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Ein böser Racker

Schon lange hatte sich Pucki vorgenommen, wieder einmal zu den Eltern ins Forsthaus Birkenhain zu gehen. Es war aber in den letzten Tagen immer etwas dazwischengekommen. Heute nun sollte der Besuch ausgeführt werden.

Es war ein schöner Maientag, und Pucki überlegte, ob sie ihre beiden ältesten Buben mitnehmen sollte. Doch war heute mancherlei mit den Eltern zu besprechen, was Kinderohren nicht zu hören brauchten. Außerdem spielten die drei gern zusammen im Garten oder unterhielten sich mit den Kranken, die schon auf dem Wege der Besserung waren. Wie oft baten die Patienten darum, ihnen die frischen, fröhlichen Kinder zu schicken, die gar so drollige Einfälle hatten und dadurch die Kranken erheiterten.

Pucki schaute ins Kinderzimmer; es war leer. Sie warf einen Blick durch das geöffnete Fenster, aber auch im Garten waren die drei Knaben nicht zu sehen. So erkundigte sie sich in der Küche bei Emilie, die schon seit Anfang der Ehe im Doktorhause pflichtgetreu ihren Arbeiten nachging.

»Ich glaube, die Kinder sind in der Glasveranda, am Gartenhaus. Wahrscheinlich besuchen sie wieder die Kranke mit dem Ohr.«

Pucki machte sich zum Ausgehen fertig. Von ihrer Wohnung aus führte ein langer Korridor hinüber zur Klinik. Jeden Tag ging sie mehrmals hinüber in das große Haus, um dort nach dem Rechten zu sehen. So schweiften auch jetzt ihre Blicke wieder aufmerksam durch die Flure. Wie hübsch, wie freundlich war alles eingerichtet! Die hellen, mit Ölfarbe gestrichenen Wände, im lichten Treppenhaus zahlreiche Blattpflanzen und blühende Frühlingsblumen. Dafür sorgte ihre Schwester Waltraut, die der Meinung war, daß Blumen zur Genesung der Kranken notwendig wären. Sie war es auch, die in jedes Krankenzimmer eine Vase mit Blumen stellte und im Schwesternzimmer einen Kanarienvogel hielt, dessen fröhliches Singen bis hinaus in den Garten schallte.

Es war bereits nötig geworden, an das kleine Gartenhaus eine große Glasveranda anzubauen. Hier hielten sich bei schlechtem Wetter die Patienten auf, denen es bereits gestattet war, umherzugehen. Mehrere aufgestellte Liegestühle sorgten dafür, daß sich die Kranken ausruhen konnten. Hell schien die Sonne in den luftigen Raum; so wurde er gern aufgesucht.

Gerade wollte Frau Gregor hinauf ins obere Stockwerk gehen, als unten eine Tür geöffnet wurde. Ein junges Mädchen mit frischem Gesicht, die Schwesternhaube auf dem blonden Haar, trat aus einem der Zimmer.

»Ach, Pucki!«

»Es ist gut, Waltraut, daß ich dich treffe. Ich will für zwei Stunden nach Birkenhain zu den Eltern gehen. Ich möchte dich bitten, meine drei ein wenig im Auge zu behalten. Emilie sagte mir, die Kinder wären in der Veranda bei Fräulein Melchert.«

»Dort sind sie gut aufgehoben«, klang es zurück, »trotzdem werde ich öfters hinübergehen, denn ich muß aufpassen, daß sich die Patientin mit dem ständigen Lesen nicht zu sehr anstrengt.«

»Ich hätte ihr doch lieber keine Bücher leihen sollen, Waltraut.«

»O doch, Pucki, wir geben gut acht. Ich erzählte dir ja schon, daß Fräulein Melchert zu den ewig nörgelnden Patienten gehört. Sie ist nur zufrieden, wenn sie ein Buch hat und jemandem vorlesen kann. Unsere kleine Bibliothek ist von ihr längst durchgelesen worden. Darum hatte ich sie vor acht Tagen zu dir geschickt –«

»Ja, und gestern kam sie schon wieder. Sie nahm drei Bücher mit. Sie wollte immer die dicksten haben. Sie stand lange vor meinem Bücherschrank, denn sie wollte selbst auswählen. Schließlich gab ich ihr harmlose Bücher, da ich weiß, daß sie gerne der kleinen kranken Rosa vorliest.«

