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5. Uffo.

Aus dieser Erzählung hat Uhland den Stoff zu seiner Ballade »Der blinde König« entnommen.

Saxo B. IV, S. 93 bis 96. 87. Svenonis Aggonis fillii (Svend Aagesens, aus dem zwölften Jahrhundert; er war gleichzeitig mit Saxo, den er K. V, S. 56 seinen contubernalis nennt, und schrieb um oder nach 1186. Langeb. I, 43) compendiosa regûm Daniæ historia, in Langebeck, Scriptor. rer. danic. T. I. Hafn. 1772. Fol. Kap. I, II, S. 45 bis 47. Müller, Sagnhist. 46 bis 50.

Der Dänenkönig Wermund war alt geworden und hatte das Augenlicht verloren. Ihm war erst in vorgerücktem Alter ein Sohn geboren worden, der zwar alle Jünglinge von gleichen Jahren an Körpergröße überragte, aber von stumpfem Geiste zu sein schien. Er verhielt sich stumm, lachte niemals und nahm an keinem Spiele teil (S. 87). So hatte Wermund an ihm keine Stütze, und auch seines Volkes Ansehen war sehr gesunken. Denn es hatte sich ereignet, daß zwei dänische Jünglinge, die Söhne des Jarls von Schleswig ( Slewicensium praefecti, S. 87), mit dem schwedischen Könige, der ihren Vater getötet hatte, zwei gegen einen kämpften, zwar nur so, daß der eine Bruder, als dem andern der Todesstreich drohte, sich nicht mehr halten konnte und herzueilend den König erschlug (S. 92):

Quo facto plus opprobii, quam laudis contraxit, quod in juvando fratre statuas duelli leges solvisset, eidemque utilius quam honestius opem tulisse videretur.

Dieser Stand der Dinge veranlaßt den König von Sachsen Bei Sven. Agg. ist es Alamannorum Rex, auch Imperator, Gesandte an Wermund abzuordnen, die ihn auffordern sollten, das Reich, das er wegen Alters und Blindheit nicht mehr verwalten könne, ihrem Herrn abzutreten. Hab' er aber einen Sohn, der mit dem des Sachsenkönigs zu kämpfen wage, so soll das Reich dem Sieger zufallen. Wermund seufzte tief auf und sagte, mit Unrecht werd' ihm sein Alter vorgeworfen, denn nicht dadurch sei er zu seinem Unglück so alt geworden, daß er in seiner Jugend den Kampf gefürchtet. Selbst jetzt noch sei er bereit, den angetragenen Zweikampf mit eigener Hand' auszufechten. Die Gesandten erklärten, daß ihr König sich nicht der Schmach aussetzen werde, mit einem Blinden zu kämpfen. Besser werde die Sache durch die Söhne ausgemacht. Da sprach auf einmal, zum Erstaunen der Dänen, Wermunds stummer Sohn Uffo Bei Sven. Agg. zuerst Uffi ( hic fillium genuit Uffi nomine), dann immer Uffi; er ist sprachlos bis in sein dreißigtes Jahr. und verlangte von seinem Vater die Erlaubnis, den Gesandten zu antworten. Wermund fragte, wer diese Erlaubnis von ihm begehre, und als man ihm erwiderte, sein Sohn Uffo, beklagte er, daß nicht bloß die Fremden, sondern auch seine eigenen Diener seines Unglücks spotten. Als aber jene auf ihrem Worte beharrten, sprach er, es steh' ihm frei, wer es auch sei, seine Meinung vorzubringen. Da sprach Uffo zu den Gesandten, es fehle weder dem König an einem Sohne, noch dem Reich an Beschützern; er sei entschlossen, nicht bloß den Sohn ihres Königs, sondern auch einen weitern Kämpfer, den er sich aus den Tapfersten des Sachsenvolkes wählen möge, zu bestehen. Die Gesandten lachten der eiteln Ruhmrede. Ort und Zeit des Kampfes wurden jedoch sogleich verabredet.

