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Klinik von Doktor Eisenbart

In Rahnsburg war ein furchtbares Unglück geschehen. Ein Auto kam ins Schleudern und fuhr gegen einen Baum. Die drei Insassen wurden schwerverletzt davongetragen und fanden Aufnahme in der Gregorschen Klinik. An allen Straßenecken, in jedem Geschäft und auch in der Schule sprach man von nichts anderem, als von dem schrecklichen Ereignis. Viele Leute waren Zeugen dieses Unglücks gewesen und jeder wußte neue Einzelheiten zu erzählen. So kam es, daß auch Karl Gregor, der von seinem Vater nicht viel über das Unglück erfuhr, durch die größeren Mitschüler genau unterrichtet wurde und daheim die Eltern mit unzähligen Fragen bedrängte. Man hatte dem Knaben erzählt, daß Doktor Gregor in geradezu hervorragender Weise alles Notwendige angeordnet und geleitet hätte; man lobte den Arzt überall, und Karl war sehr stolz darüber.

»Sie sagen, Vati, du bist der richtige Menschenfreund. Du hast gleich das gemacht, was nötig war, um den Leuten die Schmerzen zu lindern. Vati, sie sagen, ein Kind, das solch einen Vater hat, kann stolz sein. Vati – ich bin auf dich stolz!«

»Es ist Menschenpflicht, dem Nächsten zu helfen, mein Junge.«

»Wenn ich groß bin, werde ich auch ein Arzt. Es ist sehr schön, den Menschen zu helfen.«

»Vati«, fragte Peter, »wie hast du es denn gemacht, daß die Leute nicht mehr so große Schmerzen haben?«

»Das verstehst du noch nicht, mein Junge. Das weiß der Arzt, aber du brauchst es noch nicht zu wissen.«

»Mutti, was hat denn der Vati gemacht, um den Leuten die Schmerzen wegzunehmen?«

»Du hast soeben vom Vati gehört, daß euch das noch nichts angeht.«

Am Nachmittag kam Peter zu Tante Waltraut und richtete an sie dieselbe Frage.

»Davon verstehst du noch nichts, Peterli. Die Leute kriegen was zum Einnehmen, daß die Schmerzen weggehen.«

»Ich weiß schon, man schmiert ein, dann sind die Schmerzen nicht mehr so doll. – Tante Waltraut, kannst du mir nicht so was geben? Weißt du, manchmal habe ich auch solche Schmerzen – hier hinten.« Peter legte beide Händchen auf den Hosenboden.

»Ich weiß schon, wenn der Rohrstock dort getanzt hat!«

»Ja, Tante Waltraut. – Wenn du mir nun so 'ne Medizin gibst, schmiere ich vorher ein, dann kann es nicht so weh tun.«

»Aber Peter! – Einmal gebe ich dir solche Medizin nicht, und zum andern geht das nicht. Wenn du Prügel verdient hast, sollst du die Schmerzen auch fühlen.«

»Aber die arme Frau, die unter dem Auto lag und so geschrien hat. Hat sie auch eine Medizin bekommen? Ist dann der Schmerz weg?«

»Wenn du selbst einmal Arzt bist, wirst du das alles wissen.«

Unbefriedigt verließ der kleine Mann seine Tante und fragte bei Emilie an, was das wohl für eine Medizin sei.

»Das ist gar keine Medizin, Peter, der Arzt hat Spritzen. Wenn er dem Kranken mit der Spritze etwas einspritzt, hören die Schmerzen auf.«

»Spritzen –?«

»Ja, Peter kleine Spritzen. – Das ist aber nur etwas für den Arzt und die Krankenschwestern. Kein anderer darf die Spritzen anfassen.«

»Wenn du dich mal in den Finger geschnitten hast, bekommst du dann auch so 'ne Spritze?«

»Du wärest mir ein schöner Doktor Eisenbart!«

»Was für ein Doktor, Emilie?«

»Das war ein Doktor, der hat die Leute auf besondere Weise wieder gesund gemacht.« Sogleich fing Emilie an zu singen:

»Ich bin der Doktor Eisenbart,
kurier' die Leut' nach meiner Art,
kann machen, daß die Blinden gehn
und daß die Lahmen wieder sehn!«

Peter lachte hellauf. »Noch mal!«

Emilie sang den Vers zum zweiten Male.