»Augenblicklich sind deine drei an der Reihe. – Aber geh nur, Pucki, ich gebe schon acht!«

Die junge Arztfrau beschloß, nicht erst hinüber ins Gartenhaus zu gehen, sondern ihre drei Buben ruhig dem Schutze der Schwester Waltraut zu überlassen. Auf die durfte sie sich verlassen. Immer wieder lobte Claus ihre Gewissenhaftigkeit und ihr freundliches Wesen. Da war kein Patient, der nicht nach Schwester Waltraut rief, der nicht von ihr betreut werden wollte. Sie fand auch für den grämlichsten Kranken immer das richtige Wort der Hoffnung und Aufmunterung.

Als Schwester Waltraut nach einer Viertelstunde durch den Garten ging und die Glasveranda betrat, mußte sie lächeln. Im Liegestuhl lag Fräulein Melchert, bisher Hausangestellte auf einem Gut in der Nähe Rahnsburgs. Das junge Mädchen hatte sich einer schweren Ohrenoperation unterziehen müssen, und noch immer konnte es Claus aus der ärztlichen Obhut nicht entlassen. Paula Melchert war eine ungeduldige Patientin; erst als man ihr Bücher zum Lesen gab, wurde das anders.

Jetzt lag sie im Stuhl und hielt ein Buch in der Hand, aus dem sie vorlas. Die drei Knaben kauerten um den Liegestuhl und lauschten mit gespannten Gesichtern den Worten, die aus Fräulein Paulas Munde kamen. Beim Eintreten Waltrauts hob Karl beide Hände und machte der Tante erregte, abwehrende Bewegungen. Waltraut verstand. Sie sollte gehen, sie störe hier. Peter dagegen schrie vor Vergnügen laut auf.

»Tante Waltraut, ich lach' mich kaputt!«

»So? – Ist die Erzählung so lustig?«

»So ein Racker! – So ein böser Racker! – Oh, Tante Waltraut, das ist ein Kind!«

»Aber Peter!«

»Geh nur wieder los, Tante Waltraut«, rief Karl ungeduldig, »jetzt ist es gerade so schön. Wir wollen noch mehr hören.«

»So ein Racker!« wiederholte Peter, »ein böser Racker!«

»Ein böser Racker«, echote Rudi, »geh fort, Tante, geh fort!«

»Fräulein Melchert, in einer Viertelstunde komme ich wieder, dann dürfte es für heute mit dem Vorlesen genug sein.«

»Geh doch schon fort«, rief Karl ungeduldig, »du störst uns, und es ist gerade so schön!«

Lachend entfernte sich Schwester Waltraut wieder. Trotzdem hielt sie es für nötig, schon wenige Minuten später, diesmal ungesehen, in die Nähe der Veranda zu kommen. Gerade tönte ihr lautes Lachen entgegen. Die drei Knaben schrien vor Entzücken.

»So ein Racker – so ein böser Racker!«

Waltraut überlegte. Es mußte wirklich ein spaßiges Buch sein, das Pucki der Patientin geliehen hatte. Später würde sie sich das Buch auch einmal ansehen. Doch zunächst rief sie die Pflicht ins Haus zurück, während wieder Peters helle Stimme zu ihr herüberschallte:

»Nee, so ein Racker!«

Fast eine halbe Stunde lang las Paula Melchert den drei Knaben aus dem Buche vor, dann kam Schwester Lotte, um energisch Schluß zu gebieten. Waltraut war anderweitig in Anspruch genommen. Die Knaben baten zwar flehentlich, Fräulein Melchert solle das Kapitel noch rasch zu Ende lesen, aber energisch klappte Schwester Lotte das Buch zu, nahm Decken und Kissen zusammen und geleitete Fräulein Melchert hinüber in die Klinik.

»Ihr drei könnt im Garten spielen. Oder geht hinein zu Emilie. Aber seid artig, eure Mutti ist fortgegangen.«

Dann saßen die Kinder in der Laube. Von Zeit zu Zeit lachten sie fröhlich auf.

