Mark Twain
Skizzenbuch
Mark Twain

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Einiges über Barbiere.

Alle Dinge sind dem Wechsel unterworfen, ausgenommen die Barbiere, die Gewohnheiten der Barbiere und die Umgebungen der Barbiere. Diese ändern sich nie. Was man erlebt und erfährt, wenn man zum erstenmal eine Barbierstube betritt, das erlebt und erfährt man später in allen andern Barbierstuben, bis an das Ende seiner Tage.

 

Heute morgen ließ ich mich wie gewöhnlich barbieren. Ein Mann kam von der Jonesstraße auf die Thüre zu, als ich auf der Hauptstraße herankam – so trifft sich das stets. Ich beschleunigte meine Schritte, aber umsonst; er war mir um eine Sekunde voraus, ich folgte ihm auf den Fersen und sah, wie er den einzigen unbesetzten Stuhl einnahm, wo der erste Barbier sein Amt versah. Das trifft sich immer so. Ich setzte mich mit der stillen Hoffnung nieder, Erbe des Stuhles zu werden, welcher dem besseren von den zwei übrigen Barbiergehilfen gehörte, denn dieser hatte schon angefangen seinem Kunden das Haar zu kämmen, während sein Kamerad noch damit beschäftigt war, dem seinigen die Locken einzuölen und einzureiben. In großer Spannung beobachtete ich, was für Aussichten sich mir boten. Als ich sah, daß Nr. 2 drohte Nr. 1 einzuholen, verwandelte sich meine Spannung in Besorgnis. Als Nr. 1 einen Augenblick innehielt, um einem neuen Ankömmling, der ein Badebillet verlangte, Geld herauszugeben und dabei im Wettlauf zurückblieb, wurde meine Besorgnis zur Angst. Als Nr. 1 das Versäumte wieder nachholte und gleichzeitig mit seinem Kameraden dem Kunden das Handtuch abnahm und das Pulver aus dem Gesicht wischte, so daß sich unmöglich voraussehen ließ, welcher von beiden zuerst: »Der nächste!« rufen würde – stockte mir der Atem vor banger Erwartung. Als ich nun aber sah, wie sich Nr. 1 im entscheidenden Moment noch damit aufhielt, seinem Kunden ein paarmal mit dem Kamm durch die Augenbrauen zu fahren, da wußte ich, daß er den Wettlauf um dieses einzigen Augenblicks willen verloren habe. Entrüstet stand ich auf und verließ den Laden, um nicht Nr. 2 in die Hände zu fallen; denn jene beneidenswerte Festigkeit besitze ich nicht, die den Menschen in den Stand setzt, einem dienstbereiten Barbiergehilfen ruhig ins Angesicht zu sehen und ihm zu sagen, man wolle auf den Stuhl seines Kollegen warten.

Etwa fünfzehn Minuten blieb ich draußen und kam dann wieder zurück, in der Hoffnung, es werde mir besser glücken. Natürlich waren jetzt alle Stühle besetzt und vier Männer warteten schweigend, ungesellig, zerstreut und mit gelangweilten Mienen, wie das immer der Fall ist, wenn Leute in einer Barbierstube darauf passen, daß die Reihe an sie kommt.

Ich ließ mich auf einem steinharten alten Sofa nieder und vertrieb mir eine Weile die Zeit damit, die eingerahmten Anzeigen verschiedener Quacksalber zu lesen, die ihre Haarfärbemittel anpriesen. Dann las ich die fettigen Namen auf den Branntweinflaschen, welche einzelnen Kunden angehörten und las auch die Namen und Zahlen auf den Barbierbecken, die als Privateigentum in den offenen Fächern des Schrankes standen, studierte die beschmutzten und schadhaften wohlfeilen Bilder an den Wänden, welche Schlachten darstellten, ehemalige Präsidenten, wollüstig zurückgelehnte Sultaninnen und das langweilige, ewig wiederkehrende Mädchen, das des Großvaters Brille aufsetzt. Auch verfluchte ich in meinem Herzen den lustigen Kanarienvogel und den unausstehlichen Papagei, die selten in einer Barbierstube fehlen. Zuletzt suchte ich mir aus den vorjährigen illustrierten Zeitungen, welche auf dem schmutzigen Mitteltisch herumlagen, die am wenigsten zerlesene heraus und starrte die unerhört falschen Abbildungen alter, vergessener Ereignisse an, die sie enthielt.

