Mark Twain
Skizzenbuch
Mark Twain

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Gedankentelegraphie.

Es giebt gewisse Begebenheiten im Menschenleben, welche man seit Anbeginn der Welt für ein Spiel des Zufalls gehalten hat. Erst in unsern Tagen ist es der Psychologischen Gesellschaft in England gelungen, der Menschheit klar zu machen, daß, was wir gewöhnlich als »merkwürdiges Zusammentreffen« bezeichnen, keineswegs auf einem blinden Ungefähr beruht, sondern einfach die Wirkung der Botschaft ist, welche ein Geist dem andern oft weit über Land und Meer zuschickt. Beispiele von Gedankentelegraphie kommen viel häufiger vor als man gemeinhin glaubt und entstehen so wenig aus bloßem Zufall wie Abgang und Ankunft einer telegraphischen Depesche.

Ich hatte die Entdeckung schon längst gemacht und meine Erfahrungen niedergeschrieben; doch konnte ich mich nicht entschließen, sie zu veröffentlichen, aus Furcht man möchte für Scherz halten, was im vollen Ernste gemeint war. Jetzt aber erscheint die Frage in einem ganz neuen Licht, dank der verdienstlichen und einflußreichen Thätigkeit der Psychologischen Gesellschaft und ich brauche mein altes Manuskript, das aus dem Jahre 78 stammt, nicht länger im Schreibtisch zu verwahren:


Schon wieder habe ich eins jener kleinen merkwürdigen Erlebnisse zu verzeichnen, wie sie hie und da jedem Menschen zustoßen. Man denkt stundenlang darüber nach und bleibt so klug wie zuvor, denn eine Erklärung sucht man vergebens. Die Sache, welche an sich ganz unbedeutend aussieht, verhielt sich wie folgt:

Vor einigen Tagen sagte ich: »Es scheint, Frank Millet weiß gar nicht, daß wir in Deutschland sind, sonst würde er längst geschrieben haben. In den letzten sechs Wochen bin ich wohl ein Dutzendmal drauf und dran gewesen, ein paar Zeilen an ihn zu spedieren, habe aber immer wieder beschlossen zu warten, da er doch endlich etwas von sich hören lassen muß. Jetzt schreibe ich aber sofort.« Ich that es, schickte den Brief nach Paris und dachte bei mir: »Ehe dieser Brief fünfzig Meilen über Heidelberg hinaus ist, haben wir bereits Nachricht von Frank – so geht es ja immer.«

Und richtig, was ich gesagt hatte traf ein. Es geschieht ja wunderbarer Weise nichts häufiger im Leben, als daß sich Briefe kreuzen; ob das aber auf einem Zufall beruht, möchte ich bezweifeln. Unser Vorgefühl, daß sich der Brief, den wir eben an eine Person schreiben, mit einem von derselben Person an uns gerichteten kreuzen wird, ist oft schon stark genug gewesen, um uns zu veranlassen, den schriftlichen Erguß merkwürdig kurz zu fassen, da man seine Zeit nicht unnütz verschwenden will – die Briefe kreuzen sich ja doch. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß mich dieses Vorgefühl meistens ergriff, wenn ich meinen Brief eine ganze Weile verschoben hatte, in der Hoffnung, der andere würde zuerst schreiben.

Ich erhielt Millets Brief, der an demselben Tage abgeschickt war wie der meinige, in Berlin, durch Vermittlung des amerikanischen Gesandten. Millet schrieb, er habe sich sechs Wochen lang vergeblich bemüht, jemand aufzutreiben, der ihm meine deutsche Adresse mitteilen könne, zuletzt sei er auf den Gedanken gekommen, daß man wohl auf der Gesandtschaft in Berlin wissen würde, wo ich zu finden sei. – Vielleicht war es ein Zufall, aber ich glaube es nicht, daß er endlich in demselben Augenblick zur Feder griff, in welchem ich mich entschloß an ihn zu schreiben.

