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XXVI

Der verstorbene Odinzow mochte keine Neuerungen, aber ein »gewisses Spiel des veredelten Geschmacks« ließ er zu, und darum hatte er bei sich im Garten, zwischen dem Treibhaus und dem Teich, aus russischem Backstein eine Art griechischen Säulenganges erbauen lassen. Den Hintergrund dieses Säulenganges oder dieser Galerie bildete eine feste Mauer mit sechs Nischen, die zur Aufnahme von Statuen bestimmt waren. Diese Statuen, die Odinzow aus dem Ausland kommen lassen wollte, sollten die Einsamkeit, das Schweigen, das Sinnen, die Melancholie, die Keuschheit und die Empfindlichkeit darstellen. Eine von ihnen, die Göttin des Schweigens, mit dem Finger vor den Lippen, war eingetroffen und aufgestellt worden; aber noch am gleichen Tage hatten ihr die Dorfjungens die Nase abgeschlagen, und obwohl ein Stukkateur aus der Nachbarschaft sich anheischig machte, ihr »eine doppelt so schöne« Nase wie die frühere anzusetzen, so hatte Odinzow befohlen, sie fortzunehmen, und sie geriet in die Ecke einer Dreschtenne, wo sie viele Jahre stand, den abergläubischen Schrecken der Weiber erregend. Die Vorderseite des Säulenganges war längst mit dichtem Gesträuch überwuchert; nur die Säulenkapitelle ragten aus dem grünen Dickicht hervor. Im Säulengang selbst war es, sogar um die Mittagszeit, kühl. Seitdem Anna Sergejewna dort eine Natter entdeckt hatte, liebte sie nicht, diesen Ort aufzusuchen; aber Katja kam häufig hin, um auf der großen Steinbank, die unter einer der Nischen stand, niederzusitzen. Von Frische und Schatten umgeben, las und arbeitete sie oder überließ sich dem Gefühl völliger Stille, das wahrscheinlich jeder Mensch kennt und dessen Reiz darin besteht, halb unbewußt und stumm der mächtigen Lebenswoge zu lauschen, die unaufhörlich in uns und um uns flutet.

Am Tage nach Basarows Ankunft saß Katja auf ihrer Lieblingsbank, an ihrer Seite wiederum Arkadij. Er hatte sie überredet, mit ihm in den »Säulengang« zu gehen.

Es blieb noch eine Stunde bis zum Frühstück; die Hitze des Tages hatte bereits den tauigen Morgen abgelöst. Arkadijs Gesicht hatte den Ausdruck von gestern bewahrt. Katja sah besorgt aus. Ihre Schwester hatte sie gleich nach dem Tee zu sich in ihr Arbeitszimmer gerufen und ihr nach verschiedenen freundlichen Worten, die Katja stets ein wenig erschreckten, den Rat gegeben, vorsichtiger in ihrem Umgang mit Arkadij zu sein, vor allem aber die intimen Gespräche mit ihm zu vermeiden, die der Tante und dem ganzen Haus bereits aufgefallen wären. Außerdem war Anna Sergejewna schon am Abend zuvor übelgelaunt, und Katja selbst war verlegen, als hätte sie sich etwas vorzuwerfen. Als sie Arkadijs Bitte nachgab, sagte sie sich, daß es das letztemal sein werde.

»Katharina Sergejewna«, begann er mit einer Mischung von Schüchternheit und Ungezwungenheit, »seitdem ich das Glück habe, mit Ihnen unter einem Dach zu leben, habe ich mich mit Ihnen über vieles unterhalten, und doch habe ich eine Frage unberührt gelassen, die … die für mich sehr wichtig ist. Sie haben gestern die Bemerkung fallen lassen, man habe mich hier ›umgemodelt‹«, fuhr er fort, indem er den auf ihn gerichteten fragenden Blick Katjas zugleich suchte und mied. »Ich habe mich tatsächlich in vielem geändert, und das wissen Sie besser als sonst jemand, Sie, der ich im Grunde genommen diese Wandlung zu verdanken habe.«

»Ich … Mir? …« sagte Katja.

»Ich bin nicht mehr der blasierte Knabe, der ich war, als ich hierherkam«, fuhr Arkadij fort, »ich bin nicht umsonst dreiundzwanzig Jahre alt geworden; ich wünsche noch immer, mich nützlich zu machen, wünsche alle meine Kräfte der Wahrheit zu widmen; aber ich suche meine Ideale nicht mehr dort, wo ich sie früher suchte; sie scheinen mir … viel näher zu liegen. Bis jetzt verstand ich mich selbst nicht, ich stellte mir Aufgaben, denen ich nicht gewachsen bin … Mir sind kürzlich die Augen aufgegangen, dank einem Gefühl … Ich drücke mich nicht ganz klar aus, aber ich hoffe, Sie verstehen mich …«

Katja antwortete nichts, aber sie schaute Arkadij nicht mehr an.