»Noch mal!«

Abermals wiederholte das gutmütige Hausmädchen die Strophe. Peter sang mit, und als Emilie das Lied zum vierten Male sang, stürzte er davon, um dem Bruder das soeben Gelernte mitzuteilen.

Vom Doktor Eisenbart ließen sich die Kinder noch mehr erzählen. Es gab ein frohes Gelächter.

»Ich möchte nicht Doktor Eisenbart sein«, meinte Karl, »ich möchte lieber ein Arzt sein wie der Vati, zu dem die Leute alle mit Stolz aufsehen und von dem sie sagen, er ist gut und hilft. Ich werde auch ein Doktor mit einer Klinik, und dann helfe ich auch!«

»Ja, Karl, du nimmst 'ne Spritze und, hups, sind die Schmerzen fort!«

Der kleine Rudi, der auf Karlchens Steckenpferd ritt, kam zu seinem ältesten Bruder. »Der Doktor soll Pferdchen gesund machen, hat nur einen halben Kopf.«

»Nun«, sagte Peter mit tiefer Stimme, »das könnten wir schon machen. Wir werden das Pferdchen operieren.«

»Hier auch operieren«, rief Rudi und schleppte seinen Teddybär herbei. »Bärchen brummt nicht mehr.«

Der Teddybär, der früher so schön gebrummt hatte, schwieg schon seit längerer Zeit, weil Peter sich auf das Stofftier gesetzt hatte.

»Au fein!« rief Karlchen plötzlich, »wir spielen jetzt Doktor! Wir haben eine Klinik und operieren!«

»Teddybär wieder brummen lassen«, schrie Rudi.

»Kommen Sie in einer halben Stunde in meine Klinik«, sagte Karl würdig. »Der Arzt hat jetzt noch keine Sprechstunde.«

»Wir machen Klinik! – Wir machen Klinik«, schrie Peter aus Leibeskräften und eilte ins Wohnzimmer, um die Mutti zu suchen. Frau Doktor Gregor war dort nicht zu finden, sie weilte in der Klinik.

Nun gab es im Kinderzimmer eine erregte Lauferei. Der Operationssaal mußte hergerichtet werden, weil der Teddy operiert werden sollte. Der Spieltisch wurde mit einer Serviette, die Karl aus dem Eßzimmer holte, zugedeckt.

»Ich muß einen weißen Kittel haben.« Karlchen versuchte, sich in das Tischtuch einzuwickeln, aber das gelang ihm nicht.

»Mutti hat eine weiße Schürze in der Küche«, rief Peter und kam mit der weißen Kittelschürze zurück, die Karlchen anzog. Da sie ihm viel zu groß war, wurde sie mehrfach umgeschlagen und mit einem Bindfaden festgebunden.

»Ich will auch 'nen Kittel haben«, meinte Peter, »ich bin jetzt Onkel Doktor Eck.«

»Nein«, verwies ihn Karl, »du bist die Krankenschwester, die im Operationszimmer hin und her laufen muß. Du hältst dann den Kranken fest, wenn er schreit.«

»Ich bin Schwester Waltraut mit der Haube.«

»Und ich?« fragte Rudi.

»Du bist der Vater von dem Bären. Du stehst dabei und jammerst, wenn wir den Bären operieren. Dann redet dir die Schwester gut zu.«

»Ich muß aber 'ne Haube haben.« Peter wußte sofort Rat. Eine zweite Serviette wurde aus der Anrichte geholt. Karl band sie dem Bruder kunstgerecht um den Blondkopf.

»Und nu noch 'ne Schürze!«

Das Lätzchen, das Karl beim Mittagessen trug, wurde Peter vorgebunden, dann war die Tracht der Schwester vollendet.

»Und nu muß an die Tür ein Schild, damit der Rudi den Doktor findet.«

Aus Karlchens Heft wurde ein Blatt herausgerissen und mit Blaustift einige Krakelfüße daraufgeschrieben. »So«, meinte Peter, »hier steht: ›Klinik von Doktor Eisenbart!‹ Dann beleckte er die Seite und versuchte sie an die Tür zu kleben, aber das Blatt fiel zu Boden.