»Oh«, sagte Peter, »die Mutti kann froh sein, daß sie drei Kindchen hat, die lauter Jungens sind, denn ein Mädchen ist ein Racker. Ich hätte das Geld nicht genommen. Was man findet, muß man doch hergeben.«

»So 'ne arme Waschfrau! Sie hat es dann ja gegeben.«

»Und dann hat sie sich mit dem Jungen geboxt, immer feste auf die Nase! – Bums! Bums! – Und dann hat sie im Bett liegen müssen! – Hahaha, kleine Mädchen sollen nicht boxen!«

»So ein Racker – nee, so ein Racker!«

»Die Mutti kann froh sein, daß sie drei so artige Kindchen hat. Ich habe der Waschfrau noch kein Geld genommen.«

»Wenn das Uhrenmännchen nicht in der Uhr gesessen hätte! – Ach nee, so ein Racker!«

Dann lachten die drei wieder über ein kleines Mädchen, das mit dem Fleischklopfer so lange auf die Milchkanne geschlagen hatte, bis sie ein Loch bekam.

»Wir wollen auch mal solche Musik machen, das ist fein!«

»Wir haben aber keine Milchkanne.«

»Wir nehmen einen Topf. – Au, fein! Musik machen wir auch, genau so wie der Racker!«

»Und boxen möchte ich auch«, meinte Karl.

Kurz darauf tollten die drei durch den Garten. Beim Überklettern eines Zaunes riß sich Peter das Höschen von oben bis unten auf.

»Ach, das macht nichts, das kleine Mädchen hat sich auch beim Klettern das Kleid zerrissen. Die Mutti wird es wieder zusammennähen.«

»Ich hab' so doll gelacht«, sagte Karl in Erinnerung an das Vorgelesene, »mein Bauch hat gewackelt!«

Pucki, die sich mit dem Besuch bei den Eltern beeilt hatte, kehrte schon gegen sechs Uhr wieder heim und wurde von ihren Buben stürmisch empfangen.

»Wart ihr auch artig, Kinder?«

»Mutti, wir sind drei sehr artige Kindchen«, sagte Peter wichtig. »Wie schön, daß du drei Jungens hast und nicht so einen Racker wie in dem Buch von dem Mädchen, das uns Fräulein Melchert vorgelesen hat.«

»Mutti, ich hab' so gelacht, daß mir beinah mein Bauch geplatzt ist«, rief Karlchen aufgeregt.

»Mutti«, Peter schmiegte sich zärtlich an die Mutter, »mir ist sogar mein Bauch geplatzt, weil wir so sehr gelacht haben.«

»Aber Peter, das ist doch nicht wahr! Wie kann dir der kleine Bauch platzen?«

»Doch, Mutti, er ist von oben bis unten geplatzt.« Sorgsam deckte Peter seine Schürze über die zerrissene Hose. Karl sah die Bewegung, schüttelte den Kopf und meinte:

»Das ist doch nicht der Bauch, das ist doch neben dem Bauch!«

»Peterchen«, mahnte die Mutter, »rede nicht immer so törichtes Zeug. Sei froh, daß du gesund bist und daß dir nichts geplatzt ist.«

»Na, sieh doch«, rief er mit kläglicher Stimme, »hier ist alles kaputt. Aber Mutti«, mit seinen kleinen Händen strich er ihr zärtlich über das Gesicht, »wir sind gar nicht so unartig wie der schlimme Racker aus dem Buch. – Mutti, wenn du so ein Kindchen hättest, würdest du nicht gerne eine Mutti sein!«

»War das kleine Mädchen wirklich so unartig?«

»Ach, Mutti, das muß ich dir erzählen! Ein Löwenmaul hat sie gehabt, das hat ihr der Freund auf das Kästchen geklebt, eben weil sie so ein Löwenmaul hatte!«

»Und dumm ist sie«, mischte sich Karl ein. »Da war ein tauber Mann, so taub wie der alte Vater Wurm in Rahnsburg. Der hat immerzu Holz gehackt und gar nichts gehört. Aber das dumme Mädchen wollte ihm Musik machen. – Mutti, war das nicht dumm?«

»Sie hat es wohl nicht gewußt, daß er taub war.«

»Und Geld hat sie genommen. Und dann, Mutti – dann hat sie mal kein Geld gehabt und wollte Schlagsahne essen. Wenn wir kein Geld haben, können wir auch keine Schlagsahne essen. Und als sie bezahlen sollte, hat sie kein Geld gehabt.«

»Das ist freilich schlimm«, sagte Pucki, noch immer ahnungslos.