»Ich denke«, begann er von neuem, schon mit etwas bewegterer Stimme, während über ihm ein Fink in dem Laubwerk einer Birke sorglos sein Liedchen anstimmte, »ich denke, es ist Pflicht jedes ehrlichen Menschen, ganz offenherzig zu sein gegen die … gegen diejenigen, die … mit einem Wort, die ihm teuer sind, und darum bin ich … habe ich die Absicht …«

Aber hier wurde Arkadij von seiner Beredsamkeit im Stich gelassen; er verhedderte sich, stockte und sah sich gezwungen innezuhalten. Katja hielt noch immer die Augen gesenkt. Es war, als ob sie nicht begriffe, wohinaus er wollte, und auf etwas wartete.

»Ich sehe voraus, daß ich Sie in Erstaunen setzen werde«, begann Arkadij, als er sich wieder gefaßt hatte, »um so mehr, als sich dieses Gefühl gewissermaßen … gewissermaßen, wohlgemerkt, auf Sie bezieht. Sie haben mir gestern, wenn Sie sich erinnern, Mangel an Ernst vorgeworfen«, fuhr Arkadij mit der Miene eines Menschen fort, der in einen Sumpf geraten ist und fühlt, daß er mit jedem Schritt immer tiefer versinkt, und doch weitereilt in der Hoffnung, schneller herauszukommen. »Dieser Vorwurf wird oft gerichtet … fällt … auf junge Menschen, selbst wenn sie ihn nicht mehr verdienen; und wenn ich mehr Selbstvertrauen hätte …« (›So hilf mir doch, hilf!‹ dachte Arkadij voller Verzweiflung; aber Katja rührte sich noch immer nicht.) »Wenn ich hoffen dürfte …«

»Wenn ich überzeugt wäre von dem, was Sie sagen«, ließ sich in diesem Augenblick Anna Sergejewnas helle Stimme vernehmen.

Arkadij verstummte sofort, und Katja erblaßte. An dem Gesträuch vorbei, das den Säulengang verdeckte, lief ein schmaler Pfad. Anna Sergejewna ging da in Basarows Begleitung. Katja und Arkadij konnten sie nicht sehen, aber sie hörten jedes Wort, das Rascheln des Kleides, sogar ihren Atem. Sie taten einige Schritte und blieben wie absichtlich unmittelbar vor dem Säulengang stehen.

»Sehen Sie«, fuhr Anna Sergejewna fort, »wir haben uns beide geirrt; wir stehen beide nicht mehr in der ersten Jugend, insbesondere ich nicht; wir sind lebensmüde; wir beide sind – wozu es verhehlen? – klug: anfangs interessierten wir uns füreinander, unsere Neugier war geweckt … und dann …«

»Und dann bin ich schal geworden«, fiel Basarow ein.

»Sie wissen, daß nicht dieses die Ursache unseres Zerwürfnisses war. Aber wie dem auch sei, wir brauchten einander nicht, und das ist die Hauptsache; wir besaßen zuviel – wie soll ich mich ausdrücken? … zuviel Gleichartiges. Wir begriffen das nicht sofort. Arkadij hingegen …«

»Den brauchen Sie?« fragte Basarow.

»Was fällt Ihnen ein, Jewgenij Wassilitsch. Sie behaupten, er hätte mich ins Herz geschlossen, und auch mir selbst schien es immer, daß ich ihm gefalle. Ich weiß, daß ich seine Tante sein könnte; aber ich will Ihnen nicht verheimlichen, daß ich seit einiger Zeit öfter an ihn denke. In diesem Gefühl der Jugend und Frische steckt ein gewisser Reiz.

»Das Wort ›Zauber‹ ist in solchen Fällen gebräuchlicher«, unterbrach sie Basarow; aus seiner ruhigen, aber dumpfen Stimme hörte man heraus, wie ihm die Galle überlief. »Gestern tat Arkadij mir gegenüber sehr geheimnisvoll und sprach weder von Ihnen noch von Ihrer Schwester … Das ist ein bedenkliches Symptom.«

»Er ist zu Katja wie ein Bruder«, bemerkte Anna Sergejewna, »und das gefällt mir an ihm, wenn ich auch eine solche Vertraulichkeit zwischen ihnen vielleicht nicht dulden sollte.«

»Spricht hier aus Ihnen … die Schwester?« sprach Basarow gedehnt.