»Ich habe einen Reißnagel in der Hosentasche«, rief Karl, und sogleich brachte er aus der einen Tasche seine Vorräte hervor: Zigarettenschachteln, Bindfaden, Streichholzschachteln, einige krumme Nägel, ein Stück Keks, einen Bonbon und endlich den Reißnagel. So wurde das Blatt an der Tür befestigt.

»Eine Brille müßte ich auch haben, wie Onkel Doktor Eck.« Aber eine Brille war nicht zu finden.

»Nu los, Rudi, du kannst kommen«, rief Peter dem jüngeren Bruder zu, der erwartungsvoll mit seinem Steckenpferd und dem Teddy in der Zimmerecke stand.

»Quatsch!« schrie Karl, »ich habe doch noch nichts zum Schneiden!«

»Un 'ne Spritze haben wir auch noch nicht!«

»Ich muß erst so was holen.«

Karlchen eilte zu Emilie in die Küche. »Gibst du mir ein Messer und eine Schere?«

»Ich denke nicht daran! Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht!«

»Emilie, ich bin doch der Doktor Eisenbart.«

»Na, wenn du der Doktor Eisenbart bist, will ich dir eine Schere geben. Der wird sich auch mit einer alten Brennschere helfen können.«

Kritisch betrachtete Karl die Brennschere. Damit konnte er freilich nicht schneiden. – Nun, vielleicht konnte er etwas erwischen, was sich besser eignete. In Mutters Nähkasten lag eine Schere; aber seit sie einmal Spinnetz mit Mutters Nähzeug gespielt hatten, war es den Kindern streng verboten worden, jemals wieder den Nähkorb anzurühren. Damals hatte Pucki über eine Stunde lang die Näh- und Stickfäden entwirren müssen, die die Kinder an allen möglichen Gegenständen im Zimmer befestigt hatten.

Karlchen hielt in der Küche Ausschau, ob er nicht ein brauchbares Instrument finden könnte. So ein blankes Messer, wie man es beim Mittagessen gebrauchte, wäre freilich nach seinem Geschmack gewesen. Aber Emilie saß gerade vor der Schublade, in der die Messer lagen, und putzte Gemüse.

Karlchen suchte mit den Augen weiter. Da sah er auf einem Nebentisch den Korkenzieher liegen und daneben noch ein anderes Ding. Mit diesem spitzen Instrument hatte die Mutti einmal eine Büchse mit Spargel aufgemacht und das Blech zerschnitten. – Das war ein feines Instrument, das schnitt sogar Blech. Damit konnte er alles operieren, Arme und Beine.

Er beobachtete noch ein Weilchen die emsig arbeitende Emilie. Da sie nicht aufsah, ergriff er rasch den Büchsenöffner und den Korkenzieher und ging befriedigt mit seinen drei Instrumenten davon. Peter schwenkte ihm beim Eintreten ins Kinderzimmer die Blumenspritze entgegen, die auf dem Fensterbrett im Wohnzimmer gelegen und zum Bespritzen der Blumen verwendet wurde. Wie oft hatte Peter zugesehen, wenn die Mutti damit hantierte. Oh, er wußte, daß man die Spritze in ein Gefäß mit Wasser tauchte und dabei den Griff herauszog. Wenn man ihn dann zurückstieß, kam das Wasser in einem Strahl heraus.

»Ich hab' was«, rief Karl und zeigte seine Instrumente.

»Herr Doktor«, piepste Peter, »ich glaube, es wartet der erste Patient draußen. Es ist ein Mann mit einem kranken Teddy, den müssen wir operieren.«

»Er soll 'reinkommen, meine Sprechstunde hat begonnen. – Schwester, putzen Sie mal rasch das Operationsmesser!«

»Ich hab' jetzt keine Zeit«, rief Peter, »ich muß den Kranken holen.« Er packte Rudi am Arm und führte ihn zum Operationstisch.

»Wo fehlt es, lieber Mann?«

»Mein Teddy ist krank. Er brummt nicht!«

Der Bär wurde auf den Operationstisch gelegt.