»Aus Schokolade hat sie ein Geldstück gehabt, so wie ich auch mal eins gehabt habe, Mutti –«

Frau Gregor blickte gedankenvoll ihren Ältesten an: »Das alles steht in dem Buch, das euch Fräulein Melchert vorlas?«

»Ach, Mutti, da steht noch viel, viel mehr drin«, schrie Peter, »ich will dir mehr erzählen. – Ein paar Jungens haben geboxt, weißt du, mit ganz dicken Handschuhen haben sie sich auf den Kopf geschlagen. Da wollte der kleine Racker auch mitmachen. Ganz heimlich hat sie mit dem einen Jungen geboxt, dann hat sie eins auf den Kopf gekriegt – –«

»Und ans Ohr auch was –«

»Dann mußte sie ins Bett –«

»Dann hat sie mächtig geweint. – Oh, ist das ein Racker!«

»Was ist denn das für ein Buch?«

»Ein schönes Buch, Mutti! Dann war da auch ein Hund, der hat alle schwarzen Bohnen gefressen. – Hahaha, das waren die schlimmen Taten von dem Racker!«

»Das steht alles in dem Buch?«

»Och – noch viel, viel mehr, Mutti. Na, wir haben gelacht, bis der Bauch wackelte!«

Die Kinder wollten noch mehr erzählen, aber Pucki eilte, von banger Ahnung erfaßt, in ihr Zimmer. Hier hatte vor zwei Tagen Paula Melchert gestanden und um ein Buch gebeten. Pucki hatte aus dem Bücherschrank einige Bände herausgenommen, um sie der Patientin zu leihen. Auf ihrem Schreibtisch lag damals das von Claus geschenkte, von Agnes geschriebene Buch: »Willst du glücklich sein im Leben«, ihre Lebensgeschichte, ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen.

Wo war das Buch?

Gestern hatte sie es noch nicht vermißt. Hatte es nicht gestern noch hier gelegen? Pucki konnte sich nicht genau erinnern. Jedenfalls fand sie das Buch nicht. – Konnte es möglich sein, daß Fräulein Melchert auch dieses Buch mitgegriffen und daß sie nun Puckis eigene Jugendstreiche ihren Kindern vorgelesen hatte?

»Der Hund fraß die schwarzen Bohnen – – auf dem Kästchen klebte ein Löwenmaul – das Sportfest, meine Boxstunde?«

Nochmals suchte sie auf dem Schreibtisch und im Bücherschrank – das Buch war nirgends zu finden. – Was hatte Peter gesagt? So ein Racker! Sie solle froh sein, daß sie drei Jungen und kein so unartiges Mädchen hätte, wie es in dem Buch beschrieben wäre.

Pucki ging zur Tür, lauschte nach dem Nebenzimmer und hörte das Lachen ihrer Kinder.

»Ich lerne auch seiltanzen, ich falle aber nicht 'runter! – Das Mädchen war eben zu dumm!«

»Und zu frech!« ergänzte Karl.

»Warum hat die Mutti keine Blumenuhr, in der das Uhrenmännchen sitzt?«

Pucki strich sich langsam mit der Hand über die Stirn. Es bestand kein Zweifel mehr, daß Fräulein Melchert ihren drei Knaben ihre eigenen Jugendstreiche vorgelesen hatte. Wenn auch Claus die Schilderungen voller Humor wiedergegeben hatte und in der Hauptsache auf Puckis gutes Herz hinwies, so blieb doch bei den Kindern nur der Eindruck zurück, daß jenes Mädchen ein ganz übermütiges und unartiges Ding gewesen sei. Niemals durften die Kleinen erfahren, daß dieser schlimme Racker ihre eigene Mutti gewesen war.

Der Lärm im Nebenzimmer wurde immer größer. Da hielt Pucki es für angebracht, dazwischenzutreten.

»Kinder, schreit nicht so laut«, sagte sie mahnend, »man hört euch bis drüben in der Klinik!«

»Ach, Mutti, du hast ja so artige Kinder! Der Racker aus dem Buch ist viel schlimmer gewesen!«

»Warum hast du dir schon wieder das Höschen zerrissen, Peter?« lenkte Pucki ab.

»Mutti, das macht nichts, der kleine Racker hat sich immerzu das Kleid zerrissen. – Einmal hat sie sich vor einem Hund gefürchtet, da – –«

»Schon gut, Peter, ich will wissen, was du mit dem Höschen gemacht hast.«

»Mutti, wenn du den kleinen Racker gekannt hättest! – Ach, der muß seine Mutti aber geärgert haben!«

»Ich möchte auch boxen lernen, Mutti!«

»Und Musik machen wir auch mal. – Mutti, dürfen wir gleich morgen Musik machen? Drüben in der Klinik?«

»Nein«, sagte Pucki. Es klang sehr streng.