Es giebt für mich nichts Ärgerlicheres, als wenn ich in einer einfachen Geschäftsangelegenheit gewartet und gewartet habe, in der Hoffnung, der andere werde die Mühe des Schreibens übernehmen und mich zuletzt doch selbst daran machen muß, noch dazu mit der Überzeugung, daß jener sich mit mir zugleich hinsetzt um einen Brief zu schreiben, der sich mit dem meinigen kreuzen wird. Wollte ich die Arbeit aber verschieben und vom Schreibtisch aufstehen, so würde der andere Mensch unfehlbar dasselbe thun, genau als wären wir zusammengespannt wie die Siamesischen Zwillinge und genötigt die nämlichen Bewegungen zu machen.

Einige Monate bevor ich mich auf Reisen begab, hatten Techniker eines New-Yorker Geschäfts eine Arbeit in meinem Hause vorgenommen, die nicht zu meiner Zufriedenheit ausgefallen war. Ich benachrichtigte daher die Firma, daß ich die Rechnung erst bezahlen würde, nachdem die Sache ganz in Ordnung gebracht sei. In der Antwort bat man mich wegen Geschäftsüberhäufung etwas Geduld zu haben; sobald der Sachverständige entbehrt werden könne, solle er alles nach Wunsch erledigen. Über zwei Monate wartete ich und ertrug mit Ergebung die Hausgenossenschaft elektrischer Klingeln, die urplötzlich von selbst wie rasend Sturm läuteten, ohne daß jemand sie berührte und dann wieder keinen Ton von sich geben wollten, wenn man auch den Knopf wie mit einem Schmiedehammer bearbeitete. Unzähligemale nahm ich mir vor zu schreiben, aber immer wieder verschob ich es. Eines Abends endlich setzte ich mich hin und ergoß meinen Ärger ungefähr eine Seite lang; plötzlich aber brach ich den Brief kurz ab, denn ein deutliches Gefühl sagte mir, daß die Firma jetzt auch ein Lebenszeichen von sich geben werde. Als ich am nächsten Morgen zum Frühstück erschien, war mein Brief noch nicht abgegangen, aber der »elektrische Klingelmann« hatte bereits alles Nötige besorgt und war wieder verschwunden. Am Abend vorher hatte er von seinem Prinzipal den Auftrag erhalten und war sogleich mit dem Nachtzug zu uns gefahren. Wenn das auch ein »Zufall« war, so gehörten ungefähr drei Monate dazu, bis er zustande kam.

 

Letzten Sommer langte ich eines Abends in Washington an, stieg im Orlington Hotel ab und ging auf mein Zimmer. Ich las und rauchte ungefähr bis zehn Uhr und da ich nicht schläfrig war, wollte ich noch ein wenig frische Luft schnappen. So ging ich denn im Regen hinaus und wanderte vergnüglich und ziellos umher. Mein Freund O. befand sich auch gerade in der Stadt und es hätte mich gefreut, wenn wir zufällig aufeinander gestoßen wären, doch ihn um Mitternacht aufzustöbern, zumal ich seine Wohnung nicht wußte, lag mir gänzlich fern. Da ich mich in den öden Straßen verlassen zu fühlen begann, trat ich gegen zwölf Uhr in einen Zigarrenladen, hielt mich dort eine Viertelstunde auf und hörte den nationalpolitischen Gesprächen einiger Stammgäste zu. Plötzlich ergriff mich der prophetische Geist und ich sprach zu mir selbst: »Wenn ich jetzt zu dieser Thür hinausgehe, mich links wende und zehn Schritte mache, werde ich O. gegenüberstehen.«

Genau so traf es ein. Zwar konnte ich sein Gesicht unter dem Regenschirm nicht sehen, zumal es ziemlich dunkel war, aber ich erkannte ihn an der Stimme, als er seinem Begleiter in die Rede fiel, und rief ihn an.

Daß ich den Laden verließ und O. begegnete war nichts, aber daß ich es vorher wußte, war sehr viel. Bei näherer Betrachtung ist es doch ein höchst merkwürdiges Erlebnis. Ich stand ganz hinten in dem Zigarrenladen als der Geist der Weissagung über mich kam. Fünf Schritte bis zur Thür, drei Stufen zum Bürgersteig hinunter, Wendung nach links, einige weitere Schritte und richtig – da war mein Mann. Ist es nicht wunderbar, wie alles zutraf?

Oft reden wir von einem Abwesenden und kaum haben wir es gethan, so sehen wir ihn vor uns. Wir lachen dann und sagen: »Wenn man den Teufel an die Wand malt u. s. w.« dann denken wir nicht mehr an den sogenannten »Zufall.« Das ist eine recht billige und bequeme Art über ein ernstes und schwieriges Rätsel hinwegzukommen, das zu lösen wohl der Mühe verlohnte.