»Strecken Sie die Zunge heraus und sagen Sie: ahhh!« rief Karl, der Doktor.

Peter öffnete sofort den Mund und ließ ein langgezogenes Ahhh hören.

»Quatsch!« rief Doktor Eisenbart und puffte seinen Bruder in die Seite.

»Erst den Puls fühlen«, mahnte die Schwester.

»Fühlen Sie den Puls, Schwester.«

»Warte mal, ich hole rasch erst Muttis kleine Uhr aus dem Schlafzimmer. Der Doktor hat immer eine Uhr.« Und fort war die »Schwester«, kam aber sehr bald mit einer kleinen Standuhr wieder zurück. Unterdessen putzte Doktor Eisenbart die Brennschere an seiner Schürze ab.

»Warten Sie, lieber Mann, gleich geht es los!«

Peter nahm die Pfote des Teddybären, um den Puls zu fühlen, rückte die Uhr auf den Operationstisch und starrte auf das Zifferblatt. So hatte es der Vati oft bei ihm gemacht. Er konnte sich genau daran erinnern.

»Etwas unregelmäßig!« klang es, »Herr Doktor, wir müssen operieren, er hat es am Blinddarm!«

Peter legte seine Hand auf den Kopf des Bären. »Fieber hat er auch.«

»Wieviel Fieber hat er?«

Peter wußte darauf nichts zu sagen. Doktor Eisenbart befühlte ebenfalls den Kopf des Stofftieres und sagte mit tiefer Stimme: »Hundert!«

»Der Teddy brummt nicht mehr!« rief Rudi.

»Du mußt jetzt weinen und jammern«, befahl Doktor Eisenbart dem jüngsten Bruder. Als das nicht geschah, stieß Peter den Bruder unsanft in die Seite.

»Du häßlicher Junge!«

»Beruhigen Sie sich, lieber Mann, wir beeilen uns mit der Operation. Morgen kann der Teddy wieder laufen und brummen. Wir geben ihm inzwischen Baldrian. Machen Sie mal den Mund auf.«

Aber Rudi wollte nicht. Er griff vielmehr nach dem Bären. Doktor Eisenbart hielt ihn aber fest. »So, jetzt geht es los!«

Karlchen klapperte ein Weilchen mit der Brennschere, dann zwickte er die oberen Gliedmaßen des Teddys kräftig damit. »Tut es weh?« fragte er.

»Ja«, piepste Rudi.

»Es ist gleich vorbei!« Da mit der Brennschere nichts erreicht wurde, griff Karl zum Büchsenöffner, setzte ihn auf den Bauch des Bären und versuchte den Öffner mit aller Kraft durch das braune Fell zu treiben.

»Nicht kaputt machen!« rief Rudi. Wieder wollte er nach dem Bären greifen, aber Peter zog ihn zurück.

»Du bist still!«

»Nicht kaputt machen!« klang es weinerlich aufs neue.

»Schwester, geben Sie dem Mann eine Medizin, damit er ruhig bleibt und die Operation nicht stört.«

»Eine Spritze – dann merkt er die Schmerzen nicht!«

»Ich will meinen Teddy haben!« schrie Rudi weiter.

Karlchen war krebsrot im Gesicht. – Endlich war das Werk gelungen. Der Büchsenöffner hatte das Fell durchstoßen, und voller Interesse wühlten nun die Finger in der hervorquellenden Holzwolle.

»Es ist der Blinddarm!« sagte er und zog die Holzwolle aus dem Bären heraus. Von Zeit zu Zeit wischte er sich die Hände an der Schürze ab. Inzwischen balgte sich die »Schwester« mit Rudi.

»Teddybär nicht kaputt machen!« rief er immer wieder.

»Halt den Mund! – Der Bär soll doch wieder brummen, und das wird nu gemacht!«

»Brummt er dann?«

»Ja!«

Aber Rudi war trotzdem mißtrauisch. Er betrachtete die Holzwolle, die Karl aus dem Leib des Bären herausholte. Auch der kleine Blasebalg, der das Brummen hervorrief, wurde herausgeholt und untersucht. Er gab keinen Ton von sich, da sich auf der einen Seite ein Loch zeigte.