»Natürlich … aber warum stehen wir hier? Lassen Sie uns weitergehen. Welch seltsames Gespräch wir führen, nicht wahr? Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal so mit Ihnen reden würde. Sie wissen, ich fürchte Sie … und zugleich habe ich Vertrauen zu Ihnen, denn im Grunde genommen sind Sie sehr gutherzig.«

»Erstens bin ich durchaus nicht gutherzig, und zweitens habe ich für Sie jeden Wert verloren; darum sagen Sie mir, ich sei gutherzig … Es ist gerade dasselbe, als wenn man einem Toten einen Blumenkranz aufs Haupt legt.«

»Jewgenij Wassilitsch, es ist nicht in unserer Macht …«, begann Anna Sergejewna, aber plötzlich kam ein Windstoß, raschelte im Laub und trug ihre Worte fort.

»Sie sind ja frei«, sprach einige Augenblicke später Basarow.

Weiter war nichts zu verstehen; die Schritte entfernten sich … alles wurde still.

Arkadij wandte sich an Katja. Sie saß noch in derselben Stellung, nur hatte sie den Kopf noch tiefer gesenkt.

»Katharina Sergejewna«, sagte er mit zitternder Stimme und preßte die Hände aufeinander, »ich liebe Sie auf immer und unerschütterlich, ich liebe Sie und sonst niemand. Ich wollte Ihnen das sagen, ich wollte Ihre Ansicht erfahren und um Ihre Hand bitten, denn auch ich bin nicht reich, und ich fühle, daß ich zu jedem Opfer bereit bin … Sie antworten nicht? Sie trauen mir nicht? Sie denken, ich rede leichtsinnig daher? Aber denken Sie an die letzten Tage! Haben Sie sich denn nicht längst davon überzeugt, daß alles andere – verstehen Sie mich wohl! –, alles, alles andere spurlos verschwunden ist? Sehen Sie mich an, sagen Sie mir ein einziges Wort … Ich liebe … ich liebe Sie … glauben Sie es mir doch!«

Katja sah Arkadij mit einem ernsten, klaren Blick an und sagte dann nach langem Sinnen mit einem kaum merklichen Lächeln: »Ja.«

Arkadij sprang von der Bank auf. »Ja! Sie haben ja gesagt, Katharina Sergejewna! Was bedeutet dieses Wort? Daß ich Sie liebe, daß Sie mir glauben … Oder … oder … ich wage es nicht auszusprechen …«

»Ja«, wiederholte Katja, und diesmal verstand er sie. Er ergriff ihre großen, schönen Hände und preßte sie, außer sich vor Entzücken, an sein Herz. Er vermochte sich kaum aufrecht zu halten und wiederholte in einem fort: »Katja! Katja …« Und sie – sie brach in Tränen der Rührung aus, während sie selbst über ihre Tränen leise lachte. Wer solche Tränen in den Augen des geliebten Wesens nicht gesehen hat, der hat noch nicht erfahren, wie der Mensch, ganz im Dank- und Schamgefühl erschauernd, auf Erden glücklich sein kann.

 

Am andern Tag ließ Anna Sergejewna frühmorgens Basarow zu sich in ihr Arbeitszimmer bitten und überreichte ihm mit gezwungenem Lachen einen gefalteten Bogen Briefpapier. Es war ein Brief von Arkadij: er bat sie darin um die Hand ihrer Schwester.

Basarow überflog rasch den Brief und mußte sich zwingen, das Gefühl der Schadenfreude zu unterdrücken, das sich im Nu in seiner Brust regte.

»So ist es also«, sagte er, »und Sie haben erst gestern behauptet, er hätte für Katharina Sergejewna bloß brüderliche Gefühle übrig. Was beabsichtigen Sie nun zu tun?«

»Wozu raten Sie mir?« fragte Anna Sergejewna, noch immer lachend.

»Ich denke«, antwortete Basarow, ebenfalls lachend, obwohl ihm keineswegs lustig zumute war und er ebensowenig lachen wollte wie sie, »ich denke, Sie sollten den jungen Leuten Ihren Segen geben. Er ist in jeder Hinsicht eine gute Partie; Kirsanow besitzt ein stattliches Vermögen; er ist der einzige Sohn, und sein Vater ist ein guter Kerl, er wird ihm nichts in den Weg legen.«

Frau Odinzowa durchmaß das Zimmer. Ihr Gesicht wurde bald rot, bald blaß.