Nun komme ich aber auf das Sonderbarste zu sprechen, was ich je erlebt habe: Vor zwei oder drei Jahren lag ich eines Morgens im Bett und dachte an nichts besonderes – es war am zweiten März – als plötzlich eine funkelnagelneue Idee wie eine Bombe auf mich hereingesaust kam und mit solcher Gewalt explodierte, daß aus der ganzen Umgegend alle müßigen Betrachtungen zerfetzt und zersplittert davonflogen. Diese Idee bestand, kurz gesagt, darin, daß jetzt der günstige Augenblick gekommen sei, ein gewisses Buch, dem das allgemeine Interesse nicht fehlen konnte, sofort zu schreiben und auf den Markt zu bringen – ein Buch über die Silbergruben in Nevada. Die »Große Bonanza-Mine« war damals ein neues Weltwunder und bildete das Tagesgespräch.

Die geeignetste Person für diese Arbeit schien mir William Wright, ein Journalist aus Virginia in Nevada, an dessen Seite ich dort, vor zwölf Jahren, Monate lang als Reporter Zeitungsartikel gekrickselt hatte. Vielleicht war er noch am Leben, vielleicht war er tot, wer konnte es wissen, aber jedenfalls wollte ich ihm schreiben. Ich begann damit, ihm bescheidentlich den Vorschlag zu machen, das bewußte Buch zu verfassen; im weitern Verlauf wuchs jedoch mein Eifer und ich ließ mich hinreißen nach eigenem Ermessen den ganzen Plan des Werkes zu entwerfen, überzeugt, daß Wright, als guter Freund, meine Absicht nicht mißdeuten werde. Ich ging sogar auf Einzelheiten ein und besprach deren Anordnung und Reihenfolge. Eben wollte ich das Manuskript in einen Umschlag stecken, da fiel mir ein, wie unangenehm es wäre, wenn das Buch auf meine Veranlassung geschrieben würde und sich dann kein Verleger fände. Ich behielt daher den Brief einstweilen zurück, warf ihn in ein Fach und richtete ein paar Zeilen an meinen eigenen Verleger, den ich um eine geschäftliche Besprechung bat. Der Herr war jedoch gerade verreist, meine Zuschrift blieb unbeantwortet und nach einigen Tagen hatte ich die ganze Angelegenheit vergessen. Am neunten März brachte der Postbote verschiedene Briefe, darunter einen besonders dicken, dessen Aufschrift eine halbschlummernde Erinnerung in mir zu wecken schien. Zuerst wußte ich nicht wohin damit, aber bald ging mir ein Licht auf und ich sagte zu einem Verwandten, der gerade anwesend war:

»Gieb acht, jetzt will ich ein Wunder thun. Ich werde dir aufs genauste Inhalt, Datum und Unterschrift dieses Briefes sagen, ohne ihn zu erbrechen. Er kommt von einem Herrn Wright aus Virginia in Nevada, und ist vom zweiten März datiert. Wright teilt mir darin sein Vorhaben mit, ein Buch über die Silberminen zu schreiben und fragt, was ich als Freund davon denke. Ferner setzt er mir alles Einzelne des Nähern auseinander und sagt, daß er zum Schluß die Geschichte der ›Großen Bonanza‹ erzählen wolle.«

Ich öffnete nun den Brief und bewies, daß meine sämtlichen Angaben richtig waren. Wrights Brief enthielt in der That genau dasselbe wie der meinige, der am nämlichen Datum geschrieben, seit sieben Tagen im Fach meines Schreibtisches lag.

Mit Hellseherei, wenigstens wie ich dieselbe verstehe, hatte dieser Vorfall, glaube ich, nichts zu thun. Ein Hellseher behauptet, verborgene Schrift wirklich Wort für Wort ablesen zu können. Das war bei nur nicht der Fall. Ich glaubte nur den Inhalt des Briefes im einzelnen mit vollkommener Sicherheit zu kennen, aber die Worte mußte ich selbst finden und gewissermaßen Wrights Ausdrucksweise in die meinige übersetzen.

