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Mit frohem Hoffen

»Was machen wir nun, Pucki?« Sehr kläglich klang es. »Alles verpfuscht! Der Stoff reicht nicht mehr. Beide Ärmel auf eine Seite geschnitten. – Ach je, ich verstehe doch gar nichts!«

Auf dem großen Tisch im Wohnzimmer lag ein Stück Stoff ausgebreitet, der Schnitt war aufgesteckt. Man hatte gemeinsam einen Knabenanzug zugeschnitten, doch weder Frau Prell noch Pucki leisteten in der Schneiderei etwas Ordentliches. Dabei wollten sie so gern aus den vorhandenen Stoffen etwas schaffen. Sie hatten ein Schnittmuster für einen Knabenanzug kommen lassen, waren mit frischem Mut an die Arbeit gegangen und – der Stoff war verschnitten.

»Wir stückeln«, sagte Frau Edda ruhig.

Der verschnittene Ärmel wurde hin und her gedreht, oben und unten etwas angesetzt, bis Pucki strahlend meinte: »So wird es gehen. Tri wird auch mit Nähten im Ärmel sehr fein aussehen. Aber schlimm ist es, daß wir immer Fehler machen, wenn wir etwas arbeiten.«

»Ja«, lachte Frau Edda, »wissen Sie noch, Pucki, wie wir im vorigen Monat das Kleid für mich schneiderten? Ich bin gewiß eine schlanke Frau, aber ich konnte nur halb hineinschlüpfen.«

»Und dann mußten wir den schönen Stoff wegwerfen, weil er ganz zerschnitten war. – Sehr schlimm!«

»Ach nein, Pucki, schlimm ist das nicht. Jetzt nicht mehr. Ich bin Ihnen jeden Tag erneut von ganzem Herzen dankbar, weil durch Sie in unserem Haus vieles gewandelt wurde. Wieviel Glück und Frieden haben Sie hier hereingebracht! Was habe ich von Ihnen nicht alles gelernt. Als Sie vor etwa sieben Monaten zu uns kamen, war es eine Stätte der Unrast, der Unzufriedenheit und der Unordnung – –«

»Sie sollen mich nicht loben, Frau Edda. Erinnern Sie sich nur daran, wie falsch ich alles anfaßte. Von Kindererziehung hatte ich keine Ahnung. Von der Krankenpflege verstehe ich auch nicht viel. Denken Sie nur daran, wie unsicher ich Tristan vor zwei Monaten während der Grippe pflegte –«

»Wie gut Sie meinen Flo pflegten, als ich auf Reisen war.«

»Das war Glückssache.«

»Nein, Pucki, ein Glück war es für uns, daß Sie in unser Haus kamen. Auch mein Mann sagt Ihnen das häufig. Ich glaube, es freut Sie, wenn Sie das hören.«

»Ach ja«, sagte Pucki innig, »ich wünsche mir längst, Kindern eine gute Lehrmeisterin zu sein. Als ich den ersten Versuch machte, erlitt ich kläglich Schiffbruch. Und auch hier erfülle ich meine Pflichten nicht so, wie es sein müßte, weil mir das rechte Wissen fehlt.«

»Sind Sie wirklich fest entschlossen, Ostern unser Haus zu verlassen und das Kindergärtnerinnen-Seminar zu besuchen? Wollen Sie nicht weiterhin bei uns bleiben? Die beiden Knaben werden Sie schwer vermissen.«

»Nicht mehr so sehr wie vor Monaten, Frau Edda, denn Tri und Flo haben ja eine treusorgende Mutter.«

»Ja, liebe Pucki, auch nach dieser Richtung hin haben Sie segenbringend gewirkt. Ich ging einen falschen Weg. Erinnern Sie sich noch der Strafpredigt, die Sie mir im September hielten?«

Pucki wandte sich verlegen ab. O ja, sie erinnerte sich noch recht gut an ihre leidenschaftlichen Worte. Sie waren nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen. Mit Frau Edda war seit jener Zeit eine große Veränderung vorgegangen. Mehr und mehr widmete sie sich ihren Kindern, sie fing sogar an, das Hauswesen selbst zu leiten. Und wenn sie auch in der Küche die gröbsten Fehler machte, so lernte sie doch vieles daraus. Am Schreibtisch saß sie nicht mehr, nicht einmal kleine Erzählungen wurden mehr geschrieben, weil es zu viel anderes zu tun gab, was Frau Edda heute wichtiger dünkte.

