Mark Twain
Skizzenbuch
Mark Twain

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Über Tagebücher.

Zu gewissen Zeiten wird es der liebste Ehrgeiz eines Menschen, einen getreuen Bericht über sein Thun in einem Buche aufzubewahren, und er stürzt sich in diese Arbeit mit einer Begeisterung, als ob ein Tagebuch zu führen die heiligste Pflicht und der größte Genuß in der Welt sei. Aber wenn er nur einundzwanzig Tage verlebt hat, so wird er finden, daß nur jene seltenen Naturen voll Ausdauer, Hingebung an die Pflicht und unbesiegbarer Entschlossenheit, sich an ein so gewaltiges Unternehmen, wie das Führen eines Tagebuchs ist, wagen können, ohne eine schmachvolle Niederlage zu erleiden.

Als ich auf der Quaker City meine erste Reise nach Europa machte, hatten wir an Bord einen jungen Mann, namens Jack. Dieser prächtige junge Bursche hatte ein Tagebuch angefangen und pflegte über seine Fortschritte jeden Morgen in der glühendsten und aufgewecktesten Weise zu berichten. Eines Tages fing er an:

»O ich komme höllisch gut fort damit. Ich schrieb letzte Nacht zehn Seiten in mein Tagebuch – und wissen Sie, ich hatte die Nacht vorher neun und die Nacht vor dieser zwölfe geschrieben. Je nun, das ist reiner Spaß.«

»Was finden Sie denn Aufzeichnenswertes, Jack?«

»O! Alles. Breite und Länge, Mittagszeit jeden Tag, und wie viele Meilen wir in den letzten vierundzwanzig Stunden gemacht haben, und alle die Spiele Domino und Pferdebillard, die ich gewonnen habe, und Walfische und Haie und Schweinfische und Sonntags den Text der Predigt (wissen Sie, weil das zu Hause 'was gelten wird), und die Schiffe, die wir salutierten, und welcher Nation sie angehörten, und was für Wind war, und ob es eine schwere See gab, und was für Segel wir führten, obwohl wir eigentlich niemals welche führen, da wir immer den Wind von vorn haben – möchte wissen, was der Grund davon ist – und wie viele Lügen Moult uns erzählt hat. O, alles! Ich habe alles schwarz auf weiß. Mein Vater hieß mich dieses Tagebuch führen. Vater würde es nicht für tausend Dollars hergeben, wenn ich's fertig kriegte.«

»Nein, Jack, es wird mehr als tausend Dollars wert sein – wenn Sie es fertig kriegen.«

»Meinen Sie? Aber Sie denken wohl, ich kriege es nicht fertig?«

»Ja, es wird wenigstens tausend Dollars wert sein, wenn Sie es vollenden. Vielleicht mehr noch.«

»Na, ich denke halb und halb ebenso. Ich bin nicht ungeschickt im Führen eines Tagebuches.«

Eines Abends sagte ich später in Paris, nachdem wir uns mit der Besichtigung von Sehenswürdigkeiten abgearbeitet, zu ihm:

»Nun will ich gehen und ein Weilchen um die Cafés herumstrolchen, Jack, und Ihnen Gelegenheit geben, Ihr Tagebuch weiterzuführen, alter Junge.«

Sein Gesicht verlor sein Feuer. Er sagte:

»Na, das braucht Sie nicht zu kümmern. Ich denke, ich werde dieses Tagebuch nicht weiter fortsetzen. Es ist furchtbar langweilig. Wissen Sie wohl, daß ich viertausend Seiten noch nachzureiten hätte. Ich habe noch gar nichts über Frankreich drin. Erst dachte ich, ich wollte Frankreich weglassen und von Frischem anfangen. Aber nicht wahr, das ginge nicht an. Der Alte würde sagen: Hallo, was ist das – nichts von Frankreich gesehen? Dann dachte ich, ich wollte Frankreich aus dem Reiseführer abschreiben, wie der alte Badger in der Vorderkajüte, der ein Buch schreibt, aber es sind mehr als dreihundert Seiten darüber. O, mir scheint, ein Tagebuch hat gar keinen Nutzen, nicht wahr? Nichts als Plack und Langeweile, nicht wahr?«

»Ja, ein unvollständiges Tagebuch hat gar keinen Nutzen, aber ein gehörig geführtes Tagebuch ist seine tausend Dollars wert – wenn man es fertig hat.«

»Tausend – nun ja, das sollt' ich meinen. Ich aber möchte es für eine Million nicht fertig machen.«

Seine Erfahrung war nur die Erfahrung der Mehrzahl derjenigen unserer Reisegesellschaft, welche gleich ihm ein Tagebuch führten. Wenn man einem jungen Menschen eine unbarmherzige und bösartige Strafe auferlegen will, so verpflichte man ihn, ein Jahr lang ein Tagebuch zu führen.

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