Dies Zusammentreffen aller Umstände konnte doch unmöglich auf Zufall beruhen. Bei einem Zufall hätte vielleicht einiges gestimmt, aber alles übrige wäre wesentlich abgewichen. Für mich unterlag es keinem Zweifel – Wrights Geist hatte am zweiten März über Gebirge und Wüste hinweg, trotz der Entfernung von dreitausend Meilen, mit dem meinigen in engster und krystallklarster Verbindung gestanden. Meiner Meinung nach waren wir nicht beide zugleich auf die ursprüngliche Idee gekommen, sondern der Geist des einen hatte sie erdacht und sie dem andern telegraphiert.

Es reizte mich doch zu wissen, wessen Gehirn das Telegraphieren übernommen hatte und wer der Empfänger der Depesche gewesen war, so schrieb ich denn an Wright, um mich danach zu erkundigen. Seine Antwort bewies mir, daß Gedanke und Botschaft von seinem Geist ausgegangen waren und der meinige beides nur aufgenommen hatte. Sein Buch steckte ihm schon lange im Kopfe; es liegt daher auf der Hand, daß die erste Idee von ihm und nicht von mir herrührt; der Stoff lag mir ganz fern und ich war obendrein von andern Dingen vollauf in Anspruch genommen. Trotzdem vermochte es dieser Freund, an den ich seit elf Jahren nicht mehr gedacht hatte, mir seine Gedanken aus weiter Ferne in den Kopf zu blitzen und zwar mit solchem Nachdruck, daß ich für den Augenblick kein anderes Interesse mehr kannte. Er hatte den Brief an mich geschrieben, nachdem seine Arbeit für das Morgenblatt beendet war, etwas nach drei Uhr. Drei Uhr morgens in Nevada ist ungefähr sechs Uhr in Hartford, zu welcher Zeit ich, wie erwähnt, im Bette lag und an nichts besonderes dachte. Gerade um diese Zeit ergoß sich der Strom seiner Gedanken über den Kontinent hinweg in mein Gehirn, ich stand auf und schrieb sie nieder, unter dem Eindruck, daß sie ausschließlich von mir selbst stammten.

Das ist sehr bedeutungsvoll und kann von der höchsten Wichtigkeit werden. Man bedenke nur, wie mancher herrliche Originalgedanke einem so mir nichts dir nichts von einem dreitausend Meilen weit entfernten Menschen weggestohlen werden kann. Sollte jemand versucht sein, diese Thatsache anzuzweifeln, so bitte ich ihn nur, einen Blick in das Konversationslexikon zu werfen und wieder einmal über den sonderbaren Umstand in der Geschichte der Erfindungen nachzugrübeln, der einem jeden schon zu denken gegeben hat – darüber nämlich, daß so häufig dieselben Maschinen und Apparate gleichzeitig von mehreren Personen in verschiedenen Weltteilen erfunden worden sind. Es liegt nicht außer dem Bereich der Möglichkeit, daß die Erfinder sich ohne es zu wollen, gegenseitig ihre Ideen fortstehlen, obgleich sie viel tausend Meilen von einander getrennt sind.

Gewöhnlich erklärt man zwar dies Gedankenzusammentreffen daraus, daß große und bedeutsame Entdeckungen sich immer auf Fragen beziehen, mit welchen die hervorragendsten Geister sich bereits lange und eingehend beschäftigt haben. Als Beispiele solcher zugleich von verschiedenen Seiten gewonnener Errungenschaften auf wissenschaftlichem Gebiet, führt man unter andern die Erfindung der Differentialrechnung an, die Entdeckung des Planeten Neptun, die Entzifferung der egyptischen Hieroglyphen, die Aufstellung der Vibrationstheorie des Lichts, die Erfindung des elektrischen Telegraphen und der Spektralanalyse. Aber vielleicht ist in jedem der angegebenen Fälle die Idee in dem Geist eines einzigen Gelehrten entsprungen, der sie weiter telegraphiert hat. Schon seit einem Jahrhundert hatten die Astronomen jene Aberrationen beobachtet, die endlich Leverrier auf die Vermutung brachten, daß sich im unermeßlichen Raum ein Planet verbergen müsse, welcher der Urheber jener Störungen sei. Wie ging es nun aber zu, daß drei durch weite Entfernungen von einander getrennte Menschen, Leverrier, Mrs. Somerville und Adams auf einmal zu gleicher Zeit anfingen, sich mit den Aberrationen abzuquälen und alles daran zu setzen, um ausfindig zu machen, was wohl die Ursache derselben sein könne? – Das sonderbare Unternehmen, einen unsichtbaren Planeten zu messen, zu wägen, seine Bahn zu berechnen, ihm förmlich nachzujagen und ihn endlich einzusaugen, an das noch niemand zuvor gedacht hatte, konnte nur in dem Kopf eines einzigen Astronomen entsprungen und durch Gedankentelegraphie den andern Geistern übermittelt worden sein.

