, incertum reliquit.

Ein zweiter Teil der Sage erzählt nun (B. IV) die weitern Schicksale Amleths, der durch allgemeinen Zuruf an die Stelle seines Oheims erhoben wird. Auf einem Schilde läßt er seine ganze Geschichte bis zum Vollzug der Vaterrache abbilden. Von seinem Schwäher, der einst mit Fengo die Verpflichtung eingegangen, je einer des andern Tod zu rächen, wird er hinterlistigerweise auf eine gefährliche Werbung um die schottische Königin Hermutrud ausgeschickt, die alle ihre Freier umbringen läßt. Nach manchen Abenteuern und Kriegstaten fällt er endlich in Jütland in einer Schlacht mit dem Dänenkönige Viglet. Saxo bemerkt am Schlusse (S. 87): Insignis ejus sepultura ac nomine campus apud Justiam extat.


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