Nach dem Abgang der Gesandten lobte Wermund den Kühnen, der die Antwort gegeben, und versicherte, daß er lieber diesem, wer er auch sei, als dem übermütigen Feinde, sein Reich abtreten werde. Als aber alle beteuerten, daß es sein Sohn sei, hieß er ihn näher treten, um mit den Händen zu prüfen, was ihm die Augen versagten. Als er dann an der Größe der Gliedmaßen und den Zügen des Gesichts seinen Sohn erkannte, fragt' er diesen, warum er so lange stumm geblieben Bei Sven. Agg. S. 46 sagt Wermund, nachdem er den Sohn betastet: Talem me onemimi in flore extitisse juventutis.. Uffo antwortete, bisher sei er mit denen, die seinen Vater beschützt, zufrieden gewesen; jetzt erst, wo sie von den Drohungen der Fremden bedrängt geschienen, hab' er zu sprechen für nötig gehalten. Auf die weitere Frage, warum er lieber zwei als einen, zum Kampfe gefordert, gab er den Grund an, damit die Besiegung des Schwedenkönigs durch zwei, welche den Dänen zur Schmach gereiche, durch die Tat eines einzigen ausgewogen und so der Volksruhm hergestellt würde. Wermund hieß nun seinen Sohn vorerst den Gebrauch der Waffen erlernen, deren er noch ungewohnt sei. Man brachte Waffen herbei, aber Uffos breite Brust zersprengte die Ringpanzer, und man konnte keinen finden, der ihm weit genug war. Zuletzt, als er auch den seines Vaters zerriß, ließ Wermund denselben auf der linken Seite, die der Schild deckte, aufschneiden und mit einer Spange heften. Auch mehrere Schwerter wurden gebracht, aber so wie Uffo sie schwang, brachen sie in Stücke. Der König hatte ein Schwert von ungewöhnlicher Schärfe, das Skrep genannt war ( skreipr. lubricus, glatt, Lex. isl II, 279 a); nichts galt für so hart, daß es nicht vom ersten Streiche desselben gespalten würde. Weil er der Kraft seines Sohnes nicht vertraute und es keinem andern gönnte, hatte Wermund dieses Schwert längst in die Erde vergraben Sven. Agg. K. II, S. 46: Ad tumulum itaque ducatum postulavit, in quo prius mucronen experientissimum occultaverat. Et mox intersigniis per petrarum notas edoctus, gladium iussit effodi præstantissimum. Quem illico dextra corripiens, hic est, ait, fili, quo nuamerose triumphavi et qui mihi infallibile semper tutamen extitit.. Er ließ sich auf das Feld zu der von ihm bezeichneten Stelle führen, zog das Schwert heraus und reichte es seinem Sohne. Dieser fand es von Alter gebrechlich und zerfressen; er fragte deshalb, ob er es auch, wie die vorigen, prüfen dürfe. Wermund erwiderte, wenn dieses Schwert auch von ihm durch Schwingen zertrümmert würde, so wäre keines mehr übrig, das der Kraft seines Armes entspräche. Bei so zweifelhaftem Erfolg soll er lieber von der Probe abstehen.