 

Letzten Frühling kam ein literarischer Freund von fern her, um mich zu besuchen. Im Lauf des Gesprächs erzählte er mir, es sei ihm eine vollständig neue Idee aufgegangen, wie sie sicherlich in der Literatur noch nicht dagewesen wäre und teilte mir dieselbe mit. Darauf überreichte ich ihm ein Manuskript, welches ich vor acht Tagen geschrieben hatte, mit dem Bedeuten, daß er darin seine Idee der Hauptsache nach getreulich wiedergegeben finden würde. Schon seit dem vergangenen November beschäftigte dieser Gedanke mein Gehirn – in das seinige geriet er aber erst vor acht Tagen, während ich das Schriftstück abfaßte. Da er seine Idee noch nicht zu Papier gebracht hatte, überließ er mir nun liebenswürdigerweise alle Rechte und Titel des Erfinders.

Mich haben die spiritistischen Vorstellungen und Geisterkundgebungen, bei denen ich zugegen war, nie im geringsten überzeugen können, was jedoch nicht viel sagen will, da meine Erfahrungen auf diesem Felde nur oberflächlich sind. Daß aber der Geist eines (noch im Fleisch wandelnden) Menschen mit einem andern Menschengeist verkehren kann, selbst wenn beide durch große Entfernungen getrennt sind, glaube ich fest. Ja, es ist nicht einmal erforderlich, vorher auf künstliche Weise einen »sympathetischen Zustand« zu erzeugen, durch welchen die Gedankentelegraphie vermittelt würde. Nach meiner Überzeugung findet die geistige Wechselwirkung überhaupt nur statt, wenn ein sympathetischer Zustand vorhanden ist; ich halte es aber nicht für unmöglich, daß bei ununterbrochenem sympathetischem Zustand auch der Gedankenverkehr ins Unbegrenzte fortgesetzt werden könnte.

Wir alle haben es wohl schon erlebt, daß plötzlich eine Reihe von Gedanken und Empfindungen auf uns einstürmen, die wir ganz auf dieselbe Weise bereits in einem frühern Dasein durchgemacht zu haben glauben. Ein unheimliches Gefühl! – Zwar ist ein früheres Dasein nicht unmöglich, aber dadurch wird dieses spukhafte Geheimnis keineswegs erklärt. Seine Erklärung liegt vielmehr darin, daß ein Fremder aus weiter Ferne uns seine Gedanken ins Bewußtsein telegraphiert, bis ein Gegenstrom oder irgend ein anderes Hindernis plötzlich die Verbindung unterbricht. Vielleicht scheint es uns etwas früher Erlebtes, weil es das schon Erlebte eines andern ist, das wir nur aus zweiter Hand übernehmen. Ob Herr Brown, der berühmte Gedankenleser, wirklich die Gedanken anderer liest, weiß ich nicht, – aber das weiß ich, daß ich sie schon gelesen habe und warum sollte es da Herr Brown nicht auch thun können?


Vorstehendes schrieb ich vor drei Jahren in Heidelberg und legte das Manuskript beiseite mit der Absicht, bei Gelegenheit neue Beispiele der Gedankentelegraphie, die mir vorkommen würden, hinzuzufügen. Inzwischen hat sich das »Briefkreuzen« so unzähligemale wiederholt, daß es anfängt eintönig zu werden. Ich habe mir aber eine Lehre daraus gezogen: wenn ich jetzt die Lust verliere zu warten, ob es jemand, von dem ich gern Nachricht hätte, endlich gefällig sein wird zur Feder zu greifen, so zwinge ich ihn dazu, indem ich mich hinsetze und meinerseits an ihn schreibe. Dann zerreiße ich meinen Brief in guter Ruhe; ihn abzuschicken ist unnötig, das Schreiben allein genügt vollständig um den säumigen Freund zum Entschluß zu bringen.