Herr Prell befand sich diesen Winter viel auf Gastspielreisen. Wenn er aber nach Hause kam, freute er sich des friedlichen Familienlebens und der hausfraulichen und mütterlichen Tugenden seiner Frau. Auch die Ordnung, die überall herrschte, wurde wohltuend von ihm empfunden. Das Geld, das er nach Hause schickte, verschleuderte man nicht mehr für zwecklose Dinge. Frau Edda hielt mit Pucki Rat, wie sie es am besten einteilen sollte. Mehrere Kassen standen im Schreibtisch, und oftmals lachten beide herzlich, wenn bald aus dieser, bald aus jener Kasse für die andere geborgt wurde.

Aber nicht nur Herr Prell, auch die beiden Knaben empfanden den Umschwung im Elternhause mit großer Freude. Sie blühten geradezu auf, und oft flüsterten sie miteinander, daß es jetzt ganz anders zu Hause wäre als früher. Aus der Mutter sei eine liebe Mutti geworden, genau solch eine Mutti, wie sie im Forsthaus Birkenhain lebte. Wenn Frau Edda von weichen Kinderarmen umschlungen wurde, strahlte aus ihren Augen das Glück, das sie sich durch eigene Schuld so lange vorenthalten hatte. –

Frau Edda hob den Kopf. »Sehen Sie, wie es draußen schneit, Pucki. Nun ja, am fünfzehnten Dezember kann man nichts anderes verlangen. Haben Sie schon nach Hause geschrieben, daß Sie nächste Woche kommen?«

Aus Puckis Augen brach ein Strahl heißer Freude. »Ja, gleich gestern habe ich geschrieben. Als Sie mir sagten, daß ich nach Hause reisen darf, habe ich mich sofort hingesetzt und einen langen Brief an die Eltern geschrieben.«

»Sie freuen sich sehr auf die Weihnachtsreise?«

»Ach ja!«

»Am dritten Januar sind Sie aber wieder hier, Pucki. Die vierzehn Tage Ferien gönne ich Ihnen von Herzen. Ich werde in dieser Zeit allein mit den Kindern fertig werden. Außerdem habe ich ja noch die gute Va.«

Und nun zählte Pucki die Tage bis zur Abreise. Jeder neue Morgen wurde jauchzend begrüßt, und als endlich der 22. Dezember herankam, als man ihr am Vormittag einen hübschen Gabentisch aufbaute und einen neuen Zwanzigmarkschein dazu legte, vermochte sie ihr unbändiges Glücksgefühl kaum zu zügeln.

»In drei Stunden geht mein Zug, in drei Stunden fahre ich heim!«

Frau Prell und die beiden Knaben brachten Pucki zur Bahn. Immer wieder wurde sie von den Knaben umhalst; doch keine Trauer stand in den Kinderaugen, sie hatten ja ein Mutterherz, das ihnen Liebe schenkte.

So reiste Pucki Rahnsburg entgegen. Was hatte sie alles zu erzählen! Sonnabend vor Ostern war sie nach Eisenach gefahren; dort hatte sie nichts als Enttäuschungen erlebt. Auch von den Eltern war mancher Brief angekommen, der sie stark bedrückt hatte. Damals, als Pucki in ihren ersten Briefen ihre Stelle im Hause des Sängers Prell schilderte, wollten sie sie nicht in Nürnberg lassen. Die Mutter meinte, sie wäre dort nicht auf dem rechten Platz. – Ein glückliches Lächeln huschte über das frische Mädchengesicht. Oh, sie konnte heute der Mutter melden, daß ihr Frau Prell von Herzen dankbar war. Alle sagten im Hause des Künstlers, daß mit ihr Ordnung und Frieden eingezogen wären. Sie hatte aber auch den Kindern die Mutter zurückgegeben. – War das nicht eine Tat, die innerlich glücklich machen konnte? Alles das würde sie daheim erzählen.