Endlich kam ich an die Reihe. Eine Stimme rief: »Der nächste!« und ich geriet natürlich in die Hände von – Nr. 2. So geht es immer. Ich äußerte schüchtern, daß ich Eile habe, was ihm einen gerade so tiefen Eindruck machte, als hätte er es nie gehört. Er schob mir nun den Kopf in die Höhe und legte mir eine Serviette unters Kinn. Er fuhr mir mit den Fingern in den Halskragen und stopfte ein Handtuch hinein. Er grub seine Klauen in mein Haar und sagte, es müsse beschnitten werden. Ich erwiderte, ich wolle es nicht schneiden lassen. Nun wühlte er wieder darin und meinte, es sei für die jetzige Mode ziemlich lang, besonders hinten; es müsse durchaus unter die Schere. Ich sagte, es wäre erst vor einer Woche geschnitten worden. Darauf sann er einen Augenblick gedankenvoll nach und fragte dann mit verächtlicher Miene, wer es besorgt habe. »Sie!« antwortete ich schnell. Da war er in der Falle.

Nun fing er an den Seifenschaum zu rühren und sich dabei im Spiegel zu besehen; von Zeit zu Zeit hielt er inne und trat näher herzu um sein Kinn in Augenschein zu nehmen und einen kleinen Pickel zu besichtigen. Dann seifte er mir eine Seite des Gesichts gründlich ein und wollte eben die andere in Angriff nehmen, als zwei sich beißende Hunde seine Aufmerksamkeit fesselten. Er lief ans Fenster, blieb da stehen bis der Kampf vorbei war und verlor beim Wetten über den Ausgang zwei Schillinge an die andern Barbiergehilfen, was mir große Befriedigung gewährte. Nun strich er mir die Seife vollends mit dem Pinsel auf und begann sie mit der Hand einzureiben.

Dann schärfte er sein Rasiermesser auf einem alten Hosenträger, wobei ihn ein lebhaftes Gespräch über den öffentlichen Maskenball sehr aufhielt, bei dem er am Abend zuvor in rotem Kattun und falschem Hermelin eine Art König dargestellt hatte. Daß seine Kameraden ihn mit einem Dämchen aufzogen, welches er durch seine Reize erobert haben sollte, schmeichelte ihm sehr und er trachtete die Unterhaltung auf jede Weise fortzusetzen, indem er sich stellte, als ärgere ihn die Neckerei. Dies trieb ihn auch zu einer abermaligen genauen Betrachtung seiner Person im Spiegel; er legte das Rasiermesser hin, bürstete sich das Haar mit großer Umständlichkeit, klebte sich eine kühne Locke vorn im Bogen auf die Stirn, machte sich hinten einen wundervollen Scheitel und strich sich beide Seitenflügel mit genauster Sorgfalt über die Ohren. Inzwischen trocknete mir der Seifenschaum im Gesicht und zehrte mir förmlich am Leben.

Nunmehr begann er mich zu rasieren. Er drückte mir mit den Fingern im Gesicht herum, um die Haut auszudehnen und warf meinen Kopf hin und her, wie es ihm beim Barbieren bequem war. Solange er nur die weniger empfindlichen Stellen berührte, litt ich keine Schmerzen, als er aber an meinem Kinn herum zu kratzen, zu scharren und zu schaben anfing, kam mir das Wasser in die Augen. Nun brauchte er meine Nase als Anfasser, um die Winkel meiner Oberlippe besser rasieren zu können. Bei diesem Anlaß machte ich die Entdeckung, daß es zu seinen Obliegenheiten im Laden gehörte, die Petroleumlampen zu reinigen. Ich hatte mich oft schon aus Langeweile gefragt, ob das wohl der Geschäftsinhaber selber besorge, oder die Barbiergehilfen.