»Herr Doktor«, sagte die falsche Schwester, als Rudi jetzt laut aufschrie, »hier ist noch ein Patient.«

»Wo schmerzt es?« fragte Doktor Eisenbart.

Rudi sah den zerschnittenen Bären, und er sah, wie der Bruder mit dem Korkenzieher herumfuchtelte, und bekam große Angst, daß ihm ein gleiches Schicksal wie seinem Bären blühen könne.

»Ich kann brummen«, rief er, »ich brauch' nich kaputt zu gehen!«

»Du bist still!«

»'ne Spritze, Doktor Eisenbart – 'ne Spritze!« Schon tauchte Peter die Blumenspritze in die Wasserkanne, und während Karl versuchte, das Brüderchen am Tisch festzuhalten, schlich Peter leise heran. Gerade, als Rudi den Mund weit öffnete, bekam er zischend die Wasserladung ins Gesicht.

Wieder ein gellendes Geschrei! Karl versuchte, dem Bruder den Mund zuzuhalten, da wurde hinter ihm ein lautes Klirren hörbar. Die Uhr war auf den Boden gefallen. Es knackte mehrmals, und die »Schwester« trat auf die Uhr. Peter war so versessen auf die Spritze, daß er sie erneut ins Wasser tauchte und mit dem gefüllten Instrument hinter dem laut schreienden Rudi herlief, um ihm noch eine zweite Ladung zu versetzen.

Emilie hörte das Geschrei, kam gelaufen und sah ein Knäuel von drei Kindern am Boden liegen, die durcheinanderschrien. Sie hatte Mühe, die Knaben zu trennen.

»Was ist denn schon wieder los?« fragte sie ernst.

»Mein Teddy ist kaputt!«

Peter rieb sich die schmerzende Stirn. Aus Versehen hatte ihn Karl mit dem Absatz seines Schuhes gestoßen. Aus war plötzlich die ganze Herrlichkeit des Doktor Eisenbart, das Tuch des Operationstisches lag am Boden! Karlchen hatte sich derart in den weißen Kittel verwickelt, daß er, als er sich aufrichten wollte, erneut zu Boden fiel. Dabei schlug er so unglücklich hin, daß die Nase zu bluten begann.

»Man darf euch keinen Augenblick allein lassen!« rief Emilie. »Was habt ihr schon wieder angerichtet?«

»Ich bin doch der Doktor Eisenbart«, klang es kläglich von Karlchens Lippen.

»Komm mit, ich will das Blut stillen.«

Rudi war naß und weinte leise vor sich hin. Peter dagegen betrachtete schuldbewußt die Blumenspritze, die er rasch unter den Schrank schob, damit sie niemand sehen sollte.

»Weine mal nicht, kleiner Junge«, tröstete er den Bruder, »du warst doch krank. – Nun ist es aber wieder gut. – Warte mal, ich helfe dir!« Und mit großer Sorgfalt trocknete er dem Jüngeren das Gesicht ab.

»Mein Teddy ist kaputt«, weinte Rudi erneut.

»Laß mal, den näht die Mutti wieder zusammen oder der Vati. Dann ist er wieder gesund.« Mit diesen Worten drückte Peter dem Bruder das zerschnittene Stofftier in den Arm. – Da versiegten Rudis Tränen. Das halb ausgenommene Tier erweckte seine Neugierde. Gemeinsam mit Peter wurden noch die letzten Reste der Holzwolle aus dem Innern entfernt. Schließlich gelang es den Kindern, auch noch die Beine abzureißen. Rudi ließ es sogar ruhig geschehen, daß Peter den Korkenzieher in den Stoff bohrte, um festzustellen, ob in den Beinen auch noch so ein Blinddarm wäre wie im Bauch.

Die schlechte Stimmung Rudis war verschwunden. »Immer noch Blinddarm, guck her!« Damit holte der Kleine auch die Holzwolle aus den Beinen des Stofftieres heraus.

Im Kinderzimmer sah es nicht gerade ordentlich aus. Peter entdeckte jetzt die zerbrochene Uhr. Er wollte sie auch unter den Schrank schieben, doch das ging nicht. Da trug er sie mit dem zerbrochenen Glas und den verbogenen Zeigern stillschweigend in das Schlafzimmer der Eltern zurück, deckte sein weißes Kopftuch darüber und hoffte so, daß er der Strafe entgehen würde. Doch war ihm nicht recht wohl dabei.