Ein Schatten glitt plötzlich über Puckis Gesicht. Warum schrieb Claus Gregor nicht mehr? Drei Briefe waren unbeantwortet geblieben. Als sie nach Nürnberg gekommen war, wurde auch ihm das Herz ausgeschüttet. Pucki schrieb in ihrer temperamentvollen Art, wie furchtbar es in Eisenach gewesen wäre und daß sie sich schließlich eine andere Stelle gesucht hätte. Und wieder nach vierzehn Tagen teilte sie Claus mit, in welches Haus sie geraten sei, doch gefiele es ihr recht gut.

Warum antwortete er ihr nicht? Ging es ihm drüben in Brasilien schlecht? Und zum drittenmal war ein Schreiben an ihn abgegangen, doch bis heute war keine Antwort gekommen.

»Ob er mich vergessen hat? Ob ich ihm zu dumm, zu unerfahren bin? Ich hatte ihm damals gesagt, daß ich in meiner Stellung aushalten wollte. Und schon nach wenigen Wochen bin ich fortgegangen. Er will mich gewiß nicht mehr kennen, er ist mit mir böse.«

Jedesmal wenn Pucki bei diesen Gedanken angekommen war, wurde ihr das Herz schwer. Wie freundlich und nett schrieb dagegen Hans Rogaten. Von ihm hatte sie manchen Brief erhalten. Ihr Leben und Wirken interessierten ihn, und er fragte immer nach ihrem Wohlergehen. Und wie hatte er sich damals um sie gesorgt, damit sie eine neue bessere Stellung bekäme.

Pucki schüttelte energisch den Blondkopf. »Ich werde die Eltern und Schwestern wiedersehen, alle die lieben Freunde und Freundinnen. Ich will auch nach der Oberförsterei gehen und zu Niepels. Jeder Tag wird für mich ein Freudentag sein. Wenn ich nur erst daheim wäre! Die Fahrt nimmt kein Ende!«

Doch endlich war Rahnsburg erreicht. Pucki hatte sich zwar vorgenommen, den jüngeren Schwestern recht gesittet zu begegnen, doch als sie Waltraut und Agnes auf dem Bahnsteig erblickte, schrie sie ihnen, noch ehe der Zug hielt, fröhlich zu:

»Da bin ich endlich! Ich komme und bleibe bis zum zweiten Januar bei euch. Herzlich willkommen!«

Stürmisch umarmte Pucki auf dem Bahnsteig die beiden Schwestern. Agnes schrie laut auf, denn Pucki hatte sie heftig auf den Fuß getreten.

»Du bist noch immer so wild«, sagte Agnes, »ich dachte, du hättest in deiner Stellung schon was gelernt.«

»Ich bin ja so glücklich, ach, so glücklich! Wie geht es den Eltern?«

Dann schritt Pucki neben den Schwestern durch den verschneiten Wald, dem Forsthaus Birkenhain zu. Noch nie war ihr der Wald so herrlich erschienen wie heute!

»In Thüringen gibt es schöne Wälder, bei Nürnberg gibt es auch große Waldungen, doch nirgends stehen solche schönen Bäume wie hier. Auch der Schnee ist reiner und weißer als in Nürnberg –« Pucki schnupperte mit der Nase in die Luft. »Hier riecht es auch so anders – –«

»Vielleicht nach Waffeln?« meinte Waltraut.

»Nein, nach Heimat«, sagte Pucki innig. »Es riecht nach Heimat, nach Elternliebe und Glück. Dort – seht nur, dort schaut schon das liebe Forsthaus hervor. – Oh – – oh –« Mit langen Sprüngen eilte das junge Mädchen dem kleinen Hause zu.