Indessen vergnügte ich mich damit mir auszudenken, wo er mich heute wohl schneiden werde; ich hatte es jedoch hierüber noch zu keiner Entscheidung gebracht, als er mir zuvorkam und mir das Kinn aufritzte. Sogleich begann er sein Messer zu schärfen – das hätte er vorher thun sollen. Ich mag nicht zu dicht an der Haut rasiert sein, daher wollte ich ihn nicht zum zweitenmal an mich kommen lassen und versuchte ihn zu überreden, das Rasiermesser fortzulegen, aus Angst, er möchte an die Seite meines Kinns geraten, wo meine allerempfindlichste Stelle ist, die kein Messer zum zweitenmal berühren darf ohne Schaden anzurichten. Er sagte, er müsse nur noch einige Rauheiten glätten, aber ehe ich mich's versah, fuhr er schon über den verbotenen Grund und Boden hin und das gefürchtete Brennen und Prickeln meiner Haut begann sich, wie gerufen, bemerklich zu machen. Nun tauchte er das Handtuch in Lorbeerbranntwein und klatschte mir damit ins Gesicht, bald hier bald da – ein widerliches Gefühl! Hat sich wohl je ein menschliches Wesen auf solche Weise gewaschen? Dann nahm er das trockene Ende des Handtuchs und schlug mir auch dieses ins Gesicht, als ob ein Menschenkind sich jemals so abtrocknete! Aber ein Barbier reibt einen nur selten ordentlich ab wie ein Christenmensch. Dann goß er mir Branntwein auf die wunde Stelle, verklebte sie mit Stärkemehl, feuchtete sie wieder mit Branntwein an und würde gewiß in alle Ewigkeit mit Kleben und Anfeuchten fortgefahren haben, wenn ich mich nicht dagegen aufgelehnt und ihn ersucht hätte, es bleiben zu lassen.

Er puderte mir nun das ganze Gesicht ein, richtete mich in die Höhe, wühlte nachdenklich mit den Händen in meinem Haar und schlug vor, mir die Kopfhaut gründlich zu waschen, das sei ganz notwendig, ganz notwendig! Ich entgegnete, daß ich mir erst gestern im Bade das Haar tüchtig gereinigt hätte. Da war er wieder in der Falle.

Hierauf empfahl er mir »Smiths Haarverschönerungstinktur« und bot mir eine Flasche zum Kauf an. Das schlug ich aus. Nun pries er mir »Jones' Wonne des Toilettentisches« und wollte mir von diesem neuen Wohlgeruch ein Gläschen verkaufen. Aber ich ging nicht darauf ein. Er drang endlich in mich, ein gräßliches Mundwasser seiner eigenen Erfindung mitzunehmen.

Nachdem auch dieser letzte Versuch fehlgeschlagen war, ging er wieder an sein Geschäft, bestreute mich über und über mit Puder, mit Einschluß der Beine, fettete mir die Haare ein, obgleich ich Einsprache dagegen erhob, zog und riß mir dabei eine Menge mit der Wurzel aus, kämmte und bürstete dann den Rest, teilte mir hinten einen Scheitel ab und klebte mir die unvermeidliche, bogenförmige Haarlocke auf die Stirn. Während er mir dann meine dünnen Augenbrauen auskämmte und mit Pomade beschmierte, erging er sich über die Leistungen eines ihm gehörigen schwarz und braun gefleckten Dachshundes, bis ich das Pfeifen des Mittagszuges hörte und wußte, daß ich zu demselben fünf Minuten zu spät ankommen würde. Nun nahm er mir das Handtuch ab, wischte mir damit noch einmal über das Gesicht, fuhr mir wieder mit dem Kamm durch die Augenbrauen und rief munter: »Der nächste!«

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