Man zog nun zum verabredeten Kampfplatz. Dieser war auf einem von den Armen des Eiderstromes gebildeten Eiland, so daß man nur zu Schiffe dahin kommen konnte. Uffo fand sich allein dort ein, der Sohn des Sachsenkönigs in Begleitung eines durch Stärke ausgezeichneten Kämpen. Die beiderseitigen Ufer waren mit Schaulustigen angefüllt. Wermund hatte sich auf den äußersten Rand der Brücke ( in extrema pontis parte) gestellt, um, wenn sein Sohn besiegt würde, im Strome unterzugehen Ebd. S. 47: Teutonicis ergo ultra fluminis ripam in Holsatia cousidentibus, Danis vero citra amnem dispositis, Rex pontis in medio sedem elegit, quatenus, si unigenitus occumberet, in fluminis se gurgitem præcipitaret u. s. w.. Uffo, von zweien angegriffen und seinem Schwerte mißtrauend, wehrte die Schläge beider mit dem Schilde ab, um erst zu beobachten, welcher der gefährlichere sei, und dann diesen wenigstens mit einem Streiche zu treffen. Wermund, welcher glaubte, sein Sohn lasse sich aus Schwäche die Schläge der Gegner so geduldig gefallen, neigte sich mehr und mehr über den Rand der Brücke, um, wenn sein Sohn verloren wäre, sich in die Tiefe zu stürzen. Uffo reizte seine Gegner noch durch Zurufen auf. Als ihm nun der Kämpe näher kam, spaltete er ihn mit dem ersten Schwertstreiche mitten durch. Da rief Wermund erfreut: »Ich höre den Klang meines Schwertes.« Man sagte ihm, was geschehen, und er zog sich wieder vom Rande zurück. Auf gleiche Weise traf Uffo den Königssohn mit der andern Schneide des Schwertes. »Ich höre zum zweitenmal den Klang des Schwertes Skrep,« rief Wermund aus. Als man ihm nun den Doppelsieg seines Sohnes verkündigte, liefen ihm die Freudentränen aus den blinden Augen. Die Sachsen zogen beschämt mit ihren Leichnamen zurück, und die Dänen empfingen jauchzend Uffon, der ihre Ehre hergestellt.

Das geschichtliche Dasein Wermunds und Uffos wird durch anderwärtige Anzeigen beglaubigt, ohne daß jedoch die Zeit desselben genau bestimmt werden könnte (Müller S. 49). Wie es aber mit dem historischen Gehalt der Ueberlieferung beschaffen sein möge, in poetischer Hinsicht hat sich dieselbe zu einem der anziehendsten Bilder unter denen, die von Saxo aufbewahrt sind, abgerundet. Ohne mythische Beimischung ist das Ganze innerlich, vom Gemüte, belebt und in einfachen, ausdrucksvollen Situationen anschaulich gemacht. Es kommt in vielen Sagen vor, daß der Held in seiner Jugend dumpf und träg erscheint, bis auf einmal der rechte Augenblick der Tat den stillgenährten Heldengeist zur Flamme weckt. Aber die Zusammenstellung des stummen Sohns mit dem blinden Vater ist unsrer Sage eigentümlich; jenem geht die Sprache auf, nachdem diesem das Augenlicht verdunkelt ist. Schön und sicher ist die Haltung des blinden Greises durchgeführt; den Verlauf des Kampfes, dem er nicht mit den Augen folgen kann, erkennt er an dem altvertrauten Klange seines Schwertes Skrep. Auch das, daß ein Heldenschwert seinen eigenen Klang hat, wie der Mensch seine Stimme, findet sich sonst in den Sagen; aber hier, auf den alterblinden König angewandt, wird dieser Zug eindringlicher und bedeutsamer.

Saxo bedauert, daß er von den weitern Taten Uffos, der nach seinem Vater König geworden und den auch mehrere Olavus, Mansueti cognomine (in einer nordischen Königsreihe Ole hin Litillati Litillatr, humilis, demütig, bescheiden, herablassend. Lex. isl. II, 36 b., Müller 47) benennen, nichts zu sagen wisse (S. 96):

Cujus sequentes actus vetustatis vitio solennem fefellere notitiam. Sed credi potest, gloriosos eorum processus extitisse, quorum tam plena laudis principia fuerint.

Den Grund dieser Vergessenheit sucht er in folgendem:

Tam brevi factorum ejus prosecutione animadverto, quod illustrium gentis nostrsæ virorum splendorem scriptorum penuria laudi memoriæque subtraxerit. Quod si patriam hanc fortuna latino quondam sermone donasset, innumera danicorum operum volumina tererentur.

Hätte Dänemark früher gelehrte Geschichtschreiber in lateinischer Sprache haben können, dann möchten wir allerdings von Uffos Taten und Schicksalen wahrer und vollständiger unterrichtet sein, dann aber hätten wir auch nicht die poetische Volkssage, die Saxon selbst mehreres zu wissen begierig macht. Diese Sage ist mit den Freudentränen Wermunds über den Sieg seines Sohnes und seines Schwertes in sich geschlossen und bedarf keiner weitern Geschichtfolge.


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