Nun saß sie daheim am Tische der Eltern. Alles erschien ihr schöner und herrlicher denn zuvor. Beinahe jedes Möbelstück wurde von ihr begrüßt. Sie schämte sich fast, daß sie so voller Rührung über alles war, was sie im Elternhause wiedersah. Dazu die Eltern, die ihr mit jedem Wort Liebes erwiesen. Pucki hatte sich vorgenommen, gleich am ersten Abend ihres Hierseins ausführlich über alles zu erzählen. Doch ihr Mund blieb oft fest geschlossen, und nur die Augen schweiften umher, schauten glückselig in die des Vaters, der Mutter, und ein süßes Gefühl der Geborgenheit überkam sie. Es war ihr nicht möglich, alles, was sie erlebt hatte, sogleich zu erzählen. Erst wollte sie hören, was sich daheim zugetragen hatte. Jedes Wort aus dem Munde der Eltern war ihr wie ein Geschenk.

Erst im Laufe der nächsten Tage gab Pucki ein Bild der letzten Monate ihrer Tätigkeit.

»Ihr werdet gewiß recht böse auf mich gewesen sein«, sagte sie eines Tages, »weil ich die Stelle in Eisenach so bald verließ. Ihr werdet gesagt haben: die leichtsinnige Pucki hält es nirgends aus. Es lag nicht an mir. Mein erster Schritt ins Leben war ein Fehlschlag. Jetzt ist es anders. Ich fühle mich sehr glücklich im Prellschen Hause.«

»Aus deinen Briefen haben wir keine rechte Klarheit über deine Stellung gewonnen.«

»Hast recht, liebe Mutter. Anfangs war auch mir alles unklar. Doch später ist es gut ausgegangen. Darf ich dir erzählen, was Frau Prell wenige Tage vor meiner Abreise zu mir sagte? Es soll kein Eigenlob sein, Mutti, ich erzähle es auch nicht, um mich in deinen Augen groß hinzustellen. Ach nein, ich sage es nur, weil es mich wirklich sehr glücklich macht.«

»Was hat sie gesagt, du kleiner Irrwisch?«

»Mit mir sei das Glück in ihr Haus gekommen. Durch mich habe sie ihre Kinder wiedergewonnen. Nun ist sie erst wirklich glücklich geworden.«

»Durch dich, Pucki? Durch meine wilde, kleine Pucki?«

»Ja, Mutti, so sagte Frau Prell. Ich habe manches Stück Stoff verschnitten, manches Mittagessen anbrennen lassen und manches verdorben. Ich habe sogar den Kindern, ohne daß ich es wollte, Unarten beigebracht. Ich habe, als Tri krank lag, falsche Mittel angewandt. Aber eines ist mir gelungen: Ich habe die Liebe der beiden Knaben gewonnen. Ich habe in ein Haus, aus dem das Glück weichen wollte, wieder Frieden und Harmonie getragen.«

»Wie hast du das nur angefangen, mein liebes Kind?«

»Mutti, ich weiß es selber nicht! Ich weiß nur, daß mir das Herz weh tat, wenn ich die Kinder ansah, die keine Elternliebe kannten. Ich habe dann immer an dich und Vati gedacht, habe mir im Geist eure treue Fürsorge vorgestellt. Ich wollte den Kindern etwas Ähnliches schenken. – Glaube mir, Mutti, ich habe mich redlich gemüht, etwas Gutes zu schaffen. Manches Mal mißlang es, doch hin und wieder glückte es mir.«

»Du fühlst dich also glücklich im Prellschen Hause und bist völlig befriedigt?«

»Nein, Mutti, ich möchte mehr leisten. Ich möchte einen ganzen Platz im Leben ausfüllen. Das kann ich jedoch nicht, wenn ich den rechten Weg nicht weiß. Ich schrieb euch schon, daß ich zu Ostern ein Seminar besuchen möchte, um alles das zu lernen, was mir fehlt. Ich weiß heute, daß ich Kinder über alles liebe, daß ich bei ihnen am richtigen Platze stehe. Nur muß ich alles das hinzulernen, was dazu nötig ist. Erlaubt mir, daß ich das Seminar besuche! Ich glaube, dann werde ich im Leben meine Pflichten voll und ganz erfüllen können.«