Nachdem wir Heidelberg verlassen hatten, hielten wir uns eine Zeitlang in Venedig auf. Eines Tages fuhr ich in einer Gondel den großen Kanal hinab, als ich einen lauten Zuruf hinter mir hörte und mich umblickte; eine Gondel folgte der meinigen und der Gondelier machte heftige Zeichen, ich solle anhalten. Als das Boot herankam, erblickte ich darin eine amerikanische Dame, die sich seit längerer Zeit in Venedig aufhielt.

»Sie müssen mir helfen,« sagte sie in großer Aufregung, als ihre Gondel neben der meinigen angelegt hatte. »Im Britannia-Hotel ist vor einer Woche ein Herr aus New-York mit seiner Frau abgestiegen. Sie erwarteten Nachrichten von ihrem Sohn vorzufinden, von dem sie seit acht Monaten nichts gehört haben. Leider war ihre Hoffnung vergebens, die Dame liegt nun krank, sie ist in Verzweiflung und ihr Mann kann weder essen noch schlafen. Der Sohn ist vor acht Monaten in San Francisco angekommen und hat seine Ankunft den Eltern sofort brieflich angezeigt. Das ist die letzte Spur von ihm. Die Eltern sind inzwischen in Europa ruhelos von Ort zu Ort gezogen, die ganze Reise ist ihnen verdorben und sie haben Briefe nach allen Himmelsgegenden geschrieben in der Hoffnung Nachrichten über das Verbleiben ihres Sohnes zu erhalten, dessen Schweigen noch immer unaufgeklärt ist.

»Nun will der Herr es mit einem Kabeltelegramm versuchen. Er will nach San Francisco telegraphieren, hat sich aber bis jetzt noch nicht dazu entschließen können, aus Furcht vor was – ohne Zweifel aus Furcht die Todesnachricht seines Sohnes zu erhalten. Er verlangt jetzt von mir, daß ich die Depesche abschicke, aber das kann ich nicht, denn, wenn keine Rückantwort erfolgte – es wäre der Tod der armen Mutter. In meiner Angst bin ich Ihnen nachgefahren. Sie müssen mir beistehen, den Mann zu überreden noch einige Wochen geduldig zu warten, der Aufschub ist vielleicht die Rettung seiner Frau. Kommen Sie, wir dürfen keine Zeit verlieren.«

Ich that ihr den Willen, aber auf meine Weise. Als ich dem Herrn vorgestellt war, sagte ich: »In dergleichen Dingen habe ich meinen besondern Aberglauben, der aber wohl beachtet zu werden verdient. Wenn Sie sofort nach San Francisco telegraphieren, werden Sie binnen vierundzwanzig Stunden Nachricht erhalten, vielleicht nicht gerade von dort, aber jedenfalls irgendwoher. Telegraphieren Sie nur schnell, das ist alles was nötig ist. Die Nachricht wird in vierundzwanzig Stunden eintreffen, einerlei, ob Sie das Telegramm nach Peking schicken oder sonstwohin. Die Verzögerung ist nur dadurch entstanden, daß Sie Ihr Telegramm nicht sofort abgehen ließen, als Sie zuerst Neigung dazu verspürten.«

Wie thöricht es auch erscheinen mag, der Mann ließ sich wahrhaftig von dem Unsinn beeinflussen; er erheiterte sich sichtlich, schickte die Depesche ab und als am nächsten Tage ein langer Brief von dem verlorenen Sohn ankam, war er mir so dankbar, als hätte mein Rat wirklich die Ankunft des Briefes beschleunigt. Der Sohn hatte von San Francisco eine Reise im Segelschiff angetreten und erst nach Monaten in dem ersten Hafen, den er berührte, Gelegenheit gefunden den Eltern Nachricht zu geben.

Dies Beispiel hat wenig Bedeutung und beweist nichts; ich erwähne es nur um zu zeigen, wie sehr das ewige Briefkreuzen meinen Aberglauben inzwischen verstärkt hatte. Ich war so fest davon überzeugt, daß ein irgendwohin gerichtetes Kabeltelegramm sich mit den ersehnten Nachrichten kreuzen würde, daß meine Zuversicht sogar einen Hoffnungslosen aufzurichten und zu ermutigen vermochte.