»Emilie«, sagte er, als er schüchtern in die Küche trat, in der sich das Hausmädchen noch immer um Karlchen bemühte, »sei doch lieb zu uns. Sage uns die Medizin, daß man keine Schmerzen hat.«

»Was willst du damit?« fuhr Emilie den Knaben verärgert an.

Peter zeigte auf seinen verlängerten Rücken. »Nur hier einreiben. – Bitte, bitte, sei lieb zu uns.«

»Geh lieber zurück ins Zimmer und räume auf.«

Das leuchtete Peter ein. Vielleicht entging er auf diese Weise der Strafe. Das Tischtuch, das noch immer zerknüllt in der Ecke lag, wurde mit Gewalt in die Anrichte gestopft, ebenso die Servietten. Die Schublade wollte zwar nicht zugehen, aber das machte nichts. Dann begann er, die umherliegende Holzwolle zusammenzusuchen und trug sie in seinem Schürzchen hinaus in die Küche.

»Emilie, bitte, stecke sie schnell ins Feuer, dann sieht sie keiner.«

»Mutti wird schon merken, was ihr wieder angestellt habt.«

»Emilie, könntest du nicht rasch mit uns ein Stückchen spazierengehen?«

»Nein, nein, die Mutti wird gleich kommen.«

Und richtig, Karlchen war gerade wieder gesäubert, als Pucki in Begleitung des Gatten die Wohnung betrat. Claus war mitgekommen, um den Nachmittagskaffee zu trinken. Pucki zog die Brauen hoch, als Karl und Peter gar so zärtlich waren und meinten, sie hätten die beste Mutti und den besten Vati der ganzen Welt. Dabei klangen ihre Stimmen ein wenig unsicher.

»Was ist denn wieder gewesen?«

»Vati, wir haben sooo schön gespielt.«

»Mutti«, jauchzte Rudi, und hielt ihr den Kopf des Teddys und das ausgenommene Fell entgegen. »Teddy war krank. – Mutti, nu mache ihn wieder gesund!«

»Was ist denn das?« fragte die Mutter streng.

»Mutti, soll ich dir von dem Autounglück erzählen?«

»Mutti, willst du 'nen Bonbon haben?« So tönte es durcheinander.

»Ich will wissen, wer den Teddybär entzweigemacht hat!«

»Er war krank«, sagte Karlchen schüchtern.

»Mutti, ach laß doch den dummen Bär«, sagte Peter zärtlich, »so ein bißchen Bär ist doch nichts! – Mutti, sag doch, willst du einen Bonbon haben?«

»Also du warst der Unart?«

»Nein, Mutti!«

»Peter!« Die Stimme des Vaters zürnte.

Der kleine Mann war zusammengefahren. Wenn ihn der Vater so streng anrief, gab es kein Ausweichen. Sonst nannte er ihn Peterli oder Peterchen. Heute sagte der Vater Peter zu ihm. Das war schlimm.

»Vater –« gab er mutig zurück. Es war wohl ratsam, daß er in diesem Augenblick auch nicht Vati sagte, sondern Vater.

»Wir haben doch Doktor Eisenbart gespielt, Mutti. Der Teddy hatte einen Blinddarm. – Es war nötig, daß wir den Blinddarm herausnahmen.«

»Nun, dann erzählt einmal.«

Da kam eins nach dem andern zum Vorschein. Es nützte nichts, daß die Uhr im Schlafzimmer der Eltern verdeckt war. Auch die Blumenspritze mußte unter dem Schrank hervorgeholt werden. Ein wenig ängstlich blickten die Kinder auf den Vater, der recht strenge aussah.

Das Strafgericht kam auch sofort. Da Emilie die erbetene Medizin nicht verabfolgen konnte, stellten die beiden älteren Knaben fest, daß es anscheinend kein schmerzlinderndes Mittel gäbe.

»Die Spritze ist Quatsch«, weinte Peterli, als er sich den verlängerten Rücken rieb.


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