»Ich freue mich, Pucki, daß du so vernünftig geworden bist.«

»Dazu hat Eisenach wohl beigetragen. Damals war ich über die Stellung sehr unglücklich, heute sehe ich ein, daß sie mir nicht geschadet, sondern viel genützt hat. Und wenn ich jetzt mit meinen Freundinnen zusammenkomme, will ich ihnen sagen, daß niemand zu verzweifeln braucht, auch wenn der erste Schritt, den man ins Leben hinaustut, auf steinigen Boden gesetzt wird. Mutti, wir beißen uns schon durch! In der Jugend steckt Mut und große Tatkraft! Wir halten durch! So will ich auch im Seminar eine gute Schülerin sein und alles lernen, was mir noch fehlt.«

Die nächsten Tage waren für Pucki mit den verschiedensten Besuchen ausgefüllt. Zur Weihnachtszeit weilten die meisten ihrer Bekannten im Elternhaus. Da war Meta Zirl, die Schulfreundin aus Rahnsburg, die jetzt in Hamburg die Krankenpflege erlernte. Puckis erste Frage galt Claus.

»Du hattest ihn doch öfter gesehen. – Schreibt er dir?«

»Er ist doch in Brasilien.«

»Aber er schreibt dir?«

»Nein, Pucki, er hat dort anderes zu tun. Er hat mir noch nicht geschrieben.«

Das junge Mädchen atmete erleichtert auf. Vielleicht hatte Claus wirklich so viel zu tun, daß er nicht zum Schreiben kam. Zu Neujahr würde er sicherlich einen Gruß nach Nürnberg senden.

In der Oberförsterei begrüßte man Hedi Sandler herzlich. Der Oberförster drohte schelmisch mit dem Finger.

»Na, na, es hat ja nicht lange mit der ersten Stelle gedauert. In dem Künstlerhaus gibt es wohl nicht so viel Arbeit? Dort kommt es wohl auch auf Ordnung nicht an?«

Pucki fühlte den Vorwurf. Ob Claus auch so dachte? Ob er deswegen nicht mehr schrieb?

»Hast recht, Onkel Oberförster, wenn du mir mißtraust, denn ich habe, als ich von Hause fortging, zu große Worte gesprochen. Aber glaube es, in mir hat sich manches gewandelt.«

»Du bist uns immer eine liebe, kleine Freundin gewesen, möge es auch weiterhin so bleiben.«

»Was macht Claus?« forschte Hedi beklommen.

»Er hat große und schwere Pflichten.«

»Ob er wohl zu Neujahr – – Vielleicht hat er doch Zeit, um einige Karten zu schreiben.«

»Hast du keine Nachricht von ihm?«

Pucki senkte den Kopf tief. »Seit ich in Nürnberg bin, schrieb er nicht mehr. Vielleicht denkt er, daß ich auch von dort schon wieder weg bin. Ich wollte in der ersten Stelle aushalten, das hatte ich ihm versprochen, aber ich habe mein Versprechen nicht halten können. Claus hält alle seine Versprechen.«

»Aber Pucki! Tränen?«

Das Försterkind wischte ärgerlich die Augen mit dem Handrücken und versuchte, den Oberförster anzulächeln. Aber es wurde nichts Rechtes daraus.

»Nicht weinen«, tröstete der Oberförster, »Claus hat seine kleine Freundin lieb, er wird sie nicht vergessen und ganz bestimmt schreiben.«

Da trat rasch wieder ein frohes Leuchten in Hedis feuchte Augen. –

Rose Scheele, die noch immer auf der Schmanz weilte, freute sich herzlich, Pucki wiederzusehen. Sie fühlte sich im Hause des Bauern noch immer sehr glücklich, denn man schätzte und liebte das fleißige junge Mädchen. Besonders Erich Teck, der seit einem Jahr den Hof der Eltern bewirtschaftete, lobte die fleißige Rose über alle Maßen.

»Das wird mal eine Schmanzbäuerin, wie ich mir keine bessere denken kann.« Da lief Rose rasch aus dem Zimmer, denn ihr Gesicht war blutrot geworden. Pucki schaute den schmucken Sohn ihres alten Freundes mit lachenden Augen an.