»Meinen Sie?« sagte sie. »Nun, ich wüßte ebenfalls nichts, was dagegen einzuwenden wäre … Es freut mich Katjas wegen … und auch Arkadij Nikolajewitschs wegen. Ich werde natürlich die Antwort seines Vaters abwarten. Er soll selber hinfahren. Also hatte ich gestern doch recht, als ich Ihnen sagte, wir beide wären bereits alte Leute … Wie war es bloß möglich, daß ich nichts gemerkt habe? Das wundert mich!«

Anna Sergejewna brach wieder in Lachen aus und wandte sich dann sofort ab.

»Die heutige, Jugend ist verteufelt schlau geworden«, bemerkte Basarow und brach gleichfalls in Lachen aus. »Leben Sie wohl!« fuhr er nach kurzem Schweigen fort. »Ich wünsche Ihnen, daß diese Sache in möglichst befriedigender Weise zum Abschluß gebracht wird; ich werde mich aus der Ferne freuen.«

Frau Odinzowa wandte sich rasch zu ihm um:

»Reisen Sie denn ab? Warum wollen Sie jetzt nicht hierbleiben? Bleiben Sie doch! … es macht Spaß, mit Ihnen zu reden! … als wenn man am Rande eines Abgrunds wandelte. Anfangs ist man ängstlich, aber dann faßt man Mut. Bleiben Sie doch!«

»Ich danke Ihnen, Anna Sergejewna, für Ihr Anerbieten und für die schmeichelhafte Meinung, die Sie von meinen Unterhaltungstalenten haben. Aber ich finde, daß ich mich ohnehin schon viel zu lange in einem mir fremden Bereich bewegt habe. Fliegende Fische können sich eine Zeitlang in der Luft halten, aber bald müssen sie ins Wasser plumpsen; gestatten Sie auch mir, in mein Element hineinzupatschen.«

Frau Odinzowa sah Basarow an. Ein bitteres Lächeln verzog sein blasses Gesicht. ›Dieser hat mich geliebt!‹ dachte sie – und es tat ihr um ihn leid, und sie reichte ihm teilnehmend die Hand.

Aber er verstand sie.

»Nein!« sagte er und wich einen Schritt zurück. »Ich bin zwar arm, aber Almosen habe ich bis jetzt noch nie empfangen. Leben Sie wohl und bleiben Sie gesund!«

»Ich bin überzeugt, daß wir uns nicht zum letztenmal sehen«, sprach Anna Sergejewna mit einer ungewollten Bewegung.

»Was geschieht nicht alles auf dieser Welt!« antwortete Basarow, verbeugte sich und ging hinaus.

 

»Du gedenkst dir also ein Nest zu bauen?« sagte er noch am selben Tag zu Arkadij, als er im Kauern seinen Mantelsack packte. »Nun, die Idee ist nicht schlecht. Wozu hast du aber geheuchelt? Ich hatte von dir erwartet, daß du eine andere Richtung einschlägst. Aber vielleicht ist es für dich selbst unerwartet gekommen?«

»In der Tat hatte ich es nicht erwartet, als ich mich von dir trennte«, antwortete Arkadij, »aber warum heuchelst du selbst und sagst: ›Die Idee ist nicht schlecht‹, als ob ich deine Ansicht über die Ehe nicht kennen würde!«

»Ach, mein lieber Freund!« rief Basarow. »Wie du dich ausdrückst! Siehst du nicht, was ich mache? Ich habe in meinem Mantelsack eine leere Stelle entdeckt und fülle sie mit Heu aus; so ist es auch mit unserem Lebenskoffer; es ist einerlei, womit du ihn ausfüllst, wenn nur keine Leere darin bleibt. Bitte, nimm es nicht übel – du wirst dich noch erinnern, welche Meinung ich stets von Katharina Sergejewna gehabt habe. Manches Fräulein gilt bloß deshalb als klug, weil sie klug zu seufzen versteht; aber die deine wird sich durchsetzen, und zwar so, daß sie dich fest in die Hände nimmt, na, und das ist auch recht so.« Er klappte den Deckel zu und stand auf. »Und jetzt will ich dir zum Abschied wiederholen … denn wir brauchen uns nichts vorzumachen: wir nehmen Abschied für immer, und du selbst fühlst es … du hast vernünftig gehandelt; du bist für unser bitteres, rauhes Hagestolzendasein nicht geschaffen. Es fehlt dir an Dreistigkeit und Wut; du verfügst über jugendlichen Mut und jugendliche Keckheit; aber das genügt für unsere Sache nicht. Euresgleichen, ein Mann aus dem Adel, kann über edle Demut oder über edlen Elan nicht hinaus, und das ist dummes Zeug. Zum Beispiel: Ihr haut euch nicht und bildet euch ein, daß ihr große Helden seid, wir aber wollen uns hauen. Richtig! Unser Staub würde dir die Augen zerfressen, unser Schmutz würde dich besudeln, auch bist du noch nicht so weit wie wir, du bewunderst dich unwillkürlich selbst, es macht dir Vergnügen, dich selbst zu schelten; aber uns langweilt das – gib uns die anderen her! Wir müssen die anderen brechen! Du bist ein braver Bursche, aber du bist dennoch ein weichliches, liberales Herrensöhnchen, et voilà tout Französisch: und da (haben wir) alles, d. h. und das ist die ganze Geschichte. (Anm. d. Übers.), wie mein Vater zu sagen pflegt.«