Ich lasse hier nun einige Beispiele von absoluter Gedankentelegraphie folgen:

An einem Montag Morgen, als die Postsachen hereingebracht wurden, sagte ich auf einen der Briefe deutend zu meinem Freunde: »Ich will dir angeben, was dieser Brief enthält, ohne ihn zu öffnen. Er kommt von Frau X., welche schreibt, daß sie letzten Sonnabend in New-York gewesen ist und die Absicht gehabt hat, mit dem Nachmittagszug einen Abstecher zu machen, um uns zu überraschen, im letzten Augenblick sich aber anders besonnen habe und nach Hause gefahren sei.«

Alle Einzelheiten stimmten genau. Und doch hatten wir vorher nicht im mindesten daran gedacht, daß Frau X. nach New-York kommen und beabsichtigen würde, uns zu besuchen.

 

Ich rauche ziemlich stark, ja, ich gestehe es, fast ohne Unterbrechung. Daher versuche ich seit sieben Jahren eine Schachtel mit Streichhölzchen hinter einem Bild auf dem Kaminsims immer bereit zu haben. Leider blieb es aber bei dem Versuch, denn George, mein schwarzer Diener, der Feuer und Gas anzuzünden hat, brauchte dazu immer meine Streichhölzchen, ohne daß ihm je einfiel, sie wieder an ihren Platz zu stellen. Sieben Jahre lang gingen Befehle und Bitten spurlos an ihm vorüber. Letzten Sommer nun kehrten wir nach einer mehrmonatlichen Abwesenheit nach Hause zurück und beim Eintreten sagte ich zu einem Familiengliede:

»Nach so langen Ferien und gänzlichem Mangel an Unterbrechungen – –«

»Ich kann den Satz für dich beenden,« fiel mein Hausgenosse ein.

»Nun, so thue es,« antwortete ich.

»Sollte doch George endlich gelernt haben, mein Streichhölzchen in Ruhe zu lassen!«

Es stimmte ganz genau. Gerade das hatte ich sagen wollen. Und doch hatte ich seit drei Monaten nicht an George und die Streichhölzchen gedacht, auch gab der Anfang meines Satzes sicherlich nicht den geringsten Aufschluß über das, was folgen sollte.

Dergleichen Vorkommnisse würden mich vor einigen Jahren noch in Erstaunen gesetzt haben, aber jetzt überraschen sie mich nicht mehr. Ich weiß ja nun, daß ein Geist auf das innigste mit dem andern verkehren kann, ohne das unbeholfene und beschwerliche Medium der Sprache.

Unser Zeitalter scheint sich in Erfindungen beinah erschöpft zu haben, aber eine wichtige Frage bleibt ihm noch zu lösen – die Erfindung des Phrenophons, das heißt, einer Methode nach welcher die Gedankenwechselwirkung mit Sicherheit geleitet und in ein System gebracht werden kann. Der Telegraph und das Telephon fangen an für unsere Bedürfnisse zu langsam und wortreich zu arbeiten. Uns genügt nur, daß der Gedanke selbst, aus beliebiger Entfernung, unmittelbar mit Blitzesschnelle in unser Gehirn verpflanzt wird; wenn wir ihn dann durchaus noch in Worte kleiden müssen, so kann ja dieses leidige Geschäft später mit Muße geschehen. Das gewisse Etwas, welches den Gedanken durch die Luft von Gehirn zu Gehirn leitet, ist ohne Zweifel eine zartere und empfindlichere Form der Elektrizität und es handelt sich nur darum, auf welche Weise man sie binden und dienstbar machen kann, ähnlich wie dies mit dem elektrischen Strom geschehen ist. Vor Erfindung des Telegraphen hätte man alle mit diesem verwandten Wunder für unausführbar gehalten, eins so gut wie das andere.

Ich möchte darauf wetten, daß, während ich diese Gedanken zu Papier bringe, irgend jemand auf der andern Hälfte der Erdkugel dasselbe schreibt. Ob aber ich den Betreffenden anrege oder er mich, läßt sich nicht bestimmen.

vignette

 << zurück weiter >>