»Wollen Sie die Rose heiraten?«

»Freilich will ich das«, klang es frohgemut zurück. »Zu Neujahr gibt es eine Verlobung – wenn sie mich will.«

»Das ist ja herrlich! Ich komme zur Verlobungsfeier! Das muß ich sogleich der Rose sagen.«

»Hübsch den Mund gehalten, Pucki!« rief Erich. »Das sage ich ihr ganz allein. Sie ahnt es auch schon längst.«

Nicht minder fröhlich ging es im Niepelschen Gutshause zu. Dort waren zum Weihnachtsfest alle drei Söhne vereinigt, und es gab viel zu berichten. Paul, der Eleve, klagte freilich über gar zu reichliche Arbeit, doch Walter und Fritz waren in bester Laune. Immer wieder erzählte man von der Vergangenheit, von den tollen Streichen, die gemeinsam unternommen worden waren, kurzum, es waren wunderschöne Stunden, in denen man die Kinderzeit ins Gedächtnis zurückrief.

Übereinstimmend herrschte die Ansicht, daß Pucki sich in den neun Monaten ihres Fernseins vom Elternhaus zu ihrem Vorteil verändert hätte. Wohl war sie noch immer das sonnige junge Mädchen mit den lachenden Augen, doch ihr Wesen war nicht mehr so stürmisch; sie war ruhiger und überlegter geworden. So beglückwünschte man Sandlers zu dieser Tochter.

»Aus unserer kleinen, wilden Pucki war vor einigen Jahren ein schlimmer Puck geworden«, sagte der Oberförster. »Jetzt hat sich dieser Puck wieder in eine liebenswerte Pucki gewandelt. Möge es in Zukunft so bleiben!«

Das Jahr ging schnell zu Ende. Es war verabredet worden, am Silvesterabend im Niepelschen Gutshause eine kleine Feier zu veranstalten. Um Pucki eine Freude zu machen, hatte man viele ihrer früheren Schulkameradinnen eingeladen. Sogar Tante Grete aus Rahnsburg, bei der Pucki in Pension gewesen war und die sich zur Zeit im Hause des Oberförsters aufhielt, wollte dabei sein.

Pucki stand in ihrem Stübchen, um sich anzukleiden. Es war noch reichlich Zeit. Sie schaute durchs Fenster hinaus in den verschneiten Wald. Wie oft hatte sie hier gestanden, wie vieles hatte sie in ihrem jungen Dasein schon erlebt: Heiteres, Trübes, sogar Schweres und Niederdrückendes! – Wie würde sich ihr künftiges Leben gestalten?

Als sie sich umwandte, fiel ihr Blick auf ein schwarzes Buch, das auf dem Tisch lag: Ihr Tagebuch. Hier standen ihre Erlebnisse aufgezeichnet. Pucki schloß das Buch auf und blätterte darin. Welch törichte Eintragungen waren darin gemacht worden.

»Bald bist du gefüllt, kleines Buch! Der erste Band meines Lebens würde damit abgeschlossen sein. Die glückliche Schulzeit mit ihren Freuden und Späßen. Ich glaube, daß der zweite Band ein ernsteres Aussehen haben wird, doch will ich mutig beginnen. Ein Jahr geht heute zu Ende, ein neues zieht mit neuen Pflichten herauf. Liebes kleines Buch, das mich so oft in meinem kindlichen Schmerz trösten mußte, dir will ich am Jahresschluß noch einige Worte sagen, damit du weißt, daß deine Pucki mit hellen Augen in die Zukunft schaut, daß sie vorwärts strebt und etwas erreichen will.«

Das junge Mädchen griff zur Feder. Sinnend schaute sie vor sich hin. Noch einmal ließ sie in Gedanken ihr junges Leben an sich vorüberziehen. Dann schrieb sie mit großen, steilen Buchstaben auf eine der letzten Seiten:

»Zum Licht empor, mit klarem Blick,
Ein Vorwärts stets, nie ein Zurück.
Ein frohes Hoffen, kühnes Streben,
Und schnelles Handeln auch daneben,
Dann hat das Leben Zweck und Ziel,
Wer Großes will, erreicht auch viel.«

Dann stand sie auf und trat ans Fenster. Draußen lag der heimatliche Wald in winterlichem Schweigen.

Pucki fühlte das große Glück, wieder in der Heimat zu sein.


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