»Du nimmst auf immer Abschied von mir, Jewgenij?« fragte Arkadij traurig. »Und hast du keine anderen Worte für mich übrig?«

Basarow kratzte sich den Nacken.

»Ja, Arkadij, ich habe auch andere Worte, aber ich werde sie nicht aussprechen, denn das wäre Romantik, das hieße Süßholz raspeln. Du aber wirst gut tun, recht bald zu heiraten, dir ein eigenes Nestchen einzurichten und recht viele Kinder in die Welt zu setzen. Sie werden kluge Köpfe sein, schon allein deshalb, weil sie zur rechten Zeit zur Welt kommen werden, nicht so wie du und ich. He! ich sehe, die Pferde sind angespannt. Es ist höchste Zeit! Ich habe mich von allen verabschiedet … Nun, wollen wir uns umarmen?«

Arkadij umschlang stürmisch den Hals seines ehemaligen Lehrmeisters und Freundes, und Tränen schossen aus seinen Augen.

»Das ist eben die Jugend!« sagte Basarow ruhig, »aber ich setze meine Hoffnung auf Katharina Sergejewna. Du sollst sehen, wie schnell sie dich trösten wird.«

 

»Leb wohl, mein Freund!« sagte er zu Arkadij, als er bereits in den Bauernwagen geklettert war, und auf ein paar Dohlen deutend, die auf dem Dach des Pferdestalls nebeneinander saßen, fügte er hinzu: »Da hast du's! Dir zur Belehrung!«

»Was soll das bedeuten?« fragte Arkadij.

»Wie? Bist du so schwach in der Naturgeschichte beschlagen? – oder hast du vergessen, daß die Dohle der achtungswerteste Familienvogel ist? Nimm dir ein Beispiel! … Nun, leb wohl, Signore!«

Der Bauernwagen rollte ratternd von dannen.

Basarow hatte die Wahrheit gesagt. Als sich Arkadij am Abend mit Katja unterhielt, hatte er seinen Lehrmeister vollständig vergessen. Er fing bereits an, sich Katja unterzuordnen, und sie fühlte es und wunderte sich nicht darüber. Am Tage darauf sollte er zu Nikolai Petrowitsch nach Marjino reisen. Anna Sergejewna wollte den jungen Leuten keinen Zwang auferlegen und ließ sie nur anstandshalber nicht zu lange allein. Sie hatte die Großmut, die Fürstin, die durch die Nachricht von der bevorstehenden Heirat in einen Zustand weinerlicher Wut geraten war, von ihnen fernzuhalten. Anfangs fürchtete Anna Sergejewna, der Anblick ihres Glückes könnte ihr selbst etwas lästig werden; aber gerade das Gegenteil trat ein: statt sie zu belästigen, interessierte, ja rührte sie schließlich dieser Anblick. Anna Sergejewna war darüber sowohl erfreut als auch betrübt. ›Es scheint, daß Basarow recht hat‹, dachte sie, ›es ist nichts als Neugier, nur Neugier, und Ruhebedürfnis und Egoismus …‹

»Kinder!« rief sie laut, »ist die Liebe wirklich ein erkünsteltes Gefühl?«

Aber weder Katja noch Arkadij verstanden sie auch nur. Sie hatten eine gewisse Scheu vor ihr; das unabsichtlich erlauschte Gespräch ging ihnen nicht aus dem Sinn. Übrigens beruhigte sie Anna Sergejewna bald; und es fiel ihr nicht schwer, denn sie hatte sich beruhigt.


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