Mark Twain
Skizzenbuch
Mark Twain

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wie der Verfasser in Newark angeführt wurde.

Es ist nicht gerade angenehm, etwas Ungünstiges von sich selbst zu erzählen, aber der Mensch hat hin und wieder einmal das Bedürfnis, eine Beichte abzulegen. Ich fühle mich gedrungen mein Gemüt zu erleichtern, aber ich glaube fast, daß ich es mehr thue, um meinem Unmut über einen andern Luft zu machen, als um Balsam auf mein verwundetes Herz zu träufeln. (Was Balsam ist, weiß ich nicht; ich habe niemals Balsam gesehen, aber mich dünkt, das ist bei solcher Veranlassung der herkömmliche Ausdruck.)

 

Bekanntlich habe ich kürzlich in Newark vor den jungen Herren der Museums-Gesellschaft eine Vorlesung gehalten. Vorher sprach ich mit einem der jungen Herren, welcher sagte, er habe einen Onkel, der aus irgend einer Ursache dauernd der Fähigkeit beraubt zu sein scheine, in Gemütsbewegung zu geraten. Mit Thränen in den Augen rief der junge Mann:

»O, könnte ich ihn nur lachen hören, könnte ich ihn nur einmal weinen sehen!«

Ich war gerührt. Bei Schmerz und Kummer wird mir immer weich ums Herz; deshalb sagte ich: »Bringen Sie ihn nur mit in die Vorlesung, da will ich ihm schon zusetzen, bis wieder Leben in ihn kommt.«

»O, wenn Sie das thun könnten – wenn Ihnen das möglich wäre! Unsere ganze Familie würde Sie in alle Ewigkeit dafür segnen – er liegt uns allen so sehr am Herzen! Können Sie ihn wirklich zum Lachen bringen, mein Wohlthäter? Können Sie die trockenen Augensterne zu lindernden Thränen rühren?«

Ich war tief ergriffen und sagte: »Mein Sohn, bringen Sie den guten Alten nur mit. Es kommen in meinem Vortrag ein paar Späße vor, über die er lachen wird, wenn er überhaupt noch ein Zwerchfell hat. Thun diese keine Wirkung, so habe ich ein Paar andere, die ihn weinen machen oder ihn umbringen – entweder – oder. Da schluchzte der junge Mann an meinem Halse, wünschte mir Gottes Segen und suchte seinen Onkel auf. Er setzte ihn am Abend mir gegenüber auf die zweite Bank und – ich ging ans Werk. Ich versuchte es zuerst mit feinen Scherzen und dann mit gröberen; ich nahm ihn mit schlechten Witzen in die Kur und hielt ihn mit guten Witzen zum Besten; ich bombardierte ihn mit abgedroschenen Späßen und beschoß ihn von allen Seiten mit gepfefferten, funkelnagelneuen. Ich wurde warm bei meiner Arbeit und stürmte von rechts und links, von vorn und hinten auf ihn ein; ich dampfte und schwitzte, eiferte und tobte, bis ich heiser und krank, toll und rasend war, aber – ich konnte kein Leben in ihn bringen – weder ein Lächeln noch eine Thräne preßte ich ihm ab. Nicht den Schatten eines Lächelns und keine Spur von Feuchtigkeit. Ich war starr vor Staunen. Endlich schloß ich den Vortrag mit einem verzweifelten Aufschrei, in einem wilden Ausbruch von Humor, und schleuderte ihm einen Witz von übernatürlicher Ungeheuerlichkeit an den Kopf. Dann setzte ich mich verwirrt und erschöpft nieder.

Der Vorstand der Gesellschaft trat zu mir, kühlte mir die Stirn mit frischem Wasser und fragte: »Was hat Sie mir gegen das Ende so in Aufregung gebracht?«

»Ich wollte den verdammten alten Narren in der zweiten Reihe durchaus zum Lachen bringen,« rief ich.

»Ah so – ja, da haben Sie sich umsonst bemüht,« erwiderte er; der Mann ist taub und stumm und so blind wie ein Maulwurf.«

Nun frage ich – war es von dem Neffen des alten Mannes nicht unverantwortlich, einem Fremden und Waisenknaben wie mir so mitzuspielen? – Ich frage den Leser als Mitmenschen und Bruder, ob das rechtschaffen von ihm gehandelt war?

vignette

 << zurück weiter >>