»Ach, Mutti – Tante Paula soll dir auch mal vorlesen, wie die Kinder bei dem alten Holzhacker Musik gemacht haben. Bis in die Oberförsterei hat man's gehört. Und dann sind alle 'rausgekommen, und alles war kaputt!«

»Mutti, wir gehen mal zum Großpapa und machen Musik. – Mutti, wann dürfen wir nach Birkenhain?«

Es dauerte längere Zeit, ehe es Pucki gelang, die Gedanken der Kinder ein wenig von dem Buche abzulenken. Als dann aber Claus zum Abendessen erschien, umringten die drei den Vater und begannen erneut von der Blumenuhr und von dem kleinen Racker zu erzählen, der sich im Walde verlaufen hatte. Fragend schaute Claus seine Frau an. Pucki machte ein unglückliches Gesicht; sie wußte wirklich nicht, wie sie sich verhalten sollte. Es schnitt ihr geradezu ins Herz, wenn bald Karl, bald Peter die eigene Artigkeit lobten und dann wieder von dem unartigen Mädchen erzählten, das so viele Streiche ausgeführt hatte.

»Der hätte ich aber eins auf den Kopf gegeben«, rief Karl mit dem Brustton der Überzeugung, »wenn sie einer armen Waschfrau Geld nehmen will! – Weißt du, Mutti, Emilie hat uns mal erzählt, daß solche Kinder später eingesperrt werden und ganz böse Menschen sind.«

»Was ist denn das für ein Buch?« fragte der Vater.

Pucki machte dem Gatten verstohlen ein Zeichen. Bald fand sich ein kurzer Augenblick des Alleinseins. Erregt schmiegte sie sich in die Arme des treuen Lebensgefährten.

»Claus, ich glaube, ich habe bei meinen Kindern verspielt. Fräulein Melchert hat meine Jugendstreiche mitgenommen und den Kindern vorgelesen. Nun bin ich in ihren Augen der schlimme Racker. – Was mache ich da?«

Obwohl Claus die Erregung seiner Frau nachempfinden konnte, mußte er lachen. »Na, mein schlimmer Racker, so gefährlich wird es nicht sein. Außerdem brauchen die Kinder nicht zu wissen, wer dieses kleine Mädchen war.«

»Eines Tages erfahren sie es doch, Claus. Sie werden von diesem Racker den Großeltern erzählen, und alles wird herauskommen.«

»Mach dir keine Sorgen, Pucki! Die drei wissen, was für eine liebe Mutti sie haben. Du wirst es verstehen, ihnen die nötigen Lehren aus deinem früheren Verhalten zu geben.«

»Ach, Claus, ich bin am Verzweifeln!«

»Nur die Ruhe behalten, meine liebe Pucki! Ich werde Fräulein Melchert das unheilvolle Buch fortnehmen. Es steht noch mancherlei darin, was unsere drei vorerst nicht zu wissen brauchen.«

»Sie hat schon viel daraus vorgelesen. Sogar die Erlebnisse im ›Maiglöckchen‹ sind den Kindern bekannt. – Das Fünfmarkstück aus Schokolade –«

»Sie werden bald andere Gedanken haben.«

»Claus, ich bin überzeugt, daß sie mir eines Tages einen Topf zerschlagen, weil sie auch Musik machen wollen. Ich sehe die drei schon mit zerschundenen Gesichtern heimkommen, denn sie wollen boxen lernen. – Weißt du, was Karl sagte?«

»Was hat er Schlimmes gesagt?«

»Ihm tun die armen Eltern leid, die so einen Racker zur Tochter hatten. – Claus, ich glaube, ich muß mich heute noch wegen meiner vielen Streiche schämen.«

Er lachte fröhlich. »Wenn jedes Mädchen, das so viele tolle Streiche machte wie du, eine so vortreffliche Hausfrau und Mutter wird, wie meine Pucki das ist, dann möchte man wünschen, daß recht viele lustige Streiche von der Jugend verübt werden. Wer sich in der Jugend austollt, wird später im Leben ein tüchtiger Mensch.«

Pucki schaute dem Gatten mit dankbarem Blick in die Augen.


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